Bahnhofskiosk

Eine dicke, rechte Konsenssuppe

Die bittere Realität ist, dass ich offensichtlich ganze Segmente von Magazinen mehr oder weniger unbewusst ignoriere, schließlich dachte ich beim Absuchen eines Kiosks, ich hätte eine interessante Entdeckung gemacht: „Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung“ fand ich einen ziemlich grandiosen Namen für ein Heft und die Titelthemen „Das feministische Patriarchat“, „Ach, Demokratie“, „Neue Weltordnung“ und „Gott, der nie fort war“ spannend genug, um zu erwarten, auf hohem Niveau angenehm genervt zu werden, was einer der schönsten Zustände ist, in denen man sein kann.

Auf dem Titel ist hinter der Schrift eine auf wirklich interessante Art schöne Frau mit einem Nasenring zu sehen, und auch das mag ich. Beim ersten schnellen Blättern noch im Bahnhofskiosk war das Heft voller Buchstaben und alle paar Seiten war jeweils ein Gemälde des offensichtlich immer gleichen Malers abgebildet. Alles an diesem Konzept wirkte ziemlich grandios, oder zumindest konsequent, was oft schon die Hälfte von grandios ist. „Tumult“ sieht auf sehr unspektakuläre Weise sehr gut aus, und eine Konsensstörung pro Vierteljahr sollte sich jeder gönnen, dachte ich.

Aber da hatte ich noch nichts gelesen.

Ich habe diffuse Erinnerungen an die alte, seit Ende der Siebzigerjahre erscheinende Quasi-Zeitschrift „Tumult“, die in meiner Erinnerung eine wilde Mischung philosophischer und politischer Betrachtungen war, genau so, dass ich es als Jugendlicher faszinierend fand. Die neue „Tumult“ ist eine mit großen, komplizierten Worten geladene Kanone neurechter Gedankenspielchen1)Tatsächlich ist die neue „Tumult“ ein Nachfolger der alten „Tumult – Schriften zur Verkehrswissenschaft“ (die, um es mal kompliziert zu machen, immer noch sporadisch erscheint, wenn ich das richtig sehe). Der Herausgeber der Konsensstörung-„Tumult“ Frank Böckelmann war bis vor kurzem auch Mitherausgeber der anderen „Tumult“-Reihe, ist dort aber zurückgetreten, während wiederum viele Autoren seit einem internen Streit vor drei Jahren über Texte zur Migrationspolitik nicht mehr für die neurechte Vierteljahresschrift schreiben. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb dazu: „Der Verdacht auf eine umfassende Illiberalität hatte nun auch ein Medium erreicht, das einmal ausdrücklich als Organ einer theoriegetriebenen geistigen Freiheit gegründet worden war.“.

Ich bin mir nicht sicher, wie sehr sich die Auseinandersetzung mit dem Inhalt wirklich lohnt, weil mich der spürbare, unbedingte Wille zur Provokation so irrsinnig abtörnt. Aber ich mache es mir jetzt kurz einfach und nehme mir den bescheuertsten Text vor, weil da ein Funken Freude für mich drinsteckt. Das Thema ist vorhersehbar: Die Achtundsechziger sind eigentlich Nazis. Und das geht so:

„Achtundsechzig“ wird maßlos überschätzt. Die Vorstellung, dass diese Bewegung tausend Jahre alte „autoritäre Strukturen“, Institutionen und Instanzen abserviert hätte, ist Geschichtsnarzißmus (sic!) pur. Vielmehr besorgte dieses Geschäft der sehr viel ambitioniertere Vorläufer, das „Tausendjährige Reich“, welches im Fast-Forward-Modus innerhalb von zwölf Jahren hier ganze Arbeit leistete und keinen Stein auf dem anderen ließ.

Das geht also schonmal steil los: Die Nazis haben autoritäre Strukturen abgeschafft. Und waren dabei auch noch ambitionierter. Und wie? Unter anderem, indem sie die Nacktheit von Obermaier und Langhans in der Kommune 1 vorwegnahmen.

Denn schon die Nazis lockten mit einem antibürgerlichen, erstaunlich „liberalen“ Verständnis von Sexualität, ließen gleichgeschaltete, völkische Nackte von der Leine und gaben dieses sowieso andere visuell avancierte Körper-Inszenierungs-Innovationen der Schaulust preis. Die noch im nachhinein (sic!) davon faszinierten David Bowie, Mick Jagger und Bryan Ferry waren immerhin so frei, von „Nazi-Chic“ zu sprechen, während die (wohl nicht nur) performative Verwandtschaft von Faschismus und aufrührerischer Popkultur hierzulande immer noch ein Tabu berührt.

Räumen wir kurz aus dem Weg, dass ich nicht ansatzweise in der Lage war, die Quelle der angeblichen Zitate von Ferry, Bowie und Jagger zu finden. Sie haben über die Ästhetik der Nazis gesprochen und sind in Zeiten popkulturell aktiv gewesen, in denen vor allen in der Punk-Szene Englands Nazisymbole als Provokation benutzt wurden, aber so, wie es da steht, ist der Satz meiner Meinung nach so grob irreführend, dass ich ihn bei größter Zurückhaltung immer noch nur Lüge nennen kann.

Aber kommen wir noch einmal auf die These zurück: Die Nazis haben also die autoritären Strukturen abgeschafft, die Hippies sind Nazis, Popkultur faschistisch und alle gut angezogenen Rockstars sehen das genauso. Es fällt auch noch Adornos Wort vom „Linken Faschismus“. Bleibt also nur die Frage, ob wir da nicht irgendwo Flüchtlinge drin unterbringen können. Und tatsächlich:

Daß (sic!) Migranten aus dem islamischen Kulturkreis, als „neues revolutionäres Subjekt“ ausersehen, im Umgang mit Sprengstoffen überaus versiert sind und keinerlei Schützenhilfe brauchen, lässt die Hoffnung keimen, „gegen Rechts“ mehr als nur die Antifa aufbieten zu können.

Das ist alles eklig, aber natürlich auch viel zu langweilig, um sich darüber ernsthaft aufzuregen. Und tatsächlich ist das vielleicht der am stärksten sabbernde Text, aber der Rest benutzt nur schickere Wörter, um das zu beschreiben, was Pegida fühlt.

Aber die Frage, die ich mir hier stellen muss, ist ja: Funktioniert das als Magazin? Und die Antwort ist auf mehreren Ebenen: Absolut. Zum einen habe ich es ja gekauft, weil es tatsächlich schön und interessant aussieht. Und zum anderen ist es natürlich keine „Konsensstörung“, sondern eine Bestätigung für all jene, die ständig auf allen Kanälen ihre Überzeugung in die Welt posaunen, dass sie ihre Meinung nicht frei äußern dürfen, danke Merkel – „Tumult“ ist eine dicke, rechte Konsenssuppe.

Die Themenliste ist, versteckt hinter wichtig klingenden Titeln, lächerlich einfach: Feminismus ist Totalitarismus, Flüchtlinge sind Verbrecher; der deutsche Staat versagt, vor allem in Bezug auf die Flüchtlinge; Achtundsechziger sind (die eigentlichen) Faschisten; Deutschland muss kulturell wieder deutsch werden, und die AfD wird gemobbt. „Tumult“ liefert komplex wirkende Argumente zur Rechtfertigung eher einfacher Ängste. Wer ihnen anhängt, ist für Argumente nur noch schwer zu erreichen, fühlt sich aber wahrscheinlich durch das Heft bestätigt wie der Käufer eines Autos, das er sich eigentlich nicht leisten kann, wenn er zufällig den wahnsinnig guten Werbespot für seine Karre sieht.

Das ist ein wunderschönes Gefühl. Und ich bin mir sicher, dass man sehr viele Versatzstücke aus dem Heft rumpelig zitiert in den Kommentaren von rassistischen Trollen auf Facebook wiederfinden. Und das wäre ein Qualitätsmerkmal, denn wo haben Printmagazine denn sonst noch solchen Einfluss?

Nach allen Kriterien, die ich in dieser Kolumne je angewandt habe, ist „Tumult“ ein gutes Heft: Es liefert in der seinem Ziel angemessenen Weise die Inhalte, die machen, dass seine Leser sich mit dem Heft verschwören und sich ihm zugehörig fühlen. Das schafft „Tumult“ wahrscheinlich ziemlich gut.

Allerdings will man mit manchen Lesern auch einfach nichts zu tun haben.

Tumult
Freunde der Vierteljahresschrift Tumult e.V.
10 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Tatsächlich ist die neue „Tumult“ ein Nachfolger der alten „Tumult – Schriften zur Verkehrswissenschaft“ (die, um es mal kompliziert zu machen, immer noch sporadisch erscheint, wenn ich das richtig sehe). Der Herausgeber der Konsensstörung-„Tumult“ Frank Böckelmann war bis vor kurzem auch Mitherausgeber der anderen „Tumult“-Reihe, ist dort aber zurückgetreten, während wiederum viele Autoren seit einem internen Streit vor drei Jahren über Texte zur Migrationspolitik nicht mehr für die neurechte Vierteljahresschrift schreiben. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb dazu: „Der Verdacht auf eine umfassende Illiberalität hatte nun auch ein Medium erreicht, das einmal ausdrücklich als Organ einer theoriegetriebenen geistigen Freiheit gegründet worden war.“

9 Kommentare

  1. Danke für die „Warnung“, ich hätte es mir – wenn mir das Magazin denn am Bahnhofskiosk begegnet wäre – sicherlich nur auf die Schnelle angeguckt, bezahlt und mich später im Zug im Nachhinein geärgert, so viel Geld in meine gegenteilige Filterblase investiert zu haben. Nicht, dass es was Schlechtes ist, auch mal andere Meinungen zu hören, aber die Zitate oben reichen mir da schon komplett aus.

  2. @1: Ich muss Ihnen gewissermaßen widersprechen: Sicher ist es (für mich zumindest) nicht schlecht auch mal andere Sichtweisen zu hören, aber die Sichtweise wie sie hier beschrieben ist gehört nicht dazu. Das ist die Sichtweise die immer Toleranz fordert aber selbst total intolerant ist. Das ist die Sichtweise derer die Meinungsfreiheit einfordern, solange man ihre Meinung hat. Ich muss ja irgendwo eine Grenze ziehen und das sind keine Meinungen mehr, die ich in meine Sicht der Welt integrieren kann.

  3. Was man jetzt aber mal positiv hervorheben muß, ist der hemmungslose Gebrauch des schönen scharfen S.

  4. Soll ich das letzte Zitat wirklich so verstehen, dass „Migranten aus dem islamischen Kulturkreis“ mit durchweg guten Sprengstoffkenntnissen angeblich gemeinsame Sache mit der Antifa machen, um die Rechten wegzubomben , und dass das (ironisch?) begrüßt wird („Hoffnung“)? Mannomann, soviel Phantasie muss man erst mal haben.

  5. @RAOUL und MICHALIS PANTELOURIS

    Ich könnte mir vorstellen dass das Absicht ist. So nach dem Motto: „neue Rechtschreibung ist doof weil früher war alles besser“. Würde zumindest inhaltlich passen…

  6. Danke für den Artikel. Die merkwürdige Tendenz, dass viele Alt-Linke nun auf einmal neurechte Positionen vertreten ist unfassbar, als hätten die von den damaligen Thesen und Texte nichts kapiert. Schade wie man die Tradition die hinter Tumult damals mit Foucault, Gente, Paris usw. stand nun so verzerrt und sich in einer gegen äußeren Bedrohungen zu verteidigenden Wirklichkeit wiederzufinden glaubt.

  7. @7 STE: Vielleicht gibt es eine tiefenpsychologische Erklärung dafür, dass ehemalige Linke oder Liberale im Alter zunehmend nach rechts blicken und Volk und Nation für sich (wieder) entdecken: Wenn schon das eigene Leben sich langsam aber sich dem Ende nähert, möchte man wenigstens das Über-Leben des eigenen „Volkes“ sichern. Dass die Neu-Rechten und Jungkonservativen mit Kultur (Sprache, Geschichte, Religion etc.) statt Blut und Boden argumentieren, ist ja auch nicht neu, kommt aber aufs Gleiche raus. Zu Hause ist halt doch am schönsten.

    Tatsächlich war Tumult mal ein im besten Sinne subversives, antiautoritäres Blatt und war Böckelmann ein Autor, der „identitäre“ Positionen verachtet hätte. Ist halt auch nicht mehr der jüngste.

    Die Biografien von Mahler, Elsässer, Rabehl, Maschke, Böckelmann und Co zeigen aber auch, dass der Weg von links nach rechts durchaus individuell verschieden verläuft und lediglich das Ziel das Gleiche ist: die selbstbewusste und wehrhafte Nation. Und demnächst kann dann der rechte Nachwuchs wieder sagen: Opa ist in Ordnung.

    PS. In Zeiten, in denen die „Tumulte“ tatsächlich von rechts angetrieben werden, passt der zumindest Titel der Zeitschrift.

  8. Ich finde, das oberlehrerhafte „sic!“ sollte nur verwenden, wer in seinen eigenen Texten keine Tipp- oder Schreibfehler macht. Also, gar keine.
    nmh

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