Journalismus und Klimakrise

Verblendung, Verschleierung, Verdrängung

Der Journalismus versagt in der Berichterstattung über die drohende Klimakatastrophe, weil er die falsche Perspektive einnimmt, auf Parteipolitik fixiert ist und sich nur für Neuigkeiten interessiert und nicht für problematische Zustände.

In einem kürzlich erschienenen Buch kritisiert der indische Autor Amitav Ghosh, dass sich die Belletristik kaum mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Ghosh meint, zukünftige Generationen müssten den Eindruck bekommen, „dass die meisten künstlerischen Ausdrucksformen unserer heutigen Zeit in den Sog der Verschleierungsmethoden geraten waren, die uns daran hinderten, die Realitäten unserer Misere zu erkennen“. So lebten wir heute in einer „Großen Verblendung“, die denn auch dem Buch den Namen gibt.

Der Klimawandel sei „in seiner Langsamkeit schwer anschaulich zu schildern“, vor allem aber werde er verdrängt, meint Ghosh. Er bezieht das auch auf Journalismus und Regierungspolitik und sieht als wichtige Ursache den globalen Einfluss des spezifischen Individualismus aus der anglo-amerikanischen Welt an: „Der Klimawandel stellt die Idee der Freiheit, das vielleicht wichtigste politische Konzept der Neuzeit, vor gewaltige Herausforderungen.“ Ein anregender Gedanke.

Wie groß wirkt sich dieses kulturelle Problem in Deutschland aus? Wie sehr gilt hier in Medien und Politik „der Klimawandel als das Undenkbare“, wie der Untertitel von Ghoshs Buch lautet? Anders gefragt: „Sind Politik und Öffentlichkeit überhaupt noch in der Lage, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden?“ So formulierte es Bernd Ulrich in der „Zeit“ vom 26. Oktober.

Der stellvertretende Chefredakteur und Leiter des Politik-Ressorts regte sich in einem ganzseitigen Meinungsartikel (€) über den „Widerstreit zwischen Demokratie und Ökologie“ auf. Die Kritik am nun so gut wie bewiesenen massenhaften Insektensterben weitet Ulrich zu einer (allerdings verdrucksten) Kritik an unserer politischen Kultur und zu einer Rehabilitierung ökologisch radikaler Ansichten aus.

Zustände sind meistens keine Nachricht wert

Es gibt ein Grundproblem. Es ist nicht neu, wirkt sich aber mit den zunehmenden ökologischen Verheerungen umso schlimmer aus: Der vorherrschende Journalismus nicht nur in Deutschland will sich grundsätzlichen Problemen nicht dauerhaft widmen. Es geht vorrangig um Neuigkeiten. Die Branche ist empfänglicher für Geschehnisse als für Zustände. Am schlimmsten wirkt sich das natürlich bei den Nachrichtenredaktionen aus. Undenkbar ist eine Meldung wie: „Auch diese Woche hat die Bundesregierung nichts substanzielles gegen die vor zwei Jahren bekannt gewordenen Abgasmanipulationen in weiten Teilen der Autoindustrie unternommen. Über ein Dutzend deutscher Großstädte hat ebenfalls noch nicht die Schritte zur Luftreinhaltung eingeleitet, zu denen sie von Gerichten verurteilt wurden oder wegen denen sie noch vor Gericht stehen.“

Wie absurd die Jagd nach Neuigkeiten ist, kann regelmäßig im wochentäglichen Radioformat „ARD-Infonacht“ gehört werden, das von fast allen ARD-Anstalten ausgestrahlt wird. Die ganze Nacht über müssen die Nachrichten Neues bringen, was zu absurden Inhalten führt. Meine Lieblingsmeldung aus so einer Sendung lautet: In Polen geriet ein Hirsch auf eine Landstraße. Nachdem er zuerst eine Weile zwischen den Autos umherirrte, sprang er bei seiner Flucht gegen einen Zaun. Dabei verletzte er sich so schwer, dass er verblutete.

Diese traurige Kunde wurde also in fast ganz Deutschland vernommen. Wenn in China mal wieder ein Sack Reis umfällt, ist das keine Meldung wert – aber in Polen ein Hirsch im Zaun, das geht.

Verblendung, Verschleierung, Verdrängung – die von Amitav Ghosh verwendeten Begriffe passen auf den Umgang der meisten großen Medien mit ökologischen Problemen wie dem Klimawandel. Selbst in nachrichtenarmen Zeiten wird auf alles Mögliche ausgewichen, anstatt einen eigenen Zugang zu Dauerskandalen zu finden, und sei es mit der profanen Berechnung, wieviele Menschen, statistisch gesehen, im Verbreitungsgebiet des jeweiligen Mediums in der abgelaufenen Woche beispielsweise an giftiger Luft oder antibiotikaresistenten Keimen, bei Autounfällen oder wegen Bewegungsmangel erkrankt oder gestorben sind. Nein, die Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig, um auf Bernd Ulrichs Frage zurückzukommen, ist in vielen Medien nicht relevant. Sie wurde prinzipiell in andere Kategorien übersetzt: Wichtig ist das Neue.

So ein Journalismus nimmt eine anormale Perspektive ein. Normal ist, dass ein Mensch jeden Tag besorgt zu Bett geht, wenn in seiner Umgebung die Abgaswerte skandalös hoch sind, wenn er mit einem Säugling in der Umgebung eines Atomkraftwerks wohnt und von der ungeklärten Erkenntnislage in Sachen Krebsrisiko weiß, oder wenn im örtlichen Krankenhaus das Personal wegen mangelnder Hygiene und Betreuungskapazitäten Alarm geschlagen hat. Die Medien sind offensichtlich nicht jeden Tag besorgt. Der Einwand, dass ein Thema sich auch mal für die Berichterstattung erschöpfe, ist theoretisch richtig – aber in der Praxis wird wahrscheinlich nie an diese Grenze gegangen. Wir leben in einer Massengesellschaft, da gibt es bei allen größeren Themen eine Menge Betroffener und mit der Sache befasster Berufsstände, die zu Wort kommen können.

Politikjournalismus ist Parteienpolitikjournalismus

Ein Teil des Journalismus widmet sich genau solchen Alltagssorgen verstärkt – allerdings auch nicht mit der nötigen Vehemenz, denn das wäre ja total politisch, wo es doch vorrangig darum geht, Nähe zu Betroffenen zu zeigen. Auf der anderen Seite reduziert sich der Politikjournalismus zu oft auf Parteipolitik, wie der Publizist Friedrich Küppersbusch bemängelt.

In der Fixierung auf die institutionelle Politik sieht Küppersbusch einen Grund für die Entfremdung zwischen großen Medien und Bevölkerung: „Wir meinen, wenn wir einem Politiker das Mikrofon hinhalten und gern auch kritisch nachfragen, dass wir dann schon alle politischen Bedürfnisse des Publikums befriedigt hätten“. Sein Diktum dementsprechend: „Wir haben keine politische Sendung gemacht, nur, weil darin ein Politiker auch was gesagt hat.“

Ja, es gibt ein falsches Dauerstarren auf Regierungen und große Parteien. Es gehört für viele Medien zum Selbstverständnis, ständig über sie zu berichten, egal was sie tun. Allerdings, und das fehlt bei Küppersbusch, ist das Entscheidende dabei, dass dieses Dauerstarren ein ideologisches ist. Ein, sagen wir, halbblindes Starren. Denn dabei werden wichtige Dinge übersehen. Dinge, die die Medien, sei es aus Überzeugung, sei es zur Verkaufsförderung, eigentlich skandalisieren müssten.

Ein Dauermedienskandal ist zum Beispiel der Umgang mit dem NSU-Skandal. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags dazu wendet sich in seinem Abschlussbericht in zentralen Punkten gegen die Darstellungen von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft. Kritisiert werden unvollständige Ermittlungen und das Ignorieren auch heute noch des offensichtlichen Unterstützungsnetzwerks. Angeklagt sind ja nur eine Handvoll Leute.

Es wäre also mindestens ein Zerwürfnis innerhalb von CDU/CSU und SPD zu erwarten gewesen, seit einige Abgeordnete die Version von Bundesanwaltschaft und Regierung offiziell bestreiten. Dieses Zerwürfnis blieb aus und wurde auch nicht von den Medien erzwungen. Schlimmer noch: Nicht nur ist Innenminister de Maizière oberster Dienstherr des sogenannten Verfassungsschutzes, der seine Verbindungen zu Nazis vertuscht, sondern Justizminister Maas ist in derselben Position in Bezug auf die Bundesanwaltschaft. Mit einem Machtwort hätte er die Anklage im Münchener NSU-Prozess anders ausrichten lassen können, so dass es auch um das zweifellos vorhandene große Unterstützungsnetzwerk gegangen wäre. Skandalisiert wurde das von den Medien nicht.

Ökologie wird im Journalismus nicht ausreichend mitgedacht

Die Komplizenschaft großer Medien mit Regierungen und großen Parteien ist beim Thema Ökologie besonders deutlich, weil dieser Themenbereich offensichtlich nicht die nötige Priorität im Journalismus genießt. Ob aus Prioritätensetzung oder Inkompetenz, ökologische Zusammenhänge werden viel zu wenig mitgedacht.

Als Horst Seehofer 2016 die Aufnahme von Flüchtlingen als „Herrschaft des Unrechts“ kritisierte, erregte das viel Aufsehen und Kritik. Aber ich fürchte, niemand entgegnete dem bayerischen Ministerpräsidenten, dass sein Umweltministerium schon 2012 rechtskräftig gerichtlich dazu verurteilt worden war, für München konkrete Maßnahmen zur Herstellung der von der EU vorgegebenen Luftqualität zu ergreifen. Seit 2016 wurden dem Ministerium mehrere Zwangsgelder gerichtlich angedroht, um es zu ersten Schritten wie die Information der Bevölkerung zu zwingen. Seehofer hat also eine jahrelange Herrschaft des Unrechts in einem Bereich akzeptiert, wenn nicht sogar gefördert, wo es um die Gesundheit seines Wahlvolkes geht.

Oder nehmen wir die ausgebliebene Debatte wegen der Diesel-Lüge der Kanzlerin im vergangenen Sommer. Als das Umweltbundesamt bekanntgab, Dieselautos seien im Durchschnitt nicht mehr umweltfreundlicher als Benziner, und die den Staat 7,8 Milliarden Euro pro Jahr kostende Subvention für Dieselkraftstoff in Frage stellte, widersprach Angela Merkel in der Sache. Die Chefin des Umweltbundesamts wurde in einem Interview in der eingangs erwähnten „Zeit“-Ausgabe vom 26. Oktober darauf angesprochen und erklärte: „Das war Wahlkampf. Denn unsere Aussage ist durch Fakten gedeckt.“ Die Fakten sind beim Umweltbundesamt nachlesbar.

Wenn im Wahlkampf herausgekommen wäre, dass Martin Schulz vor 15 Jahren einer fremden Frau unerlaubt die Hand aufs Knie gelegt hatte, wäre er in größte Bedrängnis geraten. Wenn aber Merkel nicht zum ersten Mal – wenn auch deutlicher als sonst – in einer Frage der Volksgesundheit einer staatlichen Einrichtung entgegentritt, die die Regierung auf wissenschaftlicher Basis berät, dann kann das unter den Tisch fallen, obwohl so etwas ständig an Donald Trump kritisiert wird.

Die falsche Hoffnung auf die Weltklimagipfel

Das sind Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit dafür, wie unterbelichtet ökologische Aspekte im Politikjournalismus sind. Aber in diesem Bereich spielt sich auch ein noch größeres mediales Versagen ab: Das jahrelange Nähren von Hoffnung auf die Weltklimagipfel. Anscheinend kennt in Deutschlands Redaktionen kaum jemand mit Rückgrat oder Durchsetzungsvermögen die Geschichte dieser Gipfel.

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist der Gipfel von Rio de Janeiro 1992, da er hin und wieder noch erwähnt wird. Dort wurde die erste Klimarahmenkonvention verabschiedet.

Diese Konferenz fiel außergewöhnlich groß aus, weil auch Tausende Mitglieder der Zivilgesellschaft eingeladen waren. Wichtige Leute waren vorher schon zu der Einsicht gekommen, dass der Klimawandel ein riesiges und globales Problem darstellte. Diese Konferenz sollte das Zeichen in die Welt senden: Ab jetzt kämpfen wir alle geschlossen dagegen, Regierungen aller Kontinente zusammen mit der Zivilgesellschaft. Sprich: Die Erkenntnis war da, und es wurde nicht nur guter Wille bekundet, sondern es wurden auch konkrete politische Mechanismen (Stichwort Kyoto-Protokoll) auf den Weg gebracht.

Das war vor 25 Jahren. Heute wissen wir: Das Tempo der Zerstörung des Planeten hat nicht nachgelassen – im Gegenteil, es hat sich seitdem erhöht. Nur große Wirtschaftskrisen brachten zwischendurch ein bisschen Entlastung. Wer da noch an dieses politische Format, an einen Zusammenschluss von Einzelregierungen glaubt – der Autor Amitav Ghosh tut es nicht –, bewegt sich auf dem geistigen Niveau von jemandem, der verkündet, wenn wir alle nur wieder schön beten, wird Gott den Planeten schon noch retten.

Vor 25 Jahren hat die Weltgemeinschaft bekundet, sie habe das Problem verstanden und werde es nun gemeinsam angehen – und dennoch setzen uns Journalisten noch immer regelmäßig und ohne sie lächerlich zu machen Politiker-Aussagen vor, wonach wir es mit der Energiewende nicht überstürzen dürften. Kürzlich beispielsweise vom Brandenburger SPD-Bundestagsabgeordneten Uli Freese, der fast sein ganzes Berufsleben lang Funktionär der Kohlearbeitergewerkschaft war. Er hatte sich schon im Bundestagswahlkampf gegen jegliches Ausstiegsdatum für die Kohle ausgesprochen und sagte vor einer Woche in einem Fernsehinterview zu dem Thema: „Das, was sich die Grünen vorstellen, ein Kohleausstieg schnell, hopplahopp, das wird nicht gehen.“

Freese fügte hinzu: „Hier in Ostdeutschland stehen die modernen, umweltfreundlichen Braunkohlekraftwerke, die wir noch lange brauchen werden.“ Auch hier ging beim Regionalfernsehen kein Alarmlämpchen an. Die ostdeutschen Kohlekraftwerke sind nicht umweltfreundlich, und nur ein paar Blöcke in ihnen können relativ modern genannt werden. Vielmehr sind vor allem die drei in der Lausitz, wo Freese lebt, unter den 20 giftigsten (es geht ja nicht nur um Kohlendioxid) ganz Europas.

Was nicht unter Extremismus fällt

Das Pariser Klima-Abkommen von 2015 sieht nicht mal Sanktionen für Regierungen vor, die nicht ihren Teil zur Erreichung des schwammigen Ziels („Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau, wenn möglich auf 1,5°C“) beitragen. Dennoch haben viele Medien es als Hoffnungsschimmer dargestellt.

Extremismus ist für sie, wenn Leute den Kapitalismus mit Gewalt abschaffen wollen, oder wenn Rassismus im Spiel ist. Den Planeten oder die Gesundheit von Millionen Menschen fundamental zu schädigen, fällt für sie nicht unter Extremismus. Wenn die Regierung doch mal einen Anlass zum Schimpfen gibt, dann wollen die meisten Medien nicht grundsätzlich werden, sondern mit dem erhobenen Zeigefinger mahnen, dass sich das in Zukunft bessern muss. Die Regierung ist nämlich im Grunde nicht böse – das scheint die Ausgangsbasis dieser Art des Journalismus zu sein.

Dass von der Regierung in einer bestimmten Sache nichts zu erwarten ist und deshalb die Medien selbst nach Lösungen suchen müssen – zum einen intrinsisch motiviert, zum anderen wenn sie sich dem Wohl des Publikums verpflichtet fühlen – wird nicht angedacht. Dafür fehlt die Fantasie. Die journalistische Devise anlässlich der Klimakonferenz und für die Behandlung ökologischer Probleme auch danach sollte also sein: Erstens die Regierung weniger ernst nehmen; zweitens Journalismus aus der Perspektive eines besorgten Menschens betreiben, und nicht aus der einer Politikbetriebsnudel.

Die aktuell vorherrschende Devise lässt sich mit einem abgewandelten Luther-Zitat charakterisieren: Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch über einen Streit zwischen CDU und CSU berichten.

9 Kommentare

  1. Von der Essenz her gut und vor allem wichtig, aber… von der Formulierung her einfach nur schlecht, leider. Der Ton ist durchgängig überheblich empört, ohne dass dies dem Thema irgendwie hilft. Und viele Vergleiche sind einfach nur unsinnig und überflüssig.
    Beispiel 1: „Wenn im Wahlkampf herausgekommen wäre, dass Martin Schulz vor 15 Jahren einer fremden Frau unerlaubt die Hand aufs Knie gelegt hatte, wäre er in größte Bedrängnis geraten. Wenn aber Merkel … dann kann das unter den Tisch fallen, ….“ Was soll damit erreicht werden? Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen wie man so schön sagt. Völlig überflüssig!(Abgesehen davon, dass es einfach nur den Eindruck hinterläßt, dass sich hier jemand seine Empörung über die aktuelle Debatte um sexuelle Belästigungen gleich noch mit von der Seele schreiben will.)
    Beispiel 2: „…bewegt sich auf dem geistigen Niveau von jemandem, der verkündet, wenn wir alle nur wieder schön beten, wird Gott den Planeten schon noch retten.“ Auch hier hat der Vergleich wieder keinen Sinn, keinen Zweck, keine Bedeutung.

    Wie gesagt, von der Essenz her sehr interessant und gut, aber von der Darstellung her Mist.
    Ich persönlich finde es sehr schade, wenn inhaltlich so wichtige Themen durch eine solche unwissenschaftliche Darstellungsweise in Ihrer Glaubwürdigkeit leiden. Denn genau das passiert bei mir: „Wenn der das schon so sinnfrei schreibt, wie viel Gedanken hat er sich dann wirklich gemacht?“

  2. Solange kurzfristig Geld verdient werden kann, werden die Folgen ignoriert.
    Gilt eher noch für die Industrie, als für den Journalismus.

    Ich stelle mir folgenden Gedankengang bei den Managern vor:
    Wenn ich nun trotz der Umweltschäden viel Geld für meine Familie verdiene (z. B. mit dem Betrieb eines umweltunfreundlichen Braunkohlekraftwerks), dann könnnen sich meine Kinder es leisten, den zukünftigen Belastungen zu entkommen, z. B. durch Umzug.

    Derjenige schadet ja nicht seiner Zukunft, sondern nur der Zukunft anderer. Und Steuern zahlen tut er auch im hieru nd jetzt, was den derzeitigen, für 4-Jahre gewählten Politikern auch ganz gut in den Kram passt.

    Na gut, wenn dann mal ein Tsunami auf Holland trifft, dann haben wir halt sowieso alle ein Problem, von daher…
    Ob der Tsunami vom sog. „menschengemachten“ Klimawandel kommt, das muss dann erst mal einer nachweisen.

    Solange es keine nachgewiesene Kausalkette gibt, die auch juristisch Bestand hat, werden die Großverdiener immer weiter machen.

  3. @Feather: Teilweise Zustimmung. Deine Beispiele waren mir auch negativ aufgefallen. Davon abgesehen finde ich den Artikel jedoch sehr gelungen. Zwei unglückliche Vergleiche sollte man m.E. nicht überbewerten, wenn der Rest stimmt.

  4. Ralf Hutter liegt ja nicht prinzipiell falsch, aber leider schüttet er das Kind mit dem Bade aus. Man kann die aktuelle Berichterstattung in deutschen Medien wegen ihrer Oberflächlichkeit kritisieren, gewiss. Aber es ist ja nun bei weitem nicht so, dass kaum bis gar nicht hintergründig und intensiv über Klimafragen und auch über den Umgang mit den NSU-Verbrechen berichtet wird. Ich kann die Empörung teilweise nachvollziehen, aber Empörung als bestimmender Grundton hilft nicht bei der Vermittlung von Informationen.

  5. Endlich mal wieder ein richtig „fundamantal-kritischer“ Beitrag auf Übermedien; einer, der zentrale strukturelle Probleme der Journalismus in wünschenswerter Deutlichkeit benennt!

    Viele Punkte, die der Autor anspricht, sind sehr bedenkenswert.
    Jedoch möchte ich an dieser Stelle dennoch nur auf einen einzigen Aspekt eingehen; auf einen, den ich in den Kommentaren hier immer wieder angesprochen hatte, und der auch mit dem Ausdruck „Indexing-Theorie“ beschrieben wird und auch aus dem „Propaganda-Modells“ von Herman und Chomsky folgt:

    Die Medien reflektieren oftmals vor allem den Diskurs der politischen Eliten, Probleme, Perspektiven, Informationen und Argumente hingegen, die innerhalb des politischen Mainstream keine Rolle spielen, werden – auch wenn sie eigentlich (höchst) wichtig sind – allzu oft auch von den Medien marginalisiert.

    Der Autor gibt einige Beispiele, aber man könnte die Liste natürlich beinahe beliebig ergänzen.
    Ein weiteres Beispiel wäre etwa, dass nach der Meinung führender Experten heutzutage die Gefahr eines Atomkrieges zwischen der NATO und Russland sehr hoch ist (höher ist als im kalten Krieg). Einer dieser Experten ist der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister William Perry (ob er mit all seinen anderen Ansichten recht hat ist hierbei nicht die Frage):
    https://augenaufunddurch.net/2017/09/22/pflichtlektuere/

    In den Medien kommt das – wenn überhaupt – nur am Rande vor. Man könnte also argumentieren, dass die Medien gleich bei zwei Schicksalsfragen der Menschheit (Klimawandel und drohender Atomkrieg) in erheblichem Maße versagen. Von zahlreichen „kleineren“ Themen müssen wir gar nicht erst anfangen.

    Das heißt aber auch: Die Medien lassen wichtige Teile der Realität mehr oder minder unter den Tisch fallen; und effektiv sind sie damit weniger Anwalt des Publikums als Anwalt der politischen und wirtschaftlichen Eliten. Deren Diskurs bilden sie ab. Ob sie es wollen oder nicht, und ob es ihnen bewusst ist oder nicht: De facto helfen die Medien oftmals unkritisch dabei mit, der Bevölkerung die Ansichten, Deutungsmuster und Narrative der politisch und wirtschaftlich Mächtigen nahezubringen.

    Das ist natürlich eine Vereinfachung, und es gibt auch guten Journalismus – aber es geht hier ja um den großen Trend. Man muss das klar sagen: Es ist nicht (!) so, dass das mediale System an der einen oder an der anderen Stelle ein wenig suboptimal funktioniert. Es ist vielmehr so, dass es in ganz entscheidenden Aspekten eklatant versagt. Und da dies aus systematischen und strukturellen Gründen so ist, werden Appelle hier auch nicht viel ausrichten.

    Chris Hedges, früherer Leiter des Nahost-Büros der New York Times und Pulitzer-Preisträger, formulierte einige der „strukturellen Gründe“ am Beispiel der New York Times, die zweifellos eine der bedeutendsten Zeitungen der Welt ist, wie folgt:

    „Der Mythos lautet: Die Presse unterliegt keinen Zwängen. Es gibt keine Vorgaben. Sie kann schreiben, was sie will. Sie kann den mächtigen die Wahrheit sagen. In Wirklichkeit gibt es aber sehr enge Vorgaben, vor allem in Fragen der Nationalen Sicherheit. Ich war fünfzehn Jahre lang bei der New York Times. Die inoffizielle Linie der Times lautet: ‚ Wir werden niemanden vor den Kopf stoßen, von dem wir abhängig sind. Wir brauchen das Geld von den Werbekunden und den Zugang zu den Mächtigen. Man kann sie ab und zu ärgern, solle das aber nicht zur Gewohnheit werden lassen.'“

    Und da wir in letzter Zeit immer wieder auf die Rolle der ÖR zu sprechen kamen: Im Gegensatz zu anderen Medien habe ich bei denen nicht die Wahl, ob ich zahle oder nicht. Ich muss die ÖR unterstützen. Dann erwarte ich im Gegenzug aber nicht nur ein paar „kritische“ Ausnahmen wie die „Anstalt“ oder ein paar „Spartensendungen“ (die von Kritikern als „Feigenblätter apostrophiert werden), sondern generell einen kritischen Journalismus im besten Sinne des Wortes. Einen Journalismus, der es sich „zur Gewohnheit werden lässt“, die Mächtigen (begründet) zu „ärgern“, anstatt vor allem an ihren Lippen zu hängen. Und das natürlich zur Hauptsendezeit!
    Dass man als Bürger nämlich verpflichtet sein sollte, jedes Jahr über 200 Euro an Sender zu zahlen, die trotz aller löblichen Ausnahmen im Großen und Ganzen relativ kritiklos für die „Wahrheit der Mächtigen“ Werbung machen, dürfte wohl weit jenseits der Grenzen des Zumutbaren liegen.

    Um die „Wahrheit der Mächtigen“ wirklich ernsthaft infragezustellen zu können, bedürfte es jedoch eines hohen Maßes an journalistischer Unabhängigkeit bei den ÖR. Dass diese Bedingung in der Realität tatsächlich erfüllt ist, lässt sich aber mit gutem Grund anzweifeln. Ulrich Teusch bringt es wie folgt auf den Punkt:

    „Selbstverständlich sagt Claus Kleber die Wahrheit, wenn er versichert, dass niemand ihm irgendwelche Vorschriften mache. Aber er übersieht etwas: Claus Kleber ist dort, wo er ist, weil er so denkt und spricht, wie er denkt und spricht. Würde er anders denken und sprechen, wäre er woanders.“

    Und zu alledem kommt, wie der Autor ausführt, noch hinzu, dass aktuelle Neuigkeiten von höchst fraglichem Nachrichtenwert häufig sehr viel eher ein Thema sind als permanente Zustände von größter Relevanz.

    @ THEO:

    „Aber es ist ja nun bei weitem nicht so, dass kaum bis gar nicht hintergründig und intensiv über Klimafragen und auch über den Umgang mit den NSU-Verbrechen berichtet wird.“

    Die Fragen ist nur: Intensiv genug angesichts der Relevanz dieser Themen? Intensiv genug, wenn man etwa bedenkt, dass vom Klimawandel und der Reaktion womöglich nichts weniger das Schicksal der ganzen Welt abhängt? In den letzten Monaten beispielsweise intensiver als über die Fragen von der Art wie der, ob der olle Seehofer jetzt seine – wohl eh nur symbolhafte – Flüchtlings-Obergrenze bekommt oder nicht?
    Und vor allem: Werden dabei die kritischen Punkte, die den großen Parteien so richtig weh tun, auch großflächig und intensiv beackert? Und das nicht als Ausnahme, sondern als Regel?

    Falls beispielsweise unsere Bundeskanzlerin „alternative Fakten“ verbreitet (wie der Autor dieses Artikels es nahelegt), muss sie dann fürchten, dass sie im „heute journal“ genauso hart kritisiert wird wie ein Donald Trump, wenn er „alternativen Fakten“ frönt? Oder darf sie getrost damit rechnen, dass sie wesentlich weicher angefasst wird? (Nur um dies klarzustellen: Selbstverständlich SOLLEN die Medien Trump und seine Lügen kritisieren – aber eben nicht NUR die seinen.)

    „Ich kann die Empörung teilweise nachvollziehen, aber Empörung als bestimmender Grundton hilft nicht bei der Vermittlung von Informationen.“

    Ich weiß nicht, wo in dieser Analyse unangemessene Empörung zu finden wäre. Vielmehr ist die Kritik sachlich gehalten, wenn sie auch deutlich ausfällt. Deutlich allerdings fällt sie in der Tat aus: Der Autor sagt eben nicht, dass eigentlich alles gut und schön ist, wobei das eine oder andere mal nicht ganz perfekt ist. Sondern er stellt (anhand konkreter Beispiele) klar, dass das Versagen der Medien bei wichtigen Fragen eklatant ist. Das ist eine Meinung, keine Empörung. Und es ist m.E. eine Meinung, die sich hervorragend begründen lässt.

  6. @LLL

    Im Gegensatz zu Ihnen hält Ulrich Teusch öffentlich-rechtliche Journalisten nicht pauschal für unfähig. Teusch meint hingegen, dass man die selbstkritischen Leute in den ÖR stärken sollte, er ist ein konstruktiv-kritischer Befürworter des öffentlich-rechtlichen Journalismus.
    Ein Zitat des von Ihnen offenbar sehr geschätzten Ulrich Teusch:

    „Wenn bei uns in Deutschland die Medien die rosarote Brille aufsetzen und dieses Wunderland im Osten bejubeln würden und ständig nur Erfolgsmeldungen aus Russland bringen würden, wenn sie Putin zum großen Staatsmann verklären würden und jeden zweiten Tag eine neue Eloge auf ihn veröffentlichen würden, dann wäre mir das genauso zuwider und ich würde selbstverständlich ganz schnell auf die andere Seite der Medaille verweisen.

    Ich denke, das ist die Aufgabe von integrem Journalismus:
    Immer dann, wenn ein Journalist erkennt, dass sich irgendwo ein Narrativ zu entwickeln beginnt oder dass irgendwo ein Narrativ bereits voll ausgebildet ist, muss er den Mut haben, einzuhaken und die andere
    Seite der Medaille zeigen.“ (zitiert nach ARD alpha, Sendung vom 07.02.2017)

    Diesen von Teusch eingeforderten selbstkritischen Journalismus werden sie bei den einschlägigen sogenannten alternativen Medien vermutlich kaum antreffen. Insofern ist das Angebot von Tichy, AchGut, RussiaToday etc. pp. auch keine Ergänzung oder Bereicherung.

  7. Ich bitte um Entschuldigung für die sprachliche Fehler und „Schludrigkeiten“ in meinem obigen Kommentar. Zwei Uhr nachts ist wohl doch nicht die optimale Zeit für einen längeren Text…

  8. …wlch sprchlchn Fhlr?
    Nachts um zwei ist ein, wie ich finde, genialer Zeitpunkt um:
    1: Das Schreiben in Foren zu lassen.
    2. Dass shreiben in forum lasen
    3. blebst laschen
    spätestens.
    Genau, sehe ich auch so!

  9. @ THEO:

    „Im Gegensatz zu Ihnen hält Ulrich Teusch öffentlich-rechtliche Journalisten nicht pauschal für unfähig.“

    Woran machen Sie denn genau fest, dass ich die ÖR „pauschal“ für „unfähig“ halten würde? Und wie sollte eine solche Haltung mit meinen eigenen Differenzierungen von oben vereinbar sein?

    „Insofern ist das Angebot von Tichy, AchGut, RussiaToday etc. pp. auch keine Ergänzung oder Bereicherung.“

    Alternative Medien sind hier nicht das Thema, und auch ich habe sie mit keinem Wort erwähnt. Denn selbst wenn alle „alternativen“ Medien extrem schlecht wären, würde dies die etablierten Medien nicht besser machen – und die Kritik an ihnen nicht weniger berechtigt. Der Verweis auf die (angebliche) fehlende Qaulität alternativer Medien ist also kein Argument für die Qualität der traditionellen Medien im Allgemeinen oder für die Qualität der ÖR im Besonderen.

    Dennoch gehe ich gerne auf Ihre Äußerung ein und lege meine Haltung dar: Da ich die von Ihnen beispielhaft genannten Medien so gut wie nicht aus erster Hand kenne, kann ich zu diesen auch nicht viel sagen. Ich lese eher andere Alternativ-Medien wie zum Beispiel die Nachdenkseiten, Makroskop, MediaLens, Consortiumnews, die Blogs von Norbert Häring und UlrichTeusch etc. – je nach Interesse und Zeit.
    Und das tue ich übrigens durchaus auch „kritisch“ – das heißt ich nehme die entsprechenden Erzeugnisse erst einmal als interessanten Input wahr, und ich stimme nicht immer zu.
    Unter dieser „kritischen“ Prämisse empfinde ich das Angebot solcher „alternativer Medien“ dann allerdings oftmals durchaus als sinnvolle Bereicherung. Dass die entsprechenden Alternativmedien auch ihre Schwächen haben (so wie auch klassische Medien), und dass sie die klassischen Medien nicht ersetzen sondern nur ergänzen (und korrigieren) können, ist dabei eine Selbstverständlichkeit.

    Teusch (den ich in der Tat schätze) arbeitet selbst für die ÖR (das Radio) und hält daran fest, dass es dort auch viel guten Journalismus gibt. Gleichzeitig gibt er aber auch zu, dass vor allem die großen, wichtigen Sendungen häufig stark von politischen Narrativen geprägt sind und insofern oftmals einen ziemlich fragwürdigen Journalismus praktizieren. Des Weiteren glaubt Teusch, dass ein ÖR, der gründlich reformiert und wirklich politikfern wäre, eigentlich eine der besten Plattformen für hochwertigen Journalismus böte.

    Ich halte diese Positionen für vernünftig und teile sie. Daher würde ich auch nicht die Abschaffung der ÖR fordern, sondern nur deren gründliche Reform. Des Weiteren streite ich nicht ab, dass es auch viel guten Journalismus in den ÖR gibt – nur läuft der eben selten zur Prime Time in den großen Sendern und entfaltet daher gewöhnlich nur eine recht begrenzte Wirkung.

    Teusch legt seine Position zu den Medien in seinem empfehlenswerten Buch „Die Lückenpresse“ dar, aber beispielsweise auch in folgendem interessanten Interview mit dem BR (ARD-alpha):
    http://www.ardmediathek.de/tv/alpha-Forum-ARD-alpha/Ulrich-Teusch-Sachbuchautor-und-Journal/ARD-alpha/Video-Podcast?bcastId=34399546&documentId=40956902

    (Dabei geht es am Anfang noch kurz um Politik und dann erst um die Medien.)
    Das Video wäre ein Beispiel (unter vielen) dafür, dass es tatsächlich kritischen Journalismus bei den ÖR gibt – nur muss man ihn eben oft suchen. Einen weniger kritischen Journalismus hingegen findet man gewöhnlich leichter…

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