Bahnhofskiosk

Ein Jahr, schlecht genug für ein gutes Magazin

2016 wird entweder als ein herausragender Kackhaufen von einem Jahr erinnert werden, oder als Anfang vom Ende. Es ist sehr viel unangenehmes Zeug passiert, es sind sehr viele Menschen gestorben, und wenn die Welt nicht tatsächlich komplexer geworden ist, dann wirkt sie doch zumindest so. Es ist ein verwirrendes Jahr voller widersprüchlicher Nachrichten.

Eigentlich ein perfektes Jahr für Magazine also, voller sexy news, also solcher Nachrichten, die automatisch Aufmerksamkeit auf sich ziehen und von denen man als Medienkonsument so derartig nicht genug kriegen kann, dass man auf der Fernbedienung ausrutscht und aus Versehen N24 guckt. Der „Stern“ verliert trotzdem weiter an Auflage. Der Einzelverkauf lag in jedem Quartal unter dem des Vorjahres. Ich bin ein bisschen versucht zu denken: Wenn man in so einem Jahr keine aktuellen Magazine verkaufen kann, dann kann man es nie mehr.

„Das war 2016“ ist die Titelzeile des Jahresrückblicks-„Stern“, „Die besten Bilder, die besten Geschichten“, umgeben von einer Collage, in der aus einem durchs Universum schwebenden „Stern“-Logo-Stern Figuren wachsen, die offenbar in ihrer Mischung für das Jahr stehen: Michelle Obama, David Bowie, Prince, Frank-Walter Steinmeier, ein Pokemon, Schweini und seine Braut, Donald Trump, Kim Kardashian, eine Blonde, von der ich glaube, sie ist Ivanka Trump, Herzogin Kate mit Kind, die Elbphilharmonie, Soldaten, ein Demonstrant mit türkischer Flagge, und von der Seite kommt noch Angelique Kerber geflogen.

Ich zähle das so ausführlich auf, weil ich die Mischung einerseits ganz gut finde, andererseits aber tatsächlich nur drei der Gesichter auch wirklich zu den „besten Geschichten“ des Jahres gehören: Es gibt im Heft ein Porträt von Angelique Kerber, eine Geschichte über die Präsidentschaft Trumps und ein Stück über das Abrutschen der Türkei in die Diktatur. Michelle Obama, die größte Figur auf dem Cover, kommt nur auf einem Foto des Jahres vor und als Randnotiz vor in einer Geschichte über die nächste First Lady. Ivanka Trump, Schweini und Ana und Kim Kardashian werden im Heft knappstens erwähnt, Kardashian zum Beispiel in einem halben Satz, der witzig daran erinnern soll, dass sie dieses Jahr ausgeraubt wurde (in einer Rubrik „auch noch getrennt“ steht „Kim Kardashian von ihren Klunkern. Tja“). Frank-Walter Steinmeier und Herzogin Kate suche ich ehrlich gesagt noch.

Was nicht heißt, dass die Geschichten, die tatsächlich im „Stern“ stehen, nicht gut sind, oder sogar großartig. Da ist zum Beispiel neben den oben schon genannten ein fantastisches, bewegendes Fotoessay über Aleppo, in dem Nahaufnahmen von kriegsgezeichneten Gesichtern neben Aufnahmen von Explosionen und Zerstörung stehen. Ein Expeditionsbericht von der Suche nach den Überresten der gescheiterten Franklin-Expedition, bei der 1845 auf der Suche nach der Nordwestpassage 129 Männer starben. Ein Interview mit Juli Zeh. Ein wunderschönes Stück über einen Mann, der sich um Angehörige von Opfern in Katastrophenlagen kümmert und das auch beim Amoklauf in München gemacht hat, ein perfektes Beispiel dafür, wie eine Magazingeschichte im Jahresrückblick sein muss, nämlich nicht einfach das Nacherzählen der alten Geschichte, sondern ein neuer Zugang. Toll.

Fast so gut ist die Reise nach Island zum Nacherzählen der EM und ein Porträt über den erfolgreichsten Landtagskandidaten der AfD. Eine Geschichte über die Liebe im Heft ist aufgehängt an den Promi-Trennungen des Jahres. Und es gibt einen aus Kleinteilen montierter Jahresrückblick samt Totengalerie. An manchen Stellen ist er tatsächlich lustig, an vielen anderen wirken die betont launigen Formulierung auf mich allerdings so, dass ich sie launig nenne. Ich hasse das Wort.

Ich finde es natürlich heimlich großartig, dass dieses Jahr für alle so verwirrend ist, dass man beim „Stern“ zwischen Cover und Heft eine Baulücke lässt, in der Gedanken aufwirbeln können wie Herbstlaub im Wind. Was war nochmal mit Kate? Baby wahrscheinlich, ist ja auch eins mit auf dem Foto, aber war das echt erst dieses Jahr? Ich weiß es nicht. Kommt mir länger her vor. Egal.

Es ist bei all dem ein guter „Stern“, finde ich, so wie ich den „Stern“ meistens besser finde, als ich gedacht hätte, wenn ich ihn dann doch mal lese. Mache ich natürlich zu selten. Er ist nie so richtig meine Zeitschrift geworden, ich habe mich immer zu jung für ihn gefühlt, was lustig ist, weil ich inzwischen für gar nichts mehr zu jung bin. Ich sehe sogar schon gut aus in Beige.

Aber vielleicht ist es auch gar nicht das Alter. Ich bin möglicherweise zu sehr irgendwas, um den „Stern“ zu lesen, zu doof, zu klug, zu urban, zu provinziell, jedenfalls irgendwas, was nicht durchschnittlich genug ist. Oder aber der „Stern“ ist nicht aufregend genug. Ich würde es gern darauf schieben. Ich bin mit dem „Stern“ aufgewachsen, weil mein Patenonkel dort etwa 100 Jahre lang Redakteur war, und er hat immer gesagt, sie machten „die ,Bild’-Zeitung für Alphabeten“. Ich fand das immer gut, aber ich habe den Eindruck, das ist heute anders. Es fehlt ein bisschen die Ruppigkeit, ein bisschen Haltung, ein bisschen Provokation. Die Aufregung. Der Sex.

Damit meine ich nicht die nackten Mädchen, die Rückenschmerzen im Po haben und das Thema deshalb gut auf dem Cover illustrieren. Aufregend und sexy können auch kluge Gedanken sein, denen man folgen will. Was ich aber glaube: Vom „Stern“ erwartet man wie vom „Spiegel“, dass er alles, was er macht, besser macht als alle anderen. Die besten Geschichten und die besten Fotos eben. Wie es draufsteht. Und das ist hier nur der minimale Standard: Alles am besten machen. Um richtig sexy zu sein, braucht es dann noch ein bisschen mehr. Ein bisschen Verruchtheit. Ein paar Schönheitsflecken. Eine kleine sexy Zahnlücke. Lebensfreude. Ein dreckiges Lachen.

Ich glaube übrigens, man kann auch 2017 noch aktuelle Magazine verkaufen. Und ich hoffe, man wird dafür sehr hart arbeiten müssen, weil es einfach so wenig sexy news gibt.

Stern
Gruner + Jahr
4,10 Euro

13 Kommentare

  1. @ 5
    Haha, si tacuisses…

    Helmut Schmidt würde ich nun nicht gerade als Kapazität für gutes Deutsch dem Duden vorziehen. Auch sollte man Businesskasperldeutsch nicht mit Mundart verwechseln.

  2. @1 Wenn man den Satz retten will, muss da „erinnert werden“ durch „in die Geschichtsbuecher eingehen“ ersetzt werden. Ihre Grammatikkorrektur macht den Satz leider komplett kaputt und er muss daher komplett umgestellt werden. ( Zu meiner Schulzeit wurden Satzbaufehler noch strenger bestraft als „einfache“ Grammatikfehler). Leider funktioniert der Satz umgestellt auch so gar nicht. Schade.

    Ich gebe aber zu, dass „in die Geschichtsbuecher eingehen“ eine herausragend miese Floskel ist, da ist mir der Grammatikfehler fast lieber.

    @Artikel
    Danke fuer den Artikel! Der Stern ist auch bei uns eher als „der Spiegel in schlecht, aber immerhin nicht so schlecht wie Focus“ bekannt. Fuer mich hat er auch niemals funktioniert. Ich muss aber zugeben, dass er inzwischen scheinbar als Bildband ganz gut taugt. Da sind die Texte dann doch wieder Nebensache. Und ob das mit dem „Spiegel in schlecht“ noch gilt…der Spiegel war ja auch mal besser.

  3. Ich verstehe nicht, was hier alle gegen den “Stern“ haben! War er es nicht, der die Fotos mit diesem Verteidigungsminsiter (Name vergessen, wirklich) und seiner Geliebten beim Begrapschen im Pool veröffentlicht hat? Genial!!! Da hat er schon 2010 den Diekmann von 2016 vorweggenommen. Die aktuellen Fotos kommen noch!

  4. Nochmal zum “Erinnern“ zurück. Nehmen wir doch einfach “ in Erinnerung bleiben“, dann passt es wieder.

  5. Ich verstehe nicht, warum hier alle den “Stern“ lesen!
    Viele bunte Bildchen, viele Prominente, ein paar kleine Reportagen, der Rest ist Werbung. Also eigentlich ist der „Stern“ ein Mix aus FOCUS und Bild der Frau, plus Werbung.

  6. Der Stern kommt ja hier relativ gut weg, aber mir wird nicht deutlich, warum… Ich könnte ja auch irgendwann mal einen lesen. Hm. Aber „Zeit des Erwachens“? Also. Wenn ich Frau Dings wäre, fände ich es vielleicht sogar lustig. Aber wenn ich die Redakteurin(Heißen die so? Machen die das dann?) wäre, die diesen Titel auswählt, würde ich mich trauen. Das ist doch schon ein bisschen unverschämt.

  7. @Critzmow #7: Hättste mal lieber selber geschwiegen, anstatt meine Oma zu beleidigen. Business“kasperl“ war die jedenfalls nicht. Erinnerte aber gerne die schönen Zeiten, damals in Conneforde. Jedenfalls erinnere ich das, sonst würde ich das nicht auch so sagen. Jahrgang 1910 (also meine Oma) oder so übrigens, also bitte nicht mit neumodisch kommen.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.