Internetgedöns

Twitter sucht den Twitterstar – bei Youtube

Youtube-Star

Noch bis heute Abend, 18 Uhr, läuft sie: die Wahl zum Twitterstar 2016. Und ich will hier niemanden spoilern, aber von den 20 nominierten „GRÖSSTEN DEUTSCHEN WEBSTARS“ (so die Voting Page von Twitter), wird entweder Bibi oder Liont das Rennen machen.

Auf der Seite selbst erfährt man wenig über die beiden. Da ist ihr Twitter-Profilbild, ihr Twitter-Acount samt @-Zeichen und die Anzahl der Tweets, die sie bisher veröffentlichten. Schon da wird klar: Um Inhalte geht es bei dieser Wahl offensichtlich nicht. Und so tobte der Hashtagsturm auch gewaltig, als Twitter die Wahl verkündete. Aber fangen wir von vorne an.

1. Twitter geht es nicht gut.
Die Börse, die eigene (Ex-)Manager-Riege und die Nutzer sind sauer auf den blauen Vogel (und ja, ich erspare uns in diesem Artikel sämtliche „ulkige“ Vogel-abgeschossen-früher-Vogel-Sprüche. Sind ja hier nicht auf twitter!)

2. Twitter versucht wie ein angeschossener Vogel gegen den Shitstorm anzufliegen. (Ok, sorry, jetzt mach ich es doch!)

3. Und macht dabei (Achtung: Meine Meinung!) so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann.

Ich könnte jetzt ausholen und über die Algorithmus-Diskussionen reden, mich über die Zeichenbegrenzungsauflösung aufregen oder den Umgang mit 140-Zeichen-Trollen, aber in der Wahl des Twitterstars 2016 kommt einfach vieles so wunderschön zusammen, dass mir das erstmal ausreicht.

Man muss schon ganz schön scrollen, um zum ersten Tweet von LionTV zu gelangen, der kein Tweet oder Retweet mit dem Hashtag: #TwitterstarLiont ist. Genau gesagt sind es 70 Tweets. Alle mit dem Tenor: Wir schaffen das gemeinsam! Löwenkinder. Glitzerherz. #twitterstarLiont

70 TWEETS!

Ich würde sagen, dass ich eine recht aktive Twitterin bin. Wenn ich in meiner Twitter-Timline 70 Tweets runterscrolle, gelange ich zu einem Tweet vom 15. Januar. Lionts erster nicht #twitterstarLiont nach 70 Tweets ist dieser hier:

Er ist vom 19. Februar.

Während ich mich von derart vielen Löwen- und Glitzerherz-Emoticons bespamt fühle, dürfte Twitter (ich unterstelle dies) damit sehr zufrieden sein. Denn das ist wohl Grund Nummer 1, für diese Wahl 20 Youtuber zu nominieren: Traffic. Auf Kommando. Oder wie Liont das sagen würde:

Der Reichweiten-Wettkampf auf der Zielgeraden sollte den blauen Vogel noch glücklicher machen. Denn während Liont und seine Löwenkinder (während ich dies schreibe) noch auf Platz 1 liegt, rufen die Bibinatoren (heißen Bibis Fans so?) zum Endspurt auf.

Bibi indes möchte gerne gekniffen werden, weil sie die 1,3 Mio-Follower-Marke auf Twitter knackte – womit ich beim unterstellten zweiten Grund für die Twitterstar-Youtuber-Wahl wäre: Twitter-Nutzer.

Während Twitter User verliert, sind Youtuber so etwas wie die Rattenfänger der digitalen Zeit. Mit ihnen kommen neue Nutzer. Die ihrer Rolle als XYZ-Natoren auch in 140 Zeichen gerecht werden wollen. Und als Community sehr aktiv sind. Wenn auch nur, um auf Kommando Videos zu retweeten oder in selbst initiierten Community-Aktionen ihren Youtuber zu supporten.

Oder um es in Bibis Worten zu sagen:

Während lange Zeit Sascha Lobo der unangefochten größte Twitter-Account in Deutschland war, ehrt Twitter nun also mit seiner Twitterwahl jene, die Twitter zu neuen Usern verhelfen. Eine Rechenaufgabe. Keine Inhaltsinterpretation.

Gewiss gibt es auch weitere Gründe, wie die Akquise neuer Werbepartner – die ja in Youtubern derzeit (noch!) die hottesten Testimonials ever sehen. Und schon lange erkannt haben, dass deren Reichweite nicht nur auf Youtube spannend für Werbebotschaften ist. So häufen sich die Tweets mit dem Hashtag: #sponsored. Oft auch mit einhergehendem Sponsoring des Kampagnen-Hashtags auf Twitter selbst – über den Trending Topics. So wie gestern zum Beispiel Vodafone zur Tubecon 2016:


https://twitter.com/MelinaSophie/status/701073087551447045

Versteht mich nicht falsch. Ja, ich bin eine Inhalte-Hippie-Tante. Aber ich finde es völlig legitim, überleben zu wollen. Daher kann ich Twitters Gründe verstehen. Auch wenn ich das als Inhalte-Hippie anders angehen würde, bin ich durchaus kompromissbereit.

Branchenpreise halte ich allgemein (wer hätte das von der Präsidentin der Webvideopreis Academy anders erwartet :D) für einen ziemlich feinen Ansatz. Und kompromissbereit gerne auch mit reichweitenstarken Nominierten. Aber dann doch bitte auch in einer passenden Kategorie:

Der Twitterstar 2016 in der Kategorie: „Größte Reichweite“ geht an…

Dann ist da noch mehr drin! Kategorie: News, Kategorie: Comedy, Kategorie: Lyrik – whatever… Kategorie: Beste Hashtags! Alle (unterstellten) Ziele erreicht und dennoch nicht am Twitter-Herz vorbei.

Denn das ist es, was mein Herz bedrückt. Im angeschossenen Sturzflug scheint Twitter nach links und rechts zu greifen – um sich irgendwo festzuhalten. Mal am Facebook-Algorithums und deren Werbeansätzen, mal bei Youtube und ihren Stars – fehlt nur noch, dass man sich bei YouNow eine Bezahlfunktion für Retweets und Likes (pardon, Herzchen) abschaut. Dabei vergisst Twitter, zu fliegen – mit den eigenen blauen Flügelchen.

Deswegen versuche ich es mit all meinem Pathos. Und eben doch einigen Vogel-Metaphern. Statt mit #RIPTwitter mit etwas Rückenwind:

Twitter, du hast deine eigenen Stars. Das haben die Zeitungen und Buchverlage schon lange gerafft. Sie schreiben Kolumnen. Und Bücher, wie jüngst der @Pokerbeats zum Beispiel.

Twitter, ich mag dich. Nicht als Facebook-Abklatsch. Nicht als Youtube-Sternchen-Plattform. Als Du selbst. Du bist wie der Antipasti-Place neben dem frisch eröffneten All-You-Can-Eat-Fast-Food-Laden, der jetzt neidisch auf die Massen blickt, die sich mit fettigem Tiefkühl-Fraß vollstopfen.

Aber, weißt Du, ich esse gerne Büffelmozzarella mit selbstgemachtem Pesto auf krosser Knoblauch-Bruschetta. Und ja, an verkaterten Tagen unterhält mich so ein Cheesburgertweet. Aber ansonsten bin ich auch gerne bereit, für inhaltsvolle Kost zu bezahlen. Bevor ich mir nur Scheiße reinziehen muss.

In diesem Sinne:
Flieg, mein Vögelchen. Flieg!

4 Kommentare

  1. Find ich einen sehr guten Artikel. Und was mir persönlich wirklich gut gefällt ist, dass klar gekennzeichnet wurde, wo Annahmen nicht allein auf Fakten aufbauen, sondern insbesondere subjektive Einschätzungen der Autorin eine wichtige Rolle gespielt haben. Topleroni!

  2. Setzt dieser Artikel voraus, daß der Leser aktiver Twitter-Nutzer ist? Einige Dinge sind mir unverständlich.

    Worum handelt es sich bei diesem Wettbewerb „TwitterStar“ überhaupt? Ich kann mir zwar die im Artikel verlinkte Webseite ansehen, aber die auch die setzt offenbar das Wissen um diesen Wettbewerb bereits voraus. Was bedeutet es, „TwitterStar“ zu sein? Was ist die Motivation für Twitterer, sich in diesem Wettbewerb zur Wahl zu stellen? Ihre Reichweite werden die betreffenden ja nicht mehr weit steigern können, wenn sie ohnehin schon zu den beliebtesten Twitterern gehören, und wenn sie bloß Menschen zum Abstimmen mobilisieren, die vorher schon ihre Fans sind. Gibt es einen Geldpreis? Kommt man weiter zu einer nächsten Runde, zu einem übergeordneten Wettbewerb? Winkt die Ausdehnung auf andere Medien? Oder was sonst?

    Was wollen Menschen damit ausdrücken, wenn sie bei einen Tweet von einer Veranstaltung am Ende des Textes den Hashtag „sponsored“ anhängen? Ist das Kritik an dem kommerziellen Charakter der Veranstaltung, also eine twitter-mäßig auf wenige Zeichen eingedampfte Kapitalismuskritik? Oder ist das einfach nur ein Hinweis darauf, daß die betreffende Veranstaltung kostenlos ist (weil von jemand anders bezahlt)? Was hat das mit Kampagnen zu tun?

  3. @RÄTSELNDER

    Ich glaube der Hashtag ist der Versuch transparent darzustellen, dass man einen Sugardaddy hat, der die Teilnahme möglich gemacht hat ;)

  4. Man muß bei Twitter wirklich permanent am Ball bleiben, um halbwegs zu durchschauen, was da gerade passiert. Vor allem zu Benutzung von Hashtags.

    Ein Twitterer beendet seinen Tweet mit: @DeutscheBahn #fail
    Ein anderer Twitter beendet seinen Tweet mit: @Vodafone #sponsered

    Wie soll jemand, der nicht permenant bei Twitter am Ball bleibt, da überhaupt noch auseinanderhalten, wann ein Hashtag wie gemeint ist? Wann ist der Hashtag einfach nur Verschlagwortung, wann ist er eine inhaltliche Äußerung, wann soll er die gesetzlich vorgeschriebene Werbekennzeichnung sein?

    Ich stelle mir gerade den Redakteuer vor, der eine bezahlte Werbeanzeige in demselben Layout setzt wie die redaktionellen Artikel. Als Überschrift wählt er „Die Werbung der Firma XXX ist unschlagbar“. Und damit ist er der Meinung, daß er keine besondere Werbekennzeichnung mehr benötigt, in der Überschrift kommt das Wort „Werbung“ ja bereits vor. Ja, echt jetzt! Bei Twitter läuft das so.

    Die Frage, was die als Twitterstar nomierten überhaupt reizt, stelle ich mir auch. Und wie dieser Wettbewerb überhaupt einzuordnen ist.

    Ich lese oft auf Twitter, ich folge verschiedenen Autoren, aber von diesem Wettbewerb habe ich erst über diesen Artikel auf Übermedien erfahren. Wie ist dieser Wettbewerb denn überhaupt publik gemacht worden? Über Twitter ist bei mir nichts dazu angekommen.

    Und tatsächlich stelle sich die Frage: Was haben die Kandidaten davon? Es gibt noch nicht einmal eine Veranstaltung dazu? Einfach nur ein Tweet von Twitter-de mit dem Inhalt „Glückwunsch, Du hast gewonnen“. Das wars? Das ist alles?

    In der Welt der Wissenschaftsblogger gibt es jedes Jahr im Dezember Unmut über den PR-Spezi Reiner Korbmann, der als Einzelperson auf seinem Blog zur Wahl des Wissenschaftsblog des Jahres aufruft. Außer der Auszeichnung selbst und der zweifelhaften Gegenüberstellung zu Esoterik-Blogs gibt es gar nichts zu gewinnen.

    Ich hätte nie davon erfahren, wenn nicht die von Korbmann nominierten Wissenschaftsblogger sich darüber in ihren eigenen Blogs aufregen würden – genau wie ich ohne die Aufregung in Übermedien nie von der Twitterstar-Wahl erfahren hätte.

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