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„Vogue“-Jubiläum: 40 Jahre Frauen in teuren Stiefeln

„Wat wollnse? Die Woschü? Is aos!“, informiert mich die Kioskfrau gewohnt robust. Ich lasse den Blick über die Auslage des kleinen Ladens gleiten und wundere mich, dass sie nicht noch hinzufügt: „Kommt ooch niemehr rin!“

Modezeitschriften gibt es ja reichlich: ohne Text und mit; schlau schwadronierend über Rocklängen und ähnliches, mal mehr, mal weniger offen sexistisch; mal mit pseudoaufregenden Namen wie „Glamour“ oder „Sleek“, oder auch ganz differenziert: „032c“. Außerdem gibt es Instagram und Modeblogs in allen möglichen Schattierungen, von „classy“ über „edgy“ bis „schlagmichtot“. Gibt es überhaupt noch Platz für das elegante Schlachtross von Condé Nast?

Die deutsche Ausgabe der „Vogue“ erscheint seit 1979 und damit man das diesjährige Jubiläum auch ja nicht aus den Augen verliert, ist auf jede der monatlichen Titelseiten ein stolzes „40 Jahre“ gedruckt. Im Januar grüßte ungeschminkt und ziemlich schwarz-weiß Deutschlands Schlagerpop-Sirene Helene Fischer vom Cover, fotografiert von Peter Lindbergh. Ihr folgten dort Profisportler mit strengem Blick, ein lesbisches Modelpaar und weitere internationale Promi-Damen aller Altersklassen. Und das Jubiläumsjahr ist ja noch nicht vorbei.

Im Oktober widmet sich eine Ausstellung im Museum Villa Stuck in München mit dem charmanten Titel „Ist das Mode oder kann das weg!?“ der Geschichte der deutschen Ausgabe des Magazins. Das ist alles anstrengend feierlich: die aufwändigen und mit ordentlich „Philosophie“ unterfütterten Coverproduktionen, die Ausstellung – man muss sich auf dem hart umkämpften Markt positionieren und zeigen, dass auch ein konservatives Modemagazin noch eine Daseinsberechtigung hat.

Peter Breuer hat hier 2016 einen wunderbaren und nach wie vor sehr wahren Text über diesen Zeitschrift gewordenen Türstopper geschrieben. Über Werbung und noch mehr Werbung, über angeödete Models auf dürren Beinen und Langeweile. Lest den Text, er ist wirklich gut. Und dann kommt zurück zu mir und ich erzähle euch meine „Vogue“-Geschichte.

Also. Ich bin fast so alt wie die deutsche Ausgabe. Als ich 13 Jahre alt war und aussah wie ein Trottel in Latzhosen und Doc Martens, versenkte ich den von den Möglichkeiten des Lebens vernebelten Blick auf zahllosen U-Bahn-Fahrten in den Beilagen, die die „Vogue“ zu Modenschauen herausbrachte.

War heroin chic, da gab’s nichts zu lachen

Ich erinnere mich an nach so genannten Trends sortierte Fotos von Mädchen, die zeigten, was man sich so zu den Themen Schottenrock, Nasenring und Trenchcoat in den Modehäusern überlegt hatte. Die Mädchen guckten meist schlecht gelaunt, war schließlich heroin chic, da gab’s nichts zu lachen – es sein denn, jemand krachte mal von meterhohen Plateaus. Es war die Zeit der Supermodels mit den Vornamen, und über den Effekt der Modeindustrie auf das globale Klima dachte damals noch niemand nach.

Nichts in der „Vogue“ hatte irgendwas mit meinem Leben zu tun, aber es war, als würde ich ein Bilderbuch betrachten. Ein Bilderbuch, in dem man weltgewandt und selbstbewusst den Tag in Stiefeln für 1.500 D-Mark durchschritt, zum Lunch nach Rom flog und selbstverständlich die Sommerurlaube in astronomisch teuren Villen an den Rivieren Europas vertrödelte.

Das alles ist natürlich völlig weltfremd und irgendwann hörte ich nicht nur damit auf, so ca. 65 CDs mit mir herumzutragen, sondern ließ auch die zentnerschweren Modemagazine hinter mir. Der Zauber war verflogen. Für Mode hatte ich mich eigentlich ohnehin nie interessiert.

Nun unternehme ich einen Ausflug in das absurde Universum dieser Zeitschrift, wie es heute ist. Gibt es den Zauber vielleicht noch? Diese Mischung aus Elfenbeinturm und tatsächlich guten Fotos?

Das Juli-Heft befasst sich mit einem, der den Elfenbeinturm bestens von innen kannte: Karl Lagerfeld. Erinnert ihr euch noch, ihr habt neulich alle so brav „RIP“ geschrieben über den Mann mit dem Pferdeschwanz, der hässlichen Katze und den kleinen Hosen. Das ganze Heft ist ihm gewidmet, und das muss man vermutlich tun, denn eine Runde Heldenverehrung braucht es schon für einen Mann mit dem beknackten Beinamen „Modezar“.

Stella Tennant hinter fliederfarbenem Getülle

Ich finde das fad und erwerbe lieber das Juni-Heft in Lila-Grün zum Thema Kunst. Heißt natürlich „Art & Style – Mode, Meister, Musen“ und nicht einfach: „Kunst“. Bester Zeitpunkt für das Thema, humpelt doch der internationale Kunstzirkus in diesen Tagen des heißen Frühsommers nach Venedig und Basel, um zu fachsimpeln und vor allem literweise eiskalten Rosé zu kippen.

Vom Cover starrt hinter fliederfarbenem Getülle Stella Tennant hervor – auch so ein Gesicht aus der Schottenrock-Plateauschuh-Zeit. Weil sie inzwischen irgendwie in Kunst macht, fragt „Vogue“ sie später auch noch Dinge dazu.

Aber first things first: Nicht nur Stella Tennant ist noch am Start, auch die Werbung für unfassbar prachtvollen und gleichzeitig völlig abwegig kostspieligen Schmuck eines Münchner Juweliers ist immer noch an der gleichen Stelle im Magazin platziert, wie ich es in Erinnerung habe. Ein wohliges Gruseln erfasst mich. Ganz obernonchalant soll dann später sein, dass in einer Fotostrecke ebenfalls schwer teure Klunker auf Kinderzeichnungen drapiert wurden. Hoffentlich hat das malende Kind sich das richtig gut bezahlen lassen.

Zwischen Interviews mit Cecilia Bartoli, Anne-Sophie Mutter und dem „Vogue“-Gespräch zwischen Martin Eder und Anselm Reyle (die Namen sind immer groß bei „Vogue“), finden sich die üblichen Anpreisungen von Produkten für die Bearbeitung und Ausschmückung jedes Eckchens weiblicher Physis, von Scheitel bis Sohle. Und mir fällt Peter Breuer wieder ein: die Langeweile ergreift mich mit ziemlicher Wucht.

Was dabei auch nicht hilft, ist die alte Marotte, Interviewtexte zu unterbrechen, um den Rest des Textes im ganz hinteren Teil des Magazins abzudrucken. Kann man das noch verantworten in Zeiten der allgemeinen Aufmerksamkeitsstörung? Ich jedenfalls blättere nicht nach hinten, sondern spaziere durch die Fotostrecke mit Stella Tennant und Saskia de Brauw, die vor monochromen Hintergründen an ihren hochgewachsenen Körpern Kleider tragen, die aussehen wie Sommergewitterwolken oder wie der Stoff gewordene Geschmack eines reifen Pfirsichs.

Bauhaus und Expressionismus müssen als Schlagworte herhalten, damit die Einordnung ins Heft-Thema klappt. Und ob Egon Schiele wohl die Fotostrecke gemocht hätte, die ihm hommagieren soll? Die Models ahmen die Posen des Wiener Künstlers nach, manchen von ihnen hat man mit Wasserfarbe Striche ins Gesicht gemalt. Ab und an wirkt das sogar ein bisschen lasziv und nicht nur wie die bemühte Ausführung einer bemühten Idee.

Die nächste Idee, nämlich die, Gesichter der Models in pudrig-knalligen Farben zu bemalen, so dass sie an die Gemälde von Alexej von Jawlensky erinnern, stammt wiederum noch vom „Modezar“ höchstselbst. Und obgleich die Ausführung ein „Großmeister der Make-up-Kunst“ übernommen hat, würde ich empfehlen, lieber einen Besuch im Münchner Lenbachhaus zu planen und sich Herrn Jawlenskys Kunst live und in Farbe (haha) anzusehen.

Denn man kann noch so oft „Hommage“ drüber schreiben oder „auf den Spuren von“ drunter: Bildende Kunst auf diese Art und Weise nachzuahmen und für seine Zwecke zu entfremden, um so eine Kollektion kratziger Pullover oder einen Tuschkasten für die Visage zu bewerben, geht selten gut aus.

Die „Vogue“ ist wie die Münchner Innenstadt

Überhaupt, München. Hier sitzt die Redaktion der deutschen „Vogue“, und eigentlich ist dieses Magazin genau wie die Münchner Innenstadt: wohlhabend und von sich selbst eingenommen, voll mit renommierter Kultur und Frauen in 1.500-Euro-Stiefeln. Sollen sich doch die Berliner (von „032c“ und „Sleek“ zum Beispiel) um die Avantgarde kümmern, in München ist man konservativ und verwöhnt. Alles ist „gut gemacht“: die Schlupflidkorrektur, die Auswahl der Kunst überm Esszimmertisch, der Skiurlaub.

Es ist ein trügerisches Idyll, das man da betrachtet und man muss schon sehr viele Augen zu kneifen, um den Werbungs-Overkill zu ertragen. Anzuerkennen bleibt, dass die Marke „Vogue“ abliefert und vermutlich auch deswegen nach 40 Jahren noch existiert: solides Texthandwerk und darüber hinaus die größten Namen, die schönsten Frauen, die dollsten Klamotten. Ein Hurra auf diese Superlativ-Kultur! Wenn man auf all das steht, kann man schon einen Ausflug dahin machen, aber vielleicht besser nur einen kurzen.

Vogue
Condé Nast
7 Euro

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