Presserat erklärt „Focus Money“ die Bedeutung von Anführungszeichen
Der Presserat hat die Zeitschrift „Focus Money“ gerügt, weil sie auf ihrem Titel mit einem vorgeblichen Satz von Alan Greenspan aufgemacht hat, den der frühere Notenbankchef weder wörtlich noch sinngemäß gesagt hat.
Das war keine kontroverse Entscheidung im Beschwerdeausschuss, und man könnte denken, dass das keiner dieser Grenzfälle ist, mit dem sich ein längeres medienethisches Seminar füllen ließe: Darf ich mir einfach ein Zitat von jemandem ausdenken und das groß auf die Titelseite schreiben?
Auch für „Focus Money“-Chefredakteur Frank Pöpsel ist die Antwort eindeutig: Ja, klar! Gegenüber dem Presserat hat er eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und die Titelseite verteidigt. Es ist ein faszinierendes Dokument über die journalistischen Standards dieser Zeitschrift aus dem Burda-Verlag.
Pöpsel räumt ein, dass Greenspan den Satz „Wer Verstand hat, kauft Gold“ nicht wörtlich gesagt hat. Inhaltlich sei das Zitat aber vollumfänglich durch Aussagen von Greenspan gedeckt, vor allem durch Sätze, die er im vergangenen Jahr sagte:
„Gold ist immer noch von großer Bedeutung. Ich frage mich, wenn es bloß ein Relikt der Geschichte sein soll, warum halten dann die Zentralbanken der Welt sowie der Internationale (IWF) und alle anderen Finanzinstitutionen Gold für Billionen von Dollar?“
Insbesondere diese Äußerung habe man für die Titelgeschichte zu dem Zitat komprimiert „Wer Verstand hat, kauft Gold“, teilte Pöpsel dem Presserat mit, der seine weitere Argumentation so wiedergibt:
Denn durch die Bezugnahme auf alle Zentralbanken, den IWF und alle anderen Finanzinstitutionen bringe Greenspan völlig zweifelsfrei zum Ausdruck, dass nach seiner Auffassung jeder vernünftige, verstandesbegabte Anleger Gold haben sollte. Er habe mit Sicherheit nicht andeuten wollen, die Verantwortlichen bei Notenbanken und Finanzinstitutionen hätten allesamt keinen Verstand.
Der Leser werde also nicht irregeführt. Irregeführt würde er, wenn Greenspan nicht vehement für ein Investment in Gold plädiert hätte. Ausdrücklicher als Greenspan könne man sich aber wohl kaum für Gold aussprechen.
Außer, möchte man dem „Focus Money“-Mann erwidern, indem man sich ausdrücklich für ein Investment in Gold ausspräche, was Greenspan aber nicht getan hat.
Der Presserat referiert Pöpsels Stellungnahme weiter:
Die Leser erwarteten auch nicht, dass solche schlagwortartig auf dem Titel herausgestellten Slogans wortwörtlich so gesprochen wurden. Sie wüssten – anders als offenbar der Beschwerdeführer – durchaus einzuordnen, dass Überschriften und Titelankündigungen den Kerngehalt einer Geschichte oftmals stark verdichten. Hier gehe es darum, dem Leser eine Entscheidung zu ermöglichen, ob er einem Heft oder einem Artikel seine Aufmerksamkeit widmet und ggf. auch Geld dafür ausgibt.
Entscheidend sei für ihn an diesem Punkt nicht, ob das Zitat wörtlich stimmt, sondern ob es die Stoßrichtung und den Inhalt des Textes richtig widerspiegelt. Und das sei hier eindeutig der Fall. Gerade hierauf achte er als Chefredakteur persönlich bei jeder Ausgabe. Ein Leser, den man einmal durch eine überzogene Titelankündigung enttäusche, sei vielleicht für immer verloren. Der Heftinhalt müsse das auf der Titelseite gegebene Versprechen einlösen. In diesem Rahmen dürfe der Titel aber auch zuspitzen und verkürzen. Damit rechne auch der Adressat. Man habe aus dem Kreis ihrer Leser kein einziges negatives Feedback bekommen. Der Beschwerdeführer arbeite sich an einem Scheinproblem ab.
(Anmerkung: Der Beschwerdeführer bin ich.)
Der Presserat hat Pöpsel in doppelter Hinsicht widersprochen. Er hat seiner Auffassung widersprochen, dass man zwischen zwei Anführungszeichen einfach Wörter setzen darf, die inhaltlich ähnlich dem sind, was der scheinbar Zitierte gesagt hat. Und er hat der Behauptung widersprochen, dass Greenspan überhaupt sinngemäß das gesagt hat, was Pöpsel ihm unterstellt.
Der Beschwerdeausschuss stellte einen „schweren Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht“ fest: Ein „durchschnittlich verständiger Leser“ müsse die Überschrift „zwingend als wörtliches Zitat auffassen“.
Dafür sorge auch die Setzung in Anführungszeichen, „die gemeinhin als Konvention für wörtliche Zitate bekannt ist“, wie das Gremium geduldig erklärt.
Wenn aber ein Zitat als wörtliche Wiedergabe gekennzeichnet ist, hat sich die Redaktion auch zwingend an den entsprechenden Wortlaut zu halten. Dies ist ausweislich der Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vorliegend nicht geschehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass das von der Redaktion kreierte, streitgegenständliche Zitat keineswegs den Sinn des von [„Focus Money“] als Grundlage angegebenen Zitats erfasst. Das streitgegenständliche Zitat „Wer Verstand hat, kauft Gold“ ist als Anlageempfehlung aufzufassen und wird auch in entsprechender Weise in die Berichterstattung eingefügt. Das Originalzitat belegt demgegenüber lediglich, dass der Ex-Notenbanker Gold als einen wichtigen Faktor für Finanzinstitutionen ansieht. Eine Anlageempfehlung für Privatpersonen lässt sich daraus nicht zwingend ableiten.
Der Presserat hat die Redaktion gebeten, die Rüge in einer der nächsten Ausgaben zu veröffentlichen. Das entspricht dem Grundsatz fairer Berichterstattung und dem Pressekodex.
Der Satz „Wer Verstand hat, kauft Gold“ stand übrigens nicht zum ersten Mal und nicht zum zweiten Mal auf dem „Focus Money“-Cover.
Im September 2017 brachte „Focus Money“ diese Variante:
Die Cover sind Ausdruck eines seit Jahren herrschenden Gold-Rausches der Redaktion:
Der Gold-Preis hat sich trotz dieses eindrucksvollen Engagements der „Focus Money“-Redaktion bislang standhaft geweigert, die Prognosen (z.B. Verdoppelung in den nächsten 20 Monaten, „neue Höchststände“, „Goldboom“, Kurse von 2000, 3000, 5000, vielleicht 10.000 Dollar) zu erfüllen.
Jaja, Gold kaufen, das gute alte Schneeballsystem. Einer erzählt dir wie schlau es sei Gold zu kaufen, weil er nämlich selber viel Gold gekauft hat und er weiß, solange alle die das getan haben es so vielen Anderen wie möglich aufschwatzen, solange steigt der Kurs stabil.
Jaja, der Focus, die gute alte Redaktion für umnachtete deutsche Geister. Wäre ja mal was Neues wenn die sauber arbeiten würden, aber das ist dann doch zu unwahrscheinlich.
Und wenn alle Zentralbanken einen elektrischen Zaun, 5 Wachhunde und einen begehbaren Tresor im Keller haben, muss ich mir die dann auch kaufen, um meinen Verstand unter Beweis zu stellen?
@Mycroft #2 Ach nein, man kauft einfach Gold-Zertifikate. Diese Zertifikate werden zwar aller Wahrscheinlichkeit nach wertlos, wenn die emittierende Bank pleite geht, aber wenn interessiert das bei einem so „sicheren“ Investment wie Gold? https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/sparen-und-anlegen/geldanlage-mit-gold-goldzertifikate-5907
@2: Im wilden Westen wurden nicht die Goldgräber reich, sondern die Saloon-Besitzer und Schmiede. Du musst also der sein, der elektrische Zäune, Wachhunde und begehbare Tresore VERkauft. Das ist der Trick.
In der „Anstalt“ wurde mal sinngemäß gespottet, dass der Focus gewissermaßen die „Vorstufe“ zum Journalismus sei.
Vielleicht ist die Schlusspointe deswegen eine gute Schlusspointe, weil das Blatt null Impact hat. „Wer Verstand hat, kauft Lokus Honey sicher nicht!“ (unbekanntes Zitat)
„Hellseher gewinnt 10 Fantastilliarden in der Lotterie!“
Demnächst:
Facken,
facken,
facken!
Fackus Backus“
„Kaufen Sie es bevor es keine Wahrheit zu kaufen mehr gibt“
In dem wahrsten Wahrheitsmagazin von eigenen Gnaden und der der Dähmlichkeit des Leser!
@LLL:
Da muss ich Ihnen energisch widersprechen, auf gleich mehreren Ebenen
– Endstadium des Journalismus. Fokus war seiner Zeit damals locker 3 Jahrzehnte voraus.
– Mit dieser Berufung auf „Fakten, Fakten, Fakten“ war Focus die Urmutter der Faktenchecker. Und sogar in der (Listen-, Bulletpoint-) Form zumindest um Anscheinsglaubwürdigkeit bemüht. Das wurde leider nicht an die jetzige Generation weitergegeben.
– Focus ist der letzte Schatten, vor dem die anderen sich selbst betrachten und mögen können. „Sooo tief sind wir noch nicht gesunken“ (Jetzt sind es noch 5 Jahre Vorsprung)
– Die Zielgruppe für diese Art „Anlagetipps“ ist klar: Wer nicht mit seiner Altersrücklage spekuliert, ist doof, feige und zurückgeblieben. Wer Verstand hat, legt an in ..momentbidde….“Horscht! Was sagtest du, müsst ihr gerade schnellstens loswerden?“ …na Sie haben es ja selbst gehört.
– Wer es jetzt noch immer nicht gemerkt hat, will verarscht werden. Ja, das gibt es wirklich. Aktuelle Focusleser vor sich selbst schützen zu wollen ist wie Lemminge an der Kante hochheben und 5 Meter vor ihr wieder in den Lemmingtrail zu setzen.
– Der Unterschied zu vergleichbaren Kampagnen z.B. im Spon ist nicht halb so groß, wie viele intuitiv vermuten würden.
@ Symboltrol:
Ja, diese Betrachtungsweise hat was für sich. ; ))