Datenauswertung

Welchen Sendungen die ARD-Mediathek die große Bühne bereitet

Was die ARD in ihrer Mediathek prominent bewirbt, sagt viel darüber aus, wie sie sich sieht und wie sie gesehen werden will. Wir haben über mehrere Monate ausgewertet, was der Senderverbund dort anpreist.
Screenshot der ARD-Mediathek, ganz groß oben beworben eine Reportage des Y-Kollektivs mit dem Titel: „Jung, kriminell, chancenlos? Ein Jahr mit einer Jugendgang“.
Ganz oben in der ARD-Mediathek: „Y-Kollektiv“-ReportagenScreenshot: ARD

Sie jagen mit Stormchasern Tornados. Begleiten Partytouristen, die auf Junggesellsenabschieden brutal eskalieren. Treffen einen Nerd, der trotz Bienenallergie psychedelischen Honig ernten will. Verbringen ein Jahr mit einer kriminellen Jugendgang. Unterhalten sich mit Leuten, die andere zur sexuellen Befriedigung mästen, und mit Influencern, die gefährliche Tipps zu einer vermeintlich gesünderen Ernährung geben.  

Die jungen Reporterinnen und Reporter vom „Y-Kollektiv“ erleben die erstaunlichsten Dinge und schildern die extremsten Extreme. Oder wie sie es selbst formulieren:

„Bei uns gibt’s die großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit, erzählt in persönlichen Geschichten.“

Ursprünglich war die Reportagereihe bei Funk zuhause, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF für junge Leute. Als sie für die zu alt wurde, wechselte sie vor zwei Jahren in die ARD-Mediathek. Inzwischen ist sie dort das prägendste Programm des Senderverbundes. Auf der Startseite der Mediathek wird keine andere Reihe auch nur annähernd so prominent präsentiert. Im Schnitt ist die Hälfte der Zeit eine „Y-Kollektiv“-Reportage in der sogenannten „Stage“ platziert – das ist die Fläche ganz oben auf der Startseite, auf der sich ein bis zwei Handvoll Programme durchblättern.

Der Ort für die Highlights

Insgesamt über 200.000 Sendungen enthält die Mediathek. Es ist wie ein riesiges Lager, in dem das meiste nur gefunden wird, wenn man gezielt danach sucht. Es gibt Regale, in denen Inhalte sortiert nach Themen, Genres oder Regionen präsentiert werden; hervorgehobene Kategorien wie „Unsere besten Dokuserien“ oder „Best-of Entertainment“; Aktionsflächen mit Sammlungen zu  aktuellen Themen wie der Nahost-Krieg. Und ein Schaufenster, in dem immer nur eine winzige Auswahl von Programmen ausgestellt wird: die „Stage“.

Die „Stage“ ist der Ort für die Highlights der ARD. Für Programme, die eigens für die Mediathek hergestellt wurden und ein jüngeres Publikum anziehen sollen. Und für ausgewählte Programme aus dem linearen Fernsehen.

Welche Sendungen die ARD hier hinstellt, sagt viel darüber aus, wie sie sich sieht und wie sie gesehen werden will. Wir haben über mehrere Monate ausgewertet, was dort angepriesen wird. 

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In der Hitliste der Reihen, die hier am längsten präsentiert werden, folgt auf die „Y-Kollektiv“-Reportagen ein Erfolgsprogramm aus dem linearen Fernsehen: der „Tatort“. Auf Platz 3 liegt der „Weltspiegel“, allerdings nicht das Auslandsmagazin, sondern 45-minütige Dokus, zum Beispiel über Dänemarks Migrationspolitik oder die Bedrohung Mallorcas durch den Tourismus. Im linearen Fernsehen sind diese Sendungen auf einem Dokumentations-Sendeplatz am späten Montagabend versteckt; in der Mediathek finden sie sich sehr prominent. Ähnliches gilt für  Dokumentationen unter dem Label „ARD Wissen“.

In der Mediathek präsentiert sich die ARD außerdem offensiv als Satire-Sender: „extra 3“ und die „Carolin Kebekus Show“ sind in den Top 10 der präsentesten Formate auf der Stage. „Nuhr im Ersten“ mit Dieter Nuhr folgt schon auf Platz 13. 

„Echter Publikumsrenner“

Drei Doku-Soap-Reihen in der Hitliste zeigen deutlich, welche Art Programme die ARD gezielt für die Nutzung in der Mediathek und das dort angestrebte jüngere Publikum produziert: „Azubi Stories“ begleitet junge Leute in der Lehre (Folge 1: „Struggle aufm Bau!“), „In höchster Not – Bergretter im Einsatz“ und „Nachtstreife“ gehören zum relativ neuen „Retter“-Genre, das die aufregende Arbeit von Helfern und Ordnungshütern dank Body-Cams aus größter Nähe zeigt.

Offenbar mit gutem Erfolg: Der BR bezeichnet „In höchster Not“ als „echten Publikumsrenner“ und hat bereits eine zweite Staffel in Auftrag gegeben. Bei einer Ausstrahlung in der  Primetime im Ersten hatten zwei Folgen allerdings für diesen Sendeplatz nur deutlich unterdurchschnittliche Zuschauerzahlen – aber daran wird der Erfolg dieser für die Mediathek gemachten Formate auch nicht gemessen.

Auch die Talkshow „Maischberger“ hat es in die Stage-Top-10 geschafft. Dabei ist ihre Art der Präsenz anders: Während einzelne Ausgaben zum Beispiel der „Y-Kollektiv“-Reportagen typischerweise eine Woche lang beworben werden, verschwinden die tagesaktuellen „Maischberger“-Sendungen meist schon nach einem Tag wieder – aber die nächste Ausgabe folgt ja schnell.

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Dokumentationen aller Art dominieren die Stage. Das Genre ist hier stärker vertreten als alle anderen – auch wenn man Dokusoaps wie die Retter-Formate oder die Reihe „Raus aufs Land“ über Stadtflüchter getrennt davon betrachtet. Besonders lange war in unserem Erhebungszeitraum das Dokudrama „Stammheim – Zeit des Terrors“ über die Prozesse gegen die RAF präsent. Außerordentlich prominent platzierte Dokumentationen waren auch „Max & Joy – Komm näher“ über Max Herre und Joy Denalane, „Bin ich schön?“ über Schönheitsoperationen, „Queer in der Provinz“, „Forever Jan – 25 Jahre Jan Delay“ und „China und wir – ein riskantes Spiel“. 

Die Bandbreite von Themen und Formen ist groß. Es gibt „Am Pass“, eine Reihe mit Portraits über Sterneköche, Naturdokus unter dem Label „Erlebnis Erde“, Investigativ-Reportagen etwa über den Handel mit gefälschten Produkten und auch Dokumentationen in Spielfilmlänge, etwa der Film „Das Srebrenica Tape“ über den Völkermord in Bosnien.

Aber es gibt einen klar erkennbaren Schwerpunkt auf Inhalte und Präsentationsformen für ein jüngeres Publikum, mit Sendungen wie „Mein Körper. Mein Adrenalin“ oder „Die Cannabis-Bilanz“ und jüngeren Recherche- und Reportageformaten wie „Vollbild“ und „Bundesvibe“.

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Die präsentesten Fiction-Serien in unserem Untersuchungszeitraum waren der Thriller „Die Augenzeugen – Versteckspiel auf Leben und Tod“, die Berliner Fußpflege-Dramedy „Marzahn Mon Amour“, die Gangsterserie mit Kida Khordr Ramadan „TESTO“ und die Rügener Inselärztin-Serie „Praxis mit Meerblick“. 

Die Spielfilme, die die ARD am meisten promotete, waren: „Enkel für Fortgeschrittene“, „Verrückt nach Figaro“, „Die Rumba-Therapie“ und „Was man von hier aus sehen kann“.

Politmagazine, „Presseclub“ und „Brisant“

Bemerkenswert ist auch, welche bekannte lineare Programm-Marken in der ARD-Mediathek nicht hervorgehoben präsentiert werden. Dazu gehören zum Beispiel der „Presseclub“, das Boulevardmagazin „Brisant“ und die traditionsreichen politischen Magazine wie „Monitor“, „Report“ und „Panorama“: Auf der „Stage“ präsentiert werden nur monothematische Sendungen, die die Redaktionen gelegentlich produzieren wie die „Monitor“-Dokumentation „Volk in Angst“. Sie laufen zwar auch im linearen Fernsehen, sind aber nicht zuletzt für die Online-Nutzung gedacht. Genauso ist es bei „Europamagazin“ und „Weltspiegel“. Das klassische Fernsehmagazin mit mehreren einzelnen Beiträgen gilt als genau das: ein Format fürs lineare Fernsehen.

Auch die langjährigen Seifenopern „Sturm der Liebe“ und „Rote Rosen“ werden nicht auf der „Stage“ platziert. Sie werden in der Mediathek nach Angaben der ARD dennoch stark genutzt, weil sie ihre eigene Sichtbarkeit mitbringen: Es gibt eine starke Fan-Community, die gezielt danach sucht.

Die ARD präsentiert sich in ihrem „Stage“-Schaufenster in der Mediathek deutlich anders als in der Primetime im klassischen Fernsehen. Das ist kein Wunder, weil sie hier gerade auch die Formate prominent präsentiert, die gezielt für die Mediathek produziert wurden – für andere Nutzungsgewohnheiten und für ein jüngeres Publikum.

Den Vorwurf, ein verwechselbares Unterhaltungsprogramm zu machen, muss sich der Senderverbund hier nicht gefallen lassen. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass bestimmte Erzählmaschen, die offensichtlich funktionieren, immer neu variiert werden. Dazu gehören neben Doku-Soap-Varianten vor allem effektheischende Präsenterreportagen, etwa von „Y-Kollektiv“ oder „Vollbild“. Gerade weil sie das Profil der ARD jenseits des linearen Fernsehens prägen, das für jüngere Leute immer weniger Bedeutung hat, lohnt es sich ganz besonders, kritisch zu verfolgen, welche Art von Journalismus sie pflegen.

1 Kommentare

  1. Das Anbiedern an „jüngere Zuschauende“hicksinnen ist im Moment so eine Krankheit beim ÖRR. Insbesondere was sich so bei „funk“ versammelt hat, ist ein Zeigefingerjournalismus auf GEZ.
    Jüngstes Fremdschämformat: Tagesschau Together.

    Was durch die Bank nervtötend ist: „Haltung“. Gerade bei den auf jung getrimmten Formaten schwer erträglich.

    Am ÖRR habe ich bei aller Liberalität immer geschätzt, dass seriös, langweilig und trocken versucht wurde, einfach vorzulesen, was passiert war. Keine „News Event“, sondern Nachrichten wie Aktennotizen.
    Meinungen gab es sicherlich auch, aber immer subtil oder gleich als solche gekennzeichnet.

    Jetzt will man ständig irgendwas „einordnen“ oder „erklären“, warum die eigene Meinung eigentlich ja auch eine Tatsache ist und bedient sich dabei dogmatischer Sprache.
    Es wird sich öfter gefragt, ob die Linken, zu denen ich mich auch ein wenig zähle, daran Schuld sind, dass die Welt so polarisiert ist. Ja, dem Ansturm von Fake News und Reichelteien mit diesem Haltungsjournalismus zu begegnen, hat den Vorwurf „Staatsfunk“ nachträglich legitimiert.

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