Das mediale Interesse am Tod der Extrembergsteigerin und ehemaligen Biathletin Laura Dahlmeier ist riesig. So riesig, dass viele Leser fordern, es endlich sein zu lassen. Übertreiben es Medien mit der Berichterstattung?
Vergangene Woche ist die Extrembergsteigerin und frühere Biathletin Laura Dahlmeier in den pakistanischen Bergen ums Leben gekommen. Dass viele Medien so ausführlich über ihren Tod berichten, liegt einerseits daran, dass Dahlmeier zu jenen Athletinnen gehörte, deren Namen man auch kannte, wenn man sich nicht für Biathlon interessiert. So wie die meisten wissen, wer Alexander Zverev oder Franziska van Almsick sind.
Das große Interesse an ihrem Tod und die vielen Beiträge, die über reine Nachrichten oder Nachrufe weit hinausgehen, haben aber auch einen anderen Grund: die Umstände ihres Todes.
Es war eine zermürbende Zeit, vor allem für Personen, die Dahlmeier nahestanden, für sie ganz besonders. Aber auch für ihre Fans. Zunächst die Phase der Ungewissheit, die Hoffnung auf Rettung – dann die kaum erträgliche Frage, ob und wie ihr Leichnam geborgen werden kann oder soll. Obwohl Dahlmeiers Familie eine klare Position dazu hat. Sie will ihrem Wunsch folgen, am Berg zu bleiben, damit niemand anderes in Gefahr gebracht wird.
Zudem lösen die Umstände ihres Todes offenbar bei vielen Menschen Diskussionsbedarf aus. Etwa über Sinnhaftigkeit und Risiken des Alpinismus, oder über Egoismus und Freiheitsdrang. Es ist also einerseits verständlich, dass Medien versuchen, dieses Bedürfnis zu stillen. Die Grenzen zwischen berechtigtem Informationsinteresse und Voyeurismus sind dabei allerdings fließend.
Die alten Medien-Mechanismen
Medienkritik läuft leicht Gefahr, erwartbar oder sogar naiv zu wirken, wenn sie jene Dynamiken kritisiert, die sich immer wieder einstellen, sobald etwas Schlimmes passiert ist und viele Details noch unklar sind. Aber sollte man diese Mechanismen einfach hinnehmen, nur weil wir uns längst daran gewöhnt haben?
Dazu gehören, wie in diesem Fall:
der Versuch, möglichst viel zu berichten, obwohl man noch kaum etwas weiß
das Einholen von Meinungen vermeintlicher Experten, die auch nicht mehr wissen
das mangelnde Verständnis dafür, dass nicht alles an einer öffentlichen Person auch öffentlich ist
Bangen statt Fakten bei „Bild“Screenshot: Bild.de
Ein Beispiel dafür lieferte etwa die „Bild“-Zeitung, die nach den ersten Meldungen über Dahlmeiers Unfall versuchte, möglichst viel Content zu produzieren – was natürlich auf den Großteil der Medienlandschaft zutraf. Wie „Bild“ aber über das Unglück auf der Startseite berichtete, wirkte teils wie ein Liveticker: „Dahlmeier hat Sauerstoff bei sich“, lautete etwa eine Schlagzeile.
Außerdem wurde behauptet, sie habe noch Kontakt zu ihrer Kletterpartnerin gehabt. Quelle für diese Information war die pakistanische Tageszeitung „Dawn“; woher diese das hatte, wurde im Text allerdings nicht klar. Und ob es stimmte, schien nicht wirklich eine Rolle zu spielen. Es ging offenbar nur darum, ein Gefühl der Hoffnung zu bedienen.
Am Donnerstag, drei Tage nach dem Unfall, machte Dahlmeiers Seilpartnerin bei einer Pressekonferenz dann klar: Dass Dahlmeier noch Kontakt zur ihr hatte, stimmt nicht. Dennoch ist die Meldung weiter online, auch „Gala“ und „OE24“ übernahmen sie.
Erkenntnisgewinn: nahe Null
Eine beliebte Methode im Lokaljournalismus ist es, überregionale Themen auf die lokale Ebene herunterzubrechen. Die Redaktion der oberfränkischen Lokalzeitung „Fränkischer Tag“ kam deshalb auf die Idee, einem Extrembergsteiger aus der Region die vermessene Frage zu stellen, „wie gut“ Laura Dahlmeier als Alpinistin denn war, und ließ ihn erklären, „was passiert sein könnte“.
Der Bergroutinier, der Dahlmeier weder persönlich kannte noch je den Laila Peak in Pakistan selbst bestiegen hatte, sagte im Interview immerhin väterlich, dass er glaube, dass sie „auf jeden Fall gewappnet“ gewesen sei. Viel Erkenntnisgewinn ergibt sich aus so einem Gespräch allerdings nicht – außer dem, dass es wohl nicht um Erkenntnisgewinn ging – sondern wieder nur um Content. Es erinnert an Ferndiagnosen von Psychologen, die nach Amokläufen von Redaktionen angerufen werden, um Motive zu deuten, obwohl sie die Täter nie getroffen haben.
Bitte: „Endlich Ruhe“
Auch die unmittelbar Beteiligten sind natürlich von dem Medienrummel betroffen. Ende voriger Woche veröffentlichte der Extrembergsteiger Thomas Huber, ein Freund Dahlmeiers, der am Rettungsversuch beteiligt gewesen war, einen Instagram-Post. Was er da schrieb, lässt erahnen, wie groß der öffentliche Druck auf ihn und vor allem auf Dahlmeiers Seilpartnerin war. Sie hätten sich „nach langer Überlegung“ für eine Pressekonferenz entschieden, um „alle offenen Fragen aus erster Hand zu beantworten“, schrieb Huber. Und auch, dass die „Presse keine Grenzen“ kenne und er sich wünsche, „dass endlich Ruhe einkehrt“.
Nach der Pressekonferenz gab Huber allerdings dem „Bild“-Reporter, der inzwischen aus Pakistan berichtet, ein weiteres Interview. „Bild“ und andere Medien generieren daraus natürlich wieder neue Schlagzeilen. Ob Huber – und vor allem Dahlmeiers Seilpartnerin – damit der ersehnten Ruhe näher gekommen sind?
Protest von Lesern
Das Interesse der Leserinnen und Leser an noch mehr Details zur schwierigen Bergung und dem Verbleib von Dahlmeiers Leichnam ist bei einigen inzwischen offenbar gesättigt. Das legen zumindest die Facebook-Kommentare unter einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vom Montag nahe – ein Interview mit einem Hubschrauberpiloten, der die Rettung in Höhen wie am Laila Peak erklärt. Viele Leser fordern die SZ auf, die Berichterstattung einzustellen. Sie wünschen sich Zurückhaltung.
Den Artikel der SZ als pietätlos zu bezeichnen, wie es manche Kommentatoren tun, wäre übertrieben. Wie eine Bergung im Hochgebirge funktioniert und welche Risiken bestehen, ist sicher eine Frage, die sich viele stellen – sie wurde in den Tagen zuvor aber bereits ausführlich behandelt. Redaktionen müssen nicht mehr jeden einzelnen Aspekt des Unglücks in immer neuen Beiträgen weiterdrehen.
„Respektvoller Umgang“?
„t-online“ ging noch einen Schritt weiter: Das Reichweitenportal interviewte den prominenten Forensiker Mark Benecke zur Frage, was mit Dahlheimers Leiche in 5.700 Metern Höhe passiert und veröffentlichte den Beitrag auch bei seinem Schwestermedium „Watson“. Auch hier gibt es Kritik in den Kommentaren.
Muss das, „t-online“?Screenshot: „t-online“
Zum neuen Markenclaim, den „t-online“ erst im Juli vorgestellt hat, passt dieser Artikel nicht wirklich. Er lautet: „anständig.informiert“. Zu den publizistischen Prinzipien, für die der Slogan steht, zählt laut dem Medienhaus Ströer, zu dem „t-online“ gehört, auch „der respektvolle Umgang mit Betroffenen“. Auch wenn Medien nicht Journalismus nur für Angehörige machen sollen, sondern für alle Leserinnen und Leser, bleibt doch die Frage: Würde man sich als Autor eines solchen Beitrags wohlfühlen, wenn man wüsste, dass die Eltern der Verunglückten ihn mitlesen?
Der Bayerische Rundfunk hat auf seiner Nachrichtenseite BR24 die Kommentarfunktion unter der Meldung, dass Dahlmeiers Leichnam vorerst nicht geborgen wird, inzwischen abgeschaltet. Dies geschah nach Bitten einiger Nutzer, die die Diskussion um den Verbleib des Leichnams offenbar auch nicht mehr ertragen haben. Einige Kommentatoren hatten dort geistreiche Meinungen hinterlassen, zum Beispiel: „Des Dirndl ghört hoam“. (Dirndl ist in Teilen Bayerns nicht nur der Name für das Trachtenkleid, sondern auch ein veralteter Begriff für jüngere Frauen.) Auch unter dem Bericht und Video zum Statement der Seilpartnerin kann man mittlerweile nicht mehr kommentieren.
Wie es den Eltern und anderen nahestehenden Personen der Verunglückten damit geht und ob sie das alles verfolgen, lässt sich nicht sagen. Aber ihnen ist zu wünschen, dass sie von solchen Inhalten und Äußerungen nicht allzu viel mitbekommen. Zumal sie über das Management der Sportlerin darum baten, ihre Privatsphäre zu respektieren.
Man kann Medien kaum vorwerfen, dass sie ausführlich über den tragischen Tod einer beliebten Sportlerin berichten. Allerdings kann man erwarten, dass es irgendwann auch gut ist – aus Rücksicht auf die Angehörigen und die Verstorbene. Als Sportlerin war Laura Dahlmeier eine öffentliche Person, ihr toter Körper ist das nicht.
Autor*in
Foto: Yvonne Michailuk
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Oh Mann, ja. Bei dem Fall kam einfach alles zusammen, was dem Sensationsbedürfnis Futter gibt:
– Eine relativ prominente Person, noch dazu jung und weiblich.
– Ungewissheit über die Ereignisse und eine Rettungsmission wie bei den Fußballjungs in Thailand oder den Bergarbeitern in Chile.
– Dann die Gewissheit über den traurigen Ausgang.
– Schließlich die Debatte über den Verbleib des Leichnams.
Klar dass sich die Medien darauf stürzen – mal mehr, mal weniger angemessen. Schlimm für Angehörige und Freundeskreis, im Sinne der Aufmerksamkeits-Ökonomie aber kaum zu verhindern. Bitter, aber binnenlogisch fast unausweichlich.
Zudem lösen die Umstände ihres Todes offenbar bei vielen Menschen Diskussionsbedarf aus. Etwa über Sinnhaftigkeit und Risiken des Alpinismus, oder über Egoismus und Freiheitsdrang.
Interessante Frage: Die Abwägung zwischen der Begeisterung, mit der man eine gefährliche Sportart betreibt, und dem Risiko, dabei ums Leben zu kommen. Ich bin angehender Segelflieger – das ist lange nicht so gefährlich wie Extrembergsteigen, aber viel gefährlicher, als wenn ich auf dem Boden bliebe und Joggen ginge.
Habe für mich entschieden, dass es mir die Sache wert ist. Der „Sinn“ ist das Glücksgefühl, das ich mit dem Risiko abwäge. Aber wenn jedes zweite Wochenende Berichte über tödliche Abstürze durchs Internet geistern, muss ich schlucken. Und hätte ich Kinder zu erziehen, fiele die Entscheidung vielleicht anders aus.
Ich bin sicher, dass sich Frau Dahlmeier der Gefahr bewusst war. Sie war Profi und wird ebenfalls abgewogen haben – allerdings mit einer sehr viel höheren Risikobereitschaft als ich. Soll man das bewundern? Eher nicht. Aber nachvollziehen kann ich es, und moralische Vorwürfe in Sachen Egoismus fände ich fehl am Platz.
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Oh Mann, ja. Bei dem Fall kam einfach alles zusammen, was dem Sensationsbedürfnis Futter gibt:
– Eine relativ prominente Person, noch dazu jung und weiblich.
– Ungewissheit über die Ereignisse und eine Rettungsmission wie bei den Fußballjungs in Thailand oder den Bergarbeitern in Chile.
– Dann die Gewissheit über den traurigen Ausgang.
– Schließlich die Debatte über den Verbleib des Leichnams.
Klar dass sich die Medien darauf stürzen – mal mehr, mal weniger angemessen. Schlimm für Angehörige und Freundeskreis, im Sinne der Aufmerksamkeits-Ökonomie aber kaum zu verhindern. Bitter, aber binnenlogisch fast unausweichlich.
Interessante Frage: Die Abwägung zwischen der Begeisterung, mit der man eine gefährliche Sportart betreibt, und dem Risiko, dabei ums Leben zu kommen. Ich bin angehender Segelflieger – das ist lange nicht so gefährlich wie Extrembergsteigen, aber viel gefährlicher, als wenn ich auf dem Boden bliebe und Joggen ginge.
Habe für mich entschieden, dass es mir die Sache wert ist. Der „Sinn“ ist das Glücksgefühl, das ich mit dem Risiko abwäge. Aber wenn jedes zweite Wochenende Berichte über tödliche Abstürze durchs Internet geistern, muss ich schlucken. Und hätte ich Kinder zu erziehen, fiele die Entscheidung vielleicht anders aus.
Ich bin sicher, dass sich Frau Dahlmeier der Gefahr bewusst war. Sie war Profi und wird ebenfalls abgewogen haben – allerdings mit einer sehr viel höheren Risikobereitschaft als ich. Soll man das bewundern? Eher nicht. Aber nachvollziehen kann ich es, und moralische Vorwürfe in Sachen Egoismus fände ich fehl am Platz.