Faktenchecker

Faktencheck mit Haken: Das Facebook-Dilemma von Correctiv

Die Faktenckercker-Seite von Correctiv Screenshot: correctiv.org

Seit ein paar Jahren hat das Recherche-Netzwerk Correctiv eine Abteilung, die sich mit Faktenchecks befasst und auch im Auftrag von Facebook Beiträge der Plattform überprüft. Das Motto der Checker von Correctiv lautet: „Fakten für die Demokratie“ – doch ausgerechnet die Äußerungen demokratischer Politiker*innen sind von den Facebook-Faktenchecks ausgenommen. Das besagt eine Regel von Facebook, die gerade für Diskussionen sorgt, und die Correctiv bisher nicht transparent gemacht hat.

Ende November hat die niederländische Nachrichtenseite nu.nl die Kooperation mit Facebook wegen eben dieser Regel beendet, nach langer Auseinandersetzung. Die Redaktion hatte ebenfalls Postings im Netzwerk überprüft, aber zunehmend ein Problem damit, dass Facebook sie dabei einschränkt: „Was nützt es, gefälschte Nachrichten zu bekämpfen, wenn man nicht gegen Politiker vorgehen darf“, sagt Chefredakteur Gert-Jaap Hoekma.

Markiert und in der Sichtbarkeit herabgestuft

Mehr als 50 Organisationen weltweit sind Teil von Facebooks „3rd-Party-Fact-Checking-Program“, zu dem auch nu.nl gehörte. In Deutschland nimmt neben Correctiv auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) daran teil, wofür beide Redaktionen von Facebook bezahlt werden. Der Faktenckeck funktioniert über ein spezielles System: Ein Beitrag, der überprüft wurde, wird für die Nutzer markiert und von Facebook in der Sichtbarkeit herabgestuft, wenn es sich um Unsinn oder Lügen handelt. Damit das Posting sich nicht weiter verbreitet.

Was geprüft werden soll, schlägt in der Regel Facebook vor, es können aber auch von den Faktencheckern Beiträge eingereicht werden. Allerdings kann Facebook das auch ignorieren oder eine Kennzeichnung durch die Redaktionen rückgängig machen, und hinsichtlich des Effekts, den die Prüfung tatsächlich hat, ist das Unternehmen zudem wenig transparent. Dafür stand das Netzwerk auch bereits in der Kritik.

Und nun also der Streit um die Politik-Postings. Kürzlich gab Facebook bekannt, Anzeigen von Parteien und Politiker*innen nicht abzuschalten – auch wenn sie Unwahrheiten enthalten. In dem Zuge wurde auch das bereits Ende 2016 gestartete Faktenchecker-Programm wieder Thema. Vor zwei Monaten erweiterte Facebook auch dafür seine Vorgaben. Explizit heißt es nun:

„Wenn Politiker auf ihrer eigenen Seite, in einer Werbeanzeige oder auf ihrer Website eine eigene Aussage verbreiten, wird diese als wörtliche Rede betrachtet und unterliegt somit nicht der Faktenprüfung – auch nicht, wenn diese Aussage an anderer Stelle widerlegt wurde.“

Facebook begründet die Regel damit, dass es „ganz neue Probleme“ verursachen würde, „die politische Redefreiheit einzuschränken“:

„Dann wären Bürger wesentlich schlechter darüber informiert, was ihre gewählten Vertreter eigentlich sagen. Zugleich müssten Politiker weniger konsequent Verantwortung für ihre Aussagen übernehmen.“

Inoffiziell war das mit den externen Faktenckecker-Redaktionen längst so vereinbart. Das bestätigt auch Correctiv: Es sei seit langem „Policy von Facebook“, dass das 3rd-Party-Fact-Checking-Program „nicht für die Beiträge von Politikern gilt“. Was natürlich ein wichtiger Punkt ist in Zeiten, in denen Parteien aktiv Unsinn verbreiten – wie gerade wieder, zum Beispiel, die AfD.

„Inhaltlich freie Hand“?

Sonderbar ist allerdings, dass Correctiv diese Einschränkung bisher nicht offengelegt hat. Im Gegenteil. Seit Ende vergangenen Jahres hieß es auf der Seite Recherche-Netzwerks über die Kooperation mit Facebook:

„Niemand schreibt uns vor, was wir prüfen. Wir suchen die Inhalte, die wir prüfen, eigenständig aus.“

Auch in den FAQ auf der Factchecking-Seite von Correctiv steht:

„Die Zusammenarbeit mit Facebook funktioniert gut. Facebook unterstützt unsere Arbeit in technischer Hinsicht und überlässt uns inhaltlich freie Hand.“

Das mag für viele Beiträge stimmen, in Bezug auf Politiker- oder Parteien-Postings aber ist es falsch. Dabei sollte gerade eine Institution wie Correctiv da von vornherein transparenter kommunizieren. Mit Fakten. Wie es das International Fact Checking Network (IFCN), von dem Correctiv für seine Faktencecker-Arbeit zertifiziert wurde, in seinen fünf Standards vorschreibt.

Und auch im eigenen Correctiv-Redaktionsstatut steht:

„Geldgeberinnen und Geldgeber haben ausnahmslos keinen Einfluss auf redaktionelle Inhalte, Recherchen oder jedwede anderen Entscheidungen der Correctiv-Redaktion und ihrer Autorinnen und Autoren.“

Nach unserer Anfrage hat Correctiv seine Faktencheck-Seite ergänzt. Dort steht nun: „Facebook-Posts von Politikern oder Parteien können nicht mit unseren Faktenchecks verknüpft werden.“ Aber natürlich würde die Redaktion „Aussagen von Politikern oder Parteien“ generell prüfen, „wenn sie viral gehen oder eines unserer anderen Relevanz-Kriterien erfüllen“, sagt David Schraven von Correctiv.

Diese Faktenckecks erscheinen dann aber lediglich auf der eigenen Internetseite und den Facebook-Kanälen von Correctiv. Am Problem, dass Politiker*innen-Lügen von Facebook nicht markiert und herabgestuft werden, ändert das nichts. Zumal Schraven auch sagt:

„Nur durch die Kooperation kommen unsere Checks direkt zu den Menschen, die die Falschmeldungen konsumieren und weiterverbreiten. Das ist wichtig, weil diese Menschen eher nicht von sich aus Informationen auf unserer Webseite oder den Seiten anderer Faktenchecker suchen würden.“

„Über die Höhe der Finanzierung sagen wir nichts“

Als die Kooperation zwischen Facebook und Correctiv 2017 begann, bekam Correctiv noch kein Geld dafür. Schraven sagte damals: „Wir arbeiten nicht für Facebook, sondern auf Facebook“. Das hat sich aber längst geändert. In welcher Höhe die Faktenchecker von Facebook finanziert werden, hat das Recherchenetzwerk allerdings nie veröffentlicht und will es auch weiterhin nicht tun. Dies beruhe auf „Geschäftsgeheimnissen“, heißt es auf Nachfrage:

„Über die Höhe der Finanzierung sagen wir nichts, da diese Arbeit und Zahlung über die gewerbliche Tochterfirma von Correctiv abgewickelt wird. Und nicht über die gemeinnützige Organisation, für die das Redaktionsstatut bindend ist.“

Das ist merkwürdig. Zunächst der Umweg über die Tochterfirma, die im Impressum des Correctiv-Faktenchecks gar nicht genannt wird. Außerdem vergisst Schraven offenbar, dass das Redaktionsstatut auch für die Faktenchecker gilt, wie es unter dem Punkt „Unsere Standards“ heißt. Und in diesem Statut ist festgelegt: „Spenden und Zuwendungen von institutionellen Geldgeberinnen und Geldgebern, die nicht mit einer Veröffentlichung einverstanden sind, nehmen wir nicht an.“ Hier ist Correctiv also konsequent. Die Zahlungen von Facebook aber bleiben geheim. Dank Tochterfirma.

„dpa bezieht zu Kundenbeziehungen keine Stellung“

Auf der Faktencheck-Seite der Deutschen Presse-Agentur findet sich übrigens gar nichts zur Kooperation mit Facebook. Grundsätzlich gelte, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage: „dpa bezieht zu Kundenbeziehungen keine Stellung – auch nicht im Factchecking-Bereich auf unserer Homepage.“ Gleichzeitig teilt dpa aber mit, man habe die Kooperation mit Facebook „von Beginn an öffentlich gemacht“. Das zeigten „Berichte im Deutschlandfunk, im NDR oder in der „Welt“.

Da auf der Seite nichts zur Kooperation steht, ist dort auch nichts zu den Regelungen hinsichtlich Politiker*innen-Postings zu finden, über die dpa allerdings berichtet hat. Auf Nachfrage von Übermedien sagt die Nachrichtenagentur, sie bedauere es, „dass Facebook in der Kooperation mit den Faktencheck-Partnern gewisse Faktenchecks nicht übernimmt“. Dies habe man auch in Gesprächen mit Facebook „wiederholt betont“. Aber weshalb macht dpa immer noch mit?

„Nach reiflicher Überlegung hat sich dpa dennoch dafür entschieden, ihre Faktenchecks auch Facebook zur Verfügung zu stellen. Der gesellschaftliche Nutzen durch Faktenchecks in den sozialen Netzwerken ist sehr hoch, da damit die Verbreitung von Falschbehauptungen eingeschränkt wird. Dieser Effekt spielt aus Sicht der Deutschen Presse-Agentur eine entscheidende Rolle, selbst wenn Facebook leider keine Faktenchecks zu Politiker-Behauptungen in ihr Netzwerk einspeist.“

Ähnlich argumentiert auch David Schraven von Correctiv: „Es gibt natürlich Einzelheiten, die in der Kooperation mit Facebook besser sein könnten“, sagt er. Darüber diskutierten sie auch mit dem Netzwerk, etwa über „die Frage, wie man mit Desinformation von Politikern umgehen soll“. Aber nicht immer seien alle einer Meinung, und manchmal, wie im Fall von nu.nl, würden Organisationen deshalb aussteigen aus der Kooperation; allerdings blieben mehr Organisationen an Bord oder stiegen neu ein: „Weil sie einen Mehrwert darin sehen, genau dort Desinformation entgegenzutreten, wo sie entsteht.“

9 Kommentare

  1. Nennt man sowas dann pragmatische Realpolitik seitens Correctiv und DPA? Man nimmt, was man kriegt?
    Ein anderer Aspekt: Hat Facebook einen Punkt mit seiner Argumentation?
    Manchmal liegen Unwahrheit und Meinung näher beisammen, als einem lieb wäre. Womöglich wäre das zum Teil wirklich schwer zu unterscheiden. Auch wenn Aussagen schwammig genug sind, um sie anders deuten zu können, der übliche Populistentrick.
    Unbestritten davon gäbe es aber sicher genug hahnebüchene Äußerungen mit gelogenen Argumenten, die objektiv völlig zurecht herabgestuft gehörten.

  2. Eine Änderung wird nicht kommen und das finde ich ausnahmsweise sogar mal gut so.

    Sie könnte allzu leicht mißbraucht werden, um Politiker bestimmter demokratischer Parteien (nicht etwa nur einer!) zu benachteiligen, denn es ist nun wirklich keine unlösbare Rätselaufgabe zu erraten, welcher politischen Richtung die Kontrolleure („Faktenchecker“) mehrheitlich nahestehen.

    Außerdem: Es gibt ja nicht nur diese Ausnahme für Politiker. Auch Journalisten genießen ein „Medienprivileg“, weil Sie nämlich, genau wie Politiker, in einer Demokratie eine besondere Funktion erfüllen *sollen*.

  3. „denn es ist nun wirklich keine unlösbare Rätselaufgabe zu erraten, welcher politischen Richtung die Kontrolleure („Faktenchecker“) mehrheitlich nahestehen.“

    Bitte erleuchten Sie uns nicht.

    Was für ein Humbug.

  4. „Bitte erleuchten Sie uns nicht.“

    Das hatte ich eh nicht vor. Für solche ausgefallenen Wünsche müssen Sie sich schon selber in den Gemischtwarenladen der Religionen begeben.

    „Was für ein Humbug.“

    Sie dürfen sich außerdem gerne zur Wikipedia begeben und dort die Kapitel „Kritik“ vor allem aber „Finanzierung“ zu Gemüte ziehen. – Sie werden dort, neben einigen seriösen Spendern, auch viele finden, die nicht gerade als politisch unabhängig gelten aber vergleichsweise hohe Summen an correctiv spendeten.

    Die Politiker müssten von allen guten Geistern verlassen sein, angesichts solcher Gönner dieser Organisation die Zensurhoheit über ihre eigene Meinung in die Hände zu geben.

    Das sind sie aber nicht und deshalb wird sich an der Ausnahme auch genau gar nichts ändern.

  5. Ab wann wäre man eigentlich „Politiker“ mit so einer Lizenz zum Rumlügen?
    Schon ab Stadtrat oder gildet das erst ab Kreistag ?

  6. @6 (Jörg):

    Im Endeffekt ab dann, wenn man sich selber so nennt und irgendwo kandidiert oder sich engagiert. Das muss nicht zwingend eine Partei sein, auch Bürgerinitiativen oder Freie Wähler gehen.

    Ist so ähnlich, wie mit dem Medienprivileg bei Journalisten.

    Trotz ein paar privater, bzw. unternehmenseigener Journalistenschulen, ist Journalist kein staatlich anerkannter Abschluss, genausowenig wie Politiker.

    Jeder *kann* es zwar nicht aber prinzipiell *darf* sich jeder in beiden Sachen versuchen.

  7. die Gefahr ist doch generell groß, das sich hinter Faktencheck politische Färbungen verstecken. Wenn schon die Mannschaft von Facebook von Insidern als politisch gefärbt beschrieben wird.
    Deswegen gilt auch hier wie für die Medien größtmögliche Transparenz. Who is who
    Es gilt die Beweisumkehr. Faktenchecker müssen nachweisen, das ihre checks und Kritiken beide politische Spektren in gleicher stärke abdecken.
    Nur so sind sie glaubwürdig.
    Wie die Journalisten würden wir die Faktenchecker auch gerne persönlich kennenlernen um vertrauen zu schöpfen. In Zeiten von Facebook wohl kein Problem. Auch hier die Transparenz.

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