Warum es sich für „Brigitte“ ausgezahlt hat, für Tchibo zu jubeln
Warum preist der Online-Auftritt der Frauenzeitschrift „Brigitte“ mit ekstatischen Worten und Push-Nachrichten Produkte des Kaffee- und Alles-Händlers Tchibo an? Die Pressestelle des Verlages Gruner+Jahr sagt, es handele sich bei solchen Jubel-Artikeln um einen Service für die Nutzerinnen, die eine solche „Berichterstattung über Trendangebote“ erwarteten. Die Unternehmen hätten nicht für diese Art von Werbung bezahlt.
Das ist nicht die ganze Wahrheit. „Brigitte“ hat an Einkäufen ihrer Nutzerinnen im Tchibo-Online-Shop mitverdient. Der Link von brigitte.de zu tchibo.de war mit einem sogenannten Affiliate-Programm verknüpft. Dabei bekommt die verlinkende Seite eine Provision für Käufe oder bestimmte Aktionen wie das Abonnieren eines Newsletters.
Dass es sich um einen solchen Affiliate-Link handelte, war nicht zu erkennen. Er wurde über eine Software des Unternehmens Skimlinks für den Nutzer unsichtbar umgewandelt.
Auf Anfrage von Übermedien, ob brigitte.de mithilfe von Skimlinks die Links zu Shops wie tchibo.de oder anderen Seiten monetarisiert, antwortete eine Sprecherin am Mittwoch lapidar: „Es besteht eine Skimlink-Integration.“
Gegenüber dem Branchendienst „Meedia“ hatte Gruner+Jahr im Zusammenhang mit der Tchibo-Werbung und ähnlichen Produktjubelartikeln zunächst ausdrücklich bestritten, dass Brigitte Digital „an Umsätzen z.B. in Form einer Affiliate-Vermarktung partizipiert“. Am Mitwochnachmittag korrigierte sich der Verlag und ließ diese Formulierung wieder löschen.
Interessanterweise verschwand am Mittwoch plötzlich auch die Skimlinks-Integration aus dem Tchibo-Werbe-Artikel auf brigitte.de. Ursprünglich war im Quelltext der Seite ein entsprechendes JavaScript eingebunden:
<script src="http://s.skimresources.com/js/31587X891791.skimlinks.js"></script>
Seit Mittwochabend fehlt diese Stelle.
Auf erneute Nachfrage von Übermedien teilte der Verlag heute nun mit: „Brigitte.de hat in der Vergangenheit Skimlinks integriert. (…) Die Zusammenarbeit mit Skimlinks wurde beendet.“ Angaben zu Gründen oder zum Zeitpunkt machte der Verlag nicht.
Skimlinks ist ein Unternehmen, das im großen Stil Links in Affiliate-Links umwandelt. Redaktionen, Verlage und Blogs sollen auf diese Weise automatisch davon profitieren, wenn sie über Produkte schreiben und auf Händler verlinken. Das Unternehmen nennt solche Inhalte „comtent“, ein Kunstwort aus commerce und content. Es spricht sonst auch von „shoppable content“, „product-driven content“ und „commerce content“.
Auch bei Gruner+Jahr arbeitet man sehr daran, aus Lesern von Artikeln Käufer von Produkten zu machen. Dieser Kompetenz hat der Verlag sogar ein Satz in seinem nur sechs Sätze umfassenden Unternehmens-Leitbild gewidmet. Auf deutsch-englisch: „Die tiefe Kenntnis unserer Communities of Interest ermöglicht uns, im Kontext unserer Inhalte auch Zusatzgeschäfte zu entwickeln.“ Aktuell wird gerade intensiv an einer Vermarktung eigener Möbel gearbeitet.
Gruner+Jahr ist mit Skimlinks auch unternehmerisch verwandt: Die G+J-Mutter Bertelsmann ist über die Tochter Bertelsmann Digital Media Investments BDMI an Skimlinks beteiligt.
Affiliate-Links müssen eigentlich als solche eindeutig gekennzeichnet sein. Skimlinks verlangt von seinen Inhalte-Partnern, dass sie zumindest an einer Stelle pauschal darauf hinweisen, dass die Seite Affiliate-Links enthält über die der Betreiber im Fall eines Kaufs eine Provision erhält. Auf der „Tchibo“-Seite von brigitte.de war keine Kennzeichnung und kein solcher Hinweis zu finden – dabei ist das selbst bei Youtubern Standard.
Aber gegenüber „Meedia“ hatte der Verlag ja vorübergehend sogar bestritten, dass er im Zusammenhang etwa mit dem Werbetext für Tchibo überhaupt Affiliate-Links einsetzt. Nun teilt er mit: „Die Kennzeichnung von Affiliate-Einbindungen ist bei brigitte.de Bestandteil der Unternehmenspolitik.“
Es ist ein ziemliches Rumgeeier, mit Widersprüchen und offenen Fragen, die der Verlag nur widerwillig oder gar nicht klärt. Es scheint immerhin ein nicht ganz schmerzfreier Prozess zu sein, sich vom traditionsreichen journalistischen Unternehmen zum Comtent-Lieferanten zu wandeln.
Ja gut, aber manchmal verlinkt das Bildblog auf übermedien. das ist doch im Grunde genau das gleiche. Warum also diese völlig übergeigt hysterische Aufregung?
Eine Verlinkung ist ja mal nicht das gleiche wie von einem redaktionellen Teil auf einen Shop (!) zu verlinken. Dann das noch verstecken. Und davon direkt durch Cashback zu profitieren… Merkste den Fehler, oder?
@Muriel
Bekommt Bildblog von Übermedien Geld dafür?
@Muriel: Ich denke, der Versuch, die Diskussion mit einem Kommentar zu beginnen, dessen Ironie man nur versteht, wenn man die Diskussion unter einem anderen Beitrag verfolgt hat, kann hiermit als gescheitert betrachtet werden.
@Stefan Niggemeier: Ich kann dem schwerlich widersprechen, glaube aber, dass wir mehr Daten brauchen, bevor wir es als Erkenntnis verallgemeinern können.
@Muriel: Im Gegenteil.
?
Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege, aber die Verlinkung von Bildblog auf uebermedien-Texte erfolgt doch primär auf die nicht-exklusiven Inhalte und zudem nicht im Rahmen (nicht-gekennzeichneter) Affiliate-Links.
Mir sind die Ping-Pong-Verlinkungen auch schon aufgefallen und ich habe mir instinktiv Ähnliches gedacht, aber bei genauerer Betrachtung fällt das Kartenhaus in sich zusammen: Immerhin müssten dann auch zeit, perspective-daily, reporter-ohne-grenzen, hessenschau, taz und sueddeutsche Provisionen an bildblog für die heutigen Verlinkungen zahlen, oder?
MfG und schönes Wochenende
@Muriel: Ja, danke nochmal für das rekordverdächtige Derailing vom ersten Kommentar an. ?
Interessanter Einblick. Mir als technischem Laien war dieses Skimlinks-Affiliate-Links-Dings neu. Danke für die Erklärung dieser Mechanismen.
@Stefan Niggemeier
Wenn man bei sowas dann nochmal nachfragt und die Kluft zwischen Unternehmensleitbild und Realität erklärt haben möchte, kommt da Ihrer Erfahrung nach irgendwas substantielles raus?
Irgendwie scheint es immer mehr Berreiche zu geben, in denen erwachsene Menschen sich ihrer Verantwortung entziehen und das gesellschaftlich akzeptabel erscheint. Mich bedrückt das ein wenig.
Gruß
pit
@Pit: Ich fürchte nicht. Die Antworten jetzt auf unsere Fragen waren schon von größerer Kargheit.
@Pit: Wobei das Unternehmensleitbild in diesem Fall ja schon in die richtige Richtung weist.
@Stefan Niggemeier
Vielen Dank für die Antwort. Mein – ganz persönlicher – Eindruck ist, dass viele Menschen die ethische Dimension ihres Handelns nur noch bei konkreten zwischenmenschlichen Situation reflektieren möchten. Finanzielle Interessen scheinen sich ethischen Überlegungen nicht mehr stellen zu müssen.
@Stefan Niggemeier, #13
da haben Sie recht, das habe ich falsch formuliert. Besser wäre: …die Kluft zwischen Aussagen und Realität…
Dabei hat GuJ doch eigens eine Seite, die einem auch direkt zeigt, wie man sich aus den grob geschätzt 50 verwendeten Ad- und 3rd-Party Networks aus-optieren kann: http://www.gujmedia.de/service/oba
Haken natürlich, dass der dortig verwendete Skimlinks-Link einem beim ersten Besuch immer klarmachen will, dass man Cookies deaktiviert hat, ein Opt-Out also gar nicht nötig sei:
„It appears that you have 3rd party cookies disabled on your browser. This means the Skimlinks optimization cookie is inactive.
You do not need to take further action at this time.“ (Betonung übernommen )
Erst ein Reload der Seite ohne den Anhang „?tested=1“ offenbart, dass man ja doch Cookies aktiviert hat und man ja doch noch bei Skimlinks und redirectingat.com ein-optiert ist. (Getestet in Chrome/Firefox; Cookies jeweils akzeptiert)
Ich unterstelle hier zwar eher einen unachtsamen Webmaster, aber nach dem, was oben und bisher zu lesen war…
@Derailing Comments: Einfach löschen. Don’t feed the überschaubaren Trolls!
Danke fürs Aufklären über diese Art von maskierter Werbung. Zwar bin ich gegen solche Botschaften ohnehin immun, schon weil ich die Presseerzeugnisse nicht lese, um die’s hier geht, aber vielleicht – könnte sein – liest doch die eine oder andere „Brigitte“-Konsumentin auch dieses Weblog. Dann wird, dank Klatsch & Tratsch, bestimmt eine Lawine (Shitstorm?) über unlautere Werbe-Redakteure hereinbrechen. Das wird spannend.
@17: Schön wär’s. Aber selbst wenn die ein oder andere Brigitteleserin auch übermedien lesen sollte und das in einem Brigitteforum anspricht – eine Lawine wird das ganz bestimmt nicht geben.
@ Topic: Sehr interessant die Fortsetzung. Finde es gut & wichtig, bei solchen Themen dran zu bleiben. Mir ist auch schon desöfteren auf t-online.de die versteckte Werbung aufgefallen – sei es, ob täglich im immergleichen Wechsel das neueste Video von Martina Hill / Caroline Kebekus im Pro7/Sat.1 Media-Player als Video des Tages präsentiert wird oder ob Angela Paganini die drölfzigste Lobeshymne auf Globuli als redaktionellen Text tarnt (auf ihrer Website schreibt sie, „sie agiere „Mit Engagement und Empathie zu Zielgruppen-orientierten Texten.“ und konnte auch bereits solche „für zahlreiche Kunden in mehreren Werbeagenturen täglich praktizieren.“)
Aber t-online ist ja anscheinend eh Geschichte (Laut einem gestern auf BildBlog gefundenen Link. Damit schließt sich der Kreis.).
@pitpitpat, Stefan Niggemeier (leicht OT)
In Zeiten, in denen man alles monetarisieren kann, gilt das halt auch für die Ehrbarkeit. Wenn Spitzenpolitiker und -manager genau in den Bereichen ihre Karriereendziele erreichen, in denen auch ihre größten persönlichen Unzulänglichkeiten liegen (Schäuble <- Finanzen, Steinmeier <- moralische Instanz, etc.), sendet das auch ein Signal nach unten. Wenn statt Anstand nur noch Compliance gefordert wird, wird daraus ein berechenbares Modell; an die Stelle des Ehrverlusts tritt ein kalkulierbares finanzielles Risiko, dessen wahrscheinlicher Schaden durch den Nutzen abgefedert werden kann.
@vonfernseher: Erinnerst du dich denn an Zeiten, in denen Ehrbarkeit nicht monetarisierbar war und in denen es im öffentlichen Leben anständiger zuging als heute? Ich wüsste dann gerne, wann das war, und woran du es fest machst. Mir kommt’s nicht so vor, aber ich bin auch (relativ) jung und hab keine Ahnung.
@16: Ironischerweise war mein Kommentar eher als Replik gedacht, das sich uebermedien diesem Vorwurf über mehrere Artikel hinweg nicht aussetzen muss.
@ topic (um nicht weiter das derailment zu befeuern):
Ich finde die affiliate links per se schon fragwürdig. Immerhin wird (meistens) darauf hingewiesen. Aber das ändert nichts daran, dass die Artikel an sich, aus meiner Sicht, schon nicht-gekennzeichnete Werbung sind. Warum sonst sollte man links mit Provision daruntersetzen?
#20@Muriel – ich bin wahrscheinlich ziemlich alt, kann daher bestätigen das „Ehrbarkeit“ schon immer ein Begriff war, den sich jeder so zurechtgelegt hat wie es ihm am besten gepasst hat. Früher war nix besser. Womit man sich am besten der Zukunft zuwendet, um es da wenigstens besser zu machen.
@Muriel, Joachim
(Früher war natürlich alles besser. Das müssen wir ja hier nicht noch einmal ausdiskutieren, lasst es euch von Experten wie Hagen von Ortloff erklären.)
Es gibt ja keine lineare Abnahme von Ehrbarkeit von den Hetitern zu den Hipstern. Aber in der jüngeren Vergangenheit gab es einen Zeitraum, in dem es klarere gesellschaftliche Spielregeln in Wirtschaft und Politik gab. Indem man Vergehen klassifiziert und mit einem Schaden beziffert, holt man sie von der sozialen Schiene („Das macht man nicht.“, „Das ist unfair.“, „Das hätte mir nicht passieren dürfen.“) auf die monetäre („Falschparken lohnt sich, wenn man es jeden Tag macht.“, „Dafür bekommen wir maximal eine Wettbewerbsstrafe von x, die schon für nächstes Jahr zurückgestellt ist.“). Eine weit bekannte Studie dazu ist „A Fine Is a Price“ (Gneezy, Rustichini | PDF).
Im Bemühen, der Verlags-Chefin gegenüber mit kreativer Nebenerwerbs-Trickserei zu imponieren (und seien es auch nur eine Handvoll Euro mehr), vernichten sie geradezu irrwitzig den Markenwert des eigenen Unternehmens. Das ist schon abenteuerlich, wie Julia Jäkel mit ihrem Führungsteam Gruner+Jahr auf den Grund setzt.
Gruner und Jahr verdeckt diese „Nebenverdienste“ auch nicht nur online. Im klassischen Printgeschäft sind schon fast traditionell „Produktempfehlungen“ verteilt, die dann zu Shops führen, an denen GuJ zumindest beteiligt ist. Beispiel: Ich lese die „Essen und Trinken“ und dabei ist es besonders hübsch, dass immer mal wieder besondere Zutaten in den Rezepten gefordert werden, die dann – wie praktisch – direkt bei Delinero bestellt werden können / sollen. Delinero gehört seit 2015 zu GuJ (http://www.gruenderszene.de/allgemein/delinero-gruner-jahr-uebernahme). Besonders abstoßend finde ich in dem verlinkten Interview mit der Geschäftsführerin von Delinero, dass ich als Leser (heute „Zielgruppe“) „ideal“ „monetarisiert“ werden soll.
Da passt es gut, dass Delinero nun einen eigenen „Essen und Trinken“ Reiter auf der Webseite mit Angeboten für mich als zu monetarisierender Zielgruppe hat…
Mir ist das sehr, sehr unsympathisch. Und ich finde, es hat nichts mit „Journalismus“ (ja, den erwarte ich in bestimmter Weise auch bei E&T, sonst könnte ich mich auch an die Rezeptempfehlungen meines Supermarktes halten…) und auch nichts mit „Verlag“ zu tun.
@vonfernseher: Danke für den Link! Mir leuchtet das Konzept durchaus ein, aber es noch mal so strukturiert zu lesen, ist auch interessant.
Was ich trotzdem nicht sehe, ist die Veränderung gegenüber früher (Wann? Welcher Art? …).
Hast du dazu auch Details?
#23@vonFernseher: Ich schliesse mich was den Link betrifft Muriel an, da ich aber kein Oldtimer Fan bin (die waren alle viel unbequemmer als neues), bestärkt das meine These eher. Aber im Ernst, ich versuche das mal aufgrund meiner Erfahrungen (ich bin ja schon alt und kann darauf zurückgreifen) zu veranschaulichen.
Wenn „Ehrbarkeit“ zurück geht hätte es einen gemeinsamen ethischen Konsens bedurft, der sich verändert. Was sich aber tatsächlich verändert hat ist nicht der ethische Konsens (den gab es nie), sondern die Abgestumpftheit oder das Verständnis gegenüber Egoisten hat zugenommen. In dessen Folge werden die dreister, was wiederum Abgestumpftheit und Verständnis nährt.
Für die, die sich nicht empören (Stefan Hesel) und lieber der Abgestumftheit hingeben, ist es eine willkommene Gelegenheit sich in die Opferrolle zu begegeben, wenn man es dem „Ehrbarkeitsverlust“ der anderen zuschreiben kann.
Nach meiner Erfahrung gibt es keinen ethischen Grundkonsens, stattdessen eine Steuerung über Konsequenzen. Das heißt Firmenchef X oder Politiker Y macht etwas und steht infolge Umsatz-, oder Liebesverlust dumm da mit der Konsequenz Job Verlust (Reputation kann man sich schön reden). Da entdeckt der Nachfolger dann ganz schnell die „Ehrbarkeit“ dies nicht zu wiederholen, zumindestens nicht so offen und wird es in blumigen Worten beschwören.
Lange Rede, kurzer Sinn, wenn man die gesamte Vergangenheit mit einbezieht und nicht nur einen kleinen Ausschnitt nach 45, hat sich da nichts geändert. Nach meiner Meinung und Erfahrung.
Ich glaube es gab nie „mehr“ Ehrbarkeit oder einen größeren ethischen Konsens. Ich glaube auch nicht, dass Anstand und Moral die Leute früher vom Geld verdienen mit „zweifelhaften“ Methoden abgehalten hat.
Sie haben sich schlicht nicht erwischen lassen, bzw die Möglichkeiten jemanden zu erwischen waren nicht in der Form gegeben wie heute.
Anstand und Moral sind toll wenn man sie sich leisten kann. Aber es wird immer wieder Menschen geben, die der Meinung sind, sich das nicht leisten zu können… oder denen es vielleicht auch egal ist.
Deshalb hat auch die Regenbogenpresse kein Problem damit morgens in den Spiegel zu gucken…. oder die Mitarbeiter der Bildzeitung… oder…oder
@Joachim
Dem von Ihnen beschriebenen Mechanismus steht ja die von mir verlinkte Studie gegenüber. Solange Konsequenzen eingepreist werden können, hält das keinen Nachfolger von nix ab, wie es scheint.
@Muriel
Ich habe da, wie gesagt, keine belastbaren Zahlen, aber aus der Sicht eines damals noch nicht aktiven Teilnehmers kommt es mir so vor, als hätte es zwischen dem Muff aus tausend Jahren und dem Dicken, der sich wie tausend Jahre anfühlte, einen zeitlich und geografisch begrenzten Raum gegeben, wo man eher schon mal zur Rechenschaft gezogen wurde. Dass die Skandaldichte damals so hoch war, liegt ja nicht an den skandalöseren Handlungen, sondern an der Empörungsschwelle. Verglichen mit z.B. Brandt, Schmidt, Barschel oder Engholm muss ich sagen, dass ich nicht glaube, dass Merkel, Schäuble, Maizière oder Steinmeier heute dafür zurückträten. Die haben sich nämlich schon deutlisch Schädlicheres geleistet und bleiben einfach sitzen.
Aufmerksamnkeit lösen anscheinend nurmehr Äußerlichkeiten aus: wer wem die Hand gibt oder nicht, wer wem welchen Finger zeigt, wer sich mit welchen Titeln schmückt.
@vonfernseher: Ich verstehe natürlich total, wenn Sie mir hier keinen Vortrag über politische Geschichte der BRD halten möchten, aber mich würden Details interessieren, woran sie denken. Also, für welche skandalösen Handlungen wer damals wie zur Rechenschaft gezogen wurde, und was Sie heute als Unterschied dazu erleben.
Wir müssen das auch nicht hier machen. Ich will ja nicht gleich wieder alles derailen. Aber neugierig wäre ich.
@Tanja (OT)
Das stimmt nicht. Anstand und Moral muss man sich leisten wollen. Das, was man sich nicht leisten können sollte, sind Dreistigkeit und Rücksichtslosigkeit, aber das liegt an unserer gesellschaftlichen Kontrolle.
Dass man sich Anstand, Moral, Mitgefühl, Toleranz, Menschenrechte etc. pp. nicht mehr leisten könne, ist das Narrativ der Rechtspopulisten, die uns erzählen wollen, dass die Güte der Gutmenschen – also das Festhalten an gesellschaftlichen Errungenschaften – unser aller Lebensqualität gefährde. Denn wenn wir erst gar keine demokratischen Grundsätze mehr teilen, dann kann sie uns auch kein linksgrünverwöhnter iPhone-Islamist mehr wegbomben.
(on topic: Und wenn wir die Errungenschaften so abbauen, dass es gewissen Leuten besonders nützt, denen so etwas immer nützt, weil sie die Kanzlerin zum Tee zitieren können, dann ist das bestimmt nur ein ganz dummer Zufall.)
@VonFernseher – ich hatte mich auf den Ortloff Link beschränkt, weil soviel englischer Text ist anstrengend (Hauptschule 75) :-). Aber dieses Zeitfenster der Rechenschaft gab es nicht. Beipiel Brandt tritt für etwas zurück was er in keiner Weise zu verantworten hatte, Schmidt in dessen Zeit sich kollektiv die RAF in Stammheim mit Schusswaffen hingerichtet haben sollen, nicht. Barschel, Möllemann und wie sie alle hiesen haben für sich auch erst im letzten Moment die endgültige Konsequenz gezogen. Wenn es so scheint, dann ist es eher persönlichen Einzelleistungen geschuldet.
Aber wenn du schon den Dicken ansprichst, die haben sich nicht getraut, einen dermassen großen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben, was sich Schröder und Konsorten ohne Skrupel getraut haben. Sozialer Keil, ich rede nicht von Verfassungsbrüche am laufenden Band (Spendenaffäre). Da gab es noch eine Angst vor der Masse der empörten, Als das aber ausbliebt, war der Weg komplett frei.
Aber wie sind wir eigentlich von Brigitte zum Dicken gekommen :-)
@Tanja, da schliesse ich mich @VorFernseher ohne Einschränkung an.