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Zwischen Fatalismus und Aktivismus

Isohexadecan und Hexyllactone, Transfluthrin sowieso, Acryloyldimethyltaurate, Polyacryldimethyltauramide sogar, manchmal Formaldehyd, Mineralöle, bisweilen Zucker und, wenn man sie am wenigsten erwartet, besonders fiese MOSH oder MOSH-Analoga der Kettenlängen C17 bis C35 von mehr als 1 bis 2 mg/kg.

Das ist der Feind. Beziehungsweise ein kleiner Ausschnitt nur aus dem gewaltigen Heer der giftigen Sachen, die irgendwo drin sind. Sie laufen im Kleingedruckten immer mit bei „Öko-Test“, wie bei Nachrichtsendern am unteren Bildrand das Laufband mit den Aktienkursen.

„Öko-Test“ ist das Heft der Stunde

Das Cover der Zeitschrift "Öko-Test"

„Öko-Test“ ist so naturverbunden, dass der Bindestrich im korrekt gekoppelten Namen des Magazins auf dem Cover durch ein Ahornblatt ersetzt ist.

Der Titel zeigt das Stockfoto einer glücklichen Frau in vermutlich biologisch abbaubaren Kleidern, wie sie selig durch ein Weizenfeld lustwandelt und mit den Händen zärtlich über die Ähren streicht. Kein Glyphosat, nirgends, und auch keine allergischen Reaktionen – womit wir schon mitten im Heft wären.

Es ist das Heft der Stunde. Chefredakteur Hans Oppermann weiß das. In seinem Editorial schreibt er:

„Immer mehr Menschen spüren die Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben. Im Großen – wenn Australien in Flammen steht. Und im Kleinen – wenn es uns in Deutschland an die eigene Gesundheit geht“.

Wobei das „Kleine“ hier ins Mikrobiologische privatisiert wird. Und das „Große“ im Grunde nicht das brennende Australien ist, sondern ein aberwitzig auf den Abgrund zugaloppierender Spätkapitalismus, von dem „Öko-Test“ natürlich nichts wissen will, wetten? Verloren. In der verdienstvollen Rubrik „Bewegen“ geht es tatsächlich um Geld, um „grünes Geld“, die Möglichkeiten einer Finanzwende – und das Kernproblem, dass systembedingt die Kohle für eine Altersversorgung im Zweifel von einer Kohlemine in Australien erwirtschaftet wird.

Im Kleinen das ganz Große ändern

Hans Oppermann aber will, um etwas Großes zu ändern, „bei kleinen Dingen“ anfangen und seiner Leserschaft eine Handreichung liefern, „sich selbst und seiner Gesundheit etwas Gutes“ zu tun.

Anzeige von Biovegan in der "Öko-Test"

Da wundert’s wenig, dass es auf der folgenden Seite gleich ein grimmiger „Fridays For Future“-Bursche in die Biovegan-Werbung geschafft hat: „Plastikt ihr eigentlich noch ganz richtig?“, paraphrasiert hier der Knabe das Thunberg’sche „How dare you?“ Und die Wirtschaft in Form von Biovegan antwortet: „Wir haben verstanden, Tom!“ und verwendet nur noch „plastiklose Folien“.

Weil die Frage nach dem Guten im Kleinen sich alltäglich stellt, wird sie in einer eigenen Rubrik beantwortet: „Gut durch den Alltag“. In welche Tonne mit den Kassenbons, ohne den Planeten zu verpesten? Was hilft gegen Kopfläuse, ohne mich zu töten? Was tun gegen stinkende Keime in meiner Waschmaschine? Das nennt man lebensweltlich.

Wobei „Öko-Test“ nicht einfach nur vor sich hinberichtet. Sondern wirkt und seine Wirkung auf einer Doppelseite stolz ausbreitet. Duschgel von „Hugo Boss“, zuletzt mit „ungenügend“ bewertet (Chlormethylisothiazolinon, geht’s noch?), hat’s nun zu einem „ausreichend“ geschafft. Geht doch!

Hätte „Öko-Test“ eine Hymne, es wäre „Vergiftet“ von Jan Delay, der da sang: „Alles ist vergiftet! Vergiftet! Vergiftet, oh ja! Vergiftet, leider! Vergiftet!“

Es stimmt halt aber auch. Reinigungsmittel für Holzböden, die ein neues Label bekommen sollen (wegen der Isothiazolonine, wir kennen sie bereits), Klebstoffe, die die Welt verkleben (Formaldehyd, what the fuck!) und meine Allwetterjacke, die chemische Rückstände (I’m looking at you, Polysiloxane!) selbst in der Arktis hinterlässt.

Hier wird sich alles vorgeknöpft

Probleme, derer „Öko-Test“ sich mit einer gesunden Mischung aus gelassenem Fatalismus und apfelbäumchenhaftem Aktivismus annimmt. Dort knöpft man sich den Kram vor, diesmal Knete, Mittel gegen Kleidermotten, Binden und Slipeinlagen und Gesichtscremes für Männer.

Leider sind diese mehrseitigen und taballarisch erschöpfenden „Tests und deren Ergebnisse urheberrechtlich geschützt. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags dürfen keine Nachdrucke, Kopien, Mikrofilme oder Einspielungen angefertigt und/oder verbreitet werden“, man darf es also höchstens beschreiben: „Weißte, was ich in ‚Öko-Test‘ gelesen habe?“

Redakteurinnen und Redakteure darf man sich hier nicht wie schnöde Journalisten vorstellen. Eher wie der journalistische Arm beflissener Wissenschaftler, wie sie auch in einer Talkshow zum Thema sitzen und Bedenken tragen könnten. Vollkornspaghetti? Obacht bei Schimmelpilzen! Dergleichen verleiht ein beruhigendes Gefühl beim Lesen. Hier wird das Wissen von Experten vermittelt, nicht irgendeine Meinung.

Text über Menstruation aus der Öko-Test

Und das wird ruckzuck politisch, wie etwa der Artikel über „nachhaltige Menstruation“ zeigt. Hier geht es um die misogyne Luxussteuer auf Tampons, das (angebliche, come on!) Tabu der Blutung und umweltfreundliche Alternativen zum üblichen Gestöpsel. Gesellschaftliche Diskurse spiegeln sich auch in der Geschichte „über die neuen, gepflegten Männer, die vor dem Kosmetikregal nicht zurückschrecken“ – im Gegensatz offenbar zu den alten, ungepflegten Männern, die bisweilen eine regelrechte Kosmetikregalphobie entwickelt haben.

Zurecht, und das nicht nur aufgrund hergebrachter Rollenbilder. In den Tiegeln und Döschen steckt so allerhand, von gewässergefährdendem Galaxolid bis zu einem dubiosen Duftstoff und Zungenbrecher wie Hydroxycitronellal. Das teuerste Schmiermittel im Test kostet 26,66 Euro – und hat am schlechtesten abgeschnitten. Wer wirklich ein „neuer Mann“ sein will, so die Botschaft, sollte sich auch um das Cyclohexasiloxan in seiner Creme kümmern.

Ob hier wirklich diskursiv etwas ins Rutschen gekommen ist oder „Öko-Test“ nur die Ideologie der Industrie nachplappert, „auch Männerhaut“ habe „sanfte Pflege“ sowas von verdient – spielt keine Rolle. Wer will, kann hier nachlesen, was er zu brauchen glaubt und ob das etwas taugt.

Hier ist ein Test wirklich: ein Test

Dabei siedeln die Tests, ihrem Service-Charakter zum Trotz, sozusagen mitten in der roten Zone des Journalismus. Dort, wo Unbestechlichkeit garantiert ist. Die Leute hier wissen, wonach sie suchen. Und anders als beim Auto- oder Musikjournalismus ist hier der Test auch wirklich genau das: ein Test. Fände ansatzweise Schiebung statt, und sei’s nur das geschenkte Pröbchen einer Mottenmittels – für eine so um Seriosität bemühte Zeitschrift wie „Öko-Test“ wäre das verheerend.

Wobei die Marke so gut da steht, dass sie – wie VW – selbst Dämpfer gut übersteht. Ein Engagement des mehrheitlich von der SPD kontrollierten Verlages mit „Öko-Test“ in China machte es notwendig, sich mit „brisanten Monetarisierungsthemen“ (vulgo: Millionenverlusten) zu beschäftigen. Hinzu kam, dass gegenüber Anzeigenkunden die Auflage bestimmter Sonderproduktionen nach oben korrigiert worden war. Was ungefähr so schwerwiegend ist, als hätte beispielsweise VW mit Abgasen seiner Dieselmodelle geschummelt. Undenkbar.

Nun kann die Redaktion selbst nichts für die Abenteuer seines Verlages, zumal – auch das war in der Vergangenheit ein Kritikpunkt – die Standards für die Tests ausreichend transparent gemacht werden.

Testseite aus der Zeitschrift Öko-Test

Die zivilgesellschaftlichen Ansprüche dieses Blattes, das immer mal wieder Dinge fordert (wie Kennzeichnungspflicht für belastete Knete), erfüllen sich in der Seriosität seiner Prüfungsreihen. Das „redaktionelle Umfeld“, wie es so schön heißt, bleibt sachlich und driftet weder ins Esoterische noch ins Apokalyptische. Wenn’s allzu belastend wird mit dem Gift überall, dann gibt es eine mehrseitige Reisereportage aus Litauen – ohne ökologischen Bezug whatsoever.

Zurückhaltend ist man bei „Öko-Test“ denn auch mit Meinungen. Und wenn, gibt es als Zugabe zum Service-Teil einen ausgewogenen Kommentar zur Impfpflicht – der dann doch ausreichend quer zur Meinung des Mainstream steht.

Hübsch auch der Rausschmeißer, eine Kolumne von Kerstin Scheidecker. Nicht stilistisch, aber thematisch. In „Leider geil!“ geht es, wieder, um die alltäglichen Sünden, und sei es auch nur der gekühlte Pizzateig. Hier kann man sich dann an die eigene Nase fassen.

„Öke-Test“ selbst bräuchte übrigens einen Öko-Test nicht zu fürchten. Das Blatt erscheint auf „Leipa Ultra Mag Plus matt“ und besteht „aus 100% Altpapier, zertifiziert mit dem Blauen Umweltengel“. Von schädlichen Mineralölverbindungen (MOSH) keine Spur, zumindest nicht bei Kettenlängen von C17 bis C35 von mehr als 1 bis 2 mg/kg. Hoffentlich.

5 Kommentare

  1. Da moppert man sich durch’s ganze Heft auf der Suche nach etwas, das man den Treehuggern sachlich vorwerfen kann, und dann stellt sich alles als solide gemacht heraus. Mist! Dann bleibt wohl nur noch, sich über die Aufmerksamkeit für Inhaltsstoffe mit schwer auszusprechenden Namen lustig zu machen … ach so, und über Menstruation natürlich. Haha, Frauen!

  2. @1
    ..weil jede Kolummne hier mit dem unbedingtem Willen angefangen wird, das Produkt zu zerreißen *augenroll*
    Ein Glück haben Sie den Artikel ganz vorurteilsfrei ohne Erwartungshaltung gelesen :)

  3. @Comicfreak: Hä? Ich verstehe Ihre Kritik nicht. Ich hatte bisher bei keinem einzigen Artikel aus der Rubrik den Eindruck, da wolle jemand nur meckern (auch nicht bei solchen von Arno Frank). Gerade deshalb irritiert es mich, dass das diesmal offenbar der Fall war.

  4. @Sir Mausbach
    und ich habe auch bei diesem Artikel eben nicht das Gefühl, der Auto wolle meckern, deshalb wundere ich mich über Ihre Wahrnehmung.

  5. Irrtum! Weder Mohn noch Kornblume: Das Weizenfeld auf dem Titelbild wurde sicherlich mit Glyphosat oder einem anderem Herbizid gespritzt.

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