Der Wirtschaftsteil bildet (aber ohne wird man auch nicht unbedingt dümmer)
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und die guten Nachrichten für den Wirtschaftsteil der Zeitung findet man – im Wirtschaftsteil der Zeitung.
Die FAZ meldete am Dienstag:
Der Wirtschaftsteil bildet
Zeitungslektüre trägt viel zum ökonomischen Wissen bei
Der Artikel beruht auf der Jugendstudie, die der Bundesverband deutscher Banken alle drei Jahre in Auftrag gibt. Dafür werden rund 650 deutschsprachige 14- bis 24-Jährige repräsentativ befragt. Die FAZ schreibt:
Wie eine Sonderauswertung der diesjährigen Jugendstudie ergibt, liest ein Viertel der jungen Leute mindestens zwei- bis dreimal in der Woche den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung; der Anteil steigt mit dem Alter; unter den 21- bis 24-Jährigen ist es ein Drittel.
Das sind erstaunlich hohe Zahlen. Was die FAZ nicht erwähnt: Bei der vorherigen Studie waren sie noch höher. Damals fasst die FAZ die Ergebnisse so zusammen:
Fast ein Drittel der 14- bis 24-Jährigen liest mindestens zwei- bis dreimal in der Woche den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung. Mindestens vier Mal wöchentlich lesen 14 Prozent den Wirtschaftsteil, unter den 21- bis 24-Jährigen sogar ein gutes Viertel.
Der Bankenverband weist in seiner Präsentation auch auf den Rückgang hin und stellt die Ergebnisse von 2018 denen von 2015 gegenüber:
Auffallend ist, dass insbesondere die 21- bis 24-Jährigen heute deutlich seltener den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung lesen als noch vor drei Jahren. Der Anteil derjenigen, die das mindestens zwei- bis dreimal pro Woche tun, sank innerhalb von drei Jahren von 42 Prozent auf 34 Prozent. Nur noch sechs Prozent in dieser Altersgruppe sagen, dass sie täglich den Wirtschaftsteil lesen; vor drei Jahren waren es noch 19 Prozent.
Der Bankenverband verknüpft mit der Veröffentlichung seiner Jugendstudie vor allem das Ziel, auf Defizite im Wirtschaftswissen junger Leute hinzuweisen. Zur Umfrage gehört deshalb auch ein kleiner Wissenstest: Die Befragten müssen zum Beispiel erklären, was das Prinzip „Angebot und Nachfrage“ bedeutet, was die Inflationsrate ist und welche Institution in der Euro-Zone für die Sicherung der Preisstabilität zuständig ist. Daraus wird ein Index ermittelt, der angibt, wie gut das Wirtschaftswissen der Befragten ist.
Es stellt sich heraus, dass es einen positiven Zusammenhang gibt zwischen der Zeitungslektüre und dem Wirtschaftswissen gibt. Junge Leute, die gute Kenntnisse haben, lesen überdurchschnittlich oft den Wirtschaftsteil. Junge Leute, die selten den Wirtschaftsteil lesen, haben unterdurchschnittlich gute Kenntnisse.
Aus diesem statistischen Zusammenhang (Korrelation) macht die FAZ in ihrer Berichterstattung aber eine Ursache (Kausalität). Sie schreibt:
Die regelmäßige Lektüre erhöht das Wissen der jungen Leuten [sic] signifikant.
Dieser Zusammenhang ist natürlich plausibel – aber keineswegs zwingend. Umgekehrt ließe es sich auch interpretieren: Wer sich mit den Grundbegriffen der Wirtschaft auskennt, interessiert sich deshalb auch für Nachrichten aus diesem Bereich und liest häufiger den Wirtschaftsteil der Zeitung. Dass das Lesen der Zeitung die Ursache ist für die besseren Kenntnisse, belegt die Studie keineswegs.
Sie zeigt zum Beispiel auch, dass junge Leute, die häufiger den Wirtschaftsteil in der Zeitung lesen, sich auch signifikant häufiger im Internet über Politik- und Wirtschaftsnachrichten informieren. Auch das könnte also die Ursache für das größere Wirtschaftswissen sein.
Es gibt in der Studie sogar ein Indiz, dass der Wirtschaftsteil in der Zeitung nicht die entscheidende Bildungsquelle ist: Obwohl die Zahl der regelmäßigen Leser in den vergangenen drei Jahren gesunken ist, ist der Wissensindex in dieser Zeit leicht gestiegen.
Anders gesagt: Die jungen Leute wissen heute mehr über Wirtschaft, obwohl sie weniger den Wirtschaftsteil in den Zeitungen lesen.
Unzulässig wäre es natürlich, daraus nun wieder eine Kausalität abzuleiten: Weil die Leute weniger Zeitung lesen, sind sie klüger.
Aber mit einem solchen unzulässigen Kurzsschluss kam die FAZ zu ihrer Überschrift:
Du schreibst selbst, dass das erstaunlich hohe Zahlen sind. Mir selbst kommen die Zahlen fast zu hoch vor, ich hätte den Zeitungskonsum generell nicht viel höher eingeschätzt.
Hältst du diese Zahl für realistisch?
Ich les den Wirtschaftsteil für die Kennzahlen und Dath für die Einordnung. ;)
Bin auch arg skeptisch. Kennen diese jungen Leute überhaupt noch Tageszeitungen? Jeder vierte junge Mensch – im Querschnitt über alle Bildungsgrade hinweg? – soll den Wirtschaftsteil regelmäßig lesen? Wenn ich mal meine Abi- und Studienzeit Revue passieren lasse, hatten schon in den 90ern die wenigsten überhaupt ein Abo. Gut, die Zeitung wurde dann ein bisschen rumgereicht, aber jeder Vierte? Den Wirtschaftsteil? Eher die Fahrberichte von Wolfgang Peters in der geborgten FAZ, aber den Wirtschaftsteil hab selbst ich nicht angefasst, dabei bin ich ein Zeitungslektüre-Junkie. Vielleicht, wenn man die Umfrage im Oeconomicum macht, aber sonst …
Ich finde es eigentlich schon einen Offenbarungseid das man es nötig hat Nutzer mit aufzunehmen die das TÄGliche Angebot in nicht mal 50% der Fälle nutzen.
Hallo Herr Niggemeier,
haben Sie eine Idee, wie man hier die Kausalität beweisen könnte? Die Frage, wie man Kausalität beweist und nicht nur für wahrscheinlich hält, ist ja für jede Recherche relevant, ob es nun – wild gegriffen – um Gründe für Waffenexporte geht (oder sind es nur Begründungen?), um die Gründe für die Eskapaden des Herrn Seehofer und des Herrn Trump und ob sie auf ähnliche Veranlagungen zurückzuführen sind oder ob Hubertus Knabe die Stasi-Gedenkstätte wegen der genannten Vorwürfe (Gründe) verlassen muss oder ob es doch andere, im Auge des Entscheiders liegende Gründe gibt.