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Wenn der „Wiener“ wienert

Nach etwa einem Drittel des Gesprächs mit dem nach 23 Jahren aus dem Amt scheidenden Wiener Bürgermeister, einem Sozialdemokraten, kommt die Frage, die so wahrscheinlich nur in Wien gestellt werden kann1)Ja, ich stelle mir den Wiener Akzent vor, wenn ich sie lese. Ich finde den sexy:

Wann genau hat die Sozialdemokratie sich eigentlich aufgegeben und gesagt: „Ist eh alles wurscht!“?

Die Antwort kommt relativ gelassen, natürlich sieht Bürgermeister Michael Häupl das alles anders, aber er sieht eh alles anders als sein Gegenüber.

Linke Seite Text mit der Überschrift "Wie ist die Stimmung? VÖLLIG NORMAL!", rechts Foto eines grauhaarigen Mannes im Anzug mit roter Krawate

Der Interviewer eröffnet das Gespräch schon vorher mit dem Geständnis, er habe sich seinen schönen Anzug auf dem Herweg „mit blauem Kuli angepatzt“, und ob das ein schlechtes Omen sei. Häupl antwortet: „Das ist Ihr Anzug, und der ist ehrlich gesagt Ihr Problem.“ So antwortet ein Wiener. Im „Wiener“. Was schonmal ganz gut ist. Der Ton stimmt.

Ich versuche aus Respekt vor denen, die sich Zeitschriftennamen ausdenken, am Anfang jeder Kolumne einmal den vollen Heftnamen samt Unterzeile zu schreiben, was hier gleich doppelt zu Problemen führt, denn zunächst mal hat der „Wiener“ zwei davon, über und unter dem Namen, deshalb schreibe ich jetzt diesen komischen Satz:

„Das österreichische Männermagazin – Wiener – Alles für Er“.

Cover mit Schattenrissen u.a. von James Bond mit Waffe, Schlagzeile: "Idole und Ikonen"

„Alles für Er“ finde ich ganz lustig. Aber alles andere stellt mich vor die Herausforderung, hier etwas behaupten zu müssen: Der „Wiener“ ist auf die gute Art ein Stadtmagazin. Damit widerspreche ich gerade den Machern selbst, die ja schreiben, es sei erstens ein Männermagazin und zweitens für ganz Österreich, aber ich kann das wegerklären, glaube ich2)Allerdings ist „Wegerklären“ wahrscheinlich die Tätigkeit, mit der ich in meinem Leben öfter gescheitert bin als mit jeder anderen: Es gibt flankierend noch die „Wienerin“, das Frauenmagazin zur Marke, und wie der „New Yorker“ für die gesamte intellektuelle Schicht der USA (und eigentlich der Welt) gemacht wird, wird der „Wiener“ eben für die ganze österreichische Männerschar gemacht – aber im Kern bleiben sie Stadtmagazine, und das ist auch gut so.

Auf der ganz konzeptionellen Ebene muss ein Magazin erst einmal zwei Fragen beantworten: Was und wie? In der Regel verheddert man sich schon bei der Entwicklung, indem man die Fragen falsch versteht, nämlich als „Was soll drin stehen“ und „Wie soll es drin stehen“, aber die meine ich noch nicht.

Wir sind noch ein Meta weiter oben.3)Hammer Wortspiel (ich habe manchmal offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zu mir selbst: Ich lass das jetzt so stehen, bekunde aber gleichzeitig meine Scham darüber) „Was“ und „Wie“ bezieht sich zunächst einmal darauf, was die Mechanik des Magazins ist, denn in Wahrheit verkaufen Magazine nur auf zwei Arten: Sie faszinieren, oder sie lösen ein Problem (es gibt auch die Kombination von beidem, was doppelt gut ist). Ich zähle mal kurz ein paar Beispiele etwas holzschnittartig auf:

Das stärkste Zeitschriftenformat unseres Landes, der „Spiegel“ etwa, löst ein Problem, nämlich das dunkle Gefühl, die Welt wäre schlecht, indem es seinen Lesern das Gefühl gibt, sie hätten zwar recht mit dieser Annahme, aber nach der Lektüre wenigstens die morbide Befriedigung, diese böse Welt zu durchschauen. Das kann der „Spiegel“, weil er eine vollkommen überlegene, manchmal überhebliche Position der Unfehlbarkeit einnimmt. Er ist ein Lehrer.

Weitere Beispiele:

„Brand eins“ – Problem: Ich bin schlau und interessiere mich für Wirtschaft, warum bin ich eigentlich nicht reich? (Heimlich ist mir Geld übrigens suspekt und ich würde nie einen Porsche fahren.) Lösung: Es geht in der Wirtschaft gar nicht so sehr um Geld, sondern um lauter andere Sachen, deshalb ist klug besser als reich.

„Brigitte“ – Problem: Ich bin zu dick. Lösung: die Brigitte-Diät. Und dann wieder. Und dann wieder.4)Für den Verkauf von Zeitschriften wäre es übrigens fatal, wenn sich die Probleme wirklich durch das Befolgen von Tipps in der Zeitschrift beheben lassen würden.

„Barbara“ – Problem: Ich bin zu dick. Lösung: Ja, schon, aber dafür bist du lustig.

„Playboy“ – Problem: Und das soll mein Leben sein? Das ist doch alles langweiliger Scheiß hier! Ich breche aus und werde wild und gefährlich leben! Lösung: Träum weiter. Und sei ein bisschen lieb zu dir.

Das Prinzip ist damit klar, oder? So funktionieren die meisten General-Interest-Titel. Einige wenige funktionieren wie fast alle Special-Interest-Titel über Faszination – weil das Thema interessiert. „Geo“ zum Beispiel hat mal so funktioniert, einfach mit einem Claim der in meiner Erinnerung ungefähr lautete „Das neue Bild der Erde“. Das geht heute so nicht mehr, dafür sehen wir andauernd zu viele aufregende Bilder der Erde (und von allem anderen). „Kicker“ und „AutoMotorSport“ funktionieren über Fußball und Autos.5)„11 Freunde“ funktioniert lustigerweise übrigens teilweise über das Bedürfnis, sich für Fußball rechtfertigen zu wollen, glaube ich.

Das „Wie“ beantworten wir auf der obersten Ebene erst einmal mit dem Charakter einer Zeitschrift. Deshalb die Beispiele oben: der Lehrer „Spiegel“, die mütterliche Freundin „Brigitte“, die Schöneberger „Barbara“, der „Playboy“ James Bond und der bourgeoise Bohémien „Brand eins“, der enge schwarze Kaschmirrollis trägt und mit einem Füller schreibt, den er bei Manufactum gekauft hat.6) Er fährt übrigens Volvo. Früher Saab. Das Prinzip ist auch klar, oder?

Der Charakter einer Stadtzeitschrift ist der ihrer Stadt. Das Problem, das sie im besten Fall löst, das „Was“, ist eine Antwort zu geben auf eine der Kernfragen der menschlichen Existenz: Was ist mein Platz in der Welt? Mit der Frage ist natürlich nicht immer nur ein geografischer Ort gemeint – und ich lese ja auch den „New Yorker“, obwohl ich nicht dort lebe –, aber wir haben ja nunmal diese unsere geschundenen (und ja, Brigitte, zu dicken) Körper als Hülle, und die sitzen eben irgendwo. In Wien zum Beispiel, das ist nicht das schlechteste. Womit wir zurück zum Thema kommen. Puh.

Wiener sein ist mehr, als in Wien leben. Wer sich als Wiener sieht, hat zumindest einen kleinen Schritt gemacht bei der Beantwortung der Frage, wer er eigentlich ist. Und das Thema aller Zeitschriften ist ja eigentlich Identität.

Der „Wiener“ schafft es zumindest für mich als entfernten Betrachter, an seinen guten Stellen nach Wien zu klingen. Mit diesen „Eh schon wurscht“-Fragen zum Beispiel, oder mit Geschichten wie über den herzallerliebst niedlichkeitsrenitenten Stadtrat Götz Schrage, der Frauen aufreißt, indem er traurig allein an einem Tresen trinkt und sich weigert, Frauen aufzureißen. Das funktioniert offenbar. Aber wahrscheinlich nur in Wien, wo traurige Männer, die an Tresen sitzend betont rotzig Dinge in Notizbücher schreiben, noch Sex-Appeal haben.

Manche der rotzigen Dinge stehen später im „Wiener“, und wahrscheinlich klangen sie am Tresen noch ein bisschen schlauer, als sie es im Magazin tun, da ist bei Weitem nicht alles Gold, aber es gelingt doch immer wieder die kühne Unternehmung, einen Sound zu kreieren. Zumindest für mich, der ich mich an Falco noch gut und heimlich auch ganz gerne erinnere.7)Das ist die Stelle, wo alle Wiener kotzen. Ja, immer wieder Falco, aber ich mach das auch mit Absicht. Ich weiß ja, dass es Bilderbuch gibt, und ja, sie klingen sogar noch fescher.

Sich in einem eingeweihten Ton zu verständigen, schafft Nähe unter denen, die dazugehören, und Begehrlichkeit bei denen, die es gern würden. Das heißt nicht, dass alles, was besprochen wird, auch gleich klug ist.

Rechte Seite ein Foto von David Bowie, links Überschrift: "Idole und Ikonen der Wiener-Redaktion"

Die Titelgeschichte der „Wiener“-Ausgabe8)Die quasi schon alt ist, nämlich die Weihnachtsausgabe. behandelt „Idole und Ikonen“, also hier popkulturelle Phänomene, die überlebensgroß in die Geschichte eingehen, aufgehängt an David Bowie und in einer langen Strecke angereichert mit Bildern und kurzen Texten aller Redaktionsmitglieder, die ihre persönlichen Helden abfeiern.9)Ja, es hat sich einer getraut, Hunter S. Thompson zu nennen. Das ist alles nicht super originell, und ich würde mir wünschen, sie würden weniger artifizielle Themen auswählen.

Ich mag das Prinzip des „smart writing about dumb things“, und anstatt sich an der ohnehin offensichtlichen Bedeutung von David Bowie abzuarbeiten, hätte ich lieber eine lange, schlaue Geschichte gelesen über etwas, das entweder gerade wirklich in Kaffeehäusern diskutiert wird, oder über etwas Wienerisches, von dem ich nie gedacht hätte, dass es spannend sein kann.10) Das erste Beispiel, das mir dazu einfällt, ist die unfassbar großartige Geschichte von David Owen im „New Yorker“ über die Beton bzw. Zement-Industrie in Manhattan. Leider liegt sie hinter der Paywall, aber es lohnst sich sowieso, den „New Yorker“ zu abonnieren, warum nicht das als Anlass nehmen, es ist wirklich unglaublich, wie spannend das ist. Semmeln meinetwegen. Denn das ist es, was das Heft eigen und gut macht: Wenn es sich mit Wien und Wienern beschäftigt.

Alles andere, die Mode und die Autos und Hunter und Bowie und John McEnroe könnte ich verwechseln oder auch anderswo finden, das ist nicht schlimm, aber auch nicht großartig. Aber über die Perlen habe ich mit mehrfach sehr gefreut. Es ist nämlich eh nix wurscht, sondern das geht sich schon aus.

Wiener
Josel & Sauer GmbH
4,20 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Ja, ich stelle mir den Wiener Akzent vor, wenn ich sie lese. Ich finde den sexy
2 Allerdings ist „Wegerklären“ wahrscheinlich die Tätigkeit, mit der ich in meinem Leben öfter gescheitert bin als mit jeder anderen
3 Hammer Wortspiel (ich habe manchmal offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zu mir selbst: Ich lass das jetzt so stehen, bekunde aber gleichzeitig meine Scham darüber)
4 Für den Verkauf von Zeitschriften wäre es übrigens fatal, wenn sich die Probleme wirklich durch das Befolgen von Tipps in der Zeitschrift beheben lassen würden.
5 „11 Freunde“ funktioniert lustigerweise übrigens teilweise über das Bedürfnis, sich für Fußball rechtfertigen zu wollen, glaube ich.
6 Er fährt übrigens Volvo. Früher Saab.
7 Das ist die Stelle, wo alle Wiener kotzen. Ja, immer wieder Falco, aber ich mach das auch mit Absicht. Ich weiß ja, dass es Bilderbuch gibt, und ja, sie klingen sogar noch fescher.
8 Die quasi schon alt ist, nämlich die Weihnachtsausgabe.
9 Ja, es hat sich einer getraut, Hunter S. Thompson zu nennen.
10 Das erste Beispiel, das mir dazu einfällt, ist die unfassbar großartige Geschichte von David Owen im „New Yorker“ über die Beton bzw. Zement-Industrie in Manhattan. Leider liegt sie hinter der Paywall, aber es lohnst sich sowieso, den „New Yorker“ zu abonnieren, warum nicht das als Anlass nehmen, es ist wirklich unglaublich, wie spannend das ist.

4 Kommentare

  1. Ich schon.

    Und es ist mMn _die_ Meta höher. Aber ich wusste nicht, dass dieses Wortspiel aus Hamm ist. „Hammer Wortspiel“. *g

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