Hasswort (54)

Normal

Das Wörtchen „normal“ ist längst eine Waffe im Kulturkampf: „Normal“ ist, was die Mehrheit macht. Zeit für eine Abrechnung mit einem Begriff, der nur auf den ersten Blick normal scheint.
Exklusiv für Übonnenten

Natürlich ist es unfair, dass ich hier auf die arme Normalität schimpfe! Sie kann ja nichts dafür. Normalerweise würde ich mich nie über so etwas Harmloses wie das Wort „normal“ aufregen. Normalerweise. Aber was ist schon normal? Am besten fange ich vorne an.

Ich weiß noch, wann mich das Wort zum ersten Mal wütend gemacht hat. Im Bundestagswahlkampf 2021. Damals stellte die AfD ihre Kampagne unter das Motto „Deutschland – aber normal“. Was natürlich die Frage aufwirft: Was ist ein normales Deutschland? Was tun normale Deutsche? Es gäbe so viele Möglichkeiten!

„Normale Deutsche“ singen bei „Wahnsinn“ von …

6 Kommentare

  1. „Normal“ heißt „im rechten Winkel zu einer ebenen Fläche“.
    Dass das Leute im politisch rechten Winkel anders verwenden, war ja klar.

  2. @Mycroft
    Tatsächlich kommt „normal“ ja von „der Norm entsprechend“ und damit einer Vorgabe. (@Autorin: Damit ist es ja mitnichten ein völlig harmloser Begriff, oder?)
    Und die (deutsche) Mathematik hat sich den Begriff genau daher abgeleitet. Der „normale“ Winkel entspricht der Vorgabe der Norm bzw. des Maßes.
    (Der „rechte“ Winkel indes kommt weder von rechts oder dem Recht, sondern als verballhornte Eindeutschung von „angelus rectus“)
    Falls man sich wundert: das habe ich bei Gelegenheit mal für meinen Mathe-LK recherchiert, weil genau diese Fragen da aufkamen ;-)

  3. „Rechter Winkel“ kann auch „angulus normalis“ heißen.
    Das chinesische Schriftzeichen für „links“ stellt witzigerweise eine Hand und ein Winkelmaß – also mehr: Maurerdreieck – dar. Weil man das mit links benutzt, wenn man mit Rechts eine Höhe markiert.
    Also ist „normal“ eigentlich alles, was gerade und ordentlich ist.

  4. Ich glaube, man sollte nicht unterschätzen, wie sehr sich die Leute nach Jahren der Pandemie, des Krieges, der Inflation und der politischen Blockaden nach „Normalität“ sehnen (die es so natürlich nie gibt). Dennoch finde ich ein Bedürfnis nach Ruhe und Alltag nachvollziehbar – man sollte es nicht der AfD überlassen, die genial versteht, es zu bedienen.

    Man kann sagen: Krisen und Angst machen konservativ, was es erschwert, Zustimmung für notwendige Transformationen zu erhalten. Ein Riesenproblem – mit der Strategie, „normal“ als doof zu rahmen, wird man es nicht in den Griff bekommen. Der Soziologe Armin Nassehi hat sich in „Kritik der großen Geste“ Gedanken dazu gemacht.

    Es gab hierzulande Zeiten, da war es „normales“ Vorgehen, aufsässige Frauen als Hexe zu verbrennen.

    Eher nicht. Dass die Opfer der Hexenverfolgung quasi frühe Feministinnen waren, ist ebenso ein Mythos wie die Sache mit den weisen, aber heidnischen Heilkundigen, die der Kirche ein Dorn im Auge gewesen wären.

    Die Auswahl der Hexerei-Angeklagten war recht willkürlich und basierte oft auf Denunziation aus privaten Motiven. Das Phänomen als Ganzes erfüllte in der krisengeschüttelten Frühen Neuzeit eine ähnlich Funktion wie der Antisemitismus in der Moderne. Und immerhin um die 20 Prozent der Opfer waren Männer.

  5. Witzig @KK:
    „Ein Riesenproblem – mit der Strategie, „normal“ als doof zu rahmen, wird man es nicht in den Griff bekommen.“
    Da es ja das sogenannte „framing“ Ihnen zufolge tatsächlich gar nicht gibt, wird hier ge“rahmt“.
    Überzeugt nur so mittelgut.

    Aber kommen wir mal zu Details: Das vorgeblich Normale wird benutzt, um das Unnormale zu bilden. ( Hegel: omnis determinatio est negatio ) Was als vorgeblicher Angriff auf das „Normale“ geframet wird, ist ein strategisches Othering des Nichtnormalen.
    Wer verbietet am Ende Worte, Bücher oder Meinungen. Wer befeuert tatsächlich den Kulturkrieg, wenn man es mal empirisch und analytisch untersucht?
    Wie sieht es denn nun aus in den USA, wo die Kulturkrieger von rechts die Regierungsgewalt übernommen haben.
    Soll das immer noch tatsächlich als Überforderung der armen Normalen durchgehen?
    C’mon!
    Der gesamte Wahlkampf der Union und der AfD war durchzogen und zu großen Teilen getragen von Kulturkampfparolen.
    Polemik gegen Transsexuelle ist gerade ein ganz heisses Thema für die Kulturkrieger.
    Aber doch nicht, weil die paar Promille Transmenschen die Normalität irgendeiner Mehrheit gefährden würden!
    Und warum sind gerade die heranwachsenden Männer, denen eine vermeintlich Normalität, die sie so nie gekannt haben dürften, als die eigentliche natürliche Ordnung nur erzählt wurde, dann so nachhaltig verunsichert, dass sie verstärkt rechtsradikalen Versuchungen erliegen?
    Warum sind gerade diejenigen in der Provinz vom Wandel am stärksten verunsichert, die ihn am wenigsten erleben?
    The Politics of Us and Them aka Faschismus. Herr Merz und die Springerpresse waren die besten Wahlhelfer der AfD, nicht irgendein non-binäres Mitglied der Linkspartei o.ä..

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.