Unbesprochen – die TV-Kritik
In dieser Reihe rezensieren wir Fernsehsendungen, die sonst kaum von Journalisten beachtet werden. Wenn Sie gerne eine Sendung besprochen sähen – schreiben Sie uns.
Auf den ersten guten Witz der Sendung muss man über sechs Minuten warten. Leider geht er auf Kosten der „Abendshow“ des rbb.
Für einen Einspieler ist Außenreporter Helge Oelert auf dem sommerlichen Hoffest des Berliner regierenden Bürgermeisters Michael Müller unterwegs. Wobei das nur das ist, was er behauptet. In Wahrheit steht er draußen vor einem Bauzaun und fängt die Besucher:innen ab, um sie zur angespannten politischen Lage in Deutschland zu befragen.
Bei Renate Künast erkundigt er sich: „Ist man da froh, wenn man nicht mehr in der Bundespolitik ist?“ Die Grünen-Politikerin stutzt, Oelert stottert nach, dass sie ja kein Amt mehr bekleide. „Da haben Sie recht: Mitglied des Bundestages ist kein Amt. Ich bin aber erste Gewalt“, sagt Künast. „Wir machen noch zwei Fragen, und dann bieten wir es für die ,Heute Show’ an“.
Immer donnerstags direkt nach der „Tagesschau“ läuft die dreiviertelstündige Sendung, die Politik und Unterhaltung auf der Showbühne vereinen möchte. Zum Start im September 2017 versprach der rbb in seiner Pressemitteilung: „Spannung, wilder Humor und relevante Unterhaltung garantiert“. (Kurze Zwischenfrage: An das leibliche Wohl hat niemand gedacht?!) Im Vergleich mit den anderen Dritten Programmen hat der Sender zu wenige Zuschauer:innen, und die sind auch noch besonders alt. Die „Abendshow“ gehört zur Offensive der damals neuen Intendantin Patricia Schlesinger, das zu ändern. So, wie das in der gestrigen Ausgabe (und allen davor, die ich gesehen habe) lief, wird das aber nichts.
Die Sendung beginnt wie immer mit einem Stand-up-Teil. Das moderierende Duo Britta Steffenhagen und Marco Seiffert macht dabei wahlweise die naheliegendsten oder einfach nur sehr schlechte Witze und erklärt diese zum Teil auch noch.
Die SPD hat nun ein Führungs-Trio? „Dann hat die SPD bald mehr Vorsitzende als Wähler.“ Wenn sich im September niemand als Nachfolgerin oder Nachfolger findet? „Dann muss wahrscheinlich der Hausmeister vom Willy-Brandt-Haus ran.“ Die CDU möchte sich grünen Themen annähern? Eingeblendet wird ein Button mit der Aufschrift „AKK: Nein Danke!“. Die kichernden Moderator:innen haben daran sichtlich und hörbar mehr Spaß als das Publikum.
Dabei ist generelle Unlustigkeit nur ein Problem der „Abendshow“, das sich schon in diesem Teil offenbart. Im Sekundentakt geht es von der Bundes-SPD zu einer kuriosen Anfrage der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zu Schulschwänzer:innen zur Erhöhung des Briefportos zu einer Rolltreppen-Panne am S-Bahnhof Friedrichstraße. So kommt alles zu kurz, nichts wird durchdrungen. Politik und Verwaltung in Berlin und Brandenburger bieten wahrlich genug Themen, die einer intensiven satirischen Aufbereitung bedürfen. Doch die Sendung möchte sich ganz dringend auch zur Bundespolitik und der Abhörgefahr durch Amazons Alexa äußern. Obwohl es an Äußerungen dazu nicht mangelt und ungefähr jeder tollere Witze macht.
In dieser Reihe rezensieren wir Fernsehsendungen, die sonst kaum von Journalisten beachtet werden. Wenn Sie gerne eine Sendung besprochen sähen – schreiben Sie uns.
Besser könnte es in den Interviews laufen. Doch auch da fehlt es an Zeit, an Sachkenntnis, schlichtweg an Vorbereitung.
„Ist es Dir nicht mulmig geworden, als das Kanzleramt angerufen hat?“, lautet die Einstiegsfrage von Seiffert an seinen Gast Le Floid. Ganz recht: Damit bezieht er sich auf das Interview, das der YouTuber vor der Bundestagswahl mit Angela Merkel geführt hat. Das war 2015. 2015! Kein Grund, dazu nicht noch weitere Fragen zu stellen und LeFloid abzuwürgen, als dieser versucht, den Bogen zu Philipp Amthor und diesen jungen YouTube-Nutzer:innen zu schlagen, über die gerade jeder spricht. Doch LeFloid hat für den Animationsfilm „Pets 2“ ein Meerschweinchen synchronisiert, und Seiffert möchte sicherstellen, dass dieser Werbeblock genug Aufmerksamkeit erfährt.
Etwas besser läuft es mit Anna Loos als zweitem Gast – aber auch nur, weil sie einfach immer weiterspricht. So erfährt man, dass ihre Kinder zu Hause die Plastik-Stohhalme abgeschafft haben und sie ihnen freitags gerne eine Entschuldigung schreibt. Republikflucht, die Loos selbst in deren Alter gewagt hat, würde sie aber verbieten. Das Engagement von Rezo findet sie hingegen toll.
„Er hat auf jeden Fall kein Nestlé-Video gemacht“, schiebt sie noch schnell ein, als nun Steffenhagen zur Werbung für Loos‘ aktuelles Solo-Album überzuleiten versucht. Während schon alle lachen und klatschen, meint Seiffert, noch erklären zu müssen, dass sie damit auf ein Video von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit dem Chef des Lebensmittelkonzerns anspielt.
Zu glauben, die Zuschauer:innen lebten in einem Informations-Erdloch und ihnen sei nichts zuzutrauen und wenig zuzumuten, ist ein weiteres strukturelles Problem der „Abendshow“. Ihren Namen hat sie von der altehrwürdigen Berliner rbb-Nachrichtensendung „Abendschau“ geliehen, der man mit Recht den Vorwurf der provinziellen Bräsigkeit macht. Genau damit zu brechen ist die Show angetreten. „Überraschend, kantig, schräg. So wie Berlin“, hat die Pressemitteilung zum Start versprochen. „Themen, die sie schon kennen, von vorhersehbaren Verwaltungsbeamt:innen aufgearbeitet. So wie Potsdam (oder wie Berliner:innen sich Potsdam vorstellen)“ trifft das Ergebnis eher.
Welches Potential das Sendegebiet für eine böse, gute, politische abendliche Show bietet, zeigt hingegen ein kleiner Einspieler aus Treptow. Dort schippert 54 Mal am Tag die Fährlinie F11 der BVG über die Spree, obwohl seit eineinhalb Jahren direkt daneben eine Brücke steht, wo ein Linienbus verkehrt. Der Betrieb der Fähre kostet 250.000 Euro pro Jahr, doch nach Protesten vor Ort wurde die geplante Einstellung ihrerseits eingestellt. Das ist nicht neu, aber typisch Berliner Rumgewurstel.
Auf solche Themen sollte die Sendung sich fokussieren, statt weiterhin den Außenreporter auf die Suche nach Nachwuchstalenten für die Bundespolitik in die Charlottenburger Fußgängerzone zu schicken. Oder die eh stets leicht orientierungslos wirkende Steffenhagen im Format „Ein lustiger Beitrag zu einem ernsten Thema“ irgendwas zu Klimawandel und Berliner Ökos assoziieren zu lassen, die dennoch mit Easyjet nach Sylt fliegen. (Näher möchte ich an dieser Stelle auf beides nicht eingehen. Es hinterließ einfach nur ein großes „Hä?!“).
Mehr Fokus. Mehr Berlin – und vor allem: Brandenburg! Und mehr Mut, den Menschen vor dem Fernseher einen eigenen Verstand zuzutrauen. Das würde der „Abendshow“ gut tun. Jetzt ist erstmal Sommerpause. Zeit, nochmal am Konzept zu feilen, ist also.
Kurzes OT; gerndern wurde hier vergessen:
“ jungen YouTube-Nutzern“
@LLL
Stimmt. Danke!
Geschlechtergerechte Sprache wird nicht dadurch bei der deutschsprachigen Bevölkerung beliebter, dass alle paar Wochen eine neue Schreibweise auftaucht, weil alle geschlechtergerechten Schreiberinnen und nicht-weiblichen Schreiber sich eine eigene neue, tolle Abkürzung für „Schreiberinnen und nicht-weiblichen Schreiber“ ausdenken müssen, denn „Schreiberinnen und nicht-weiblichen Schreiber“ auszuschreiben ist ja Arbeit, und man wird ja nicht nach Wörtern bezahlt.
Zum Thema: Irgendwie bin ich gerade froh, nicht in Berlin und/oder Brandenburg leben zu müssen.
@ Mycroft:
In der Tat. Zumal mensch ja jedesmal den Eindruck haben muss, dass er:sie sich als Sexist:in entlarvt, wenn er:sie die Form wählt, die letzte Woche noch korrekt war, nun aber anscheinend überholt ist. Sexist*in zum Beispiel. Vermutlich hat die postmoderne Sprachtheorie herausgefunden, dass Leute, die mit einem Sternchen bezeichnet werden, dadurch ganz schrecklich diskriminiert sind – deshalb nun also Doppelpunkt. Bis der:die nächste Schwein:Sau durchs Dorf getrieben wird.
Ich erlaube mir, das alles für Blödsinn und mich trotzdem nicht für einen Sexisten zu halten. Deshalb noch einmal schwarz auf weiß für alle Gerne-Missversteher: Es geht mir ums Sprachverständnis, nicht um die gewiss lobenswerte Intention.
Sollte es auch Frau Wiedemeier um die Sache gehen, könnte sie ja manche der umständlichen Formulierungen umgehen, indem sie z.B. statt „Besucher:innen“ einfach das neutrale – und deutlich kürzere – „Gäste“ verwendet. (Vielleicht ging es ihr aber auch darum, möglichst oft zu zeigen, wie korrekt sie formulieren kann. Dann hat sie in diesem Text wahrlich jede Möglichkeit genutzt.)
P.S.: Ich wohne in Berlin und arbeite in Brandenburg. Von der Abendshow habe ich noch nie gehört. Man kann sowas gut ignorieren. Max Goldt nannte das (bezogen auf Weihnachtsmärkte) mal die „Kunst des seitlich dran Vorbeigehens“.
Ich habe die „Abendshow“ bisher 2x geschaut. Die erste Sendung, und einmal als (glaube ich) Serdar Somuncu da war. Eigentlich schade, denn hinter der Sendung steckt probono, aber die können wohl auch nur produzieren was der Kunde will.
Aber wer weiß was kommt: die Heute show hatte ich zunächst auch nicht gemocht (Oliver Welke ist Sportreporter und der einzige nicht witzige von den Leuten um Kalkofe), und Jahre später gingen clips aus der Heute show viral, und siehe da, die Sendung war inzwischen trotz Welke gut geworden.
Gleiches mit der „Anstalt“: die war langweilig mit den beiden ersten Figuren (es reicht halt nicht eine alberne Frisur oder einen Hut zu tragen), und wurde gut als die beiden ausgetauscht wurden.
„Ich erlaube mir, das alles für Blödsinn …zu halten“
Irgendwie sträubt sich in mir etwas, dass ganze als Blödsinn zu sehen.
Ich finde es aber auch sehr anstrengend und die bisherigen Varianten eher unglücklich.
Dennoch finde ich die Intention richtig und auch wichtig.
Ich glaube, es ist ein Prozess, der erst in einigen Jahren eine befriedigende Antwort gefunden haben wird.
Deshalb würde ich mich freuen, wenn diejenigen, die die Intention und den Hintergrund (das Sprache eben auch mächtig ist, selbst, oder gerade dann, wenn man etwas nur so daher sagt/schreibt) verstehen, die Versuche nicht als Blödsinn zu bezeichnen.
Gerne als wenig gelungen oder ähnliches.
Denn es gibt genug Sexisten da draußen, die schon genug Stunk ob der Versuche, etwas zu verbessern, machen.
Denen muss man nicht unbedingt Futter liefern, finde ich zumindest.
Das nur als kleiner Einwurf von mir.
Nachtrag: Wer die Rettung der Fähre F11 für absurd hält, kennt die Gegend nicht. Die Fährverbindung ermöglicht es Radfahrern von Köpenick oder Karlshorst durch Wälder, Parks und Datschensiedlungen bis ins südliche Kreuzberg zu kommen und dabei kaum einmal einem Auto zu begegnen.
Ohne Fähre müssten sie über die neue Brücke (ein 500 Meter langes, autobahnähnliches Monstrum) und davor wie dahinter weite Teile der Strecke entlang einer vierspurigen Bundesstraße fahren. Haha, wie blöd sind doch die Berliner:innen, dass sie an so einer anachronistischen Fähre (Baujahr 2013, mit Elektromotor) festhalten!
@ Micha:
Dass an den Geschlechterverhältnissen auch hierzulande noch einiges zu ändern ist, bestreite ich überhaupt nicht. Ich bestreite bloß, dass dies gelingen kann, indem wohlmeinende Leute der Sprache ins Auge bzw. Ohr stechende Formulierungen überstülpen, deren Verwendung für jeden obligatorisch sein soll, der nicht als Feind von Frauen, Migranten, Behinderten, etc. gelten will.
Schon die These, das generische Maskulinum trage ursächlich zum Patriarchat bei, steht auf tönernen Füßen. Im Türkischen gibt es keine grammatischen Geschlechter – ein Patriarchat gibt es in der Türkei sehr wohl. Natürlich drücken sich gesellschaftliche Verhältnisse in der Sprache aus. Falsch ist aber der Umkehrschluss, man könne durch bewussten Eingriff in die Sprache die Gesellschaft ändern.
Der einzige Nutzen, den das Ganze m.E. hat, ist die Selbstvergewisserung der Anwender:innen, bessere und reflektiertere Menschen zu sein als Nichtanwender wie ich. Und man kann es immer weitertreiben: Vom Binnen-I über den Unterstrich und das Sternchen zum Doppelpunkt, von Schwule und Lesben über LGBT und LGBTI und LSBTTIQ zu LGBTQIA+ und so weiter. Wer gestern noch korrekt war, ist heute schon Sexist, homophob, transphob, +-phob, etc. – nur weil er bei der Eskalation der Begriffe nicht mitmachen will oder nicht nachkommt.
Gilt auch für „Menschen mit Handicap“ statt Behinderte, „Kind mit besonderem Förderbedarf“ statt Förderschüler, „Menschen jüdischen Glaubens“ statt Juden, „Geflüchtete“ statt Flüchtlinge, „People of Colour“ für alle, die nicht unter „weiß“ subsumiert werden, usw. usf. Man google dazu die schöne Formel von der Euphemismus-Tretmühle.
Neulich hat hier jemand, der (nach eigenen Angaben) in einem Flüchtlingslager in Afrika arbeitet, sachlich die Vorzüge des Begriffs „Flüchtling“ gegenüber „Geflüchteter“ erläutert. Prompt wurde ihm vorgeworfen, er sei ein kalter und empathieloser Mensch. Dass „Flüchtling“ selbst unter den krassesten Antira-Aktivisten jahrzehntelang die gängige Bezeichnung war, bis irgendwer den „Geflüchteten“ nebst pseudo-wissenschaftlicher Herleitung in die Welt setzte – die Sprachmagier kümmert es nicht, denn seit dreieinhalb Jahren (oder so) wissen sie, dass kalt und herzlos (und kurz vor rassistisch) sein muss, wer „Flüchtling“ sagt.
Mir scheint, wenigstens gedankenlos ist wohl spätestens seit heute, wer noch das Sternchen benutzt. Auch wenn er bloß den Trend zum Doppelpunkt um ein paar Wochen verpasst hat.
Warum fangt ihr denn mit dieser Gender-Diskussion bei jedem Artikel von Frau Wiedemeier wieder neu an?
Die Argumente sind doch allen bekannt.
Und so wird jeder Artikel durch die gleiche „Diskussion“ gekapert…
Es hätte dem Erscheinungsbild des Artikels jedenfalls gut getan, wenn sich Frau Wiedemeier der Vermeidung von Fehlern ebenso akribisch gewidmet hätte wie der gendergerechten Schreibweise.
@ Ichbinich:
Ich hatte Frau Wiedemeiers Texte bisher noch nicht bewusst wahrgenommen, deshalb war es für mich das erste Mal. Und hier sticht die Schreibweise durch den Doppelpunkt auch optisch richtig raus – obwohl ich inzwischen gelesen, dass der Grund für den Doppelpunkt darin besteht, dass er weniger auffällig sei als das Sternchen. Zumindest bei mir klappt das nicht.
Aber egal: Du hast recht, ich lasse es jetzt bleiben, bitte Frau Wiedemeier um Nachsicht und halte mich bei weitereren Texten von ihr diesbezüglich zurück.
Ich möchte die Debatte um das Gendern nicht groß vertiefen, sondern nur auf ein Problem (unter etlichen) hinweisen: Indem die sog. geschlechtergerechte Spreche sich immer mehr durchsetzt, sich aber kaum konsequent benutzen lässt, entsteht die Gefahr, dass die normale Sprache immer mehr als diskriminierend empfunden wird, ohne dass sich diese Sprache jedoch konsequent ändern ließe. Einige Schwierigkeiten mit dem konsequenten Gendern wären:
– Im alltäglichen Sprachgebrauch wird sich das Gendern vermutlich auf sehr lange Sicht kaum durchsetzen. Die Leute sagen: „Ich geh grad mal zum Bäcker“. Und nicht: „Ich geh grad mal zur Bäckerin oder zum Bäcker“ oder „Ich geh grad mal zur Bäcker*in.“ Und sie sagen: „Die Anwohner ärgern sich natürlich“. Und nicht: „Die Anwohnerinnen und Anwohner ärgern sich natürlich“ oder „Die Anwohner*innen“ ärgern sich natürlich“. So redet einfach niemand.
– Gegenderte Formen mit Sternchen, großem Binnen-I usw. sind kaum aussprechbar, oder höchstens in einer leicht mit der femininen Form zu verwechselnden und künstlichen Weise.
– Zudem ist die Singular-Bildung ziemlich kompliziert: „Die Ärzt*innen“, aber „der bzw. die A/Ärzt*in?“.
– Partizipial-Konstruktionen helfen auch nur bedingt: Ein Singender ist nicht notwendig ein Sänger oder umgekehrt.
Ständige Passiv-Konstruktionen, bei denen die Menschen, um die es eigentlich geht, nicht vorkommen dürfen, sind auch nicht wirklich überzeugend. Gerade die bildungsferneren Schichten dürften hier zudem an Grenzen stoßen.
– Gender-Deutsch dürfte aus den genannten Gründen in ihren extremeren Formen eine reine Schriftsprache sein, ein spezieller (akademischer) Jargon. Der Graben zwischen normaler gesprochener Sprache und (akademischer) Schriftsprache dürfte daher immer größer werden, je mehr das Gendern sich durchsetzt.
– Es ist schwierig, konsequent zu gendern und nicht ständig versehentlich ins generische Maskulinum „zurückzufallen“. Die Autorin des obigen Artikels hat im selbigen einen und im letzten Artikel sogar mehrere „Gender-Fehler“ eingebaut. Entsprechendes trifft offenbar auch auf viele andere längere Texte zu. (Der Versuch, konsequent zu gendern, dürfte daher auch erhebliche kognitive Ressourcen während des Schreibens in Anspruch nehmen.) Auch schleicht sich in manche Texte das generische Maskulinum mitunter wieder in neuer Form und unbemerkt ein, etwa: „Die Kenntnisse eines angehenden Studierenden.“
– Bei vielen zusammengsetzten Wörtern ist Gendern kaum realisierbar oder kaum realistisch. Konsequent müsste es nämlich etwa heißen:
+ „Kundinnen- und Kundeninformation“ bzw. „Kund*inneninformation“.
+ „Lokführerinnen- und Lokführerstreik“ bzw. „Lokführer*innenstreik“
+ „Lehrerinnen- und Lehrerschaft“ bzw. „Lehrer*innenschaft“
+ „Schülerinnen- und Schülermitverwaltung“ bzw. „Schüler*innenmitverwaltung“
+ „Genossinnen- und Genossenschaft“ bzw. „Genoss(e)*innenschaft“
+ „Bürgerinnen- und Bürgermeister“ bzw. „Bürger*innenmeister“
+ „Einwohnerinnen- und Einwohnermeldeamt“ bzw. „Einwohner*innenmeldeamt“
+ „Christinnen- und Christentum“ bzw. „Christ*innentum“ usw.
Solche Probleme mit ihren möglichen Implikationen wären – genauso wie etliche andere Probleme – m.E. erst einmal gründlich zu durchdenken und zu diskutieren, bevor man versucht, tieferliegende Strukturen der Sprache zu verändern.
Allerdings möchte ich damit niemanden kritisieren und schon gar nicht irgendjemandem etwas vorschreiben- insbesondere nicht der Autorin des Artikels.
Rein persönlich muss ich zwar sagen, dass die ständige Genderschreibweise mir das Lesen erschwert und mich vom Inhalt ablenkt, aber das mag ein subjektives Problem und Gewöhnungssache sein.
(Mit meinem Hinweis in # 1 wollte ich eigentlich keine Diskussion über das Gendern anstoßen. Dass dennoch großteils über das Gendern diskutiert wird, hat aber vermutlich vor allem damit zu tun, dass der Inhalt des Artikels – so interessant er auch ist – fast nur Leute vor Ort, die sich etwas auskennen, zum Kommentieren animieren dürfte. Die anderen werden den Artikelinhalt zwar interessiert rezipieren, aber überwiegend nicht kommentieren.)
@LLL – #12
„Solche Probleme mit ihren möglichen Implikationen wären – genauso wie etliche andere Probleme – m.E. erst einmal gründlich zu durchdenken und zu diskutieren, bevor man versucht, tieferliegende Strukturen der Sprache zu verändern.“
Auch wenn ich damit dazu beitrage, am Thema des Artikels vorbei zu diskutieren:
Da gebe ich Ihnen zwar Recht, aber diese Diskussionen finden (auch hier) ja durchaus regelmäßig statt.
Für mich wäre im Bereich des journalistischen Schreibens beim Gendern ein anderer, unbeachteter Aspekt interessant:
Printartikel haben oftmals genaue Längenvorgaben. Gerade bei kürzeren Texten, wie Meldungen, Ankündigungen, etc. stellt sich schnell die Frage, was Vorrang hat, bzw. haben sollte – das konsequente Gendern, das mehr Zeichen/Buchstaben benötigt oder die Informationen, bei denen man unter Umständen dann Zeichen einsparen muss.
Klingt erst einmal banal, ist aber eine Frage, die sich beim Schreiben von Texten ganz real stellt.
Hätte ich gern mal ( auch von gelernten Journalisten) diskutiert.
Habe mir jetzt Teile der Sendung zu Gemüte geführt. Sie ist so unlustig, wie Frau Wiedemeier schreibt. Ich werde nicht nochmal reinschauen. Mit den Verbesserungsvorschlägen („Mehr Fokus. Mehr Berlin – und vor allem: Brandenburg!“) kann ich aber auch nicht viel anfangen. Warum soll denn „mehr Brandenburg“ helfen, eine unwitzige Sendung witzig zu machen? Weil da so viele Ossi-Landeier rumlaufen, über die sich Wessi-Großstädter prima beömmeln können? Ich hoffe, das war nicht die Intention.
Vielleicht sollte man die Sendung einfach einstellen. Habe eh den Eindruck, Satiresendungen bekommen zuviel Gewicht. Da wird Information mit Unterhaltung vermischt und das Graubrot der Meinungsbildung mit einer dicken Schicht Nutella versüßt. Schön. Das ist aber ein Problem, weil die Zuspitzung auf die Pointe eine sachliche und vielschichtige Sicht auf ein Thema verbaut (Beispiel bei der Abendshow: Die Fähre neben der Brücke, vgl. #7).
Die Heute Show kann das Heute Journal nicht ersetzen und Rezo nicht den Leitartikel – für die Zukunft der politischen Bildung hieße es nichts Gutes, wenn Information nur noch als Form der Unterhaltung vermittelbar wäre – also z.B. durch Witze (Satiresendung) oder durch Jumpcuts, Soundbett und Maschinengewehr-Geplapper (Rezo) leicht konsumierbar gemacht wird.
In diesem Sinne hat das offenkundige Scheitern der Abendshow seine Vorteile: Weil sie so schlecht ist, bleiben die Berliner auf herkömmliche Quellen angewiesen, um sich ein Bild von der Lage in ihrer Stadt zu machen. Ick ooch.
@ Schreibkraft:
Die Frage der Länge ist auch ein interessanter Aspekt. Hier sind Gendersternchen und co. Doppelnennungen natürlich überlegen.
„…aber diese Diskussionen finden (auch hier) ja durchaus regelmäßig statt.“
Nach meinem Eindruck bleiben viele Diskussionen sehr an der Oberfläche (und ich spreche jetzt NICHT von Kommentar-Diskussionen), und werden auch kaum in der gesellschaftlichen Breite geführt. (Es scheint etwa so zu sein, dass die „geschlechtergerechte“ Sprache häufiger verpflichtend gemacht als kontrovers diskutiert wird.)
Wurden die Moderatoren der Sendung eigentlich gecastet? Dann möchte ich nicht die erleben, die nicht genommen wurden:-)
Seibert und Steffenhagen sind bekanntlich Radiomoderatoren. Widerspricht jemand, dass sie dabei nicht durch originelle Schlagfertigkeit oder gar Tiefgang aufgefallen sind? Kein Wunder, kommt es im Formatradiozeitalter doch hauptsächlich darauf an, News, Wetter, Verkehr und ein paar Musik-Überleitungen fehlerfrei vom Monitor abzulesen. Und dass man pünktlich am Morgensendungsmikro eintrifft. Wer so wenig journalistische Selbstachtung hat, dass er sich zu diesem oberpeinlichen James Bond Verschnitt-Foto bereit erklärt, offenbart eigentlich schon alles.
Mein Vorschlag an den rbb: Probiert es mal mit Andreas Keßler und Patricia Pantel. Beide kennen sich echt gut mit Interviews und Autos aus.
Jetzt also Genderdoppelpunkt.
Vielleicht habe ich mit meiner Idee des Gender-ð doch noch Chancen: Sieht gut aus, lässt sich super aussprechen (eben wie das isländische ð), erinnert etwas an Gender-Symbole und bezieht die etwas rechtere Klientel mit ein (wegen german. Erbe und so): Leserðinnen. Super, oder?
@ Lars:
Auch wenn Ihr Beitrag sicherlich augenzwinkernd gemeint ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen um anzumerken, dass in Island sehr viel weniger gegendert wird als hierzulande. Es herrsche, so heißt es in einer Masterarbeit, „der Hauptgedanke vor, dass Geschlecht in der Sprache rein grammatisch sei und soziale Gleichheit durch Engagement auf anderen gesellschaftlichen Ebenen erreicht werde“. Gleichzeitig hat Island nach den mir verfügbaren Jahreszahlen (2015 und 2017) den geringsten Gender Pay Gap der Welt und liegt deutlich vor Deutschland.
Es wurde schon erwähnt, dass in der Türkei, wo es keinen Genus für Personenbezeichnungen gibt, die Gleichstellung der Geschlechter nicht besonders vorangeschritten ist. (Und dasselbe gilt offenbar auch für etliche andere Länder.)
Die Ergebnisse von psycholinguistischen Studien sind, soweit ich informiert bin, für verschiedene Interpretationen offen, abgesehen von Validitätsproblemen mancher Untersuchungen. Einen Beweis für einen ausgrenzenden Charakter des generischen Maskulinums gäbe es demnach nicht.
@ alle:
In einem obigen Kommentar hatte ich von „geschlechtergerechter Spreche“ geschrieben – das war aber ein reines Versehen: Es sollte „Sprache“ heißen.
Auch wenn ich ihr in großen Teilen skeptisch gegenüberstehe, glaube ich, dass die sog. geschlechtergerechte Sprache durchaus ein legitimes und ernstzunehmendes Diskussionsthema darstellt, über welches man vernünftig reden sollte. Zumindest in manchen Kontexten scheint ein gewisses Gendern auf jeden Fall durchaus angebracht zu sein. (Bei Stellenausschreibungen etwa scheint es wohl durchaus sinnvoll zu sein, explizit zu machen, dass die Anzeige sich an Bewerber unterschiedlichen Geschlechts richtet.) Auch die Begrüßung „Liebe Leserinnen und Leser“ halte ich für angemessener als „Liebe Leser“.
Ich sehe mich also keineswegs als radikaler „Gegner des Genderns aus Prinzip“, sondern als jemand, der das Thema für diskussionswürdig hält, bisher jedenfalls aber noch nicht überzeugt ist, dass ein striktes und konsequentes Gendern wirklich sinnvoll ist. (Meine Befürchtung in diesem und anderen Fällen lautet auch, dass man die Sprache zum Problem erklärt, wo sie es nicht oder nur minimal ist, und dabei dazu neigt, die eigentlichen (Sach)probleme zu übersehen.)
Abgesehen davon bin ich aber wie gesagt eh der Meinung, dass ein jeder bzw. eine jede für sich selbst entscheiden soll, wie er/sie es halten möchte.
Wie ich ja kürzlich vom sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer lernen musste, haben die Ostdeutschen ihre eigene Sicht auf die Dinge. Das gilt offenbar auch für Humor im Abendprogramm.
Klar, eine Wessi-Tante aus einer westfälischen Stadt mit Dehnungs-E kann das nicht verstehen und muss sich daher darüber gendergerecht lustig machen!
@Kritischer Kritiker: Erst sagen Sie, dass man so eine Sendung doch gut ignorieren könnte (mutmaßlich: anstatt darüber eine Kritik zu schreiben). Einige Kommentare später schlagen Sie vor, sie doch einzustellen (mutmaßlich: damit man sie nicht mehr ignorieren muss).
Unsere Idee von Medienkritik ist, weder das eine zu tun, noch das andere zu fordern, sondern uns journalistisch, kritisch mit Inhalten auseinanderzusetzen – in dieser Reihe insbesondere solchen, die sonst selten entsprechende Beachtung bekommen.
Zur Gendern-Debatte. Ich bin immer wieder verblüfft, wie sehr sich Leute durch Formen des Genderns in Texten getriggert fühlen. Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen zu den unterschiedlichen Formen – und zum Gendern an sich. Aber die Debatte findet ja regelmäßig – und auch hier mehrmals wieder – nicht auf der Ebene statt: „mir gefallen die Doppelpunkte nicht“. Stattdessen werden die Doppelpunkte als Angriff wahrgenommen. Der Autorin wird unterstellt, dass sie etwas beweisen wollte; dass das demonstrative Doppelpunkte sind. Oder, noch übertriebener: Aus dem schlichten Gebrauch der Doppelpunkte wird geschlossen, man dürfe jetzt also wohl nur noch Doppelpunkte und keine Sternchen mehr benutzen.
Die Regel bei Übermedien ist: Wir überlassen unseren Autorinnen und Autoren die Entscheidung, mit welchen Mitteln sie ihre Texte so gestalten, dass klar wird, dass Menschen verschiedener Geschlechter gemeint sind. Das ist übrigens auch die Praxis bei der „taz“.
@ Stefan Niggemeier (#20):
Ihre erste Mutmaßung ist falsch. Meine Aussage bezog sich nicht auf den Text von Frau Wiedemeier, sondern auf Mycrofts Beitrag #3, wonach ihm die Berlin-/Brandenburger wegen der Sendung leid täten. Da man ja nicht gezwungen ist, sie zu gucken, gibt es keinen Grund für Mitgefühl. Den Sinn, sie in dieser Rubrik zu kritisieren, habe ich nicht in Frage gestellt.
Auch die zweite Aussage war keine Forderung, sondern eine Überlegung (deshalb „vielleicht“): Welchen Zweck hat eine witzig gemeinte Sendung, die völlig unwitzig ist? Wenn sie weiterläuft (wovon ich ausgehe), werde ich sie nach meiner gestrigen Erfahrung weiterhin ohne größere Anstrengung ignorieren können. An weiteren Teilen der Kolumne „Unbesprochen“ bin ich dagegen interessiert.
@ Stefan Niggemeier:
Ich kann nur für mich selbst sprechen, fühle mich persönlich aber durch Gender-Doppelpunkte nicht angegriffen und bin wie schon gesagt ebenfalls dafür, dass jeder Autor (oder: jeder Autor und jede Autorin) das so halten mag, wie er/sie das möchte. Zumindest in einigen Fällen halte ich das Gendern außerdem selbst für sinnvoll.
Die Gender-Doppelpunkte im vorliegenden Fall haben meinen Lesefluss beeinträchtigt, und ich empfinde sie als besonders auffällig, aber wie schon gesagt mag das ein subjektives Problem sein, das mit mangelnder Gewöhnung zu tun hat.
Dessen ungeachtet und unabhängig vom konkreten Einzelfall finde ich es grundsätzlich etwas bedenklich, dass weithin ein Sprachwandel propagiert (und teilweise im universitären Bereich auch verpflichtend gemacht) wird, der nach meiner Wahrnehmung weder breit noch tief noch differenziert diskutiert wird.
Auch kann ich es auch ein Stück weit nachvollziehen, dass manche Leute es als problematisch empfinden, wenn die eine angeblich „gendergerechte“ Schreibweise „die nächste jagt“, auch wenn die Kritik übertrieben oder polemisch formuliert sein mag.
Es kann der Eindruck entstehen, dass diese ganzen Bemühungen irgendwie unaugegoren seien, und dass etwas leichtfertig mit Sprache umgegangen werde. (Man kann das natürlich auch positiver als eine Art des Probierens und Austestens unterschiedlicher Ideen auf dem Weg zum Ziel betrachten.)
Das konsequente Gendern kann aber auch als Teile eines weiterreichenden und womöglich problematischeren Phänomens begriffen werden: Dass versucht wird, Sachprobleme mithilfe von „Sprachpolitik“ zu lösen, wobei zumindest manche dieser Eingriffe durchaus mit moralischem Druck einhergehen. Während manche Formen der propagierten Sprachänderung sinnvoll und gerechtfertigt sein mögen, fürchte ich, dass sie in anderen Fällen nicht nur schlecht begründet sind und keinen Nutzen haben, sondern auch noch Schaden verursachen: Sie sind im schlimmsten Fall relativ leicht zu erringende Siege, die aber nichts in der realen Welt verbessern, von den eigentlichen Problemen ablenken und zu Widerständen in konservativeren Teilen der Sprachgemeinschaft führen. Mitunter werden sie auch mit sehr fragwürdigen Argumenten propagiert. Eine kritische Diskussion von politisch-normativer Sprachveränderung wäre angesichts der auch symbolischen Bedeutung von Sprache daher durchaus ein sinnvolles Unterfangen.
Soweit Beiträge in Übermedien sich mit diesem Thema in der einen oder anderen Form beschäftigt haben, scheinen sie mir jedoch immer recht einseitig die „Pro-Seite“ abzubilden. Vielleicht wäre es daher auch einmal sinnvoll, einer reflektierten und differenzierten kritischen Sichtweise (im Rahmen eines Artikels) Raum zu geben. Das ist selbstredend nur ein Vorschlag und keine „Forderung“.
Doppelpunkte hemmen meinen Lesefluß nicht, ich habe sie nicht einmal wahrgenommen, weil ich mich auf INHALTE des Artikels konzentriere und nicht auf das nächste Derailingfass was zu öffnen sei.
Es sind tl;dr Kommentare die hier den Lesefluß stören. Und dafür gibt es glücklicherweise Pfeiltasten.
Eine Sendung nicht zu sehen, ist ja nur die halbe Lösung – eine Sendung, die Probleme in Berlin und Brandenburg geistreich aufs Korn nimmt, wäre ja für die Bevölkerung von Berlin und Brandenburg ja eine tolle Sache. Aber Extra-3 geht ja auch.
Was das andere betrifft:
1. ich werde von * oder : nicht getriggert,
2. wenn doch, fände ich es aber schön, wenn man meine PTBS ernst nähme und nicht mit Unverständnis reagierte,
3. ärgert es mich auch ein bisschen, wenn mir als Leser nichts zugetraut wird; bspw. entnehme ich dem obigen Zusammenhang, dass mit den „Berliner:innen“, die bestimmte Vorstellungen von Potsdam haben, keine konkrete Gruppe von Menschen aus Berlin gemeint ist (die ja tatsächlich zufällig ausschließlich aus männlichen Personen bestehen könnte), sondern „Menschen aus/in Berlin allgemein“. Aus allgemeiner Lebenserfahrung, einigen tatsächlichen Berlinaufenthalten und nackter Logik ist mir klar, dass es in Berlin auch Frauen gibt. Es ist auch nicht anzunehmen, dass männliche Berliner bestimmte Vorstellungen von Potsdam hätten, Berlinerinnen aber andere oder gar keine. Wenn da „Berliner“ stünde, wäre mir also klar, dass die Aussage auch für die weiblichen und diversen Berliner gilt (nicht aber für die gleichnamigen Krapfen, obwohl das eine legale Interpretation wäre – wie schaffe ich das nur?). Der Anspruch, man müsse Frauen sichtbar machen, weil die Leserinnen und Leser sonst dächten, es gäbe in Berlin entweder keine Frauen („Frauen werden unsichtbar“), oder aber, diese seien irgendwie gegen Vorurteile gegenüber dem Umland immun („Frauen sind nicht mitgemeint“), ist jetzt _*:sehr:*_ abwegig. Warum werden uns solche Denkfehler unterstellt, aber trotzdem noch zugetraut, überhaupt lesen zu können?
4. „Moderator:innen“ ist sogar irreführend, denn es gibt eine Moderatorin und einen männlichen Moderator; beide Geschlechter also nur in der Einzahl – warum nicht einfach wieder „moderierende Duo“ schreiben oder „Moderationsduo“? (Oder Moderatorenpaar – Brautpaare bestehen ja auch nicht immer aus zwei Frauen, und keiner oder keine oder kein Individuum sonstiger geschlechtlicher Zuordnung missversteht das.)
5. als konkrete Beschwerde: Sternchen, Doppelpunkte, Unterstriche oder wasauchimmer dienen der Person, die schreibt. Die Person, die schreibt, will en passant mitteilen, dass eine Gruppe von anderen Personen aus Frauen, Männern und Diversen besteht. Um nicht jedesmal „Berlinerinnen, männliche und diverse Berliner“ schreiben zu müssen, verwendet sie eine Abkrz., die das geneigte Publikum im Geiste auflösen muss. Wenn ich dem Argument zuliebe mal annehme, dass das insbesondere auch bei generischen Gruppen und bei Themen und Aussagen, die mit dem Geschlecht gar nichts zu tun haben, nötig sei, bleibt dennoch der Einwand der Leseunfreundlichkeit: jedesmal, wenn eine neue Abkrz. für „weibliche, männliche und diverse [Personenbezeichnung einfügen]“ eingeführt wird, wird der Lesefluss unterbrochen; wenn es eine einheitliche Regelung gäbe, würde man sich evt. dran gewöhnen, aber die gibt es nicht. Bei tausend Leuten, die einen gegenderten Text mit neuem Gender-Abkürzungszeichen lesen und jedesmal eine zehntel Sekunde verlieren, sind das 100 Sekunden. Ich unterstelle mal, dass man die längeren Formulierungen, wenn man sie denn für nötig hält, in unter einer Minute getippt hat (oder andernfalls deren Notwendigkeit evt. noch einmal hinterfragt). D.h., der Adressat muss insgesamt mehr Zeit investieren, als auf Absenderseite gespart wird. Soll das so? (Adressat und Absender sind Abstraktionen und haben von daher weder biologisches noch soziales Geschlecht – bei „Personen“ hat ja hoffentlich auch niemand nur an Frauen gedacht, oder?)
Und allgemein: wenn man Abkürzungen beliebig bilden kann, dann kann man ja auch statt PKW P.K.W. oder PeKaWe schreiben. Oder PerKraWa. Ihre Leserinnen- und Leserschaften werden sich bedanken. Diverse Lesende vermutlich nicht.
(Dass ich das jetzt ausgerechnet unter diesem Artikel schreibe, soll jetzt nicht heißen, dass ich die Doppelpunkt-Schreibweise besonders schlecht finde. Meinetwegen kann man die auch in den Duden aufnehmen und die anderen weglassen.)
@ Stefan Niggemeier:
Hatte bereits eingestanden, dass ich mich diesbezüglich geirrt habe, und die richtige Erklärung habe ich selbsttätig nachgeliefert (vgl. Beitrag #11). Ohne diesen Irrtum hätte ich mich nicht zu dem Thema geäußert. Aber die Doppelpunkte kamen mir ungeheuer prätentiös vor, und das hat mich in der Tat – wie Sie es nennen – „getriggert“.
@ Schnellinger:
Das Schöne an Bescheidwisser-Begriffen wie „Derailing“ ist: Weil sie so unterbestimmt sind, scheinen sie immer zu passen, auch wenn sie eigentlich an der Sache vorbeigehen. Welche Diskussion wurde denn hier „zum Entgleisen gebracht“? Eine über die Qualitäten der RBB-Satireabteilung? Nein, hier hat sich schlicht eine seit langem virulente Debatte an einem formalen Aspekt des Artikels entzündet.
Diese Debatte ist tatsächlich aus dem Ruder gelaufen (was ich für meinen Anteil daran ja bereits eingestanden habe). Aber „aus dem Ruder laufen“ ist ein anderes Bild als „zum Entgleisen bringen“ – ersteres trägt der Eigendynamik von (Internet-)Diskussionen Rechnung, letzteres behauptet Strategie und bösen Willen. Davon habe ich in dieser Diskussion nichts gefunden. Auch die von Ihnen mit einem aggressiven „tl;dr“ belegten Kommentare arbeiten sich sachlich am Thema Gendern ab.
@ Schnellinger:
(Habe erst nachträglich die treffende Antwort von Kritischer Kritiker an Sie gesehen, belasse meine eigene Antwort aber dennoch im Original.)
„Doppelpunkte hemmen meinen Lesefluß nicht, ich habe sie nicht einmal wahrgenommen, weil ich mich auf INHALTE des Artikels konzentriere und nicht auf das nächste Derailingfass was zu öffnen sei.“
Das ist schön für Sie – es mag aber auch Leute geben, die sich durchaus auch auf Inhalte zu konzentrieren versuchen und eine ungewohnte Schreibweise dennoch als ablenkend empfinden. Ich habe ja von Anfang an gesagt, dass meine eigene Schwierigkeit mein subjektives Problem und eine Sache der Gewöhnung sein mag. Und ich fordere auch sicher niemanden auf, aus Rücksicht seinen/ihren Schreibstil zu ändern. Umgekehrt müssen Sie anderen Leuten aber auch nicht gleich Böswilligkeit unterstellen, oder?
„Derailing“ ist ein Begriff, der von einigen Leuten inzwischen offenbar so inflationär gebraucht wird wie „Troll“. Soweit ich es verstehe, soll „Derailing“ aber eigentlich ein Verfahren beschreiben, bei dem eine Diskussion (aus ideologischen Gründen) zielgerichtet „in eine andere Richtung“ gelenkt wird.
Für einige Leute scheint jede OT-Diskussion unter „Derailing“ zu laufen, auch wenn sie
a) leicht als explizites OT erkennbar ist,
b) sich auf die Diskussion zum eigentlichen Thema nicht inhaltlich (!) auswirkt,
c) kaum jemanden von der Diskussion des eigentlichen Themas abhalten dürfte und
d) es zudem absurd wäre, ein (politisch motiviertes) Ablenkenwollen vom eigentlichen Thema zu unterstellen.
So weit gefasst ist „Derailing“ dann kaum mehr von „eine OT-Diskussion führen“ zu unterscheiden.
Dass jemand längere Kommentare nicht mag, ist zu respektieren. Inwiefern solche Kommentare aber den Lesefluss (also die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit dem man einen Text liest!) beeinträchtigen können, ist schwer zu verstehen. Wie kann ein langer Kommentar (den man noch dazu wegscrollt!) das Durchlesen des Artikels oder anderer Kommentare in actu (!) verlangsamen?
@ Kritischer Kritiker:
Wobei „aus dem Ruder laufen“ jetzt auch (für mich) ein bisschen so klingt, als würde eine Sache eskalieren und außer Kontrolle geraten.
„Derailing“/“entgleisen _lassen_“ => Absicht einer Person
„Aus dem Ruder laufen“ => Pech, _keine_ Absicht
Naja – was erwartet man von einer Sendung, die als „schräg“ angekündigt ist?
Und, ergänzend zu #7, Kritischer Denker: vor allem liegt die Bushaltestelle gut 700 m von der Fährstelle entfernt. Wer erstmal 300 m zur Fähre laufen muss, hätte zum Bus gern mal einen Fußweg von 1 km. Für alte Menschen, wie sie zuweilen in der Siedlung nördlich der Spree wohnen, eine lange Strecke. Es geht schlicht auch um soziale Belange. Aber sowas ist ja nicht so schräg und schenkelklopfend wie eine vermeintliche Absurdität, die die ganz klugen rbb-Praktikanten, deren Berlin-Aufenthalt mit ihrem Praktikumsbeginn vor drei Tagen begonnen hat, da gefunden haben.
In Charlottenburg sind die Doppelpunkte aus. Die hat die Juliane alle vertextet. Deshalb gibt es in der Fußgängerzone nur noch Männer. Frauen fordern deshalb eine eigene Fußgängerinnenzone oder wahlweise ausreichend Doppelpunkte für eine komplett neue Fußgänger:innen:zone.
@Hundshop:
Das Verkehrszeichen für „Fußgänger“ zeigt eine erwachsene Person und ein Kind, die anscheinend einen Rock oder ein Kleid tragen.
Sicherlich soll das Fußgängerinnen unsichtbar machen.
Den erkämpften Erhalt des Fährbetriebes als typisch berlinerisches Rumgewurstel abzutun, empfinde ich als ebenso ahnungslos wie hochmütig. Die Fähre symbolisiert einen Teil der Identität der Menschen vor Ort, die sie behalten wollen und auch nutzen. Mit Senioren aus den nahegelegenen Heimen über das Wasser zu setzen, ist einfach total schön und nicht dasselbe, als würde ich sie über eine Brücke schieben…Auch das Beobachten macht Spaß. P.S. Die besprochene Sendung ist tatsächlich zum großen Teil zum Fremdschämen, was für mich auch an der überdreht lauten Präsentation liegt…
Hallo,
den Text dieser Kolumne finde ich inhaltlich interessant, da ich hier auf Sendungen aufmerksam gemacht werde, die ich noch gar nicht kannte. Danke dafür.
Zur Sprache im allgemeinen und Schriftsprache im besonderen habe ich folgende Meinung:
Die Personen, die jetzt ein Problem mit aktuellen Entwicklungen haben (neue Rechtschreibung, Gendern, etc.) werden Aussterben und die Folgegenerationen werden sagen: Das war schon immer so. :o)
Also es wird sich alles von selbst erledigen …
1. Neue Rechtschreibung, ja – ob man „daß“ oder „dass“ schreibt, ist Gewohnheitssache. Gendern, nein. Sprechen kann man Konstruktionen mit Sternchen oder Doppelpunkt in der Mitte überhaupt nicht. Und auch die Schriftsprache hat eine gewachsene Struktur, zu der es unter anderem gehört, dass Satzzeichen oder Großbuchstaben nicht in Wörtern auftauchen. Und eine Grammatik, die im Deutschen nunmal das generische Maskulinum als Normalfall kennt.
Außerdem ist die Herleitung der Genderregeln derart abstrakt, dass sie jeder/*/m erklärt werden muss. Man darf halt im Kopf nicht „Bäcker Sternchen in“ lesen (weil das keinen Sinn ergibt), sondern muss es übersetzen: „Beruflich backende Person, die entweder Mann oder Frau ist oder sich keinen binären Geschlechtskategorien zurechnen lässt.“ Das wird nie „schon immer so“ gewesen sein, dass wird immer eine sprachpolitische Setzung bleiben.
2. Sollte ich mich irren, freuen Sie sich nicht zu früh! Wenn ich so alt werde wie meine Großeltern, habe ich noch 50 Jahre vor mir. Ich gedenke, mir mit dem Aussterben noch etwas Zeit zu lassen.
#33, @KRITISCHER KRITIKER, 15. JUNI 2019 UM 9:45 UHR
Da muss ich Dich enttäuschen. Alle von außen verordneten Veränderungen in Sprache und Schrift wurden und werden kritisiert, bis die Kritiker nicht mehr das sind.
Dazu kommen natürlich die Änderungen die mit jeder neuen Generation in Sprache und Schrift einfließen und damit die üblichen Kritiker unterlaufen.
@Jense:
Oder sie werden kritisiert, bis die Veränderung nicht mehr da ist. Nebenbei, nur weil man einen gewachsenen Sprachwandel nicht vermeiden kann, warum sollte es einen konstruierten Sprachwandel akzeptieren? Es sterben auch ab und zu Tierarten ohne menschliche Nachhilfe aus, soll man deshalb nichts gegen das Artensterben tun? (Und die angebotenen Abkürzungen sehen alle SEHR konstruiert aus.)
Und dann frage ich mich, welchen Artikel verwendet man bei „Bäcker*in“ im Singular? Also für ein Individuum, das hauptberuflich backt, und sich als weder männlich und weiblich auffasst?
Weit mehr als über Sternchen oder Doppelpunkte zur Integration aller Geschlechter bin ich in dem Kommentar Nr. 7 von „Kritischer Kritiker“ über das fehlende Komma bei „Radfahrern“ gestolpert.
Beim Lesen habe ich wahrgenommen, daß ein Komma fehlt und es gedanklich vor das Wort „Radfahrern“ gesetzt. Der Satz, wie ich ihn wahrgenommen habe, fing also an mit „Die Fährverbindung ermöglicht es, Radfahrern von Köpenick oder Karlshorst durch…“. Der Sinn, den ich erwartet habe, war also etwas in der Art „Die Fährverbindung ermöglicht es der Stadt Berlin, den Radfahrern von Köpenick oder Karlshorst durch eine sinnvolle Wegeführung ein gutes Angebot zu machen“ (das Wort „von“ gebraucht im Sinne von „aus“). Nun kam nach dem Wort „durch“ aber „Wälder, Parks“, das passte noch so halbwegs (in dem Sinne, daß Wälder und Parks eine Ursache für irgendetwas wären), der Rest des Satzes ergab damit aber überhaupt keinen Sinn mehr.
Und in dem Moment war das wirklich ein Stolpern, ein Zurückhoppeln zum Anfang des Satz, um das gedanklich an der falschen Stelle ergänzte Komma hinter das Wort „Radfahrern“ zu verschieben und den Satz danach noch einmal neu zu lesen. Das hat meinen Lesefluß deutlich mehr unterbrochen als Sternchen oder (in diesem Fall) Doppelpunkte zur Integration der verschiedenen Geschlechter.
Es hat natürlich auch damit zu tun, daß ich den Kommentar Nr. 7 inhaltlich sehr interessant finde. Dieser Kommentar hat mich erst richtig auf die Fährverbindung aufmerksam gemacht, die in dem Artikel nur nebenbei erwähnt ist. Ich kenne es von Hamburg, daß im Hafengebiet Schiffe eine gewöhnliche Liniennummer haben und in den Verkehrsverbund eingebettet sind, und daß bis in die 1980er-Jahre es auch Linienschiffe des Verkehrsverbundes auf der Alster gab (*). Daß es etwas Ähnliches auch im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg gibt, war mir bisher unbekannt, und es wäre mir ohne diesen Artikel wohl auch entgangen.
Nun habe ich mich erst mal über die Fährverbindungen im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg kundig gemacht. Ich bin im August am Ende einer Reise durch verschiedene europäische Städte auch für ein paar Tage in Berlin, und ich habe mir jetzt vorgenommen, dann auch mit den Fähren in Tarifbereich AB zu fahren.
(*) http://www.bilderbein.de/hvv-fahrplan-sommer-1978.html