Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Es wurde viel geschrieben und gesagt in der vergangenen Woche über das 40. Jubiläum des feministischen Urknalls „Emma“. Deshalb schreibe ich nicht darüber. Stattdessen habe ich am Kiosk beschlossen, ich nehme eine Zeitschrift mit, von der ich annahm, sie repräsentiere das Gegenteil davon: Eine Zeitschrift mit dem Titel „Free Men’s World – Abenteuer gibt es noch“.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Ich finde den Namen auf so vielen Ebenen bizarr, dass ich mich jetzt kurz zusammenreiße, um nicht ins totale Labern zu verfallen, und mache es so kurz es eben geht: Ich kann damit leben, dass man Männerzeitschriftentitel oft nicht gut aussprechen kann*. Nötig finde ich das nicht, und „Free Men’s World“ klingt für mich nicht einmal wie richtiges Englisch, obwohl es das ist. Vor allem aber strahlt der Name für mich eine Art Vorkriegsmännlichkeit aus, der ich sonst in meiner Gegend nur noch am Rande der verschissenen Harley Days begegne, wo Midlife-kriselnde Notare und Oberärzte versuchen, ihr ehemals rebellisches Herz durch einen lauten Motor zu ersetzen.
„Free Men’s World“? Ernsthaft? Verbunden mit den angekündigten Abenteuern, die nach dem (noch bis März) aktuellen Cover vor allem daraus bestehen, irgendwo draußen herumzulaufen, wo es wirklich verdammt kalt ist („-42° – Wie lebt’s sich in der kältesten Stadt der Welt“) klingt das für mich, als wäre ich kein freier Mann, wenn ich nicht solche angeblichen Männerdinge tue; ich fühle mich aber tatsächlich frei genug, um zu sagen: Ich kann ganz gut ohne den Quatsch.
Richtig fies wird es für mich, wenn ich Headlines lese wie: „Was fürs Leben – So geht Männerfreundschaft“. Männerfreundschaft ist ein Scheißwort. Sie verhält sich zu einfacher Freundschaft wie Damentennis zu Tennis**: Es ist eine Einschränkung. Den allergrößten Teil davon will kein Mensch sehen.
Die Hauptzeile auf dem Titel verheißt den Winter als „Hochsaison für besondere Abenteuer“ (das Wort „Abenteuer“ taucht auf dem Cover dreimal auf), und so geht auch das Heft los: mit einer Kaskade von Geschichten, in denen sehr viel Schnee liegt. Wenn die erste Hälfte dieses Magazins reden könnte, würde man ihren Atem sehen.
Aber dabei fällt auf: Die Qualität der Bildstrecken ist immer mindestens gut; die aus der kältesten Stadt der Welt irgendwo im hintersten Russland ist großartig, fotografiert in Schwarzweiß, bedrückend traurig und wunderbar ästhetisch, man bemitleidet und bewundert sie gleichzeitig, die Männchen und Mütterchen, die dort im kalten Hinterhof der Welt ein Leben für sich schnitzen müssen. Und tatsächlich erwische ich mich dabei, wie ich mir vorstelle, dorthin zu fahren und das Abenteuer zu erleben, da Urlaub zu machen, wo andere leben müssen. Eine Free-Men’s-World ist es ja in Wahrheit nur für die, die da auch wieder abhauen können.
Die nächste Erkenntnis: Die Zeitschrift „Free Men’s World“ ist gemacht von Leuten, die Zeitschriften machen können***. Es ist nichts wirklich neu oder einzigartig daran, aber das Handwerk ist quasi makellos. Ich habe ein Herz für Ausreißer in jede Richtung, und „Free Men’s World“ ist keiner, aber das zu kritisieren wäre, als würde man eine Mercedes-E-Klasse dafür kritisieren, dass sie keine offene Ladefläche hat und man in ihr nicht kochen kann. Die Texte, die Fotos, das Layout, die Mischung, die Abwechslung, die Themenauswahl – das ist alles hypersolide Obere Mittelklasse, und man kann das mit Freude blättern und lesen.
Gleichzeitig wird man nachdenklich, auch weil das Heft immer nachdenklicher wird, je weiter man vorankommt. Da ist der Koch aus Hamburg, der kurz davor ist, für 14 Monate in die Antarktis zu gehen, um dort auf einer Forschungsstation zu arbeiten. Er wird seine Tochter so lange nicht sehen, und er muss im Interview gar nichts Weltbewegendes sagen, damit man mitfühlt, wie aufregend und beängstigend das gleichzeitig ist.
Oder die Geschichte des Typen, der mitten in der Jetzt-ist-gar-nicht-Saison eine Hütte an einem portugiesischem Strand mietet und dort allein aufs Meer blickt. Der wunderbare Till Raether schreibt die inzwischen in jedem Männerheft offenbar obligatorische Männerfreundschaftsgeschichte, und das ist ein kluger Text, dem ich in fast allem widersprechen möchte, es aber nicht mache, weil er bestimmt recht hat und ich nicht****.
In vielen Geschichten gehen Männer in die Berge, in sehr vielen Geschichten, eigentlich sind ständig irgendwo Männer in den Bergen, und was sie mitbringen, ist sehr viel nachdenklicher, als es die Schlagworte „Freie Männer“ und „Abenteuer“ erwarten lassen.
In „Free Men’s World“ geht man nicht so weit, dass Männer scheitern. Selbst der eine, der es nicht ganz bis auf den Gipfel schafft, sieht am Ende alles rosig und ist total glücklich und friedlich und was man alles ist nach einem Abenteuer. Es wäre vielleicht auch zu viel erwartet, denn natürlich ist „Free Men’s World“ am Ende eine Lifestyle-Zeitschrift für Outdoor-Erlebnisse der etwas rustikaleren Art, und es ist ein Produkt der alten Verlagsgruppe Milchstrasse*****, deren Verlagshandschrift daraus bestand, opulente Strecken mit sexy Produkten abzuwechseln. Das funktioniert hier immer noch.
Die tatsächliche Verlagskonstruktion ist für mich allerdings kaum zu entschlüsseln. Wenn ich das Impressum richtig lese, hat der Verlag****** die Redaktion, die Druckvorstufe und den Druck an Agenturen outgesourced und verkauft nur noch die Anzeigen und macht den Vertrieb. Das ist im Prinzip die moderne neue Welt des Magazinmachens, allerdings müsste sich der Verlag dafür noch selbst abschaffen, weil man ihn eigentlich nicht mehr braucht, höchstens noch als Rechteinhaber oder so etwas. Die eigentliche Arbeit machen Agenturen und Freie Mitarbeiter. Was ja nur folgerichtig ist in einer Free-Men’s-World.
Free Men’s World
TV Spielfilm Verlag GmbH
5,80 Euro
*) Points in case: „Men’s Health“, „GQ“, „FHM“.
**) Herzlichen Glückwunsch, „Emma“!
***) Offenlegung: Ich kann die Verlags- und Redaktionskonstruktion da wirklich nicht genau auseinanderdröseln, aber ich habe festgestellt, dass es praktisch keine Ebene gibt, auf der nicht Leute arbeiten, mit denen ich schon lange und gut zusammengearbeitet habe oder sogar gut bis sehr gut befreundet bin. Ich versuche, mich davon in meiner Bewertung nicht beeinflussen zu lassen.
****) Und der Typ haut diese Geschichten in einem Tempo raus, das auf mich wirkt, als hätte er das Fließband von Henry Ford neu erfunden, während ich mit einem stumpfen Messer an der einzelnen Speiche eines Kutschenrades schnitze. Ich lese den jeden Tag irgendwo, und immer gut. Stop it, Dude, Du lässt uns Sterbliche echt schlecht aussehen …
*****) Offenlegung: Ich habe 1999-2000 und 2007-2009 für die Verlagsgruppe Milchstrasse gearbeitet.
******) Der TV Spielfilm Verlag, der eine Tochter der Verlagsgruppe Milchstrasse sein müsste, die eine Tochter des Burda Verlags ist. Puh.
Kleiner Protip: Artikel zweimal nebeneinander öffnen oder die Fußnoten per Screenshot (z.B. Snipping Tool) offen lassen, erleichtern das Lesen ungemein :-)
M.P., sie fördern meine Problemlösungskompetenz. Wenn das mein Chef wüsste… ;-)
„Es wurde viel geschrieben und gesagt in der vergangenen Woche über das 40. Jubiläum des feministischen Urknalls „Emma“. Deshalb schreibe ich nicht darüber.“
Awww. :-(
„-42° – Wie lebt sich’s in der kältesten Stadt der Welt“
Lustigerweise lautet der Titel/Teaser auf dem Cover ja „Wie lebt’s sich“ und nicht „Wie lebt sich’s“ – und ich musste das Cover-Original prompt 3x lesen, weil der Satz so herum so viel schlechter les-/sprechbar ist. Handwerklicher Schnitzer!!1!
Oh! Danke!
Vor vielen Wintern hatte ich ein Abenteuer. The wife was not amused.