CNN-Korrespondentin Clarissa Ward

Bruchlandungen einer Fallschirmjournalistin

Die renommierte CNN-Reporterin Clarissa Ward präsentierte in einem Beitrag aus Syrien einen vermeintlichen Gefangenen des Regimes. Doch der entpuppte sich als Geheimdienstoffizier. Nur ein peinlicher Einzelfall oder Ausdruck eines grundsätzlichen Problems?

Als das Assad-Regime in Syrien im vergangenen Dezember fiel, war klar, dass Damaskus binnen weniger Tage von Journalisten überrannt werden würde. Das war gut und wichtig, denn es gab und gibt viel aufzuarbeiten. Jahrzehntelang war es unabhängigen Berichterstattern nicht möglich, frei aus der syrischen Hauptstadt zu berichten. Die meisten Journalisten bekamen kein Visum und wer einreisen durfte, wurde von Regime-Schergen kontrolliert und überwacht – oder war selbst Teil des Propaganda-Apparates. Wie all jene, die im Auftrag des russischen Staatsfernsehens aus Syrien „berichteten“, indem sie auf einschlägigen Plattformen das Narrativ des Regimes verbreiten oder Massenmord, Folter und Giftgasterror leugneten. Umso besser, dass diese Zeiten nun vorbei zu sein scheinen.

Vieles, was in Damaskus im Dezember geschah, erinnerte an Afghanistan im August 2021. Damals rückten die internationalen Truppen unter US-Führung aus dem Land ab und die Regierung zerfiel, während die Taliban sämtliche Landesteile in Windeseile einnahmen. Viele Journalisten, die noch nie etwas mit Land oder Region zu tun hatten, stürzten sich Hals über Kopf nach Kabul, um den Machtwechsel mitzuerleben und zu berichten – und zogen dann, als das große Medieninteresse vorbei war, wieder weiter zum nächsten Krisenherd. Diese Art der Auslandsberichterstattung nennt man auch Fallschirmjournalismus – und sie wird nicht selten kritisiert.

In Kabul traf diese Kritik auch die CNN-Journalistin Clarissa Ward. Ward ließ sich damals mit Taliban-Kämpfern auf den Straßen Kabuls ablichten und kommentierte das Geschehen auf Twitter, heute X, mit den Worten „Witnessing history“, sie sei also Zeugin der Geschichte.

Ward zählt wohl zu den bekanntesten Journalistinnen der Welt. Die CNN-Chefkorrespondentin ist für ihr internationales Millionenpublikum stets dort präsent, wo es brennt. In den Kommentaren unter ihren Berichten wird sie von ihren Fans oft für ihren Mut gefeiert. Doch vor allem viele nicht-westliche Journalisten sehen das anders. Für einige von ihnen gilt sie als Paradebeispiel einer Fallschirmjournalistin.

Fatima Faizi, eine afghanische Journalistin, die damals für das Kabuler Büro der „New York Times“ tätig war und zeitgleich evakuiert werden musste, entgegnete Ward auf ihren Post mit den Taliban: „You are witnessing history while we are experiencing it.“ („Du bist Zeugin der Geschichte, während wir sie selbst erleben.“) Ward sah offenbar keinen Anlass dafür, auf die Kritik zu reagieren.

Mit diesen Worten traf Faizi einen wunden Punkt. Denn während Reporter wie Clarissa Ward für wenige Tage einreisten und und nicht viel zu befürchten hatten, waren es afghanische Journalisten, die mit den Konsequenzen der gescheiterten Afghanistan-Politik leben mussten. Die meisten von ihnen mussten fliehen. Die Pressefreiheit am Hindukusch ist heute praktisch tot. Wer berichtet, muss sich den totalitären Machthabern unterwerfen und ihr Narrativ bedienen.

Nicht wenige Afghanen und Afghaninnen sind bis heute der Meinung, dass die Situation vor Ort von vielen westlichen Journalisten verharmlost wurde, indem sie das Bild vermittelten, dass die Taliban doch nicht so grausame Herrscher seien. Stattdessen ließen sie sich, ähnlich wie Ward, mit bewaffneten Milizen ablichten oder erhielten exklusive Zugänge zu ihnen. Dadurch, so die Kritiker, machten sich einige westliche Journalisten – ob bewusst oder unbewusst – zu Propagandainstrumenten.

Clarissa Ward hat in der relativ kurzen Zeit, in der sie 2021 aus Afghanistan berichtete, aber auch viele Themen aufgegriffen, die im Interesse der Öffentlichkeit waren. Sie konfrontierte Mitglieder der Taliban konsequent mit ihrem frauenverachtenden Weltbild. Zwar hätten die Extremisten solchen Interviews mit afghanischen Journalistinnen wohl nicht zugestimmt hätten, aber hätte es Ward deshalb aus Soldarität auch lassen sollen? Nein, natürlich nicht. Ein solcher Boykott bringt nichts. Den Taliban wäre es egal, während der Rest der Welt nur weniger von ihren Repressalien erfahren würde.

Immer überall

Es gibt praktisch keine Kriegs- und Konfliktregion, in der die mit Preisen überhäufte Star-Journalistin in den letzten Jahren nicht zugegen war. Ward war nicht nur da, als die Taliban Kabul einnahmen, sondern auch in der ukrainischen Stadt Butscha, nachdem die russischen Truppen dort Gräueltaten verübt hatten. Sie war vor Ort, als der vom Bürgerkrieg geläuterte Südsudan von einer schlimmen Flut betroffen war. Und vor kurzem natürlich auch in Damaskus, nach dem Sturz des Assad-Regimes.

Clarissa Ward neben einem Mann, der sich als Gefangener ausgibt, aber in Wahrheit Salama Mohammad Salama, ein Offizier des Assad-Regimes, ist.
Clarissa Ward neben Salama Mohammad Salama (M.), der sich vor dem CNN-Team als Gefangener ausgibt. Screenshot: CNN

Doch ausgerechnet in Syrien, wo nun eine freie und kritische Berichterstattung möglich ist, trat Ward in ein großes Fettnäpfchen. Am 11. Dezember 2024 strahlte CNN einen Beitrag aus, der Ward mit einem angeblich befreiten syrischen Gefangenen zeigte, der sich als Zivilist namens Adel Gharbal ausgab. Die Szenen wirkten dramatisch. Da stand die amerikanische, sichtlich betroffene Journalistin, während sich ein vermeintlich traumatisierter Syrer an ihr festhielt. Er war zuvor allem Anschein nach frisch aus seiner einstigen dunklen Gefängniszelle unter der Erde befreit und vom CNN-Team ans Tageslicht gebracht worden. Der Moment wirkte wie aus einem perfekten Skript – und sehr schnell wurde auf X Kritik laut, dass da etwas nicht stimmen könne.

Am 15. Dezember stellte „Verify-Sy“, eine syrische Faktenchecker-Webseite fest, dass der Mann tatsächlich Salama Mohammad Salama heißt und als Geheimdienstoffizier für das Assad-Regime tätig gewesen war. CNN kündigte daraufhin an, dass man die Identität des Mannes überprüfen wolle. Dabei kam heraus, was auch die syrischen Faktenchecker schon herausgefunden hatten. Das CNN Team wurde also offenbar getäuscht und hatte die Identität seines Protagonisten nicht ausreichend geprüft.

Interessant ist dabei, wie CNN und Ward im Anschluss mit der Kritik umgingen. CNN-Chefnachrichtensprecher Jake Tapper sagte etwa laut „AP News“, dass „dieser Moment die Komplexität der Situation in Syrien verdeutliche“. Ward selbst sprach in einer Schalte von einer „chaotischen Atmosphäre“ und dass es sehr schwierig sei, „Informationen in Echtzeit vor Ort zu überprüfen“. Geschichten könnten unerwartete Wendungen nehmen. Es als „unerwartete Wendung“ zu bezeichnen, auf einen Fake-Protagonisten hereinzufallen, ist schon ziemlich kreativ. Dass man Ortsansässige, die Salamas womöglich schnell erkannt hätten, vor Veröffentlichung des Beitrags nicht gefragt hatte, macht die sensationalistische Manier und fehlende Sorgfalt deutlich. Aber bei so einer kurzen Stippvisite im Krisengebiet hat man natürlich nicht so viel Zeit.

Bis heute ist das Video mit Salama auf der CNN-Seite abrufbar. Der Sender hat mittlerweile zwar einen Hinweis unter dem Video und eine Texttafel im Film ergänzt, auf der steht, dass es sich „laut Einheimischer“ bei dem Mann um einen Offizier des Assad-Regimes handelt, aber: Wieso lässt man so ein Video überhaupt online stehen? Warum geht CNN nicht der Frage nach, wie es dazu kam, dass ein ehemaliger Assad-Offizier im Keller eines Gefängnisses unter einer Decke liegt und sich als jemand anders ausgibt? Und warum hat sich beim Dreh keiner gewundert, dass das alles irgendwie seltsam wirkt?

Sensationsgier und Schnelligkeit sind ein Problem

Die Antwort auf die Frage, warum CNN einen solch fragwürdigen Beitrag produzierte, lässt sich kurz und einfach zusammenfassen: Der Drang, etwas Einzigartiges, Emotionales, ja, Historisches, wie Ward es in Afghanistan nannte, mit der Kamera einzufangen und möglichst schnell in die Welt hinauszusenden, ist einfach zu groß.

CNN-Chefkorrespondentin Clarissa Ward liegt in einem Graben an der Grenze zu Gaza.
Immer on air: Clarissa Ward sucht Schutz vor den Raketen an der israelischen Grenze zu Gaza. Screenshot: CNN

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Beitrag aus dem Oktober 2023. Darin sind Ward und ihr Team nahe der israelischen Grenze zum Gazastreifen unterwegs. Die Truppe flieht vor einem angeblichen Raketen-Angriff der militant-islamistischen Hamas. Sie suchen Schutz in einem Graben am Straßenrand, wo Ward dann liegend und schwer atmend in die Kamera spricht und dem CNN-Publikum erklärt, was gerade passiert und warum sie an diesem Ort sind.

Auch damals warfen einige Kritiker der Journalistin vor, dass die Szene gestellt worden sei. Dass dieser Vorwurf zutrifft, ist zweifelhaft. Das CNN-Team scheint tatsächlich in einer brisanten Lage gewesen zu sein. Dennoch stellt sich die Frage, warum man so etwas überhaupt senden muss. Welchen Mehrwert hat der Zuschauer, wenn er Ward in dieser Lage sieht – außer dass das vielleicht alles recht spannend aussieht? Eine derartige Selbstdarstellung liefert aber keine wichtige Information, um den Krieg in Nahost besser zu verstehen.

Für die Bilder, die bleiben, ist Inszenierung nicht notwendig

Ja, es gibt diese unvergesslichen Bilder, die der Kriegs- und Krisenjournalismus immer wieder hervorbringt. Jeder kennt das Bild der nackten, weglaufenden Phan Thi Kim Phuc, deren Dorf durch einen US-amerikanischen Napalm-Angriff im Jahr 1972 zerstört wurde. Ähnlich ist es mit den Fotografien von James Nachtwey nach dem Völkermord in Ruanda oder auch mit den Szenen vom Kabuler Flughafen, als zahlreiche Menschen versuchten, sich an die startenden Flugzeugen des US-Militärs zu klammern. Für all diese Momente war keine Inszenierung notwendig, sie ereigneten sich genau so.

Das unnötige Sensationsbemühen von Ward und CNN in Damaskus schadet jedenfalls der Glaubwürdigkeit des Kriegsjournalismus, vor allem im Zeitalter der Desinformation. Die zur Schau gestellte Betroffenheit Wards und die fehlende bzw. lediglich oberflächliche Aufarbeitung ihres Senders ist Wasser auf die Mühlen der Zweifler. Wenig hilfreich ist gewiss auch der Umstand, dass Ward eher selten bis gar nicht auf Kritik eingeht. Stattdessen macht sie einfach weiter und reist von einem Kriegsgebiet ins nächste.

Dabei zerstört Clarissa Ward auch ihren eigenen Ruf, der bisher zurecht ein guter war. Denn es steht außer Frage, dass Ward eine mutige, versierte Reporterin ist. Viele ihrer Berichte zeigen Dinge, die im Interesse der Weltöffentlichkeit sind und die ohne ihre Arbeit niemals die entsprechende Reichweite bekommen hätten. Doch damit diese Arbeit glaubwürdig bleibt, sind Präzision und sorgfältige Recherche wichtiger als Breaking News zu produzieren, die bei genauem Hinsehen keine Breaking News sind.

4 Kommentare

  1. Naja, ob zufällige Leute auf der Straße den _Geheim_dienstler erkannt hätten, sei mal dahingestellt, aber der weitergehende Umgang mit dem Beitrag ist trotzdem schlecht.

  2. „Jeder kennt das Bild der nackten, weglaufenden Phan Thi Kim Phuc, deren Dorf durch einen US-amerikanischen Napalm-Angriff im Jahr 1972 zerstört wurde.“
    Das gilt inzwischen als falsch: Es war ein südvietnamesisches Flugzeug, das in dem Dorf gelagertes Napalm in Brand setzte; die einzigen Amerikaner vor Ort waren Journalisten
    https://zeithistorische-forschungen.de/2-2005/4632

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