Bahnhofskiosk

Die Oldtimer unter den Zeitschriften

Samstagabend verschwand mein Auto. Der alte Mercedes stand auf einem großen, fast leeren Parkplatz; als ich von einem Essen zurück kam, war er weg. Das wirkte wie der letzte Wink des Schicksals, eine Botschaft aus einer bald versinkenden Ära.

Am nächsten Morgen hatte ich ihn wieder, war abgeschleppt worden vom Betreiber eines Sportstudios. Ärgerlich, überflüssig, arschteuer. Gleich danach zum Bahnhofskiosk gefahren und staunend vorm Zeitschriftenregal gestanden: 40, 50, 60 Titel in den Segmenten „Auto“ und „Motor“. Wilhelm, den Non-Konformisten, wundert das nicht, Georg, der Feminist, schüttelt nur den Kopf, und Cordt findet es interessant. So wie er es interessant findet, dass es Menschen gibt, die Pfeile auf Scheiben werfen oder Briefmarken sammeln.

„auto motor und sport“

„auto motor und sport“ hat alle 14 Tage mehr als 1,8 Millionen Leser. Seit 1946 begleitet das Heft alle autobegeisterten Deutschen. In der aktuellen Ausgabe spürt man die Verunsicherung, in jedem dritten Artikel geht es um Elektromobilität, um Digitalisierung, um das Autofahren in der Zukunft. Das alte Auto konkurriert mit dem neuen Auto, exemplarisch auf der Doppelseite „60 Minuten in Deutschland“ vorgeführt. („Autos haben sich seit 130 Jahren immer weiter entwickelt, was soll neu sein am neuen Auto?“ / Wilhelm)

In 60 Minuten werden im Verkehr 12.879 Tonnen CO2 ausgestoßen, entsteht bei Unfällen ein Sachschaden von 3,8 Millionen Euro, werden 385 Autos neu angemeldet, davon 240 Benziner, 124 Diesel, 15 Hybrid-Autos und 4 Elektro Fahrzeuge. In sechzig Minuten.

Im gesamten vergangenen Jahr waren 21,1 Prozent aller neu zugelassenen Autos SUVs, 20,5 Prozent waren Wagen der Kompaktklasse und 10,1 Prozent Geländewagen. Die Zulassung von Elektroautos ist um 75 Prozent zum Vorjahr (auf 63.000) gestiegen. („Und wie sollen denn daraus bis 2030 zehn Millionen Elektroautos werden, wie die Bundesregierung als Planziel vorgegeben hat?“ / Wilhelm)

Die Hälfte der 22 Artikel in der aktuellen „auto motor und sport“ sind Fahrberichte, darunter auch drei, die Elektroautos vorstellen: die chinesische Limousine Byton M-Bite (200 kW, 190 km/h), der e-Legend von Peugeot (340 kW, 220 km/h) und der Opel Grandland X Hybrid4 (147 kW, 235 km/h). Dazu liefert der Extrateil „Mobilität der Zukunft“ drei Reports über den Antrieb von morgen (Erdgas, Plug-in-Hybrid, E-Auto oder Wasserstoff), verschiedene Hybrid-Alternativen und Autos mit Brennstoffzelle. Das Fazit im Antriebsreport:

„Eine verlässliche Antwort auf die Frage nach dem Antrieb der Zukunft lässt sich nicht formulieren… Daher wären aus heutiger Sicht langfristig eine Kombination aus E-Autos für kurze und Brennstoffzellenmodelle für weitere Strecken sinnvoll.“

Auch im Editorial versucht Chefredakteurin Birgit Priemer den Spagat zwischen altem und neuem Autodenken: Den alten, schwächelnden Autosalons von Frankfurt, Paris und Detroit stellt sie die wichtigste Elektromesse CES in Las Vegas entgegen.

„Was zählt, ist die intelligente Verbindung einer klassischen Welt mit Vernetzungs- und Software-Experten, die aus dem Auto einen mobilen Vergnügungspalast oder ein cleveres Büro machen können.“

Um die traditionellen Leser ihres Blattes und die traditionellen Autobauer nicht zu entmutigen im Ringen mit den Teslas, Sonys und Google schiebt sie hinterher: „Wer baut das Auto der Zukunft? Meine Prognose: die klassischen Autoindustrie.“ („Meine Prognose: ein chinesischer Autobauer, oh Wunder.“ / Georg)

Die Sprache in „auto motor und sport“ ist so zerrissen ist wie das Denken, zwischen altem PS-Sound und neuem Zukunfts-Gesäusel: „Im Lounge-Innenraum kann der Passagier entspannt relaxen.“ – „Der Tuareg wird zum Hybrid-Kracher.“ – „Exorbitante Motorleistung von 770 PS, begleitet von diesem ungefilterten Donnerwirbel.“ („Mercedes will Mensch und Auto zu einem Lebewesen vereinen.“ / Georg)

Im Leserbriefteil sind die traditionellen Leser schockiert darüber, „dass selbst Ferrari, Lamborghini oder Maserati keine Wagen mit Schaltgetriebe mehr liefern“; und das Urteil über alle E-Experimente ist unverrückbar – „gegenüber Verbrennern in keinem Bereich wettbewerbsfähig“.

Im Gebrauchtwagen-Markt des Heftes triumphiert sowieso das Bewährte: Mercedes Benz 300 SL Flügeltürer, Baujahr 1955, 1,5 Millionen Euro. Mercedes Classik 280 SE 3,5 Cabriolet, Baujahr 1970, 698.000 Euro. („Was wollt ihr, das ist eine wunderbare Geldanlage, bei den Sparzinsen!“ / Wilhelm)

Die Antwort der Redaktion am Schluss des Heftes, ein wenig trotzig: mit einem E-Auto ein 24-Stunden-Rennen fahren, Reportage über den Eco Grand Prix, der internationalen Rennserie für Stromer. Und dazu das Extraheft „auto motor und sport – Moove“, 17 E Autos im Test.


Ich versuche seit zwei Wochen meinen Mercedes 280 SL, Baujahr 1983, Cabrio/Coupe zu verkaufen, der Erlös soll an den Kinderchor des WDR (zwei Kisten Orangensaft) und an Fridays for Future gehen. Warum will ich mein geliebtes Auto loswerden? In der Großstadt fahre ich kaum noch, außerhalb der Stadt sowieso nicht mehr. Und ich ahne die Fragen von sieben Enkeln in einigen Jahren. („Weichei!!! Lass sie Dein Auto fahren, und sie werden dich lieben!“ / Wilhelm)

Es wird mir sehr schwer fallen, mich von dem wirklich wunderschönen Mercedes, Baujahr 1983, Cabrio/Coupe zu trennen. Aber seit zwei Jahren ist er nicht mal mehr ein Fortbewegungsmittel; die Autofreaks, die hübsch geschwungenem Blech eine Seele andichten, fand ich immer lächerlich, doch der 280 SL ist ein Stück Design-Geschichte, wie ein schöner Sessel von Charles Eames oder ein Stuhl von Verner Panton. Aber den Mercedes nur noch anschauen?

„Oldtimer Markt“

Gleich neben „auto motor und sport“ liegt im Bahnhofskiosk das Heft „Oldtimer Markt, Europas größte Zeitschrift für klassische Autos“. Im Marktteil auf 70 Seiten ein Oldtimer nach dem anderen, nach Herstellern geordnet, von Autonarr an Autonarr. Mittendrin einige Mercedes 280 SL, zum Beispiel Baujahr 1982, 32 000 Euro, Wertgutachten 2+. Oder Baujahr 1984, Wertgutachten 2, 39 500 Euro.

Im redaktionellen Teil: Fahrbericht über den Fiat 1100, Baujahr 1947, Design von Dante Giacosa, der später den legendären Fiat 128 entwarf. Der Fiat 1100 sieht so rund und zukünftig aus wie von Jules Verne entworfen. Weitere Fahrberichte: Cadillac Coupé deVille von 1964, MGJ2 Midget Roadster von 1933. Und für alle, die nicht nur Fahrer sind, sondern auch Schrauber, wird erklärt, wie man ein altes Getriebe restauriert. Und wie man seinen Oldtimer vom Rost befreit. Zwei Texte im Heft zum Rausreißen.

In meinem Bahnhofskiosk liegen die Zeitschriften der Kategorie „Musik“ neben „Auto“ und „Motor“. Deshalb greife ich zum „Rolling Stone“, auch so ein Oldtimer unter den Zeitschriften wie „auto motor und sport“, seit mehr als fünf Jahrzehnten ein zuverlässiger Begleiter der Leute, für die Rock so wichtig ist wie für andere Leute Autos und Motorräder.

Als ich in der aktuellen Ausgabe blättere, sehe ich den klassischen Rock-Leser schnell vor mir, denn er hat die Rolling Stones zur Band des Jahres gewählt und Bruce Springsteen, Neil Young, Nick Cave und Bob Dylan zu den Solokünstlern des Jahres. Ich sehe ihn auf seiner abgeschabte Ledercouch im stonewashed Jeanshemd, Zigarette in der Hand, Flasche Bier auf dem Tisch, daneben die neueste Ausgabe von „auto motor und sport“. Warum gibt es das Heft „auto motor und musik“ noch nicht? („Ich würde es abonnieren!“ / Wilhelm)

Die Angebote für meinen 280 SL liegen im Moment bei 21.000 Euro, im Wertgutachten wird er auf 24.000 € taxiert. Ich kann warten und schaue ihn jeden Morgen so verträumt an, als wäre es der letzte. („Leute, lasst ihn zappeln!“ / Wilhelm)

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