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Was Soldaten über Hackfleisch wissen sollten

Mit Angst muss man wahrscheinlich umgehen können, wenn man Soldat ist, anders kann ich mir jedenfalls das überragend beängstigende Cover nicht erklären, mit dem „Y – Das Magazin der Bundeswehr“ die Ausgabe für Februar und März aufmacht1)Das ist wahrscheinlich nicht mehr aktuell, aber um Aktualität geht es ja nicht, und das Heft hat mir ein Kumpel aus dem Bundeswehr-Camp im Irak mitgebracht. Es steht ein Preis drauf, auch für Österreich und die Schweiz, insofern wird man es auch frei kaufen können, aber ich habe es am Kiosk noch nie gefunden.: ein Korb mit Operationsbesteck unter der Zeile „Multiresistente Keime – Operation mit Risiko“.

Wenn mein Beruf es mit sich brächte, dass ich relativ regelmäßig Gefahr laufen würde, unter komplizierten Bedingungen eine Verletzung operiert bekommen zu müssen, wäre das so ungefähr das fieseste, was man mir zeigen kann. Aber das zeigt schon zwei Dinge. Erstens mein Privileg, mich damit selten bewusst auseinandersetzen zu müssen2) Das letzte Mal vielleicht, als ich Motorrad fahren gelernt habe, auf einem Schotterweg auf einer griechischen Insel. In Flip-Flops., und zweitens, dass „Y“ eine praktisch einmalige Wirkung auf mich hat. Ich kann es nicht lesen, ohne an die eigentliche Zielgruppe zu denken: Soldaten.

Es gibt zum Beispiel einen Politik-Teil im Heft, was mich unangemessen überrascht, weil ich mir gedacht hätte, die Bundeswehr täte sich schwer damit, öffentlich politische Einordnungen zu treffen. Was ein grandios falscher Gedanke ist: Niemand ist pragmatischer in der politischen Einordnung aktuellen Geschehens als Soldaten, weil sie potenziell diejenigen sind, die darauf mit dem höchsten eigenen Risiko reagieren müssen. Das ist ein bisschen so, wie nur dumme Segler optimistisch sind in Bezug auf das Wetter, die klugen hören den Wetterbericht. Soldaten – und in der Folge auch „Y“ – sind sehr offen im Umgang mit dem Weltgeschehen. Womit sie sich zurückhalten, ist das äußern ideologischer Positionen. Ich muss mich manchmal daran erinnern, dass das nicht dasselbe ist.

Und so findet sich im Heft zum Beispiel eine große Geschichte um den Konflikt zwischen Indien und China im Grenzgebiet von Bhutan und eine über die iranische Revolutionsgarde, und beide Geschichten könnten jedes Magazin schmücken, das ist solide abgeliefert, wie überhaupt das ganze Heft. Es ist voller guter Geschichten in allen Formen. Allerdings sieht man einen lustigen Effekt: Komischerweise macht eine Sammlung guter Geschichten in allen Formen noch kein gutes Heft.

Die Rubriken sind „Politik“, „Truppe“3)Und die Geschichten über die Bundeswehr selbst könnten auch überall stehen. Eine Reportage darüber, wie man Fallschirmjäger wird zum Beispiel., „Wissen“ und „360°“, was eine Art Heftteil mit weichen Themen ist, vom Schauspielerinterview bis zum Umgang mit Stress und dem Kreuzworträtsel. An manchen Stellen ist das Heft, vielleicht nicht ganz absichtlich, zum Schreien komisch, zum Beispiel wenn wenn eine Geschichte über Gebirgsjäger beginnt mit dem Satz „Die Welt der Gebirgsjäger sind die Berge“, oder wenn eine Geschichte über die entspannende Macht des Ausmalens mit Malen-nach-Zahlen-Bildern von Soldaten begleitet wird. Die letzte Seite ist die beste, die ich jemals in einem Magazin gesehen habe, sie erklärt, was Hackfleisch ist. Doch! Ich kann nicht sagen, wie sehr sie gelacht haben beim Schreiben, vor allem, weil das als keimanfällig beschriebene Hack auf der letzten Seite auch noch eine Klammer bildet zum OP-Besteck auf dem Titel, aber ich freue mir einen Ast über die Seite. Und trotzdem ist der bleibendste Effekt ein anderer: Ich stelle mir vor, wie sie auf mich wirken würde, wenn ich Soldat wäre.

Allein deshalb bin ich froh, dass ich das Heft in die Hände bekommen habe: Weil es mir noch einmal klar macht, dass eine Doppelseite über die Gefahren von Burn-Out und Bore-Out, also die Gefahr eines mentalen Zusammenbruchs durch Über- oder Unterforderung, unglaublich präsent ist für jemanden, der in einem Camp hockt und möglicherweise ewig lange sehr wenig zu tun hat, oder aber plötzlich in Lebensgefahr extrem belastende Erlebnisse machen muss. Das gibt solchen Texten eine andere Fallhöhe, und nachdem ich mich letzte Woche gefragt habe, ob jemals das Leben eines Menschen besser geworden ist durch Texte in Magazinen, muss ich hier den da noch fehlenden Gedanken nachschieben: Ich glaube tatsächlich nicht, dass irgendjemand nachhaltig den Tipps aus Magazinen folgt, aber das heißt nicht, dass Tipps in Magazinen falsch sind. Sie sind eine hochgradig assoziationsfördernde Art zu schreiben.

Beispiel: „Manche Menschen stecken sich ihren rechten Zeigefinger bis zum Fingerknöchel in die Nase“ löst etwas aus, aber noch mehr das konkrete: „Jens steckt sich seinen rechten Zeigefinger bis zum Fingerknöchel in die Nase.“ Aber der Knüller ist: „Stecken Sie sich ihren rechten Zeigefinger bis zum Fingerknöchel in die Nase.“ Da kann man gar nicht anders, als etwas fühlen, oder?

Deshalb ist es wichtig, dass bei einer Reisegeschichte ein Hoteltipp drunter ist, bei der der Preis druntersteht, dann fängt man nämlich im Kopf schon an zu rechnen, ob man sich das leisten kann. Das ist eine Assoziation, durch die man direkt im Geschehen ist.

Diese Tipps zu Burn- und Bore-Out beschäftigen ihre Leser und helfen ihnen vielleicht nicht direkt, pflanzen aber zumindest ein Gefühl in ihrem kollektiv Unterbewussten: Das ist ein Thema, über das man reden kann, soll und muss. Es ist da draußen. Das berühmteste Beispiel für so ein Phänomen ist sicher der legendäre „Stern“-Titel „Wir haben abgetrieben“ – aber auf subtilere Art hätte man die Tatsache, dass Abtreibungen weder verschämt zu behandeln, noch selten oder verwerflich sind, auch einfach zeigen können durch eine Zeile: „So geht Abtreibung“, angereichert mit der Liste der besten Abtreibungsärzte4)Ich weiß, es waren (auch juristisch) andere Zeiten, ich versuche hier nur ein Prinzip zu verdeutlichen.. Eine Geschichte über die Gefahren mentaler Probleme führt das Thema in den Kanon des sozial akzeptierten, und das als Tipp vielleicht eleganter denn als Reportage, weil da die Form schon nach Drama und Nichtalltäglichem ruft. Schön gelöst!

Und ein Wort muss ich noch verlieren zu dem genialen Namen: „Y“, wie das Autokennzeichen der Bundeswehr, das gleichzeitig so viele Assoziationen auslöst, zu Beispiel an eine „Generation Y“, von der ich vergessen habe, welche das nochmal sein soll, und bei mir, der ich es im Kopf englisch als „Why“ ausspreche, Erinnerungen ausgerechnet an das Pazifistenplakat mit dem erschossen fallenden Soldaten. Die Älteren werden sich erinnern.

Das alles funktioniert jedenfalls in dem Kontext „Magazin der Bundeswehr“ überragend gut, finde ich. Überall sonst wäre es ein Heft voller ziemlich guter, im schlechtesten Fall noch sehr okayer Geschichten, aber auf keinen Fall aufregend genug, weil zu normal, ohne echte eigene Haltung. Es ist wie der erste Dummy einer neuen Heftentwicklung, an der zu viele Menschen mitreden: Da bringt jeder seine guten Geschichten an, aber insgesamt bieten sie noch nichts Ganzes. So aber, mit einer Zielgruppe, die zumindest potenziell ständig im Ausnahmezustand ist, wirkt diese Normalität so zauberhaft, dass man als artfremder Leser eine echte Zärtlichkeit für die Frauen und Männer spürt, die irgendwo in unserem Auftrag auf einer Pritsche liegen und Soldatenbilder ausmalen, vielleicht bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gelangweilt, und dabei von einem Mettigel träumen.

Y
Bundesministerium der Verteidigung
3,10 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Das ist wahrscheinlich nicht mehr aktuell, aber um Aktualität geht es ja nicht, und das Heft hat mir ein Kumpel aus dem Bundeswehr-Camp im Irak mitgebracht. Es steht ein Preis drauf, auch für Österreich und die Schweiz, insofern wird man es auch frei kaufen können, aber ich habe es am Kiosk noch nie gefunden.
2 Das letzte Mal vielleicht, als ich Motorrad fahren gelernt habe, auf einem Schotterweg auf einer griechischen Insel. In Flip-Flops.
3 Und die Geschichten über die Bundeswehr selbst könnten auch überall stehen. Eine Reportage darüber, wie man Fallschirmjäger wird zum Beispiel.
4 Ich weiß, es waren (auch juristisch) andere Zeiten, ich versuche hier nur ein Prinzip zu verdeutlichen.

27 Kommentare

  1. Y ist das Ende von „Germany“.
    Mit „D“ würde der Gag nicht funktionieren. Und Außerdem ist „D“ schon Düsseldorf.

    (Ja, die haben in militärischem Pragmatismus den Buchstaben genommen, der für keine Stadt in D. gebraucht wird…)

  2. „unter komplizierten Bedingungen eine Verletzung operiert bekommen zu müssen“? Das Feldlazarett in Mazar-e-Sharif hat beispielsweise den Standard eines deuschen Kreiskrankenhauses und wenn ein Soldat in Afghanistan operiert werden muss, wird er dort hin gebracht. Zudem sind die Ärzte dort entsprechend mit spezifischen Verletzungen wie Schusswunden vertraut, im Gegensatz zu deutschen Kreiskrankenhäusern, wo solche Verletzungen eher nicht sooo häufig auftreten. (Auch in anderen Einsatzgebieten wird eine herausragende medizinische Versorgung angeboten.) Wo sind die Bedingungen also komplizierter?
    Ich würde das auch eher umgekehrt interpretieren: Gerade das Wissen um die herausragende medizinische Versorgung bei den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht es ihnen, den Einsatz entsprechend anzugehen. Zudem ist die Verwundetenversorgung auch immer wieder Ausbildungsinhalt und wird geübt, ist also weniger angstbesetzt, als man meinen könnte. Zu zeigen, dass man sich in der Bundeswehr damit beschäftigt und auch Themen wie multiresistente Keime auf dem Schirm hat, stärkt also aus meiner Sicht vielmehr das Vertrauen in den Sanitätsdienst und mindert so Ängste.

  3. So auf magische Art und Weise wie bei vannay scheint bei mir hier das Artikel-Ende nicht aufzutauchen – überseh ich was?

  4. Interessant… es taucht auf nachdem ich den Kommentar abgeschickt habe. Alle anderen Versuche und Methoden vorher waren aber nicht von Erfolg gekrönt. Ich vermute ja Kommentar-fishing :P

  5. Wer sich das Heft einmal selbst ansehen möchte, findet es übrigens komplett auf: http://epublikationen.bundeswehr.de

    Dort gibt es auch die aktuelle und ältere Ausgaben des Y-Magazins sowie die öfter erscheinende „Bundeswehr aktuell“ (deren Aufmachung ungefähr so spröde ist, wie man es von einer anständigen Bundeswehr-Zeitung erwarten würde).

  6. Ich schreibe diesen Kommentar vorab, um den Artikel auch zu Ende lesen zu können. Bei mir hört er derzeit nich mit

    „Die Rubriken sind „Politik“, „Truppe“3, „Wissen“ und „360°“, was eine…“

    auf.

  7. Bei mir ist das akutelle Ende des Artikels auch „Die Rubriken sind „Politik“, „Truppe“3, „Wissen“ und „360°“, was eine…“.
    Seltsam…

  8. Mein Gott, es handelt sich offensichtlich um einen technischen Fehler, das ist früher auch schon passiert. Ich bin sicher, hinter den Kulissen wird bereits fieberhaft an der Behebung des Problems gearbeitet. Nur ein wenig Geduld und der Artikel wird sich uns wieder in all seiner Pracht offenbaren!

  9. Spannend! Jetzt bitte als nächstes das JS-Magazin testen – selbe Zielgruppe, anderer Absender (die evangelische Kirche macht dieses Heft für junge Soldaten). Ein Vergleich würde mich sehr interessieren!!!

  10. In meinem Auftrag liegt niemand auf einer Pritsche rum und malt Bildchen. Oder bombardiert bei der heldenhaften Verteidigung der Auslandszulage ein paar kleine Kinder . Wen also meinen Sie mit „wir“, lieber Herr Pantelouris?
    Taleme!

  11. Wenn ich mich nicht irre, kann man das Magazin zwar sehr schwer offiziell käuflich erwerben (eBay geht natürlich mal wieder – 1 Euro für Zufallsausgaben), aber immerhin eine ominöse App herunterladen, die einen (eventuell begrenzten, ich testete sie nicht) Zugang gewährt. Das „Malen gehen Stress“-Thema scheint jedoch so wichtig zu sein, daß es ohne Magazin und App frei verfügbar ist.

    —0—

    „Was mich unangemessen überrascht“ wird in meinen Lieblingswortschatz aufgenommen.

    —0—

    Insgesamt mag ich diesen Artikel sehr. Aber vor allem in voller Länge. Deswegen möchte ich auch Frank Reichelt unter der 14 entgegnen – was hätten wir denn machen sollen? Wir waren doch nur Gefangene des erzwungenen Kommentiersystems!

  12. Meine erste Assoziation mit dem Titel: „Yps“. In Gedanken spreche ich es „Yps“ aus, nicht „Ih“, „Üh“, oder „Ypsilon“, nein „Yps“. Dabei hielt ich noch nie ein Yps-Heft in meinen Händen.

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