Berichte über Hitler-Penis

Womöglich Mikrojournalismus

Auch seriöse Medien wie die „Tagesschau“ oder der „Spiegel“ berichten über angeblich neue Erkenntnisse zu Adolf Hitlers Glied. Warum? Und was sagt das aus, wenn es überhaupt stimmt? Soll das Geschlechtsteil die Welt erklären? Über eine Kleinigkeit, die zu große Aufmerksamkeit bekommt.

Diese Woche habe ich ein Interview veröffentlicht, in dem ich eine Person, die früher Clickbait-Journalismus gemacht hat – also jene Art Journalismus, bei der man mit reißerischen Überschriften um Klicks und Aufmerksamkeit buhlt – folgendes gefragt habe:

Ist Clickbait nur ein Phänomen von Reichweitenportalen? Oder machen das auch Qualitätsmedien?

Ich muss gestehen: Im Nachhinein finde ich meine Frage selbst etwas naiv. Spätestens seit ich am Donnerstag die Meldungen und Instagram-Posts seriöser Medien über neue Berichte zum angeblichen Hoseninhalt Adolf Hitlers gesehen habe, kann die einzige Antwort darauf nur noch lauten:

Aber hallo!

Zum großen Thema werden die Geschlechtsteile und die Sexualität des Führers gerade (mal wieder), weil der britische Sender Channel 4 am Samstag eine Dokumentation veröffentlichen wird, für die Wissenschaftler angeblich die DNA von Adolf Hitler entschlüsselt haben wollen. Grundlage soll ein blutiger Stofffetzen von dem Sofa sein, auf dem sich Hitler im April 1945 das Leben nahm. Das Ergebnis: Er soll an einer Krankheit gelitten haben, die zu Entwicklungsstörungen führen und sich auf das Wachstum der Geschlechtsorgane auswirken kann.

Was für eine Sensation! Dachten sich offenbar auch zahlreiche deutsche Medien, die – noch bevor irgendjemand die englische Doku gesehen hat – darüber berichten.

Kann sein, kann nicht sein

So fragte der „Spiegel“ am Donnerstagnachmittag auf einer Instagram-Kachel: „Hatte Adolf Hitler einen Mikropenis?“ Und schob bereits ein vorsichtiges „Womöglich“ hinterher.

Instapost des "Spiegel": "DNA angeblich entschlüsselt: Hatte Adolf Hitler einen Mikropenis? Womöglich.
Blick in den „Spiegel“.Screenshot: Instagram / Spiegel

Ähnlich ein Post der „Tagesschau“. Sie wissen schon: jenes Nachrichtenformat, das der ehemalige ARD-Vorsitzende und frühere „Tageschau“-Chefredakteur Kai Gniffke einst als „verlässlich, seriös, sachlich und ruhig in aufgeregten Zeiten“ bezeichnet hatte. Hier lautete die Zeile: „Neue DNA-Analysen von Hitler – Sexuelle Störung, vielleicht Mikropenis“.

Instapost der Tagesschau: "Neue DNA-Analyse von Hitler: Sexuelle Störung, vielleicht Mikropenis"
„Tagesscheiss“, bist du’s?Screenshot: Instagram / Tagesschau

Man kann der „Tagesschau“ nicht vorwerfen, sie hätte kein Gespür dafür, was bei ihrer Community gut läuft: Der Post hatte – Stand Freitagnachmittag – weit mehr als 230.000 Likes, deutlich mehr als sonst, und über 4.000 Kommentare. Viele Kommentierende kritisieren die „Tagesschau“ allerdings auch dafür, dass sie so eine Nachricht überhaupt postet. Andere wähnen sich kurz auf dem satirischen Instagram-Account „Tagesscheiss“ und waren dann überrascht, doch bei der echten „Tagesschau“ gelandet zu sein.

„Grundsätzliche Zweifel“

Interessant ist dabei, dass in den Texten zu den reißerischen Überschriften bereits klar wird, dass das alles mit Vorsicht zu genießen ist. Erstens, weil es – wie auch der „Spiegel“ schreibt – immer wieder „grundsätzliche Zweifel“ an der „Beweiskraft alter DNA-Spuren“ gibt: Sie können verunreinigt oder vertauscht worden sein. (Warum sich die Forschenden sicher sind, die richtige DNA zu haben, erklärt die Genetikerin Turi King übrigens hier in einem BBC-Interview.)

Zweitens: Wenn Hitler wirklich an der Entwicklungsstörung litt, ist es immer noch nicht erwiesen, dass er einen Mikropenis hatte. Die Wahrscheinlichkeit dafür liege bei 1:10. Es ist also nicht so sicher. Aber trotzdem schreiben alle mal schön den Mikropenis in ihre Headlines.

Die „Bild“ verzichtete sogar auf die Frage, ob Hitler einen Mikropenis hatte, sondern machte das gleich mal zu Tatsache:

Bild-Schlagzeile: Hitler hatte einen Mikropenis
Screenshot: Bild.de

Später korrigierte „Bild“ die Überschrift und ergänzte einen Korrekturhinweis:

Bild-Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels schrieben wir in der Überschrift: Hitler hatte einen Mikropenis. Dies lässt sich jedoch nicht endgültig nachvollziehen, da seine Krankheit nur zu diesen Symptomen führen kann. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, diesen zu entschuldigen.
Screenshot: Bild.de

Besonders lustig fanden sie sich wahrscheinlich in der „Bild“-Fotoredaktion, als sie das Thema mit einem Foto illustrierten, auf dem Hitler durch eine Lupe guckt.

Bild-Schlagzeile: Hitlers DNA zeigt sexuelle Dysfunktion
Screenshot: Bild.de

Sie verstehen schon: Ne Lupe, hahaha!

Und was sagt uns das jetzt?

Dass Medien aus einer wissenschaftlichen Erkenntnis, zu der es viele Fragen gibt, reißerische Headlines machen, ist das eine.

Die andere Frage ist: Was soll man mit der Erkenntnis der Wissenschaftler, selbst wenn sie denn zutrifft, anfangen? Soll der Mikropenis eine Erklärung sein, um Hitlers Handeln besser zu verstehen? Und wenn ja, was genau soll das erklären?

Dass sechs Millionen Juden überlebt hätten, wenn Adolf Hitler ein normal großes oder überdurchschnittlich großes Glied gehabt hätte? Dass er Polen nicht überfallen hätte, wenn es mit Eva Braun in der Kiste besser geklappt hätte? Dass man generell vorsichtig sein sollte bei Männern mit kleinem Penis, weil sie sonst möglicherweise übermorgen einen Weltkrieg anzetteln?

Und welcher Content kommt dann als nächstes? Helfen Penispumpen gegen den Rechtsruck? Und wird irgendwann jemand untersuchen, ob Margaret Thatcher oder Kleopatra eine Riesenklitoris hatten?

Das ist natürlich alles Unsinn und, wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, eine Steilvorlage für billige Witze über Männer, deren Penisse einfach kleiner sind und die angeblich irgendwas kompensieren müssen und dann zu größenwahnsinnigen Despoten werden. Was ziemlich diskriminierend ist. Und dumm.

Fast schon pflichtschuldig wirkte daher der kleine Zusatztext am unteren Bildrand des „Tagesschau“-Posts, in dem zu lesen ist:

„Rückschlüsse auf Hitlers Persönlichkeit sind jedoch wissenschaftlich problematisch.“

Man hätte auch schreiben können: „Sorry, wir wissen eigentlich, dass es absolut unseriös ist, als ,Tagesschau’ so einen Post zu veröffentlichen, aber wir können einfach nicht widerstehen.“

20 Kommentare

  1. Ohne es gelesen zu haben muss ich gestehen dass ich laut loslachen musste als ich Bild und Überschrift gesehen hab. Und das mit 43 Jahren. Funktioniert immer noch der Humor. Danke dafür!
    Jetzt aber auch mal lesen…

  2. Ohne Witz! Die Meldung war für mich sehr wertvoll, und es war mir völlig brause, dass sie zwielichtig war und in seriösen Medien erschien.

    Ich musste spontan an meinen Opa denken, dem ein einhodiger (verbürgt) Mikropenisträger (nunmehr fast verbürgt) erzählt hat, er, der Einhoder, gehöre zu einer Herrenrasse. Neben diesem Herrn stand damals ein kreischender, klumpfüßiger Propagandazwerg und eine übergewichtige, pervitinsüchtige Teigfresse, die beide ohne mit der Wimper zu zucken dieselbe Ansicht vertraten.

    Seither sehe ich das AfD-Personal, das 80 Jahre später ähnlichen Ideologien anhängt, mit ganz anderen Augen. Das hilft mir bei der politischen Einschätzung von (fügen Sie bitte einen Namen Ihrer Wahl ein) sehr.

    Und das Kopfkino mag ich auch.

  3. Das so etwas unnötig, und eines seriösen Nachrichtenmediums nicht würdig ist muss man eigentlich nicht erwähnen.
    Ist aber wohl nur oder überwiegend auf Insta uä ausgespielt worden da ich es nicht mitbekommen hab.
    Dem kann man, wie Frau Kräher hier wundervoll zeigt, eigentlich nur mit Humor entgegentreten.
    So wie der hier
    „Und welcher Content kommt dann als nächstes? Helfen Penispumpen gegen den Rechtsruck? Und wird irgendwann jemand untersuchen, ob Margaret Thatcher oder Kleopatra eine Riesenklitoris hatten?“
    Hat SouthPark Niveau (Ich liebe SouthPark)
    Danke nochmals für das Schmankerl am Abend Frau Kräher

  4. @MT (#5):

    Ist aber wohl nur oder überwiegend auf Insta uä ausgespielt worden da ich es nicht mitbekommen hab.

    Leider nicht. SPON hatte es prominent auf der Startseite platziert und gestern sogar – als eine von drei Meldungen – in die „Lage am Abend“ aufgenommen. Später folgte dann noch ein Text, wonach das alles Unfug sei. Man nimmt also erstmal den Clickbait mit, sichert sich aber gegen Kritik ab, indem man ihn kurz danach als Clickbait „entlarvt“. Super.

  5. Allmählich beginne ich auch an der Seriosität des SPIEGEL zu zweifeln.
    Ich komme nicht einmal auf die Idee, eine solche Schlagzeile anzuklicken.

  6. Ein paar Jahre lang war Hitler Deutschlands beliebtester Fernsehmoderator. Es noch nicht erforscht, ob es ein Gesetz gab, welches hitlerfreie Tage unter Strafe stellt. Vielleicht haben Spaßvögel den Intendanten weisgemacht, dass es ein solches gäbe.

    Das hat unterdessen nachgelassen, Putin, Trump, Höcke, Orban, Chrupalla, Weidel, Milei, Musk, Fix, Foxi, Max, Moritz und Winnetou sei Dank. Jedoch, in der links-grünen Bubble geht ohne Hitler immer noch nichts. Zzgl. der Arabesken, das Swastika mutiert immer mehr zum Erkennungsmerkmal in dieser Szene.

    Wer ohne Not öffentlich das P-Wort bringt, hat eh fertig. Im aktuellen Fall nur intellektuell und moralisch. Nicht immer geht es so glimpflich aus, im Fall Marie-Sophie Hingst endete es tragisch.

    Vielen Dank an Lisa Kräher für die einzig sinnvolle, erfreulicherweise eloquent und humoristisch vorgetragene, Replik.

  7. Frappierend diese Ähnlichkeit der neurechten Trolle mit dem neurechten Obertroll Elon Musk.
    Passend dazu die Zitate von Joyce Carol Oates:
    „wherever he goes, he wants to leave“– that’s because when he gets there, he has brought his own self along; & whatever club he’s invited to join has been devalued by the invitation.“

    Das was ein FrankD mit Humor verwechselt stinkt.

  8. Natürlich kann man über diese kuriose Meldung erst mal lachen.

    Allerdings ist diese Fokussierung auf Hitler im Genre des Histotainments auch schwierig: Man bekommt das Gefühl, dass solche Zeiten ja sehr weit weg sind von einem selbst (schwarzweiße Bilder, rauschiger Ton, 80
    Jahre her…) und so kann man sich von der realen Gefahr des Faschismus gemütlich distanzieren und trotzdem gruseln.

    Ich habe mal einen schlauen Satz gelesen, leider weiß ich die Quelle nicht mehr: „Everything that makes the Holocaust seem unreal, is bad.“
    Das passt auch sehr gut zum Mikropimmel und dem History-Doku-True-Crime-Disneyland der Kulturindustrie, die jeden Stein rund um die Nazigrößen schon 5x umgedreht hat.

    Und der entscheidende Punkt beim Aufstieg der Nazis sind nicht Hitler und seine
    Schergen. Es ist die breite Bevölkerung, die an deren Luftschlösser glauben wollte und die NSDAP gewählt hat. Sonst wäre die Geschichte vermutlich anders verlaufen. Die Botschaft sollte also nicht sein wie böse Hitler doch war, sondern, dass jeder einzelne dem Faschismus beim Aufstieg hilft, wenn er sich nicht selbst reflektiert.

  9. #9 Das nennt man Themenabend. Eine solche Liste könnte man auch für Tiere in der Savanne, Morde an Taxifahrern oder die schönsten Museen der Welt erstellen.
    Im übrigen können solche Dokus nicht oft genug gezeigt werden. Das hat nicht unbedingt mit Deutschland zu tun. In Spanien wurden zuletzt Abiturienten zu ihrem Wissen über Franco befragt. Nicht wenige ordneten ihn dem 18. oder 19. Jh. zu – und das obwohl der Spanische Bürgerkrieg bis heute in nicht wenigen spanischen Familien Risse zeitigt.

  10. @Anderer Max: Puh, ja, weiß nicht. Ich habe grundsätzlich kein Problem damit, Hitler oder andere Despoten lächerlich zu machen, von mir aus auch derbe unter der Gürtellinie. Dies aufgrund von tatsächlichen, vermuteten oder angedichteten körperlichen Eigenschaften oder Krankeiten zu tun, ist allerdings scheiße. Dann macht man sich nicht nur über Hitler lustig, sondern stigmatisiert gleich alle, die z.B. Inkontinenz haben. Nee.

  11. @ inga:
    Ich verstehe die Überhöhung in der Satire so: Fehlender Hoden führt automatisch zu Führerambitionen (gedacht, aber nicht ausgesprochen: Minderwertigkeitskomplex, Depression, toxisches Selbstbild, etc.). Damit persifliert brainpool anscheinend die Tendenz von Medien, über sinnlose Korrelationen zu berichten – also exakt das, was man heute noch genau so macht, wie man an diesem Artikel sieht.
    Der Unterschied scheint zu sein, dass Medien früher die Wertung gleich vorweggenommen haben (fehlender Hoden = Grund für 2. WK), während man es heute bei der Feststellung belässt (fehlender Hoden) und die einzig mögliche Schlussfolgerung (fehlender Hoden = Grund für 2. WK) im Hirn des Lesers entsteht – Und diese hoffentlich für viel „Engagement“ in den Kommentaren sorgt.

    Dann streiten sich die zwei polaren Gruppen darüber, ob ein singulärer Hoden nun zwangsläufig oder doch nur potentiell den totalen Krieg bedeutet, oder nicht. Erörtert wird die Hodensituation anderer Massenmörder und vermeintliche Korrelationen, die keine Kausalzusammenhänge sind.
    Step 3: Profit (für den Verlag).

  12. @#15, D W B:
    Solche Dokumentationen haben sicher ihren Wert, aber dass dt. Abiturienten Hitler nicht im 18. Jhdt. oder so verorten, liegt wohl eher am dt. Lehrplan als an den Dokus.
    Und umgekehrt, wer heute tatsächlich denkt, dass „nicht alles schlecht war“ oder so, trotz zahlreicher Stunden Unterricht, vielen, vielen Dokus und anderen Argumenten, wird wegen Mikropenisvermutung auch nicht umdenken.

    Dass solche Spekulationen eher anderen Menschen schaden als irgendwelche pädagogische Ziele zu erreichen, glaube ich im Übrigen auch.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.