Ungeliebte Fragesteller

Jetzt machen die Russen auch noch unsere schöne Bundes­pressekonferenz kaputt!

Foto: Jung & Naiv; Montage: Pixzoo/Übermedien

Im Springer-Verlag schrillen die Alarmglocken: Pressefreiheit in Gefahr! Russische Staatspiraten kapern die Bundespressekonferenz (BPK), das stolze Flaggschiff des deutschen Politikjournalismus. So jedenfalls beschreibt es „Welt“-Autor Thomas Vitzthum in dieser Woche.

Und darum geht es: Hauptstadt-Korrespondenten aus aller Herren Länder nutzen die dreimal wöchentlich stattfindenden Regierungspressekonferenzen dazu, der deutschen Regierung (vertreten vom Regierungssprecher und flankiert von den Ministeriumssprecherinnen und -sprechern) auf den Zahn zu fühlen.

Behandelt werden tagesaktuelle Themen und Dauerbrenner (Brexit, Griechenland, Flüchtlingspolitik), oder es werden Grundsatzfragen geklärt. Die Bundesregierung ist hierbei zu Gast beim Verein der Hauptstadtpresse. Eine Regierungspressekonferenz wird nicht von Steffen Seibert, sondern von einem Mitglied des Vorstands der BPK geleitet. Fragen können alle, die Mitglied der Bundespressekonferenz oder des Vereins der Auslandspresse (VAP) sind. Das bedeutet, dass nicht nur ARD- oder ZDF-Journalisten, Deutschlandfunk- oder Nachrichtenagentur-Kollegen fragen, sondern auch Korrespondenten aus Spanien, Israel, Frankreich oder Griechenland.

Auf diese weltweit einmalige Konstellation können wir stolz sein. Anders als bei Pressekonferenzen der Kanzlerin kann sich Steffen Seibert in der „RegPK“ nicht aussuchen, wer potenziell bohrende Fragen stellen darf.

Thomas Vitzthum aus der „Welt“-Redaktion macht sich aktuell Sorgen, dass „Russenversteher“ die Regierungspressekonferenz kapern. Vitzthum meint (ohne sie explizit zu nennen) frageberechtigte Journalisten der vom russischen Staat kontrollierten Portale Sputnik und RTdeutsch und kritisiert, dass diese „eher sorgfältig und mitnichten spontan ausgearbeitete Statements“ vortragen, statt „neutrale, auf Erkenntnisgewinn zielende Fragen“. Wenn es in der Fragestunde ums Thema Syrien geht, weiß Vitzthum: „Sie wollen Russland und auch Assad gut dastehen lassen, den Westen, die Bundesregierung schlecht.“

Er beklagt, dass die Fragen dieser Reporter „die Interpretationen der Ereignisse, wie man sie auch aus Moskau zu hören bekommt“ widerspiegeln. Da hat er zweifellos Recht. Wahr ist aber genauso, dass in den RegPKs auch Journalisten die Interpretationen von Ereignissen vortragen, wie man sie aus Washington, London oder Berlin zu hören bekommt.

Die pluralistische Organisation der Bundespressekonferenz bedeutet, dass sich die Bundesregierung öffentlich zu anderen Narrativen der Weltpolitik äußern muss. Hier treffen die tatsächlich völlig unterschiedlichen Interpretationen der russischen Staatsmedien und der Bundesregierung aufeinander. Jeder Journalist, jeder Bürger kann diesen Aufeinanderprall verfolgen und für sich bewerten. Im Sinne von Aufklärung und Meinungsbildung vielleicht nicht das schlechteste Arrangement.

Da jeder Kollege mit Fragerecht fragen kann, was er oder sie will, muss „Welt“-Kollege Vitzthum damit leben. Es hat einfach egal zu sein, ob ihm die Stoßrichtung der Frage gefällt oder nicht. Er muss sie tolerieren. So wie das umgekehrt auch für seine Fragen gilt.

Dass die Sputnik- und RT-Reporter ziemlich oft zu Wort kommen in den Regierungspressekonferenzen, liegt auch an der mangelnden Präsenz anderer Medien. Neugierige Kollegen aus der „Welt“- oder „Bild“-Redaktionen schaffen es kurioserweise nur sehr, sehr selten in den Saal der Bundespressekonferenz.

Da sie fehlen, bleibt anderen mehr Zeit. Wer beklagt, dass „Russenversteher“ die Bundespressekonferenz kapern, beklagt also erstmal, dass die eigene journalistische Mannschaft nicht an Bord ist. Schöner Bumerang.

Vitzthum hat es in den vergangenen Jahren ganze viermal als Fragesteller in eine Regierungspressekonferenz geschafft. Laut Protokollarchiv der BPK stellte er am 2. Mai 2011 eine Frage, er war am 30. Juli 2012 aktiv sowie zuletzt am 9. und 16. April 2018. Dieses Pensum schaffen die eifrigen „Russenversteher“ in nicht mal zwei Wochen.


Am Montag stellten sowohl Vitzthum als auch die Vertreter von RTdeutsch und Sputnik Fragen

Da der „Welt“-Journalist den Kreml-Medien – zurecht – unterstellt, Russland gut dastehen lassen zu wollen (und die Bundesregierung schlecht), lohnt sich ein Blick auf seine eigenen Fragen. Am 9. April wollte Vitzthum von Seibert zum mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien wissen:

„Sie sagten, Sie wollten nicht zu einer Alltäglichkeit übergehen. Man hat aber mittlerweile den Eindruck, dass es sich doch um Alltäglichkeit handelt. Muss in der Rückschau der Plan von vor einigen Jahren, Syriens Chemiewaffen zu zerstören, nicht, im Grunde genommen, als Appeasement-Politik bezeichnet werden, die, im Grunde genommen, ein Fehler war?“

Nach einer typischen Seibert-Antwort hakte Vitzthum nochmal nach:

„Man hat damals rote Linien gezogen. Man hat diese roten Linien dann nicht überschritten. Man hat keine militärische Intervention durchgeführt. Nun steht man immer wieder vor dem Problem, dass man das, im Grunde genommen, jetzt tun müsste. Wird sich Deutschland daran irgendwann beteiligen oder wird es sich weiterhin heraushalten?“

Nach Vitzthums eigener Logik könnte man seinen Fragen ebenfalls unterstellen, dass er die Bundesregierung wegen ihrer Syrienpolitik und ihrer Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen schlecht dastehen lassen will. Allerdings nicht zum Lobe Russlands – dafür aber der westlichen Kräfte, die, anders als Deutschland, schon lange in Syrien militärisch „engagiert“ sind. Und die, wie Russland, ebenfalls Zivilisten auf dem Gewissen haben. Ist Vitzthum vielleicht ein „Amerikaversteher“? Sozusagen ein Pirat unter anderer Flagge? Nein, das kann beim Springer-Verlag wirklich nicht sein!

Dass auch mich die meisten Wortmeldungen von Sputnik und RTdeutsch nerven, tut nichts zur Sache. Dass sie Fragen stellen, die mich nicht interessieren oder meinem Verständnis der Lage nicht oder oft überhaupt nicht entsprechen: geschenkt. Dass sich viele ihrer Fragen wie Kommentare aus der Youtube-Kommentarspalte anhören, sagt eher was über ihr journalistisches Niveau aus als über ihre Gefährlichkeit. Sie entblößen sich sehr oft von ganz allein – und das öffentlich!

Vitzthums Fazit lautet:

Für die Journalisten ist das Auftauchen dieser Kollegen so bedeutsam wie für Politiker der Einzug der AfD in den Bundestag.

Er fragt sich sogar, ob uns Hauptstadtjournalisten eine „AfDisierung“ bevorsteht.

Das ist nebenbei eine groteske Parallelsetzung gesellschaftlicher und politischer Prozesse mit völlig anders gelagerten Abläufen berufsspezifisch institutionalisierter Öffentlichkeit.
Hauptstadtjournalisten sollten den Unterschied eigentlich kennen und nicht aus Skandalisierungsgründen das AfD-Reizwort an den Haaren herbei zerren.

Und das alles wegen ein paar Vertretern russischer Staatsmedien, die mühsam in Frageform gepresste Statements abgeben.

Was mag uns erst blühen, wenn Vitzthum herausfindet, dass es auch Erdogan-treue oder katalanische Reporter in der Bundespressekonferenz gibt, die die Narrative der Bundesregierung mit sehr eigenen Sichtweisen kontern und öffentlich Antworten einfordern?

Es wird Zeit, dass sich der „Welt“-Kollege öfter in der Bundespressekonferenz blicken lässt!

6 Kommentare

  1. Dazu passt ja, dass Axel Springer den dubiosen Alexander Karp gerade in den Aufsichtsrat berufen hat. Der Typ macht sein Geld „mit Datenschutz und Geheimdiensten“.

    Außerdem:
    „Zu Palantirs Kunden gehören Verteidigungsministerien, Nachrichtendienste und Wirtschaftsunternehmen aus der Energie- und Gesundheitsbranche. Ebenfalls ein Mitgründer des Technologieunternehmens ist der bekannte Investor Peter Thiel, der bei der US-Wahl den späteren Präsidenten Donald Trump unterstützte.“
    https://www.welt.de/wirtschaft/article175593873/Axel-Springer-Chef-Doepfner-Unuebersehbar-ein-digitales-Unternehmen.html

    Ahja. Geheimdienste und Trump-Unterstützer. Da muss natürlich der Russe der Feind sein. Mich wundert nur, dass die das so offen kommunizieren.

  2. „Mich wundert nur, dass die das so offen kommunizieren.“

    Ich glaube, dass die Arroganz und Selbstherrlichkeit mittlerweile ein derartiges Ausmaß erreicht hat, dass man sich nicht mal mehr die Mühe macht den Schein zu wahren. Man ist wohl der Ansicht, dass es ohnehin keiner merkt und diejenigen, die es merken und ansprechen, diffamiert man als „…versteher“, „Troll“, etc.; leider sehr wirkungsvoll. Man würde wahrscheinlich in diese Fall von einer absurden Verschwörungstheorie sprechen, da man so selbstverständlich nicht arbeitet – sondern journalistisch neutral und fundiert – und sich über die bloße Vermutung wortreich erboßen.

    Das ist eine ganz üble Entwicklung, die sich bei vielen Leitmedien mittlerweile zeigt. Andere Meinung wird überhaupt nicht mehr als mögliche alternative Sicht auf die Welt angesehen. Abweichende Meinung und deren Verbreitung wird als zu verbietende Gefahr betrachtet (siehe Artikel). Was man in den letzten Wochen zum Thema Russland im Springer-Verlag lesen konnte, war meiner Meinung nach dermaßen unsachlich und einseitig, dass es einen nur noch gruseln kann. Im oben besprochenen Artikel kommuniziert man dann im Grunde genau das; nicht mal sehr verschlüsselt, womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären.

  3. Die Nicht-Anwesenheit kann man interpretieren als?
    a) weiß schon alles
    b) werde schon mit Antworten versorgt
    c) Glaube nicht, was der Pressesprecher in der BPK als Antwort gibt
    d) ich mach mir die WELT wie sie mir gefällt
    e) andere Idee?

  4. Es geht doch nicht darum, ob einem eine Frage gefällt oder nicht. Ansonsten wäre der Name Tilo Jung in dem Welt-Artikel aufgetaucht. Es geht darum, dass das Format BPK von bezahlten Kreml-Lobbyisten mißbraucht wird. Ich frage mich, ob der Autor so etwas auch dann noch verteidigen würde, wenn es sich um Vertreter der Waffenlobby handeln würde, die ständig dementsprechende Statements in Fragen verpacken würden.

    Im Übrigen ist der Autor in dieser Angelegenheit ja nicht ganz unbefangen, da er selbst der Vorreiter darin war, die BPK als Bühne für eigene politische Anliegen zu nutzen, nur halt immerhin im eigenen Auftrag. Da ist es dann wohlfeil, anderen anzukreiden, nicht zur BPK zu kommen. Andere kommen halt nicht bzw. selten, weil der Erkenntnisgewinn dieser Show so gering ist. Und aus Erkenntnisinteresse alleine würde auch ein Tilo Jung sich dort wohl kaum blicken lassen.

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