Was bleibt vom Verdacht? Wie der „Tagesspiegel“ seinen Artikel zum Fall Judy S. leise umbaute

Eine Richtigstellung in dieser Dimension, mitten auf der Titelseite – das gibt’s nicht so oft. Vor ein paar Monaten mussten sich „Bild“ und ihre Schwesterzeitung „B.Z.“ großformatig dafür entschuldigen, Ende 2024 Unwahrheiten über die Berliner Polizistin Judy S. verbreitet zu haben – in gleich mehreren Artikeln. Einer trug die Überschrift:
„Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, dass die Polizistin einen Penis hat“
Die Behauptung, die Polizeibeamtin sei keine Frau, sondern trans, und auch die Behauptung, sie hätte Kollegen mit einer Penispumpe „gequält“ – alles perfide Erfindungen. Es war eine spektakuläre Rufmordkampagne. Der Axel-Springer-Verlag, in dem „Bild“ und „B.Z.“ erscheinen, musste später eine hohe Geldentschädigung an Judy S. zahlen.
Woher kam’s?
Eine Frage, die sich damals auch stellte, und die bis heute nicht geklärt ist: Wie kam „Bild“ zu all den Falschinformationen? Waren sie von der Redakteurin frei erfunden oder beruhten Sie auf Angaben aus dem beruflichen Umfeld von Judy S.?
Der „Tagesspiegel“ hegte im April nach längerer Recherche den Verdacht, dass Judy S. womöglich Ziel einer Intrige innerhalb der Polizei geworden war – und dass die „Bild“-Autorin, die die Artikel verfasst hatte, von dort mit Infos versorgt worden sein könnte. Auch die Polizei gehe davon aus, dass interne Informationen an „Bild“ weitergegeben worden seien, schrieb die Zeitung. Und präsentierte Indizien.
Allerdings hat sich die Online-Fassung des Artikels inzwischen an einigen Stellen verändert, weil mehrere Personen gerichtlich gegen den Text vorgegangen sind, auch die (nun ehemalige) „Bild“-Redakteurin. Passagen wurden gelöscht, Sätze geändert oder eingefügt. Einen Hinweis für Leser gibt es aber nicht, dabei wäre das angemessen. Auf unsere Frage, wieso der „Tagesspiegel“ all die Änderungen nicht transparent macht, geht eine Sprecherin nicht ein.
Noch bemerkenswerter aber sind die Urteile, die zu den Änderungen führten. Auch weil sie grundlegende Prinzipien journalistischer Arbeit betreffen, beispielsweise den Quellenschutz. Und noch etwas steht zur Debatte: Ob eine Journalistin, die lange für die größte deutsche Zeitung gearbeitet hat, plötzlich Anonymität beanspruchen kann, wenn es um ihre Texte geht und um ihre Rolle in einem publizistischen Skandal.
Die Klage der Gewerkschafts-Funktionärin
In einem ersten Verfahren ging eine Funktionärin der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) gegen den „Tagesspiegel“ vor. Der hatte die Frage aufgeworfen, ob jemand aus der Gewerkschaft der „Bild“-Redakteurin Informationen gesteckt haben könnte. Denn als die Artikel in „Bild“ und „B.Z.“ erschienen, kandidierte Judy S. für den Posten der stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin der Berliner Polizei. Neben ihr traten auch Kandidatinnen an, die von verschiedenen Institutionen unterstützt wurden, unter anderem von der DPolG. Der „Tagesspiegel“ schrieb:
„Aus Polizeikreisen heißt es: DPolG-Vertreter hätten vor der Wahl immer wieder Stimmung gegen Judy S. gemacht.“
Angeblich auch „unter der Gürtellinie“.
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