„Merkelnutte“

Der ewige Boehringer: Die wiederholte Geschichte einer Beleidigung

Normalerweise hat der „Spiegel“ hohe Ansprüche an Nachrichten auf seinen Meldungsseiten: Exklusive Geschichten sollten es möglichst sein, aktuelle eigene Recherchen.

Am vergangenen Samstag stand dort eine Meldung, die alt war. Ihr Inhalt war größtenteils seit Monaten bekannt. Trotzdem verbreitete er sich – noch einmal – wie ein Lauffeuer.

Es war die Meldung, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer die Bundeskanzlerin in einem Rundbrief vor zwei Jahren als „Merkelnutte“ bezeichnet haben soll.

Der „Spiegel“ hat sich alle Mühe gegeben, das als Neuigkeit zu verkaufen. Die Meldung beginnt mit dem Satz:

Eine bislang unveröffentlichte E-Mail vom Januar 2016 bringt den AfD-Politiker Peter Boehringer in Erklärungsnot.

Die E-Mail mag „unveröffentlicht“ sein; unbekannt war sie nicht. Der „Spiegel“ selbst hatte vor viereinhalb Monaten über sie berichtet, in einem Artikel über der „Quereinsteiger“ ins neugewählte Parlament. Als „Mann vom Fach“ vom „gemäßigten Wirtschaftsflügel seiner Partei“ stellte der „Spiegel“ Boehringer in seiner Wahl-Sonderausgabe am 26. September 2017 vor, aber auch als „enthemmten AfD-Wutbürger“:

Anfang vergangenen Jahres schickte „pb“ über einen Verteiler eine E-Mail an seine Fangemeinde, in der er vor fünf Millionen neuen „sunnitisch-muslimischen Bereicherern“ im Jahr 2016 warnte: „Die Merkelnutte jedoch lässt jeden rein, sie schafft das.“ Dumm sei nur, dass es „UNSER Volkskörper ist, der hier gewaltsam penetriert wird“.

Wen der Ton störe, ließ er seine Anhänger wissen, solle sein Mailing einfach abmelden. Aber bis zum „Sturz Merkels“ sei dies die angemessene Sprache für die Kritiker und die einzig „angemessene DROHsprache“ gegenüber der Kanzlerin. Sein besonderer Groll gilt Grünen, Linken und Einwanderern aus islamischen Ländern. Die Idee eines friedlichen Zusammenlebens von Muslimen und Andersgläubigen hält er für eine „multikulturelle Lebenslüge“.

Am selben Tag berichtete auch die „Süddeutsche Zeitung“. In einem Artikel über die neuen AfD-Bundestagsabgeordneten schrieben Katja Riedel und Sebastian Pittelkow über den Politiker:

Auch die „islamophilen Lügenmedien“ bekommen bei ihm ihr Fett weg. Im Januar 2016 nannte er in einem Rundbrief die Bundeskanzlerin aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik „Merkelnutte“. Im „P.S.“ seiner Mail schrieb Boehringer: „Wer sich über die Sprachwahl in diesem Mailing aufregt: einfach abmelden.“

Aus beiden Medien heißt es, man habe von der Berichterstattung des anderen nichts gewusst und die Mail selbst vorliegen gehabt. Die Veröffentlichung am selben Tag sei Zufall gewesen – Anlass war jeweils der Ausgang der Bundestagswahl.

Größere Wellen schlug die Neuigkeit damals nicht.

Als sich Mitte Januar abzeichnete, dass Boehringer, wie schon im September spekuliert, tatsächlich Vorsitzender des mächtigen Haushaltsausschusses im Bundestag werden sollte, berichteten Riedel und Pittelkow erneut, diesmal im Namen von NDR und WDR. Sie zitierten auf tagesschau.de wieder aus der Rundmail Boehringers sowie aus einer weiteren, in der einen CDU-Parteitag als „Klatschviehveranstaltung um eine neue Sportpalastrede der Führerin Merkel“ bezeichnet haben soll.

Nach Angaben des Rechercheverbundes von NDR und WDR hat man sich vorher mit Boheringer getroffen und ihn mit Faksimiles der Mails konfrontiert.

Boehringer wollte nicht bestätigen oder dementieren, dass die Formulierungen von ihm sind. An „Teile der Inhalte“ könne er sich erinnern. Er beschwerte sich aber darüber, dass die Mails öffentlich gemacht wurden, obwohl sie privater Natur seien.

Diesmal war die Wirkung der Meldung größer. Die Nachrichtenagentur AFP stellte den Inhalt in den Mittelpunkt eines Portraits Boehringers, Überschrift:

Ein Mann mit rechtem Jargon soll den Bundestags-Haushaltsausschuss führen – AfD-Politiker Boehringer verunglimpfte Merkel und hängt Verschwörungstheorien an

Die „Süddeutsche“ schrieb:

In Emails formuliert er noch drastischer, einmal nannte er die Kanzlerin „Merkelnutte“. Die Flüchtlingskrise 2015 bezeichnete er im rechtsextremen Jargon „Umvolkung“, angeordnet von einer „kreditgeldfinanzierten Bestechungsfaust“ und ausgeführt von einer gelenkten „BRD-Führungsclique“, die schlimmer als die DDR sei. Boehringer hoffte auf einen „plötzlichen Zusammenbruch des höchst kriminellen und für unsere Nation suizidalen Systems“.

Die Bezeichnung „Merkelnutte“ tauchte nun immer wieder in der Berichterstattung über die bevorstehende Wahl der Ausschussvorsitzenden auf.

Boehringer behauptete daraufhin, es handele sich um eine „Kampagne gegen AfD und Demokratie“. In einem längeren Text auf seiner Internetseite wehrte er sich gegen die Vorwürfe, ohne ihnen wirklich zu widersprechen. Er berief sich darauf, dass ihm die Belege nicht vorlägen, und verglich sie mit „Kraftausdrücke[n] in privater Konversation am Tresen“:

Falls in einer dieser privaten Mails aber doch einmal Schimpfworte gegen einzelne Politikerkollegen gefallen sein sollten, entschuldige ich mich prophylaktisch. Es wäre allerdings sehr sonderbar, denn die o.g. Verteilermails sind seit 2013 von mir 1:1 auf Facebook gestellt worden. Insbesondere das mir in Zeitungsberichten unterstellte Wort aus dem Rotlichtviertel in Verbindung mit unserer Kanzlerin ist dort aber nicht auffindbar. Ich habe es nie veröffentlicht! (…) Ich fordere die alle gegenseitig eine Schimäre abschreibenden Medien aus all diesen Gründen auf, die mir unterstellten Vorwürfe / Zitate nicht mehr zu verbreiten – auch nicht im Konjunktiv „Boehringer soll gesagt/veröffentlicht haben“!

Er dementierte, ohne zu dementieren, forderte aber ein Ende der Berichterstattung.

Kein Wunder: Ohne Erfolg. Als er etwa in einem Gespräch auf Phoenix vom Moderator auf das Wort von der „Merkelnutte“ angesprochen wurde, reagierte er sichtlich entnervt.

Ich habe das nicht gesagt. (…) Es ist insbesondere auch nicht veröffentlicht worden. (…) Es sind Dinge, die habe ich nie veröffentlicht, auch dieses Zitate, das Sie gerade bringen, habe ich nicht veröffentlicht. Ich betone, wenn ich es denn irgendwo geschrieben hätte, dann wäre es private Konversation. Sie wollen auch nicht daran gemessen werden, was Sie am Biertresen irgendwo gesagt haben. Aber ich erinnere mich daran nicht.

Boehringer dementierte auch hier nur, das Zitat „veröffentlicht“ zu haben. Dass er es als Mail an den Verteiler verschickte, schloss er nicht aus.

Das war einerseits geschickt, denn so nutzte er die Empörungslautstärke eines Dementis (die von seinen Anhängern entsprechend weiter getragen wurde), ohne die konkreten Vorwürfe dementieren zu müssen. Andererseits schaffte Boehringer die Sache so nicht aus der Welt.

Und so nutzte der „Spiegel“ jetzt die Gelegenheit, die Sache noch einmal aufzuschreiben, wieder mit dem „Merkelnutte“- Zitat, aber auch anderen Formulierungen: Böringer schreibe von einem „Genozid, der in weniger als zehn Jahren erfolgreich beendet sein wird, wenn wir die Kriminelle nicht stoppen“. „Die Alternative zum Nicht-Widerstand gegen diese Dirne der Fremdmächte ist der sichere Bürgerkrieg, den wir ab spätestens 2018 dann verlieren werden!“ Außerdem veröffentlichte der „Spiegel“ Ausrisse aus der Mail.

Ausriss: „Der Spiegel“

Auf unsere Frage, ob der „Spiegel“ nicht den irreführenden Eindruck erweckt, es handele sich um eine neu aufgetauchte Mail, antwortet „Spiegel“-Redakteurin Melanie Amann: „Nein. Wir dokumentieren ausführlich die Inhalte der E-Mail und liefern mit einem teilweisen Faksimile einen neuen Beleg für die Authentizität der E-Mail, die Herr Boehringer im Übrigen auch nicht bestreitet.“

Laut „Spiegel“ teilte Boehringer nun mit, er könne in seinem Archiv nur eine weniger scharfe Fassung finden. Falls er doch die beleidigende Version versandt haben sollte, dann nur an einen „ganz kleinen Privatkreis“. Öffentlich würde er solche Worte nicht benutzen. – Mit anderen Worten: Er reagiert mit exakt demselben Nicht-Dementi-Dementi wie vorher.

Doch fast alle behandelten die ganze Sache als Neuigkeit. Die Agentur AFP tat es mit einem rätselhaften „doch“ in der Überschrift:

AfD-Politiker Boehringer soll Kanzlerin doch als „Merkelnutte“ bezeichnet haben

(…) Über ähnliche Äußerungen Boehringers war bereits berichtet worden, bevor der umstrittene AfD-Politiker von seiner Partei für den Vorsitz des wichtigen Haushaltsausschusses aufgestellt wurde. Der aus Bayern stammende Abgeordnete wies die Vorwürfe mehrfach zurück und beklagt eine Kampagne.

Wie gesagt: So richtig zurückgewiesen hatte Boehringer die Vorwürfe nicht. Sondern genau so halb wie jetzt.

Politiker von CDU, Grünen und Linken äußerten sich nun empört. Das Internationale Auschwitzkomitee forderte, Boehringer aus seinem Amt als Vorsitzender des Bundestags-Haushaltsauschusses zu entfernen. Zahlreiche Medien vermeldeten die Nicht-Neuigkeit. Götz Ali nannte Boehringer in der „Berliner Zeitung“ einen „Gewaltrüpel“ und seine Sprache „neonazistisch“.

Im dritten Anlauf fanden die Vorwürfe gegen Boehringer also endlich größte Verbreitung und lösen größte Empörung aus. Für Boehringer und AfD-Anhänger ist das umso mehr Beleg für eine Kampagne.

Man kann ihnen das, einerseits, nicht verdenken: Es muss frustrierend sein, dass dieselben Vorwürfe immer von neuem wiederholt und auch noch als Neuigkeit behandelt werden. Andererseits ist das auch eine Konsequenz daraus, dass Boehringer auf diese Vorwürfe uneindeutig reagiert und sie nicht aus der Welt schafft.

Dass der „Spiegel“ die E-Mail erneut zum Thema gemacht hat, begründet Melanie Amann damit, dass Boehringer seit der Veröffentlichung im September „nicht nur die Verwendung des Begriffs ‚Merkelnutte‘ dementiert, sondern explizit ‚von allen Medien verlangt‘ hat, ihm Belege dafür zu liefern, dass er sich so geäußert haben soll. Dieser Aufforderung sind wir nun nachgekommen.“

Die erneute Veröffentlichung soll also den Vorwurf der Falschmeldung widerlegen. Von der AfD wird genau sie aber als skrupellose Wiederholung einer Falschmeldung kritisiert. AfD-Sprecher Christian Lüth behauptet, es handele sich um eine „Falschmeldung!“

https://twitter.com/christianlueth/status/962289869186838528

Dabei widerspricht auch er in seinem Tweet nicht der Behauptung, dass Boehringer die Formulierungen in E-Mails an einen („privaten“) Verteilerkreis geschickt hat. Auch Boehringer selbst kombiniert in einer Reaktion starke Worte („Aufgewärmte Ente“) mit schwachem Widerspruch, indem er nur dementiert, die Kanzlerin „öffentlich“ mit Vokabular aus dem Rotlichtmilieu bezeichnet zu haben.

Es ist wie eine Spirale, angetrieben von der scheinheiligen Empörung und dem lückenhaften Dementi Boehringers einerseits und der betriebsblinden Aufregung der Medien andererseits. Die Zahl der Menschen, die so von der erstaunlichen Radikalität des vermeintlich seriösen AfD-Mannes erfahren haben, ist so sicherlich gestiegen. Aber auch seine Anhänger werden sich in ihrem Glauben bestätigt sehen, dass die „Lügenpresse“ hier bloß eine weitere Kampagne gegen einen AfD-Politiker fährt.

30 Kommentare

  1. So ganz verstehe ich die Medienkritik hier nicht. Mit Radikalität das eigene Lager zu bedienen und gegenüber der Öffentlichkeit dann schwammige Denentis zur Vernebelung zu nutzen – das wird doch immer wieder als Strategie der AfD beschrieben. Ist doch gut, wenn seriöse Medien dann hartnäckig und mit konkreten Belegen kritisch dagegen halten. Was stört Sie daran, Herr Niggemeier?

  2. Wenn das wirklich privat war, ist das dann besser? Diese radikalislamistischen Radikalislamisten, vor denen die AfD immer warnt, sind ja auch vor allem privat radikal und islamistisch.

    Nebenbei: Heißt die Redakteurin Amman oder Amann?

  3. Geben wir nicht alle hin und wieder Naziparolen am Biertresen von uns?

    Für die AfD ist ja sowieso jede kritische Berichterstattung nur Kampagne und Denunziation. Darüber hinaus kann ich nicht so recht eine Kampagne erkennen, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass eine alte Meldung grundlos wieder aufgekocht wird. Als die Meldung zuerst erschien, war Boehringer nur ein frisch gewählter einfacher Abgeordneter. Als er dann Vorsitzender des Haushaltsausschusses wurde (neben dem Bundestagsvizepräsidenten der wichtigste parlamentarische Posten, den die AfD besetzen kann), wurde die Sache wegen der gestiegenen Bedeutung Boehringers erneut vermeldet. Dann kam sein Dementi (wirklich ein Musterbeispiel des überspezifischen Dementis), das zumindest suggerieren sollte, hier läge eine Falschmeldung vor. Daraufhin haben die Medien Belege dafür vorgelegt, dass das nicht der Fall ist – so kam die Sache das dritte Mal in die Nachrichten. Nichts daran ist irgendwie unfair.

    Was sagt es eigentlich über eine Partei, wenn jemand, der in Nazisprech zum Bürgerkrieg aufhetzt, zum „gemäßigten Flügel“ gehört?

    Und gibt es rechtsaußen eigentlich überhaupt mal Leute mit A…. in der Hose? Für einen ehrlichen Umgang mit seinen damaligen Äußerungen hätte es für Boehringer genau zwei Wege gegeben: Entweder er steht dazu und verteidigt seine Aussagen. (Dann wäre er natürlich als Ausschussvorsitzender nicht haltbar.) Oder er bedauert sie und entschuldigt sich. Stattdessen laviert er rum, schrammt mit seinen Halbdementis knapp an der Lüge vorbei und macht ansonsten Mimimi.
    Naja, dass deutsche Rechtsextremisten nicht so richtig Eier haben, ist ja bekannt…

  4. Manche »Kampagnen« brauchen eben länger, um die Wirklichkeit zu durchdringen. #metoo beispielsweise 30 Jahre. Hauptsache ist, sie wirken!

    Was die Wirksamkeit von aufrichtigen Entschuldigungen (statt lauwarmer Dementis) angeht: Welke hat vorgemacht, wie man damit innerhalb von nur zwei Tagen eine Debatte stoppt.

    Primitive Arschgeigen* wie Boehringer dürfen gern am Stammtisch den Vorsitz machen. Im öffentlichen Leben haben sie nichts verloren. Im Bundestag schon gleich gar nicht.

    *Von diesem Posting liegt auch eine weniger scharfe Fassung vor.

  5. @Christoph H.: Die Medienkritik ist hier ja eher dezent. Es ging mir darum, mal den ganzen Fall aufzuschreiben, die Mechaniken, die man da sehen kann. Wie das Nicht-Dementi-Dementi Boehringers für beide Seite funktioniert. Wie sich unterschiedliche Realitäten bilden und auswirken.

    Aber, zugegeben, ich habe auch ein Problem mit der Betriebsblindheit oder kalkulierten Aufregungs-Produktion einiger Medien hier. Selbstverständlich kann man die „Merkelnutte“ immer wieder thematisieren und skandalisieren, aber zur Ehrlichkeit und Genauigkeit würde dann schon auch gehören, nicht so zu tun, als gäbe es wirklich Neuigkeiten.

  6. Mir erscheint, als sei die „Neuigkeit“ eben angesprochenes Faksimile, das Boehringer in erneute in erneute Erklärungsnot bringt. Finde ich vollkommen in Ordnung.

  7. Wenn man denn hier ein Problem sehen will, dann sicher in dem, was Herr Niggemeier mE zutreffend beschreibt: das jedesmal so getan wird, als sei das eine neue Meldung.

    Der Anlass für die Meldung ist also nur vorgeschoben, und da drängt sich dann schon auf, dass es in Wirklichkeit um eine Kampagne geht. Die Empörung hat bisher einfach nicht so eingesetzt wie erwartet, also auf zum neuen Versuch.

    Ich halte die Geschichte, sollte sie denn wahr sein (und davon darf man wohl ausgehen), für empörungswürdig, aber es ist schon hart an der Grenze, die sich bisher nicht einstellen wollende mediale Riesenwelle mit unlauterer Aktualitätssuggerierung immer und immer wieder herbeischreiben zu wollen.

    Nicht dass es Boehringer nicht verdient hätte, aber leichter kann man es der AfD mal wieder nicht machen, sich als Opfer der feindlichen Systemmedien darzustellen.

  8. @8:

    Das sollte AfD-Jargon sein.

    Ob ‚linksorientierte Medien‘ zutrifft oder nicht ist eine spannende Frage; hört man doch aus beiden Ecken des Spektrums entsprechende Klagen über die links/rechts-Lastigkeit großer Medien. Einerseits gibt es da diese Umfragen, nach denen sich eine Mehrheit der Journalisten selbst als links begreift, andererseits wird wohl niemand die Welt oder die FAZ als links begreifen wollen.

    Ich denke ein Teil der Antwort liegt darin, dass sich Kritik von links eher an wirtschaftspolitischen Standpunkten reibt („neoliberaler Medienmainstream“) während die Kritik von rechts sich gegen gesellschaftspolitische Vorstellungen wendet („links-grün-versiffte Flüchtlings-Medien“), die dann jeweils als links/rechts empfunden werden. Aber darüber könnte man ganze Bücher schreiben..

  9. @Illen: ganz genau – „leichter kann man es der AfD mal wieder nicht machen“! Ein weiteres Problem sehe ich besonders darin, dass er durch seine Aussagen vermittelt, dass ein Wort wie „Merkelnutte“ im privaten Gebrauch in Ordnung wäre, damit senkt er die Hemmschwelle über Bande und hat letztendlich wieder etwas bewirkt.

  10. Und wenn solche Äußerungen nicht medial skandalisiert werden würden, hätte es die AfD schwerer? Gewiss nicht.

    Und es geht nicht in erster Linie um diese hässliche Verbalinjurie gegen Merkel. Es geht um die zutiefst völkische Vorstellung eines durch Einwanderung vergewaltigten Volkskörpers. Ob privat oder nicht, da offenbart sich die rechtsextreme Einstellung dieses angeblich „gemäßigten“ Politikers. Zumal er ja inhaltlich nichts davon zurückgenommen oder bedauert hat.

    Dass er dann noch, wie zahlreiche seiner Gesinnungskameraden, eine liberale Flüchtlingspolitik als „Umvolkung“ diffamiert und damit den „ethnischen Säuberungen“ der Nazis, also dem kompletten Gegenteil flüchtlingsfreundlicher Politik, gleichsetzt, setzt dem Ganzen die Krone auf. Nazis sind ja an sich schon das Letzte. Aber Nazis, die sich als Naziopfer gerieren, sind einfach das Allerletzte.

  11. »Nazis sind ja an sich schon das Letzte. Aber Nazis, die sich als Naziopfer gerieren, sind einfach das Allerletzte.«

    Deshalb ist es wichtig, dass sie – so oft es irgend geht – am Nasenring durch die Manege gezogen werden. Gerne auch mit unschönen Mitteln. Hauptsache, es schmerzt. Das Opfergewinsel nimmt in ein, zwei Jahren eh keiner mehr ernst. Dann wird sich dieses Instrument aufgrund Überstrapazierung von selbst erledigt haben.

  12. @11 Earendil:

    Es geht nicht darum, solche Aussagen gar nicht zu skandalisieren. Sie gehören absolut an die Öffentlichkeit. Mir – und teilweise obigem Artikel – geht es darum, dass sie nicht mit unlauteren Suggestionen („jetzt neu“) immer wieder herausgekramt werden sollten, wenn man für sein Medium seriösen Journalismus in Anspruch nimmt.

    Ich würde Ihnen inhaltlich zustimmen, dass das „Merkelnutte“ nicht einmal das schlimmste war, aber Sie müssen natürlich sehen, dass das zwar unsere Meinung sein mag, aber in der öffentlichen Rezeption eben das Schimpfwort im Vordergrund steht.

  13. @ Michael Frey Dodillet:

    „Deshalb ist es wichtig, dass sie – so oft es irgend geht – am Nasenring durch die Manege gezogen werden. Gerne auch mit unschönen Mitteln. Hauptsache, es schmerzt. Das Opfergewinsel nimmt in ein, zwei Jahren eh keiner mehr ernst. Dann wird sich dieses Instrument aufgrund Überstrapazierung von selbst erledigt haben.“

    Ist es nicht die Aufgabe der Presse, zu berichten was ist? Und zwar mit einem Höchstmaß an Fairness, Sachlichkeit und Objektivität (soweit es eben menschenmöglich ist, sich diesen Idealen anzunähern)?

    Ist es stattdessen die Aufgabe des Journalismus, sich als Konfliktpartei zu begreifen? Als eine Konfliktpartei, die andere Konfliktparteienparteien mit „unschönen“ – sprich: unfairen – Mitteln zu „bekämpfen“ trachtet? Stünde dies nicht im eklatanten Gegensatz zu all den Werten, zu denen Journalisten sich mit Stolz bekennen? Und würde eine solche Haltung und Herangehensweise nicht die Kritik der AfD an den Medien zu einem erheblichen Teil legitimieren, indem sie sie wahr werden ließe?

    Und ganz abgesehen davon: Würde die AfD nicht davon profitieren? Uwe Krüger argumentiert in seinem Buch „Mainstream“ m.E. überzeugend, dass der Versuch von Medien, Journalismus im Sinne einer „Volkspädagogik“ zu betreiben, sehr leicht nach hinten losgehen kann.

    Natürlich ist es Aufgabe der Presse, Kritikwürdiges von Relevanz zu berichten – auch bei der AfD. Und da gibt es ja dann auch einiges zu berichten.
    Und selbstverständlich dürfen Journalisten eine kritische Meinung zur AfD haben und vor dieser Partei warnen, wobei Bericht und Kommentar getrennt sein sollten. (Ich selbst habe auch eine sehr kritische Meinung zur AfD.) Aber wenn ich Ihre Worte lese, dann habe ich das Gefühl, dass Ihrer Meinung nach die Aufgabe des Journalismus im Fall der AfD darin bestünde, „Kampagnenjournalismus“ zu betreiben. Oder verstehe ich Sie ganz falsch?

  14. @12: Gute Medien sind die, die auf der richtigen Seite stehen, ja?
    Und die dürfen dann auch schon mal zu „unschönen Mitteln“ greifen, „hauptsache es schmerzt“.
    Hört sich nach einem AfD-Kommunikationsdossier an.

  15. Jede schlechte Presse tut dem Protagonisten weh. Auch hartgesottenen AfD-lern. Es kränkt selbst einen Rechtsradikalen, wenn er merkt, dass er nicht gut gelitten ist. Die sollen den Dreck, den sie absondern, täglich in der Zeitung lesen müssen. Auch nach einem halben Jahr noch.

    Poggenburg gestern über die türkische Gemeinde in Deutschland: »Diese Kameltreiber sollen sich hinscheren, wo sie hingehören, weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern.“

    Ich verlange von einer »guten« Presse, dass sie dranbleibt und draufhält. Derzeit haben wir immer diese zarten Aufregungswellen, wenn die AfD ein Tabu bricht. Danach ist das Tabu Standard und alle warten drauf, dass einer von den Rechten die nächste rote Linie überschreitet. Aber alle anderen Tabubrüche sind ja noch da. Die dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

    Und ganz ehrlich: Wenn die schon ankündigen, dass sie Sender schließen und Journalisten entfernen werden, sobald sie «an der Macht sind«, dann sollten die betroffenen Federn bitte ganz schnell ganz, ganz spitz werden.

  16. Ich weiß nicht … Finde das kontraproduktiv weil es letztendlich die gleiche Strategie ist, die die AfD fährt. Alles ist erlaubt, solange es gegen „den Feind“ geht.
    Ich fände es schön, AfD-Wähler mit Inhalten wieder für echte Politik begeistern zu können.
    Was m. E. immer noch nicht ausreichend beleuchtet wird in diesem ganzen Wust ist das System an sich: Presse profitiert von Provokation. Für „die Presse“ ist die AfD ein finanzieller Segen. Auch ein Grund, warum die AfD die ÖR so hasst – Sachliche Kritik kommt nur von denen.
    In persönlichen DIskussionen sind viele AfD-Symphatisanten durchaus zugänglich für Argumente, die den Weg des Geldes beschreiben – meiner subjektiven Erfahrung nach zumindest.

  17. Von „alles ist erlaubt“ lese ich da nichts.

    Aber wer austeilt, muss auch einstecken können. Und die AfD teilt viel aus.

    Womit nicht gemeint ist, ähnlich unsachlich wie die AfD um sich zu schlagen. Sondern die Unsachlichkeit zu benennen, die Nazisprache („vaterlandslose Gesellen“) und den Rassismus („Kamelhüter“) und eben den menschlichen Unflat, egal ob Arppe oder Boehringer.

    Unter „vorführen“ verstehe ich nicht, dass die AfD etwas anderes sein soll, als sie ist.

  18. @ anderer Max

    „Ich weiß nicht … Finde das kontraproduktiv weil es letztendlich die gleiche Strategie ist, die die AfD fährt. Alles ist erlaubt, solange es gegen „den Feind“ geht.“

    Die AfD ist eine Partei, die für sich das Recht in Anspruch nimmt, so dumm und irrational sein zu wollen, wie es ihr gerade passt und auf der anderen Seite aber dennoch fordern, sie für klug und rational zu halten.

    Wer sich diesem Wunsch auch nur ansatzweise beugt, hat meines Erachtens schon den ersten Schrit zur Akzeptanz getan.

    Was hier (mutmaßlich) einige Kommentatoren fordern, ist, dass man die offensichtliche Dummheit genauso wie die dahinter liegende Heuchelei, Scheinheiligkeit sowie Bösartigkeit zeigt. Da bin ich sofort dabei.
    Inwiefern sind das identische Strategien?

    Beste Grüße

    pit

  19. Ohne @Anderer Max jetzt vorgreifen zu wollen habe ich ihn so verstanden, dass mit „gleicher Strategie“ nur die Begründung gemeint ist, die eigenen Kampagnen seien wegen der Schlechtigkeit der Gegenpartei gerechtfertigt.

    Natürlich besteht inhaltlich ein großer Unterschied zwischen dem, was die AfD so sagt, und dem, wie sich große Medien gegenüber der AfD verhalten, aber das meinte Anderer Max mE auch gar nicht.

    Es geht, um das noch einmal zu betonen, nicht darum, dass Aussagen der AfD gar nicht berichtet werden sollten. Es geht darum, dabei nicht unlautere Mittel zu verwenden, zB eine monatealte Geschichte immer wieder als neu zu bringen, auf dass sie endlich eine Welle erzeugen möge. Es ist ja nicht so, als liefere die AfD nicht von selbst genug tatsächlich neues Material nach.

  20. Man muss nicht besonders bösartig sein, um solche Sprüche zu thematisieren.
    Hier reichte es mMn, darauf hinzuweisen, dass der Spruch, selbst, wenn er nicht für die Öffentlichkeit gedacht war, offenbar für Parteiinterne gedacht war, dass der Merkelbezug nicht der einzige Bezug unter der Gürtellinie in einem ansonsten höflich-sachlichen Schreiben war, und das generell der Eindruck entsteht, eine derartig rohe Sprache sei AfD-intern relativ üblich, jedenfalls gibt’s dergleichen auch bei anderen AfD-Leuten.

    So zu tun, als wäre diese Mail jedesmal frisch aufgetaucht (oder als wäre es jedesmal eine andere, neue Mail), ist eigentlich unnötig.
    Das ist nur Futter für die Möchtegern-Märtyrer mit Opfer-Abo.
    Angenommen, jemand von der FDP haut nächste Woche so einen Spruch raus, würde das ähnliche Wellen schlagen, es gäbe möglicherweise ähnliche Semidementis, und noch möglicherweiser würde das Thema in einem halben Jahr nochmals aufs Butterbrot geschmiert, weil der jeweilige FDPler einen neuen Posten kriegt. FALLS er überhaupt einen neuen Posten kriegt. Trotzdem glaube ich nicht, dass das als „Kampagne“ bezeichnet werden würde, außer, es würde deutlich MEHR Wellen schlagen als der jetzige Fall.

  21. Ich würde ja auch sagen: Eine größere Gruppe an Parteimitgliedern, zu der man in der offiziellen Funktion eines Parteimitgliedes spricht – das ist schon eine Form der Öffentlichkeit. Oder zumindest finde ich es eher seltsam, das als reines Privatgespräch zu betrachten…

    Mir scheint es falsch, jede Kommunikation, die nicht uneingeschränt für alle Menschen offen ist, sofort als privat zu bezeichnen.

    Beispielsweise dürfen in ein Theater auch nur die Leute hinein, die eine Eintrittkarte gezahlt haben. Und dennoch würde ich bei einer Thatervorstellung nicht von einer privaten Veranstaltung sprechen…

  22. Na, gegen ein Bloßstellen und zeigen, was die AfD oder einzelne Mitglieder sagen oder tun habe ich natürlich nichts – Natürlich muss das sein, genau das ist ja auch die Funktion der Presse.
    Natürlich auch nicht nur bei der AfD.
    (Off-Topic: Wobei man (finde ich) durchaus darüber streiten kann, ob ein 100%iger Fokus auf die SPD-Führung seitens der Medien momentan das Geschehen sinnvoll abbildet. Angela Merkel in der schwächsten Position seit jeher, aber wir reden wieder nur von Nahles, Schulz und Gabriel. Schade.)

    Nebenbei und zur Klarstellung:
    Die Presse verdient sehr gut an jedem AfD Artikel.
    Daher ist es Presseinteresse, viel über die AfD zu berichten.
    Und „Nutte“ in ’ner Headline, holla die Waldfee, da sind die Klicks grantiert, auch drei mal.
    Beide Seiten profitieren von der Empörung. Das bitte AfD-Leuten erklären und auf die Widersprüche zum „AfD vs. Medien“ Narrativ hinweisen!
    Das wirkt, glaubt’s mir.

    Mir ging es vor Allem um den moralischen Standpunkt von Herrn MFD in # 12:
    Ich kann nicht die AfD kritisieren, indem ich Mitglieder „am Nasenring durch die Manege ziehe“ (vielleicht so gerade noch), „Gerne auch mit unschönen Mitteln. Hauptsache, es schmerzt.“
    Nein. Dann bin ich nichts besser, als die AfD. Wenn der Zweck die Mittel heiligt, ist alles Weitere nur ein Lippenbekenntnis.

    Die Kritik muss fundiert, nachvollziehbar und bestenfalls reproduzierbar sein. Ob sich die AfD dann darüber aufregt ist doch Laterne, hauptsache man selbst hat eine redaktionelle Arbeit abgeliefert, zu der man auch nach 20 Jahren noch sagen kann „Jau, daran war alles richtig.“.

    Es ist das alte Prinzip: Wenn ich etwas besser machen will, aber dabei die gleichen schlechten Mittel einsetze wie mein Vorgänger, inwiefern unterscheidet sich das Resultat nachher?

    Das ist ja auch eeine der hauptkritiken an Feuerbachs Religionskritik: Er hat den Glauben an Gott durch den Glauben an sich selbst ersetzt (stark verkürzt) – Was ändert sich also praktisch, außer das Etikett?

  23. @ Michael Frey Dodellit:

    „Jede schlechte Presse tut dem Protagonisten weh…Ich verlange von einer »guten« Presse, dass sie dranbleibt und draufhält.“

    Durch zuviel davon wurde die AfD groß: Man hat ihr viel negative Aufmerksamkeit geschenkt.
    Und bei Trump war es ähnlich: Man hat sehr viel und sehr negativ über ihn berichtet. Jede Provokation, jeder Stuss wurde von den Medien breitgetreten und heftig kritisiert. Wozu das geführt hat, wissen wir.

  24. @ 24 LLL

    ·

    Und bei Trump war es ähnlich: Man hat sehr viel und sehr negativ über ihn berichtet. Jede Provokation, jeder Stuss wurde von den Medien breitgetreten und heftig kritisiert. Wozu das geführt hat, wissen wir.

    Nee, wissen wir nicht.

    (Ob es sich hier um Ursache und Wirkung handelt, können Sie gar nicht beurteilen. Vielleicht hätte er bei weniger kritischer Berichterstattung ja auch noch die Popular Vote gewonnen.)

  25. @ Laria:

    Mit absoluter Gewissheit können wir es nicht wissen – m.E. aber doch plausible Überlegungen dazu anstellen.
    Nach meiner Erinnerung lief das etwa so ab: Trump war erst mal ein Außenseiter-Kandidat. Die Medien berichteten dann jedoch begierig über seine extremen Äußerungen und Verhaltensweisen, was ihm immer mehr Aufmerksamkeit gegeben hat. Dass diese große Aufmerksamkeit ihm eher genutzt als geschadet haben dürfte, liegt m.E. auf der Hand.
    Die Medien haben ihn auch heftig kritisiert, was ihm bei manchen Wählern geschadet haben mag, bei anderen aber offenbar dabei half, sich als Anti-Establishment-Kandidat zu präsentieren – eine Eigenschaft, die seinen Anhängern offenbar gefiel.

  26. Mir ging’s erst mal nur um den Unterschied zwischen Wissen und Spekulation. Sie hatten ja gesagt, wir wüssten, dass die kritische Berichterstattung Trump genützt hätte. Es ist aber lediglich Ihre Hypothese.

    (Meine sieht ein wenig anders aus. Ich denke, Trump hat gewonnen, weil er das gesagt hat, was viele Leute hören wollten – und nicht, weil der liberale Teil der US-Amerikanischen Medien ihn dafür kritisiert hätte. Hillbillies lesen auch ohnehin nicht die New York Times oder die Washington Post. Wahrscheinlich gab es zwei gegenläufige Effekte: Gemäßigte Republikaner – soweit es die noch gibt – hat er eher abgestoßen, Leute, die der Tea-Party-Bewegung nahestehen, dafür aber mobilisiert. )

  27. @ Laria:

    Daran, dass die enorme mediale Aufmerksamkeit der Randfigur Trump genützt hat, besteht aus meiner Sicht wenig Zweifel. Das ist ja gerade das Ziel: Irgendwie in die Medien zu kommen. Diese Provokationen von ihm waren ja nicht einfach ein Zufall. Und dass die negative Konnotation dieser Aufmerksamkeit im Fall Trump zumindest kein entscheidendes Hindernis war, haben die Wahlergebnisse gezeigt.

    Die AfD selbst versucht ebenfalls ständig in die Medien zu kommen und nimmt die negativen Einfärbungen dafür gerne inkauf. Bekommt sie einmal keine (negative) Aufmerksamkeit, beklagt sie sich:
    https://uebermedien.de/23004/provokationen-ohne-resonanz-wie-es-um-die-afd-still-wurde/

    Natürlich wäre es theoretisch möglich, dass Trump auch Präsident geworden wäre, wenn er von den Medien weitgehend ignoriert worden wäre. Das würde dann aber ernsthafte Fragen zum Zustand der USA aufwerfen und ist wohl doch nicht allzu wahrscheinlich. Und natürlich könnte es sein, dass die AfD sich verkalkuliert, und dass es ihr ohne die (negative) Aufmerksamkeit noch besser ergangen wäre. Allerdings ist wohl auch das eher weit hergeholt, und auch in der AfD selbst scheint man das nicht zu glauben.

    AfD und Trump haben eines gemeinsam: Sie haben beide irrsinnig viel mediale Aufmerksamkeit für nichts und wieder nichts bekommen, wenn auch unter negativen Vorzeichen. Vielleicht sollte man diese „Strategie“ einmal überdenken, statt sie noch zu verstärken, wie etwa Michael Frey Dodellit das zu fordern scheint.

  28. @ 28 LLL

    @ Laria:
    Daran, dass die enorme mediale Aufmerksamkeit der Randfigur Trump genützt hat, besteht aus meiner Sicht wenig Zweifel. Das ist ja gerade das Ziel: Irgendwie in die Medien zu kommen. Diese Provokationen von ihm waren ja nicht einfach ein Zufall. Und dass die negative Konnotation dieser Aufmerksamkeit im Fall Trump zumindest kein entscheidendes Hindernis war, haben die Wahlergebnisse gezeigt.

    Also wenn ich Ihre „Beweiskette“ einmal kurz zusammenfassen darf, liebe(r) LLL, dann geht die ungefähr so:
    Trump hat sich provozierend geäußert und wurde von den liberalen Medien dafür kritisiert,
    ergo dienten seine provozierenden Sprüche dem Zweck, in die Medien zu kommen,
    ergo hat Trump (u.a.) gesiegt, weil er mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, sprich: weil er für seine Provokationen kritisiert wurde.

    Mir scheint, diese Argumentation hat leider ein paar ziemliche Schwächen:

    1) Dass die kritische Berichterstattung in liberalen Medien Trumps Sieg nicht verhindert hat, trifft zu. Das impliziert nur kein bisschen, dass diese kritische Berichterstattung ihm umgekehrt genutzt hätte. (Sie kann ihm ebenso gut geschadet haben, nur halt nicht genug. Oder sie kann sowohl positive wie auch negative Effekte gehabt haben, die sich aber in der Bilanz ausgeglichen haben. Oder sie kann gar keine Auswirkung gehabt haben, weil sie bei Rechten nicht angekommen ist und Liberale höchstens in ihrer Meinung bestärken konnte.)
    »Trump hat gewonnen, demzufolge hat die Kritik ihm genutzt« ist jedenfalls keine zulässige Schlussfolgerung.

    2) Trumps Provokationen hatten ja nicht nur die eine Konsequenz, dass er von liberalen Medien kritisiert worden wäre. (Schon allein deshalb ist es ziemlich kühn zu behaupten, das Erzielen dieser Medienkritik sei die eigentliche Absicht dahinter gewesen.)
    Nein, Trump hat bei seinen Anhängern und – nicht zu vergessen – den rechten Medien mit seinen radikalen, polarisierenden Aussagen ja ganz unmittelbar und direkt gepunktet. Gerade, weil es simpel formulierte, eindimensionale, zuspitzende Problemdarstellungen, Schuldzuweisungen und Lösungsvorschläge waren, konnten sie trotz ihrer Ungeheuerlichkeit bei entsprechenden Rezipienten große Wirkung entfalten. Wenn er ganze Stadien dazu gebracht hat, frenetisch zu skandieren: „Lock her up, lock her up!“, dann hat er damit ein kollektives Wir-gegen-die-Gefühl erzeugt, einen (realen und symbolischen) Sündenbock präsentiert, ein Ventil für Frustration angeboten, ja sogar einen scheinbaren Aktionsplan geliefert.
    Ihrer Argumentation zufolge soll aber dennoch nicht das Ansprechen niederer Instinkte Trumps unmittelbares Ziel gewesen sein, sondern er wollte für dieses Ansprechen niederer Instinkte nur kritisiert werden, um davon dann auf Umwegen profitieren zu können? Sorry, aber das erscheint mir mehr als nur unplausibel. Ich denke eher: Niedere Instinkte anzusprechen hat ihm direkt genutzt, und zwar mehr, als ihm die darauffolgende Kritik geschadet hat. (Außerdem entsprach es auch Trumps Persönlichkeit, der Mann ist in seiner Schlichtheit ja recht authentisch – und auch das war am Ende ein Vorteil.)

    3)Trump hatte es nicht nötig, die Medien auf sich aufmerksam zu machen. Als Präsidentschaftskandidat, und noch dazu als Außenseiter, als Reality-TV-Star, als Milliardär, als seit Jahrzehnten bekannte Figur aus der Klatschpresse, war ihm diese Aufmerksamkeit sowieso sicher. Seine Kandidatur war eine Sensation, und egal, was er gesagt oder getan hätte, die Augen wären ohnehin auf ihn gerichtet gewesen.

    4) Die Medienlandschaft in den USA sieht ein wenig anders aus als hier. Im Gegensatz zur AfD hier hatte Trump in den USA reichlich mediale Unterstützung. Viele Tageszeitungen sind pro-republikanisch. Der Nachrichtenkanal mit der größten Reichweite ist Fox News, ein eindeutig rechter Sender, der Trump ebenfalls vehement unterstützt hat.
    (Und genau auf diesem Sender wird übrigens gleichzeitig rund um die Uhr aggressiv gegen Liberale polemisiert. Müsste da, wenn an Ihrer Hypothese etwas dran wäre, eigentlich nicht eher Hillary Clinton gewonnen haben…?)

    Die AfD selbst versucht ebenfalls ständig in die Medien zu kommen und nimmt die negativen Einfärbungen dafür gerne inkauf. Bekommt sie einmal keine (negative) Aufmerksamkeit, beklagt sie sich:
    https://uebermedien.de/23004/provokationen-ohne-resonanz-wie-es-um-die-afd-still-wurde/

    Klar wollen die Aufreger produzieren, aber so, wie ich das sehe, vor allem als Türöffner, um danach in möglichst vielen Talkshows sitzen und die gesellschaftliche Debatte mit ihren Themen bestimmen zu können. Das Spiel haben die Öffentlichen ja auch lange genug mitgespielt. Scheint sich ein wenig gelegt zu haben. (Und dennoch ist die AfD nach wie vor im Aufwind…)

    Natürlich wäre es theoretisch möglich, dass Trump auch Präsident geworden wäre, wenn er von den Medien weitgehend ignoriert worden wäre. Das würde dann aber ernsthafte Fragen zum Zustand der USA aufwerfen und ist wohl doch nicht allzu wahrscheinlich.

    Als Präsidentschaftskandidat wäre er, ich schrieb es schon, auf keinen Fall von den Medien ignoriert worden. Und ernsthafte Fragen zum Zustand der USA sind absolut berechtigt.

    Und natürlich könnte es sein, dass die AfD sich verkalkuliert, und dass es ihr ohne die (negative) Aufmerksamkeit noch besser ergangen wäre. Allerdings ist wohl auch das eher weit hergeholt, und auch in der AfD selbst scheint man das nicht zu glauben.

    Na ja. Laut Gauland ist die AfD ja eigentlich aufgrund der Flüchtlingsproblematik noch einmal erstarkt (nachdem sie fast von der Bildfläche verschwunden war). Ich würde ihm da ausnahmsweise zustimmen wollen.

    Und meiner Ansicht nach – auch das ist natürlich Spekulation – wollen die als Tabubrecher und Klartextsprecher Beachtung finden, jedoch nicht als Rechtsradikale. Das ist aber ein schmaler Grat, insbesondere, da ja gleichzeitig die eigene Klientel mit markigen Sprüchen bedient werden muss. Deshalb kommt es dann häufiger zu entlarvenden Fehlleistungen. Dass hinter diesen Entgleisungen immer Kalkül steckt, würde ich persönlich sehr bezweifeln wollen.

  29. @ Laria:

    Meine Beweiskette geht nicht so, wie Sie sie paraphrasieren, sondern enthält die Prämissen, dass ein hohes Maß an Aufmerksamkeit grundsätzlich nützlich ist, und dass selbst „negative“ Aufmerksamkeit von Vorteil sein kann.

    Da ich fürchte, dass die Diskussion sonst endlos geht und ihnen offenbar nicht als plausibel erscheint, was mir als plausibel erscheint, und umgekehrt, würde ich mich gerne darauf beschränken, auf zwei Artikel hinzuweisen.

    In diesem Artikel von „Fortune“ geht es darum, dass Trump vom breiten Medieninteresse laut einer systematischen Studie sehr profitiert hat, so dass er mit wenig Geld für Werbung zurechtkam:

    „The Shorenstein Center report says that its analysis shows Donald Trump got the equivalent of about $55 million in free advertising space from the eight major media outlets it studied—and about $16 million worth of that came from the New York Times alone. That number ‚was more than [Trump] spent on actual ad buys in all media during all of 2015,‘ the study notes, and the candidate’s total advertising value was 1.5 times what Bush, Rubio and Cruz got.

    The result is that ‚Trump is arguably the first bona fide media-created presidential nominee. Although he subsequently tapped a political nerve, journalists fueled his launch.'“
    http://fortune.com/2016/06/14/media-trump/

    Fairerweise muss man hinzufügen, dass Trump anfangs wohl mehr positive als negative Presse bekommen hat. Aber das ist wohl nicht entscheidend. Die AfD etwa hat vermutlich auch von der negativen Aufmerksamkeit profitiert – oder jedenfalls hat die negative Einbettung den positiven Effekt wohl nicht neutralisiert.
    Ich kann keine zwei Links setzen, da mein Kommentar sonst in der SPAM-Warteschleife hängen bleibt; aber der Artikel „Verantwortung der Medien?
    Erklärungsversuche für den Erfolg der AfD“ vom BR ist leicht zu ergoogeln. Dort ist nachzulesen, dass die AfD nach einem internen Strategiepapier ganz gezielt auf erhebliche Provokation als Erfolgsstrategie setzt. Dass solche Provokationen eher mediale Empörung als mediales Lob bringen, dürfte auch der AfD bewusst sein.

    Und diese Strategie ist offenbar durchaus rational. Im Artikel „Sind die Medien Schuld am Erfolg der AfD?“ von der Süddeutschen (ebenfalls leicht zu ergoogeln) heißt es:

    „Sind die Medien, in der Logik dieses Vorwurfs also die großen Sendeanstalten und Verlage, Schuld am Erfolg der AfD?
    Den kausalen Zusammenhang müsse man bejahen, sagt Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, der über Populismus und Medien forscht: ‚Je häufiger eine Partei in den Medien vorkommt, je positiver über sie berichtet wird oder je stärker ihre Themen in Mittelpunktstehen, umso eher kann eine populistische Partei profitieren‘, sagt er. Medienerfolg gleich Wahlerfolg – kein neuer Effekt, vor ein paar Jahren half er der Piratenpartei ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

    Doch über die Partei wurde keineswegs nur positiv berichtet – im Gegenteil: Ihr wurde vor allem auch für allerlei Entgleisungen Sendezeit und Platz eingeräumt. Für Gauland und seine Parteikollegen könnte das von Vorteil gewesen sein, sagt Reinemann. Zum einen, weil eine Partei auch mit negativen Beiträgen im Gespräch bleibe. Zum anderen aber auch, weil Kritik durch den der AfD so verhassten öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Partei in ihrer Opferrolle noch bestärkt habe.“

    Auch Reinemann und andere kritische Stimmen konzedieren, dass der mediale Umgang mit der AfD schwierig ist (wobei ich glaube, dass sie diese Schwierigkeiten gehörig übertreiben). Dennoch bleibt, dass die starke Aufmerksamkeit – selbst wenn sie unter negativen Vorzeichen daherkommt – dieser Partei wohl eher nutzt als schadet.

    Bevor man so weitermacht wie bisher und der AfD – wie in ihrer internen Strategie vorgesehen – noch mehr Aufmerksamkeit schenkt, sollte man seine bisherigen Strategien vielleicht zumindest einmal hinterfragen.

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