Doch kein Sauseschritt: Was von Tom Buhrows Liebe im WDR übrig ist
Man weiß nicht, wie oft WDR-Intendant Tom Buhrow schon den Satz bereut hat, mit dem er nach seiner Wahl Ende Mai 2013 vor die Presse trat. „Ich bring die Liebe mit“, tönte er damals und spielte auf einen 30 Jahre alten Neue-Deutsche-Welle-Hit an, der ein klares Tempo vorgibt: „Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt.“ Buhrow lächelte dazu sein schönstes „Tagesthemen“-Lächeln und gelobte, dieses auch in seiner Amtszeit nicht ablegen zu wollen.
Wenn der 59-jährige Rheinländer am Freitag antritt, sich vom WDR-Rundfunkrat vorzeitig (sein akueller Vertrag läuft noch bis 2019) für eine zweite Amtszeit von sechs Jahren designieren zu lassen, wird er vorher ein wenig Bilanz ziehen müssen. Wäre er ehrlich, müsste Buhrow eingestehen, dass dieses „Ich bring die Liebe mit“ ein selten dämlicher Spruch war, denn er ist ihm in den vergangenen Jahren meist dann auf die Füße gefallen, wenn es eng wurde.
Eigentlich müsste Tom Buhrow wieder Thomas heißen
Auch mit dem Sauseschritt ist es nichts geworden. Vielmehr fühlt man sich bei der Beobachtung der Geschehnisse im WDR sehr häufig, als wohne man einem Schneckenrennen bei. Nur das Lächeln ist noch da, aber wenn man genau hinschaut, sieht man, dass es nichts mehr hat von der jungenhaften Unbefangenheit jener Tage, da sich der junge WDR-Volontär Tom in die Medienwelt treiben ließ, irgendwann USA-Korrespondent wurde, mit den Rolling Stones sprechen durfte und schließlich bei den „Tagesthemen“ landete. Wäre Buhrow konsequent, müsste er seinem Alter und seinen Erfahrungen Tribut zollen, den kumpeligen Tom ablegen und fortan wieder Thomas heißen.
Dass es so kommen würde, wie es jetzt ist, war bei seiner Amtsübernahme im Juli 2013 noch nicht absehbar. Da hatte das Amt des WDR-Intendanten noch etwas Besonderes, auch wenn Eingeweihte wussten, dass die inoffizielle WDR-Hymne „Sparen, Sparen, Sparen“ der Refrain von Buhrows Amtszeit werden würde. Im Januar 2013 war die Rundfunkgebühr abgeschafft und der Rundfunkbeitrag eingeführt worden. Dass es da Kritik geben würde, zeichnete sich ab. Wie massiv sie werden würde, noch nicht.
Buhrow konnte also mit jener demonstrativ vorgetragenen Unbefangenheit an den Job gehen, für die ihn der Rundfunkrat so liebte. Darauf ließ zumindest das Ergebnis der Wahl schließen, bei der die zwei Mitbewerber rasch zu Statisten degradiert wurden. Zum Schluss bekam Buhrow 41 von 47 Stimmen, was einer Quote von 86 Prozent entspricht.
Ein Intendant, der für alle da sein wollte
Er wolle ein sichtbarer Intendant sein, sagte Buhrow und spielte damit unterschwellig auf seine aus gesundheitlichen Gründen abgetretene Vorgängerin Monika Piel an. Die war in ihren letzten Jahren im Haus eher als Phantom wahrgenommen worden. Auf einmal war alles anders. Verblüffte WDR-Mitarbeiter berichteten, dass zum ersten Mal in ihrer langjährigen Karriere ein Intendant den Weg in ihr Büro gefunden habe. Buhrow zeigte sich als einer, der für alle da war und trug sein Lächeln auch in die unteren Etagen.
Das Lächeln verging ihm, als man ihm die Finanzen offenlegte. Nach 100 Tagen präsentierte er eine verheerende Bilanz. Wenn alles so weitergehe und eine Beitragserhöhung ausbleibe, werde der WDR am Ende der Dekade mit einem Defizit von 1,3 Milliarden Euro dastehen, sagte Buhrow und kündigte an, bis Ende 2014 mindestens 50 der über 4000 Stellen streichen zu müssen.
Das mit dem Streichen setzt sich fort. Inzwischen stehen 500 Stellen auf dem Abbauplan. Alles wurde durchforstet, überall wurde gestrichen und zusammengelegt. Die große Newsroom-Euphorie-Lüge, nach der Menschen automatisch besser arbeiten, wenn man sie nur aus ihren Einzelbüros löst und in etatoptimierte Schreibtischgaleeren presst, ereilte auch den WDR.
Eine große Strukturreform traute sich Buhrow indes nicht zu. Was das mit der Stimmung in der Anstalt machte, kann man sich ausrechnen. Da richtet man auch mit einem gewinnenden Lächeln nicht viel aus. Trotzdem blieb es fast ruhig im WDR.
Wer unbedingt etwas Positives über Buhrows bisherige Amtszeit sagen will, sollte erwähnen, dass er die bisherigen Sparrunden vergleichsweise reibungslos über die Bühne gebracht hat. Natürlich hat es vielerorts geknarzt, wenn ein Etat wieder mal gekürzt werden musste. Dass es zu keiner wirklichen Revolution im Sender kam, kann man dem Geschick des Intendanten zurechnen.
Innerhalb der ARD hat er gleichfalls etwas erreicht. So muss der WDR, der früher wuchtige 44 Prozent in den Finanzausgleich der Sender einzahlte, inzwischen nur noch knapp 33 Prozent abführen. Auch bei Phoenix hat er mit dem aus „Tagesthemen“-Zeiten vertrauten Kumpel Helge Fuhst seinen Kandidaten auf dem Posten des Co-Geschäftsführers durchgesetzt – was nicht allen gefiel, weil Fuhst wegen seines CDU-Vorlebens als konservativ gilt, der konservative Part bei Phoenix aber traditionell vom ZDF besetzt wird.
Ein freundliches Geschenk an die Zeitungsverleger
Hier fällt auf, dass Buhrow zu konservativen Kräften oft einen besseren Draht hat als zu sozialdemokratischen. So war es die SPD-geführte Landesregierung, die Restriktionen in der Radiowerbung einführte und Qualifikationen von Verwaltungsräten einforderte. Diese Pläne legte die neue CDU-Führung umgehend auf Eis. Nicht auf ewig, aber immerhin.
Buhrow müht sich auch um die Verleger. Schließlich regiert er seinen Sender in einem Bundesland, das mit der Funke-Mediengruppe (WAZ, „Die Aktuelle“), der „Rheinischen Post“ und der Kölner DuMont-Mediengruppe („Express“) sehr starke Medienmarken beherbergt. Schon bei seiner 100-Tage-Pressekonferenz hatte er angekündigt, im Onlineangebot des WDR das Regionale, bei dem die Verleger traditionell Konkurrenz wittern, weiter nach unten zu rücken und vor allem Film- und Audio-Produkte seines Senders in den Vordergrund zu stellen.
Das hat damals kaum jemand zur Kenntnis genommen, aber Buhrow machte so weiter, als er im vergangenen Jahr fast alle Angebote auf der WDR-Startseite mit einem Play-Button oder einem Lautsprechersymbol versehen ließ. Weg mit Text. Eine klare Botschaft, die den Verlegern freundlich signalisieren sollte, dass man sich im WDR nicht länger dem Vorwurf aussetzen wolle, man verbreite presseähnliche Produkte.
Buhrow nahm dabei in Kauf, seine Intendantenkollegen in der ARD zu verärgern, mit denen der Vorstoß nur unzureichend abgesprochen war. Er sucht Frieden mit der Konkurrenz vor Ort, auch weil die keine Gelegenheit auslässt, ihm sein aktuelles Jahresgehalt von 399.000 Euro vorzuhalten, das er noch selten ohne einen gewissen Anflug von Arroganz zu rechtfertigen wusste.
Seine beiden größten Fehler: die Wahl der Direktoren
Um des lieben Friedens willen, hat der WDR auch auf das Recht verzichtet, den zweiten Moderator bei den „Tagesthemen“ zu stellen. Weil Buhrow unmittelbar nach seinem Amtsantritt unbedingt den WDR-Mann Thomas Roth statt des eigentlich offensichtlich fälligen NDR-Manns Ingo Zamperoni installieren wollte, ließ er sich wohl auf einen Deal ein. Roth durfte bis zur Rente moderieren, und danach wurde Zamperoni aus seinem US-Korrespondentenexil zurückgeholt. Nun wird im WDR kritisiert, dass der einst starke WDR dadurch innerhalb der ARD weiter an Einfluss verloren habe.
Dabei ist Buhrows eilfertige Kompromissbereitschaft gar nicht mal die größte Schwäche. Die offenbart sich, wenn man an den Beginn seiner Amtszeit zurückgeht, in jene Zeit, da er die beiden größten Fehler machte und dem Rundfunkrat zwei Direktoren zum Abnicken vorlegte, die seitdem weit unter den Möglichkeiten geblieben sind, die das Amt jeweils bietet.
Die eine Direktorin heißt Valerie Weber und entspringt dem aus dem Rundfunkrat an Buhrow herangetragenen Wunsch, es müsse unbedingt eine Frau Hörfunkdirektorin werden. Weil sich innerhalb der ARD angeblich keine fähige Frau fand, die den Job übernehmen wollte, musste extern geforscht werden.
Die Wahl fiel auf Weber, die sich als Geschäftsführerin bei Antenne Bayern bewährt hatte – mit Gewinnspielen, Gewinnspielen und noch mehr Gewinnspielen hatte sie den Privatsender bedingungslos auf Erfolg getrimmt. Im WDR hat sie dann brav versprochen, natürlich fortan den öffentlich-rechtlichen Geist zu atmen. Was man halt so sagt, wenn man gewählt werden will. Bewirkt hat sie bisher allerdings nichts, an das man sich erinnern möchte. Ein bisschen hat sie am Programm herumgemodelt, wobei man aber nicht recht weiß, welche Strategie außer dem Willen zu sparen dahinter steckt.
Vor allem hat sie die Nachrichten auf Privatsenderformat getrimmt. Nach Möglichkeit soll dort am Anfang nun immer ein O-Ton stehen, was dazu führt, dass sich die Nachrichten bei Antenne Bayern inzwischen oft öffentlich-rechtlicher anhören als die vom WDR, wo andauernd gesagt wird, dass man nun bei WDR aktuell ist. So oft wird die Senderkennung genannt, dass dem Rundfunkrat am Freitag auch die Programmbeschwerde eines Hörers vorliegt, der beklagt, wie oft ihm bei WDR 2 gesagt werde, dass er bei WDR 2 zu Gast sei.
Der andere Direktor, dessen Wahl ein großer Fehler Buhrows war, heißt Jörg Schönenborn. Er galt als große Hoffnung, als ein Stratege, der genau weiß, was er kann und was nicht. Der ehemalige WDR-Chefredakteur und Wahl-Zahlenvorsteller würde sich als Fernsehdirektor schon mit Menschen umgeben, die ihr Geschäft verstehen, hoffte man. Nichts davon traf zu.
Eine im Sommer 2015 annoncierte Sendungsoffensive zur Anlockung der sogenannten Eroberungsgruppe zwischen 35 und 55 Jahren entpuppte sich als laues Lüftchen ohne großartige Folgen. Damals präsentierte Schönenborn fürs WDR-Fernsehen 20 neue Sendungsideen, deren Reste inzwischen höchstens noch als Spurenelemente auszumachen sind zwischen all den Lecker-lecker-lecker-Kochshows, den Yvonne-Willicks-Verbraucherverdummungen und den Wie-wunderschön-ist-NRW-Greenscreen-Formaten.
Nun darf ein jeder scheitern, aber leider paart sich das Scheitern bei Schönenborn mit einem sehr starken Selbstbewusstsein. Er ist derart von sich überzeugt, dass für Einsichten kein Raum mehr bleibt. Man wundert sich daher kaum, dass die Mutlosigkeit im Sender stark zugenommen hat. Niemand mag sich mehr wirklich engagieren, es triumphieren jene, die wissen, wie man in der Mitte des Mainstreams surft.
Besonders deutlich zeigte sich, dass im WDR etwas schief liegt, als der Sender rund um die Fernsehdokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ im vergangenen Jahr einen PR-GAU besonderer Güte hinlegte. Erst wollte man die Doku nicht zeigen, weil sie angeblich nicht den öffentlich-rechtlichen Maßstäben genügte. Halböffentlich wurde die zuständige Redakteurin düpiert, und dann zeigte man die Doku doch, allerdings mit zusätzlich eingeblendeten Erklärungen und einer Diskussion im Anschluss. Kluges Vorgehen sieht anders aus.
Buhrow als Bundespräsident im Kleinstaat WDR
All das hat Buhrow ermöglicht. Bekanntlich stinkt der Fisch vom Kopf her. Die unten tun halt nur, was die oben zulassen. Allerdings profitieren die Minderleister im Haus von einem Intendanten, der sich viel zu tief in den Sparstrukturen verheddert hat, der sich zu wenig ums Programm kümmert, der sich mittlerweile mehr als Bundespräsident denn als Bundeskanzler im Kleinstaat WDR versteht. Eine Vision, wie das alles weitergehen soll, ist kaum erkennbar. Und dieser Tom Buhrow ist am Freitag der einzige Kandidat für den Posten.
Im Gespräch ist Buhrow dafür immer noch der netteste Mensch der Welt. Er ist jovial, volksnah, kumpelig. Mit ihm kann man prima über die Rolling Stones reden. Ist halt ein alter Rocker, der Tom, wie ihn im Sender all jene nennen, die ihn noch von früher kennen. Ja, ja, der Tom. Aber dann verschwindet er wieder in seiner Limousine, fährt davon und zu anderen Menschen, denen er auch jovial, volksnah und kumpelig erscheint. Dort tut er dann so, als bringe er immer noch die Liebe mit. Wenn man sich da mal nicht täuscht.
Das hat doch wieder ein Geschmäckle, wenn der jetzt vorzeitig (vorschnell ?) für weitere sechs Jahre verpflichtet wird. Und niemand da, der sich der Wahl stellen will ? Darf ich mich auch zur Wahl stellen (ach nee, ist ja schon gelaufen) oder werde ich mit fadenscheinigen Gründen abgewiesen wie Beckendahl in Rheinland-Pfalz ?
@1: Ja, wie bei Putin oder Erdogan oder Xi oder …
Achne, bei denen ist es dann Russland- / Türkei-Bashing, sorry.
Betr. Ihrer Frage:
„Wie der WDR-Rundfunkrat am 21. Februar mitteilte, seien nach der Januar-Sitzung des Gremiums „Vorschläge für weitere Kandidat/innen oder zur Ausschreibung der Position […] nicht eingebracht“ worden.“
Da waren Sie wohl leider zu spät, Herr Hotte.
Aber das ist häufig so, wenn einen das Thema erst interessiert, wenn die Bildzeitung es zum Aufreger macht.