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Der Bio-„Spiegel“: Recycling in seiner schönsten Form

In dieser Woche beißt mich zum ersten Mal, dass ich versprochen hatte, als Angestellter des Verlagshauses Gruner & Jahr1)Das Heft „JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“, an dessen Entstehung ich mitwirken darf, erscheint übrigens am Donnerstag zum ersten Mal. keine Titel dieses Verlags mehr hier bespreche, denn gerade ist aus der Markenfamilie „Gala“ das neue Heft „Gala Beautify“ erschienen, in dem es um Selbstoptimierung durch medizinisch nicht notwendige Eingriffe geht, also zum Beispiel Intimchirurgie und „Anal Bleaching“. Die Titelzeile ist „Botox, Brust & Cellulite – Das große ABC der Schönheits-Maßnahmen von Kopf bis Fuß“. Dazu wäre mir was eingefallen, zuallererst schonmal, dass „Botox, Brust & Cellulite“ kein ABC sind, sondern ein BBC. Und direkt danach das: What?

Aber ich rede, wie gesagt, nicht drüber.

Stattdessen möchte ich in dieser Woche über ein Heft reden, das ich aus dem einfachen Grund gekauft habe, dass es mich interessiert hat: „Der Spiegel Biografie – Die Kennedys“. Denn ich liebe die Kennedys, was sicher nicht zuletzt daran liegt, dass sie ungeheuer gut aussahen, obwohl sie aus heutiger Sicht nicht umfassend optimiert waren. So weit ich das überblicken kann, wurde bei JFK im Gesicht überhaupt erst bei seiner Autopsie herumgeschnibbelt.

Aber fairerweise muss man sagen, dass er auch jung starb, insofern hatte er den Service nicht nötig, den „Gala Beautify“ liefert. In der Gruner-Selbstbeschreibung wird das so beschrieben: „GALABEAUTIFY wird das erste deutschsprachige Komendium [sic!] zum Thema Better-Aging mit einem großzügigen Umfang.“2)Ich weigere mich, es „GALABEAUTIFY“ zu schreiben, weil das nicht hübsch aussieht. Oh, diese Ironie! Und man kann über die Kennedys viel sagen, aber keiner von ihnen hatte einen wirklich großzügigen Umfang. Und gealtert sind die meisten nie, weil sie zu schnell tot waren.

Bei „Der Spiegel Biografie“ allerdings altert man mit großzügigem Umgang mit Geschichten. Die Line-Extensions „Biografie“ und „Geschichte“ bestehen zum großen Teil aus der Wiederverwertung von alten Geschichten, die quasi zeitgenössisch im „Spiegel“ standen. In der Kennedy-Ausgabe von „Spiegel Biografie“ ist zum Beispiel die Geschichte „Der kämpferische Clan“ aus einem „Spiegel“ von 1960, was ein ganz faszinierendes Prinzip ist. Allerdings treibt man es bei „Spiegel Biografie“ noch weiter, da folgen dann erstmal zwei Geschichten aus „Der Spiegel Geschichte“ von 2015 und 2016, was für meinen Geschmack dann doch ein bisschen viel der Wiederverwertung ist, die erst wieder lustig wird, wenn ich mir meine persönliche Ausgabe nach Präferenz selbst ausdrucken könnte, sagen wir „Spiegel Biografie Erich Ribbeck“ oder „Spiegel Geschichte Bremerhaven 1977 – 84“, und dann spuckt mir das System zusammengewürfelt alles aus, was dazu passt.

„Spiegel Biografie“ erscheint wie der halbe Weg dahin. Und irgendwie wirkt eine recycelte Geschichte von 1960 zwar fast wie eine Originalquelle, eine Geschichte von 2016 aber nur ein bisschen oll. Was man ihr natürlich nicht ansähe, wenn sie Botox benutzte (falls in dem Zusammenhang jemand einen guten Arzt sucht, es gibt da offenbar jetzt ein Heft für. Ich rede nicht drüber, aus Gründen, aber wenn es ein Heft darüber gibt, dann muss es ja normal und akzeptiert sein, und wahrscheinlich sogar Trend und eigentlich fast unumgänglich). Übrigens sieht Jackie Kennedy immer und auf allen Fotos großartig aus. Die hat der Liebe Gott optimiert.

Das Heft ist ehrlicherweise eine fantastische Mischung. Die fast komplett an das klassische „Spiegel“-Layout angelehnte Gestaltung ist, zumindest für Menschen meines Alters3)Ich bin genau so alt, wie es Kennedy war, als er Präsident wurde, was mir einigermaßen zu denken gibt, und ich komme nicht gut dabei weg., so derart aufgeladen mit dem Versprechen von einem Blick in die Abgründe der Politik, dass mir schon wohlige Schauer über den Rücken laufen, bevor ich ein einziges Wort gelesen habe. Außerdem gibt es wahrscheinlich kein schlechtes Foto, auf dem ein Kennedy zu sehen ist.4)Die einzige Ausnahme ist Patrick Joseph Kennedy, aber das führt hier zu weit.

Und die Texte sind teilweise großartig. Die zeitgenössischen „Spiegel“-Geschichten über die Attentate auf JFK und RFK zu lesen, löst sofort Gänsehaut aus,5)Und ich finde es immer noch spannend bis bizarr, dass der „Spiegel“ auch heute, viele Jahre nachdem sie dort begonnen haben, ihre Artikel mit Autorennamen zu kennzeichnen, nicht preisgibt, wer sie damals geschrieben hat. und auch die neueren sind praktisch allesamt Perlen, die es verdienen, mehrfach gelesen zu werden.

Ich kann nicht genau sagen, warum es mich trotzdem stört, dass da vornehmlich so ein Sammelsurium aus alten Geschichten zusammengestellt wird, vielleicht, weil es fast zu einfach wirkt. Ich hätte mir ein bisschen mehr Liebe gewünscht, zum Beispiel den Versuch, die alten Dokumente als (mehr oder weniger echtes) Faksimile der alten „Spiegel“-Ausgaben zu gestalten, so dass „Spiegel Biographie“ wie eine Mappe voller historischer Dokumente rüberkommt, und vielleicht eine große, tragende Bildstrecke. Einfach mehr Dinge, die das Heft zu einem einzigartigen Heft machen anstatt zum Katalog einer egal wie gut kuratierten Sammlung. Oder eben irgendeine neue Erkenntnis, die echten Nachrichtenwert hätte. Das Wort ist eigentlich ganz gut in dem Zusammenhang: echt. Ich mag das.

Andererseits leben wir in einer Zeit, in der man sich offenbar die Schamlippen kürzen lassen soll, da ist echt vielleicht nicht mehr so dolle gefragt. Und wahrscheinlich lasse ich mich auch gleichzeitig täuschen und von Nostalgie wegspülen, aber ich mag es sehr, dass die Kennedys wahrscheinlich auch nur Arschlöcher waren wie alle anderen, aber sie sahen auch ungebleicht wahnsinnig gut aus.

Der Spiegel Biographie: Die Kennedys

Der Spiegel Biografie
7,90 Euro
Spiegel Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co KG

Fußnoten

Fußnoten
1 Das Heft „JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“, an dessen Entstehung ich mitwirken darf, erscheint übrigens am Donnerstag zum ersten Mal.
2 Ich weigere mich, es „GALABEAUTIFY“ zu schreiben, weil das nicht hübsch aussieht. Oh, diese Ironie!
3 Ich bin genau so alt, wie es Kennedy war, als er Präsident wurde, was mir einigermaßen zu denken gibt, und ich komme nicht gut dabei weg.
4 Die einzige Ausnahme ist Patrick Joseph Kennedy, aber das führt hier zu weit.
5 Und ich finde es immer noch spannend bis bizarr, dass der „Spiegel“ auch heute, viele Jahre nachdem sie dort begonnen haben, ihre Artikel mit Autorennamen zu kennzeichnen, nicht preisgibt, wer sie damals geschrieben hat.

3 Kommentare

  1. Ich könnte mir vorstellen, daß der Spiegel selbst gar nicht mehr weiß, wer diese alten Artikel nun geschrieben hat – bzw. daß man es erst mühsam aus verstaubten Archiven heraussuchen muß (Antwort zu Fußnote 4).

    —0—

    Ich finde die technischen Optimierungsversuche bei den Fußnoten übrigens sehr lustig: Mit Safari kann ich die Fußnoten nun direkt nach dem Schließen nicht mehr erneut öffnen – ich muß erst eine andere Fußnote anklicken, um die alte erneut anzeigen lassen zu können. Dafür wird mir aber auch als Bonus die zuletzt angeschaute Fußnote noch einmal angezeigt, wenn ich in‘s Kommentarfeld klicke. Als weiteres Gimmick lässt diese sich dann nur sehr umständlich wieder schließen.

    Aber lasst es ruhig so; ich wollte es nur erwähnt haben, da ich es wirklich witzig finde.

  2. Inzwischen gehen sicher drei Viertel der Arbeitszeit des Übermedien-Technik-Teams für Bugfixing bei Pantelouris‘ Fußnoten drauf …
    Aber hat sich ausgezahlt, ist also nicht als Kritik zu verstehen!

    Zur Kolumne selbst: Diesmal zwei zum Preis von einem, super!
    Und ich weiß von beiden jetzt genug, um sie nicht kaufen zu wollen.

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