Gert Postel

Journalismus kann auch eine dressierte Ziege

Wie Medien einem Hochstapler auf den Leim gehen.

Wer in die Suchmaschine die Wortfolge „dressierte Ziege“ eingibt, erhält 1740 Treffer. Nur ein enttäuschend kleiner Teil dieser Treffer führt einen zu Kunststücken der Haustierrasse – fast alle handeln von einem Mann aus Bremen, der recht früh gemerkt hat, wie viel besser man durchs Leben kommt, wenn man sich auf wenige merkfähige Schlagworte begrenzt. Die dressierte Ziege ist Teil seines Markenkerns, der im ganzen Satz lautet: „Psychiatrie kann auch eine dressierte Ziege“. Das finden viele lustig, die einmal eine F-Nummer gegoogelt haben und der Meinung waren, dass das, was Google da ausspuckt, ziemlich irre klingt.

Der Mann heißt Gert Postel und anderthalb Jahre als falscher Oberarzt im Fachkrankenhaus für Psychiatrie in Zschadraß haben aus ihm einen einigermaßen bekannten Mann gemacht. Zwar hatte er da schon 16 Jahre als multiaktiver Hochstapler hinter sich, aber nichts war für sein Image so gut wie die anderthalb Jahre zwischen Winter 1995 und Sommer 1997.

Er kann nicht malen wie Wolfgang Beltracchi oder Konrad Kujau, aber der Hochstapler hat eines mit ihnen gemeinsam. Er ist ein Straftäter, dem von der Öffentlichkeit nur zu gerne verziehen wurde. Bei den Kunstfälschern lachte das Publikum mehr über die Gier der Sammler nach Gemälden als über die Geldgier der Kopisten, bei Postel machte ein allgemeines Unbehagen gegenüber dem Berufsstand der Psychiatrie gar einen „Psychiatrie-Kritiker“ aus einem stinknormalen Mann mit einschlägigem Vorstrafenregister.

„Heitere Köpenickiade“ ist ein Wort, das im Zusammenhang mit Postel bisweilen fällt. Diese Geschichte, in der der Schuster Wilhelm Voigt keinen Wohnsitz bekommt, weil er keinen Pass hat und keinen Pass, weil er keinen Wohnsitz hat. Aber es ist nicht mehr  1906 und sogar der erste echte deutsche Psychiatrie-Kritiker, der Psychiater Ludwig Meyer, war in seinen Methoden bereits 1864 mehr den Patientenwohl verpflichtet und weit kreativer als Postel. Er erschlich sich nicht den Job als Arzt, sondern setzte im Gegenteil seine Karriere aufs Spiel, als er auf dem Hamburger Heiligengeistfeld Zwangsjacken und Zwangsstühle versteigern ließ, um auf die unmenschlichen Zustände im Irrenhaus aufmerksam zu machen.

Gert Postel
Gert Postel Screenshot: ProSieben

Wenn Journalisten mit dem inzwischen 58-jährigen Gert Postel über dessen Kritik am vermeintlichen Dilettieren der Psychiatrie sprechen, zitieren sie ihn gerne – ohne eine Gegenstimme hinzuziehen. Sie freuen sich mit ihm, wenn er darüber spricht, er habe den Begriff der „bipolaren Depression dritten Grades“ vor Psychiatern benutzt und keiner habe je diesen Begriff hinterfragt. In Videos ist das immer eine der Stellen, an denen er sich im Sessel triumphierend zurückwirft und diesen überlegenen „Verstehen Sie?“-Blick aufsetzt.

In keinem Text bisher gab es je auch nur eine Andeutung, dass die „bipolare Depression“ ein durchaus geläufiger Begriff ist. Die Klassifizierung in verschiedene Schweregrade der Depression ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. Aber harmlose Witzchen über die verklausulierte Fachsprache von Berufen kommen einfach immer gut an. Mit einem „schräg gemufften Doppelflansch“ hätte schon Didi Hallervorden für Begeisterungsstürme sorgen können.

Ein anderer seiner Standards ist der Titel der Schein-Dissertation des Schein-Psychiaters. Die „Kognitiv induzierte Verzerrung in der stereotypen Urteilsbildung“. Der garantierte Brüller in jedem Text und jedem Interview. „Focus“, n-tv, „Spiegel“ – sie alle lassen Gert Postel eine launige, wortgleiche Erklärung zum angeblich von ihm ausgedachten Quatsch-Titel aufsagen: „Das ist eine Aneinanderreihung leerer Begriffe“.

Gert Postel tut so, als sei der Titel von ihm, aber natürlich ist selbst das gelogen. Die Arbeit gibt es wirklich, der Psychologe Gerhard Etzel hat sie 1978 veröffentlicht, und wenn man die Fremdwörter übersetzt, klingt es gleich anders: Eine durch das geprägte Bewusstsein und wiederkehrende Einflüsse veränderte Verarbeitung von Informationen. Das ist exakt das Modell, mit dem Postel die Puppen tanzen lässt.

Den minimalen Variationen seines eingeübten Phrasen-Legos gehen alle Zeitungen gern auf den Leim. Der „Hochstapler unter Hochstaplern“ zum Beispiel hat schon 1.500 Google-Treffer. Ein früherer Kritiker wie „taz“-Autor Helmut Höge nimmt 2011 ein „Charakterschwein“ zurück, das er Postel 2009 angesichts seines „rüden Umgangs mit Suizidgefährdeten und Prostituierten“ während seiner Zeit als (ebenfalls falscher) Amtsarzt zugerufen hatte. Stattdessen lässt er ihn zwei Jahre später selbst sprechen: „Deutlicher als ich kann man es ja nicht machen – das System entlarven.“

Inzwischen ist der Hochstapler Gert Postel für Betrugsdelikte so etwas wie der Wolfgang Bosbach für die Burka-Frage. Eine Telefonnummer, die man 24/7 anrufen kann und von der verlässlich wiedererkennbare Satzbausteine abgerufen werden können. Etwa wenn es um die Fake-Juristin Petra Hinz aus der SPD-Fraktion geht oder um Denny H., den Krankenpfleger, der auf einem AIDA-Schiff als Arzt anheuerte.

Der „Tagesspiegel“ befragt Postel als Gutachter über Denny H. und zitiert ihn so:

„Dieser Mann hat billigend den Tod von Menschen in Kauf genommen.“ (…) Er selbst dagegen habe über enormes Fachwissen verfügt und niemanden gefährdet. Außerdem habe er nicht aus finanziellen Gründen gehandelt, was ihm in der Öffentlichkeit viele Sympathien eingebracht habe.

Immerhin folgt noch eine ironische Brechung. Postel sagt über H.: „‚Er wird ganz sicher niemals einen Star-Status wie ich erreichen.‘ Den Satz meint er ernst.“

Weniger Berührungsängste hat die taz, die Gert Postel gleich selbst den Text über Denny H. schreiben lässt. Ganz ohne ironische Brechung darf Postel sein Gutachten abgeben:

Dass jemand die Gefahren des Entdecktwerdens traumtänzerisch gering schätzt oder bereit ist, sie in Kauf zu nehmen, um sich den Wunsch einer eindrucksvolleren Selbstpräsentation zu erfüllen, spricht doch für eine narzisstische Störung von nicht geringem Ausmaß. Ohne Krankheitswert, weil nicht behandelbar (sagen wir Gerichtspsychiater).

Das wiederum meint er auch ernst, und die „taz“ lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sie es mit ihrem Gastkolumnisten ebenfalls ernst meint. Bei so viel unkritischer Nähe darf in der Autorenbiographie natürlich nicht der Satz fehlen, dass Postel ein neues Krankheitsbild kreierte: „Die bipolare Depression dritten Grades nach Postel“. Siehe oben.

Wer mehr als ein Interview mit ihm hört, dem fällt auf, dass Postel die Interviewer fast keine Frage bis zum Fragezeichen formulieren lässt. Er nutzt die Fragen nur, um Luft zu holen und sein Gegenüber dann wieder zu übertönen. Das fällt ihm leicht, denn er kennt die Fragen längst. Es sind ja immer dieselben. Eine dressierte Ziege könnte das.

Das Idol der Psychiatriekritik spricht von den Fehlern der Psychiatrie, ohne je ein Schicksal zu erwähnen, das ihn gerührt, bedrückt oder belastet hat. Warum auch? Der Fehler, den er der Psychiatrie vorwirft, ist doch eher, dass sie ihn nicht sofort entlarvt haben. Wobei es ihm in einer Art schizophrenen kognitiven Verzerrung gleichzeitig wichtig ist, wie perfekt seine Gutachten waren. Alle haben seine Arbeit gelobt. Die höchsten Strafrichter, die besten Gutachter. Gert Postel ist immer zwei Mal mehr wie du.

Seit fast fünfzehn Jahren spricht ihn kein Journalist mehr auf den reichhaltigen restlichen Teil seiner Vita an. Der gleiche Mann, dessen harsches Urteil über den Schiffsarzt mit der medizinischen Vorbildung als Krankenpfleger gefragt ist, arbeitete schließlich nicht nur als falscher Psychiater, sondern auch schon als falscher Amtsarzt. Mit einer Vorbildung als Briefträger. Könnte man doch mal nachhaken.

Das wäre doch viel interessanter als Postels aufgeblasenes Gutachten über die Psyche eines konkurrierenden Betrügers. Oder wie das so ist, wenn man Twitter als neues Medium für sich entdeckt, täglich seine „Therapiegruppe“ begrüßt und wildfremde Menschen mit offensichtlichen mentalen Schwankungen ungefragt mit einem Zeigefinger-Emoji belehrt. Oder wovon man eigentlich so lebt. Wäre doch interessant.

Oliver Polak fand das erfrischenderweise nicht so interessant. In seiner Sendung „Applaus und Raus“ ging ihm Postels gestelzter Versuch, seine Dressierte-Ziegen-Kunstfigur in einer majestätischen dritten Person zu erzählen, schon nach handgestoppten 1:42 Minuten so auf den Wecker, dass er die Reißleine zog.

61 Kommentare

  1. Ah. Vielen Dank für den Arktikel. Mir geht das auch schon eine Weile auf den Zeiger. Aufgeflogen ist der Mann ja offenbar auch, weil eine Mitarbeiterin nachgeforscht hat, weil da ganz offensichtlich etwas nicht stimmen konnte. Seine mangelhaften Kentnisse sind also, anders als er gerne behauptet, sehr wohl aufgefallen. Auf Kongressen Leute mit Phrasen und Arroganz zu beeindrucken, oder auch mal vor Gericht, das mag schon eine Weile funktionieren. Aber im täglichen Umgang fliegt man dann eben auf Dauer schon auf.
    Und danke auch für den Link zu „Applaus und raus“. Sehr schön, wie Polak diesen unangenehmen, eingebildeten Typen auflaufen lässt.

  2. Woher kommt nur der Schaum vor’m Mund des Autors und sein überschüssiger Moralismus?
    Hochstapler sind als Kunstform schon immer gut angekommen. Der „Felix Krull“ von Thomas Mann war bereits ein Erfolg, aber „Beltracchi“ und natürlich „Schtonk“ gehören zu den lustigsten Filmen, die ich je gesehen habe. Allerdings sollte man sich auch die nicht oft ansehen. Nicht dass er uns demnächst am 2. Januar eine Filmkritik schreibt und beklagt, dass die Späße im „Dinner for One“ dieses Jahr so furchtbar abgegriffen gewesen seien.

  3. Wieso sollte ein Hochstapler nicht auch über seine Hochstapelei hochstapeln. In seinem narzisstischen Geltungsdrang merkt er’s wahrscheinlich nicht mal.

  4. @Andreas Müller: Es geht hier aber gar nicht um Hochstapler „als Kunstform“, sondern um einen Hochstapler als von Journalisten gebuchten Experten und Gutachter für Hochstapelei und Psychiatrie.

  5. @ Stefan Niggemeier
    „als von Journalisten gebuchten Experten und Gutachter“
    Was ist schon ein „Experte“? Unser Lateinlehrer hat über „Experten“ gerne gefrotzelt, dass „expers“ jemand sei, der in einem Thema nicht drin stecke, und das würde ja für viele „Experten“ auch zutreffen.
    Wenn Journalisten einen „Experten“ beibringen, weiß jeder, dass jetzt womöglich eine unglaubwürdige Geschichte aufpoliert werden soll. „Terrorexperte“ beispielsweise steht praktisch immer für einen Vertrauensmann der Geheimdienste, der eine staatsfromme Version der Ereignisse in die Öffentlichkeit schieben soll.
    Wenn ein echter Hochstapler als Experte auftritt, dann dient das also durchaus der Förderung einer kritischen Öffentlichkeit: Experte kann fast jeder, der frech genug ist.

  6. Ich Danke für den Artikel. Zum einen wird mein Empfinden diese „Posse“ gegenüber sehr gut auf den Punkt gebracht, zum anderen ist es inhaltlich richtig und wichtig. Ich arbeite in einer Psychiatrie in der sozialen Betreuung und bin mit den Menschen oft in der Stadt, dem Museum, Kino etc. Und kaum einer kann sich vorstellen, wie sich das Stigma anfühlen muss, mit dem die Betroffenen leben. Die Arbeit in der Psychiatrie ist langwierig und anstrengend und Erfolge, therapeutischer Form beispielsweise, lassen sich erst nach 5, 10, 15 Jahren manchmal erkennen. Da ist es eine Frechheit, das sich a) jemand ohne (!) jegliche Fachkenntnisse hinstellt und das Personal und die Unstitution bewertet und Menschen seine „Hilfe“ anbietet und ausgewählte Medien auf diesen Zug aufspringen und demjenigen noch eine Plattform bieten. Psychische Erkrankung und Medien sehe ich sowieso kritisch, dem einzigen, dem ich einen verantwortungsvollen und seriösen Umgang damit unterstelle, ist Jürgen Domian.
    Also, Danke an Herrn Miggemeier für den Text. Interessant hätte ich ein von Ihnen geführtes Interview gefunden.

  7. Sehen Sie, Herr Müller, und genau dieses falsche Expertentum prangern der Beitrag und auch Herr Niggemeier an.

    Oder soll ich Sie so verstehen: „es gibt falsche Experten und darum ist es doch nicht schlimm, wenn jemand sich als Experte ausgibt“?

  8. Sogenannte „Gentlemanverbrecher“ haben auf die Öffentlichkeit und die Presse schon immer eine eigenartige Faszination ausgeübt. Seien es nun echte wie eben Konrad Kujau oder Arno Funke aka Dagobert oder literarische Figuren wie Arsène Lupin oder Felix Krull.

    Gert Postel ist da eher ein kleineres Licht und von mäßigem Interesse! Aber Herr Niggemeier hat sich ja noch nie gescheut, unbedeutenden Charakteren der Zeitgeschichte mehr Aufmerksamkeit zu widmen als ihnen eigentlich zusteht! Herr Postel wird sich sicher geschmeichelt fühlen, bei Übermedien Erwähnung zu finden und auf ewig im Archiv zu stehen, selbst wenn es negative Publicity ist, das ficht so einen Typen nicht an!

  9. @Frank Reichelt: Ihnen ist aber schon aufgefallen, dass der Text gar nicht von Stefan Niggemeier ist?
    (Abgesehen davon, dass ich Ihre Einschätzung zur Prominenz dieser unangenehmen Person nicht zustimmen kann. Von der Anti-Psychiatriebewegung wird er geradezu als eine Art Säulenheiliger verehrt. Ausgerechnet.)

  10. Oh. Und a propos „Gentlemenverbrecher“: Hochstapler richten bei ihren Opfern oft einen enormen Schaden an. Nicht nur finanziell sondern vor allem menschlich. Diese Täter haben null Mitleid, wenn sie Leben zerstören. Es stimmt schon, faszinierend sind sie. Aber lachen kann ich darüber nicht.

  11. @Inga
    Das ist mir aufgefallen! War klar, irgendjemand würde das monieren aber mussten das gerade Sie sein? Ich mag Ihre (leider selten gewordenen) Beiträge nämlich wegen der sachlichen Art! Da jedoch Herr Niggemeier auf Kommentare hier antwortet und nicht Herr Breuer, hat er sich den Text wohl zu eigen gemacht und trägt also auch die Verantwortung, zumal als Hausherr!

  12. @ INGA
    „Hochstapler richten bei ihren Opfern oft einen enormen Schaden an.“
    An welchem Menschen haben Kujau oder Beltracchi enormen Schaden angerichtet?
    Wunderbar ist die Episode bei „Beltracchi“, in der das begüterte Sammlerehepaar aus Belgien darüber schwärmt, dass ausgerechnet die Fälschung das schönste Werk in ihrer Sammlung war. Im Gegenzug lässt sich der Fälscher selbst darüber aus, dass es schwer sei, ein tolles Werk für 10000 Euro zu verkaufen. Da habe er sich lieber auf Werke konzentriert, die Millionen einbringen. Das hat eine Grandezza, neben der kleinlicher Tränendrüsen-Moralismus etwas deplatziert wirkt. Es geht hier nicht um erbärmlichen Heiratsschwindel an einsamen Herzen.

  13. @Herr Müller
    Das ist aber eine seltsame Argumentation: Hochstapler richten also keinen Schaden an, weil zwei andere lediglich Sachschaden – in erheblicher Höhe – angerichtet haben?
    Autounfälle sind generell harmlos, weil 2 Unfälle harmlos verliefen?

    @Herr Reichelt
    Müssen wir echt schon wieder durchkauen, wer es „wert“ ist, bearbeitet zu werden?
    Es könnte ja – ganz eventuell – auch um die zweifelhafte Expertenmethodik an sich gehen und dies nur ein Beispiel sein. Aber wenn nicht, könnten Sie uns dann bitte eine Grenze nennen, aber der die Übermedien berichten „dürfen“?

  14. @12
    „lediglich Sachschaden – in erheblicher Höhe – angerichtet haben“
    Man kann darüber streiten, wodurch in seinem solchen Fall der Sachschaden wirklich entstanden ist.

  15. Damnächst exklusiv von Frank Reichelt und Andreas Müller:
    Das übermedien-watchblog „Überwatch“

    Mit jede Menge exklusivem Rumgejammere und ad hominem Angriffen.
    Und ohne Kommentarbereich. Wegen Trolls und so!

  16. @Andreas Müller
    Also sind Hochstapler harmlos, weil hier gar kein Schaden entstanden ist.
    Autounfälle sind alle harmlos, weil zwei ohne jeden Schaden verliefen.

    Sie könnten ja statt dessen auch auf mein Argument eingehen.

  17. Damals, als er bei Schulz und Böhmermann auftauchte, waren allerdings die Facebook-Kommentare hinterher auch relativ eindeutig – Mehrheitlich empfindet man ihn als Zuschauer unangenehm, aufschneiderisch und wenig glaubwürdig. Vermutlich wirkt es anders, wenn man Mimik und Tonfall bei seinen Ausführungen nicht sieht/hört, vielleicht wirkt es auch anders in Kreisen, in denen es üblich ist, eine „Hier bin ich!“ Persönlichkeit zu haben. Aber es ist nun nicht so, dass ihm die Leute reihenweise noch auf den Leim gehen und nicht sehen, dass dahinter etwas sehr psychisch Ungesundes steckt, das ihn treibt.

  18. @Andreas Müller:

    Wenn Journalisten einen „Experten“ beibringen, weiß jeder, dass jetzt womöglich eine unglaubwürdige Geschichte aufpoliert werden soll.

    Ja. Weiß jeder.

    @Frank Reichelt: Ihre Liste mit den Themen und Personen, die wichtig genug wären für eine Erwähnung bei Übermedien, ist leider verloren gegangen, tut mir leid!

  19. @Stefan Niggemeier
    Schlamperei! Aber das ist doch wohl kein Problem, ich schicke Ihnen gerne eine neue Kopie!

  20. Ja, wir lieben diese „Gentlemenverbrecher“, die Leute, die zu gierig oder zu doof sind (also natürlich nicht wir!), um ihr Geld bringen. Haha, Enkeltrick, wer kann nur so blöd sein, darauf rein zu fallen?! Ganz einfach: Jeder. Betrüger handeln komplett skrupellos und emphatiefrei. Und die Opfer müssen nicht nur den finanziellen Verlust verkraften und die Häme ertragen, sondern sie machen sich auch selbst die größten Vorwürfe, wie sie nur so blöd haben sein können. Das führt leider zu einem nicht zu unterschätzenden Suizidrisiko. Da hab ich lieber funktionierende Tränendrüsen als Grandezza.

  21. Danke Inga.
    Ist zwar traurig, dass man das manchen noch extra erklären muss…

    Naja, Empathie halt. Oder mangel derselben.

  22. Er hat es natürlich deshalb geschrieben, weil er die Aussagen dieses „Experten“ nicht hören will. Und weil er weiß, dass ein Expertenstatus grundsätzlich nicht unangreifbar ist.
    Auf die Aussagen in der Sache kommt es an, und über die holt sich der Journalist in dem Beitrag ja noch eine zweite Meinung ein. Das ist dort noch recht solide gemacht.

  23. Sie behaupten, es wisse jeder, dass von den Medien „beigebrachte“ Experten unglaubwürdige Geschichten „aufpolieren“ sollen. Und dass das jeder weiß, möchten Sie damit belegen, dass jemand anderes Experten nicht für unangreifbar hält? Halten Sie das tatsächlich für eine logische Schlussfolgerung?

  24. Also ich finde, dass Herr Postel, indem er eineinhalb Jahre (richtiger Zeitraum?) unerkannt in der Psychiatrie als Chefarzt tätig war, durchaus etwas geleistet hat. Er hat, wenngleich aus unehrenwerten Motiven, das System ein Stück weit entlarvt. Auch wenn er dann aufflog, ist es dennoch, finde ich, hochinteressant, dass er so lange durchgehalten hat. Das kann nur funktionieren, wenn in den Arbeitsabläufen/Kontrollmechanismen in so einer Klinik grundlegend etwas nicht stimmt. „Experte“ für Hochstapelei ist er für mich damit allemal. Ob ein Hochstapler Schaden anrichtet oder nicht, ist für mich eine Frage des Einzelfalls, es geht von gar nicht (Beltracci – das haben diese Kunstschnösel verdient!) bis extrem (Enkeltrick, etc.). Herrn Postel als Experte für Psychiatrie einzuladen ist allerdings ziemlich verfehlt – Auch in Anbetracht der Tatsache, dass sein Handeln ja äußerst verantwortungslos und gefährlich war. (Selbst, wenn er keinem Patienten Schaden zugefügt haben sollte, die Gefahr bestand allemal). Das disqualifiziert ihn zumindest menschlich und moralisch aufs Äußerste.

  25. @ INGA
    Sie lesen nicht korrekt! Ich habe geschrieben:
    „..weiß jeder, dass jetzt womöglich eine unglaubwürdige Geschichte aufpoliert werden soll“
    Ich behaupte also nicht, dass damit immer eine unglaubwürdige Geschichte aufpoliert wird, sondern dass es sein kann, dass das das Ziel ist, und man deshalb besonders gut hinschauen sollte.
    Wer Aussagen um wichtige Einschränkungen (in diesem Fall ‚womöglich‘) verkürzt, bekommt Logik-Probleme. Schon klar.

  26. Sie lesen nicht richtig. Sie behaupten, JEDER wisse das. Das können Sie mit dem Verweis auf den Lemmer-Artikel natürlich nicht belegen. Logisch stringente Argumentation ist einfach nicht Ihre Sache, das ist mir schon öfter aufgefallen. Aber machen Sie sich nichts draus. Sicherlich haben Sie andere Stärken.

  27. Postel ist m.W. nicht aus sachlichen Gründen aufgeflogen, sondern aus rein formalen (jemand hat ihn erkannt; er hat einen gefälschten Ausweis verloren usw.). Es wurde ihm wohl vielmehr sogar bescheinigt, dass er die Erwartungen, die an ihn als leitenden Oberarzt und stellvertretenden Klinikleiter gestellt wurden, sogar überoffen habe. Zudem war er als Gutachter und Obergutachter tätig, und ein Bundesrichter meinte, er sei der beste gewesen. Auch fungierte Postel m.W. als Weiterbildungsbeauftragter der sächsischen Landesärztekammer und prüfte Ärzte in der Psychotherapie.

    Dumm ist der Mann also sicher nicht, und er muss sich auch in die Materie eingearbeitet haben. (Wenn er behauptet, dass man sich den Stoff an einem Wochenende aneignen könne, würde ich das nicht so ernst nehmen.)

    Das soll natürlich keine moralische Exkulpation sein. Aber wenn Postel auch kein Experte für Psychiatrie sein mag (obwohl er sicher über eine nicht unerhebliche Sachkenntnis verfügt), dann ist er doch, wie MAIKE es sagt, zumindest ein Experte für Hochstapelei.

  28. Entschuldige, Marke, aber das ätschbätsch, die Kunstschnösel haben das verdient, finde ich echt ziemlich daneben. Dass Beltracchi sympathischer rüber kommt als Postel, kann schon sein. Und natürlich hat die Sache den Kunstzirkus ein Stück weit entlarvt, was erst mal nicht schadet. Aber betrogen zu werden ist wirklich schlimm für die Betroffenen, das hat niemand verdient, auch nicht eine Gruppe von Menschen, die Sie nun gerade doof finden.

  29. @Inga,
    och ja, wenn Sie wirklich gerade keine anderen Probleme haben (ich schon, aber die muss ich dringend verdrängen und treib mich deswegen im Internet rum), als vielleicht etwas überspitzte Formulierungen anzuprangern, dann : herzlichen Glückwunsch. Gut, dass die möchtegern- kunstsinnigen Millionärinnen und Millionäre in Ihnen so eine engagierte Unterstützerin finden :-)

  30. @ Asap: gibt es für diese Storys Belege? Oder glauben Sie nur einfach das, was Postel selbst so lange erzählt bis es als wahr gilt?
    Eineinhalb Jahre sind nicht sehr lang. Unser System schützt Hierarchen. In einer gehobenen Position fällt kaum mehr auf, wer die Arbeit macht. So ein Gutachten schreibt halt ein Mitarbeiter und das dann überzeugend vor Gericht vorzutragen, ist genau die Kernkompetenz eines Hochstapler.

  31. Ich habe beruflich mit Betrugsopfern zu tun, Maike. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nicht drüber lachen kann. Ihre mangelnde Empathiefähigkeit für Reiche finde ich befremdlich. Mir hat sogar die Klatten leid getan, obwohl sie in Geld schwimmt und sich sicher einen guten Psychiater leisten kann. Aber da ist halt jeder anders.

  32. @Inga
    ernsthaft? Ihre Empathiefähigkeit muss allerdings enorm sein, wenn Sie meine Empathiefähigkeit aus drei Zeilen herauslesen können. Frau Klatten tat mir auch leid, weil sie sich, wie mir scheint etwas gewünscht hat, was man mit Geld nicht kaufen kann. Also, ich würde da schon unterscheiden, ob sich jemand Liebe wünscht oder einen Gegenstand zum Angeben bzw. Geld vermehren, von dem er keine Ahnung hat. Wie ist es bei aller Empathie denn so um Ihre Differenzierungsfähigkeit bestellt?

  33. Ziemlich gut, liebe Maike, wie ich finde. Ich finde nur, dass die Schwere eines Betrugs nicht davon abhängt, wie sympathisch mir das Opfer ist. Und übrigens ist das verlorene Geld meist nicht das Schlimmste für die Opfer, sondern die Scham und der Vertrauensbruch. Da gibt es Abstufungen, aber lustig ist es nie, auch wenn man finanziell weich fällt.

  34. @ Inga:

    Dass Postel die Erwartungen übertrifft, habe ich tatsächlich von ihm selbst. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass er das jetzt völlig erfunden hat, weil er da wohl aus einem offiziellen Papier zitiert, und eine Fälschung ja leicht nachweisbar wäre. Zudem schreibt die Wikipedia (okay, das ist keine „wissenschaftliche“ Quelle):

    „Nach dem Jahreswechsel befürwortete das sächsische Kabinett aufgrund der persönlichen Unterstützung von Sozialminister Hans Geisler für Postel,[1] dass diesem eine C4-Professur als Chefarzt in der forensischen Abteilung am Sächsischen Krankenhaus Arnsdorf, einem landeseigenen Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf im Landkreis Bautzen, angeboten wurde.“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gert_Postel

    Zum Lob für Postel als Gutachter:
    https://www.youtube.com/watch?v=aXNc5lQnW0A

    „So ein Gutachten schreibt halt ein Mitarbeiter…“

    Hm, ist das jetzt nicht etwas spekulativ?

    „Eineinhalb Jahre sind nicht sehr lang. “

    Nicht? Würden Sie sich zutrauen, eineinhalb Jahre lang eine leitende psychiatrische Oberärztin zu spielen, wenn Sie da jeden Tag quasi „unter Bobachtung“ stünde? Kann man in eineinhalb Jahren nicht irre viel Fehler begehen?

    Wie gesagt geht es mir ja nicht darum, den Postel „moralisch“ zu verteidigen; aber unabhängig von moralischen Fragen kann es ja sein, dass er seine Rolle zumindest gut gespielt hat. Das sollte man ihm dann IMHO nicht nehmen, wenn das der Fall ist.

  35. Kann es sein, dass mein Beitrag vom System „verschluckt“ wurde? Vielleicht wegen des Links zu einem Youtube-Video, den er beinhaltete?

  36. @ Stefan Niggemeier: Danke.

    Noch etwas: Wird der Beitrag „Senkt den Rundfunkbeitrag!“ noch für Nicht-Abonnenten freigeschaltet? Ist nur als eine Frage gemeint, nicht als „Forderung“. Es ist schließlich ein Entgegenkommen Ihrerseits, solche Artikel der Öffentlichkeit ohne Gegenleistung zugänglich zu machen. Nur meine ich mich zu erinnern, dass eine Freigabe immer nach einer Woche geschehen sollte oder so, und so wollte ich mal ganz unverbindlich nachfragen.

  37. @Asap: Sorry, ich habe Ihre Antwort erst jetzt entdeckt. Vielen Dank für die Links.

    „Dass Postel die Erwartungen übertrifft, habe ich tatsächlich von ihm selbst. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass er das jetzt völlig erfunden hat, weil er da wohl aus einem offiziellen Papier zitiert, und eine Fälschung ja leicht nachweisbar wäre.“

    Ähem. Wir sprechen hier von einem Hochstapler! Da können Sie grundsätzlich mal von allem ausgehen, nur nicht, dass er Ihnen die Wahrheit sagt. Und so leicht ist eine Fälschung nicht nachweisbar, denn so etwas „versendet“ sich. Postel kann davon ausgehen, dass es die meisten Leute glauben und die paar nervtötenden Besserwisser unter den Zuschauern, die das factchecken, will eh keiner hören. Siehe das oben gebrachte Beispiel mit der angeblich nicht existierenden Diagnose. Abgesehen davon werden sich immer einige Leute finden, die selbst getäuscht wurden, und ihre Schande nun (bewusst oder unbewusst) dadurch zu verringern versuchen, dass sie dem Hochstapler tolle Fähigkeiten nachsagen.

    „‚Nach dem Jahreswechsel befürwortete das sächsische Kabinett aufgrund der persönlichen Unterstützung von Sozialminister Hans Geisler für Postel,[1] dass diesem eine C4-Professur als Chefarzt in der forensischen Abteilung am Sächsischen Krankenhaus Arnsdorf, einem landeseigenen Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf im Landkreis Bautzen, angeboten wurde.‘ (…)“

    Und welche Qualifikation hat der Sozialminister für eine solche Unterstützung? Eigentlich sollte das Berufungsverfahren für Professuren so etwas ausschließen, aber in Sachsen kommt es ja immer mal wieder zu merkwürdigen sumpfartigen Vetternwirtschaften. Jedenfalls ist es für einen Hochstapler eben gerade nicht schwer, Personen für sich einzunehmen, auch keinen Sozialminister. Das macht sie so erfolgreich. Das belegt aber nicht seine Sachkenntnis im Bereich Psychiatrie.

    „Zum Lob für Postel als Gutachter:
    https://www.youtube.com/watch?v=aXNc5lQnW0A

    Und Sie glauben, dass ein Richter das beurteilen kann? Dass Postel überzeugend auftreten kann, ist nachgewiesen. Damit jemanden zu überzeugen, der keine psychiatrische Vorbildung hat, wie der Richter, ist für einen Hochstapler erschreckend einfach. Außerdem hat der Richter hier einen schönen kleinen Effekt für seine Rede.

    „‚So ein Gutachten schreibt halt ein Mitarbeiter…‘
    Hm, ist das jetzt nicht etwas spekulativ?“

    Ja, das ist spekulativ. Ich belege damit aber, dass es auch andere Gründe dafür geben kann, dass er nicht aufflog, als dass er sich die fachlichen Kenntnisse offensichtlich angeeignet habe (lustigerweise bestätigt übrigens der Richter aus Ihrem youtube-Link meine Vermutung).

    „‚Eineinhalb Jahre sind nicht sehr lang.‘
    Nicht? Würden Sie sich zutrauen, eineinhalb Jahre lang eine leitende psychiatrische Oberärztin zu spielen, wenn Sie da jeden Tag quasi ‚unter Bobachtung‘ stünde? Kann man in eineinhalb Jahren nicht irre viel Fehler begehen?“

    Nein, das würde ich mir nicht zutrauen. Ich bin, wie die allermeisten Menschen, nicht skrupellos genug. Hochstapler können das aber. Sie sind narzisstisch genug, um sich selbst zu glauben und das dann auch auszustrahlen. Sie können Menschen für sich einnehmen und haben keinerlei Skrupel, mögliche Kritiker auflaufen zu lassen und sie vor den anderen dumm dastehen zu lassen. Sie pflegen ihre Wasserträger und vernichten ihre Kritiker, wenn es sein muss. Ich kenne mindestens eine Person, die gerade eine atemberaubende Karriere hinlegt, obwohl die wenigen Leute, die das fachlich beurteilen können, sehen, welches Ausmaß ihre Unfähigkeit hat. Die werden schlicht nicht angehört, und die hierarchischen Strukturen des Unternehmens tun ihr übriges: Niemand will sich ernsthaft anlegen. Normalerweise funktioniert das System trotzdem, weil die meisten Menschen grundsätzlich ehrlich sind. Aber solche Persönlichkeiten nutzen das aus, sie haben keinerlei Gewissen, das sie bremsen würde.

    „Wie gesagt geht es mir ja nicht darum, den Postel ‚moralisch‘ zu verteidigen; aber unabhängig von moralischen Fragen kann es ja sein, dass er seine Rolle zumindest gut gespielt hat. Das sollte man ihm dann IMHO nicht nehmen, wenn das der Fall ist“

    Das ist definitiv der Fall, dass er seine Rolle gut „gespielt“ hat. Er hat sie aber ganz sicher nicht ausgefüllt. Dazu hatte er nicht die nötige Qualifikation.

  38. @ Inga:

    Ich gehe davon aus, dass es Postels Wille ist, seine „genuinen“, äh, „Leitungen“ als Hochstapler zu präsentieren, nicht welche zu erfinden. Zudem würden zumindest die Medien vermutlich aufdecken, wenn er Lob für sich in Anspruch nähme, das er nie bekommen hat.

    „Nein, das würde ich mir nicht zutrauen. Ich bin, wie die allermeisten Menschen, nicht skrupellos genug. “

    Könnte es nicht sein, dass neben Skrupellosigkeit doch auch ein bestimmtes Maß an Wissen und Kompetenz dazugehört, wenn man eineinhalb Jahre lang den stellv. psychiatrischen Chefarzt spielt und nicht entlarvt wird? Würden Sie sich das denn ohne intensive Vorbereitung zutrauen – selbst wenn Sie deutlich skrupelloser wären?

    „Er hat sie aber ganz sicher nicht ausgefüllt. Dazu hatte er nicht die nötige Qualifikation.“

    Vielleicht hat er sich die nötigen Qualifikationen selbst angeeignet? Postel scheint sich intensiv in die Materie eingearbeitet zu haben.
    https://www.welt.de/print-welt/article564838/Die-Doktorspiele-des-Hochstaplers-Postel.html

    Ich erinnere mich, dass mal jemand einen Staatsanwalt gespielt hat, und ich meine, dass in jenem Fall unbestritten war, dass er gute Arbeit geleistet hat (wurde ihm von seinen Vorsitzenden in die Dienstzeugnisse geschrieben).

    Bei aller Kritik bin ich übrigens schon der Meinung, dass Postel auch nicht allein Negatives geleistet hat: Er hat m.W. schon früh darauf hingewiesen, wie leicht es ist, jemanden zwangsweise in die Psychiatrie zu stecken und dort festzuhalten.

  39. @Asap:
    Noch einmal, Hochstapler sind gut darin, Menschen für sich einzunehmen. Sie haben in solchen Konstellationen immer Leute, die sich sehr vehement für den Hochstapler einsetzen, weil sie entsprechend manipuliert werden. Gerade diese Leute sind es, die die Täuschung mithelfen, aufrecht zu erhalten. Wie schwer ist es wohl z.B. für einen Sozialminister, zuzugeben, dass er sich geirrt hat? Die kognitive Dissonanz lässt sich nur durch die Erzählung auflösen, der Hochstapler habe so etwas wie übermenschliche Fähigkeiten. Das erklärt, warum sich Leute für ihn aussprechen.

    Aber: Gute psychiatrische Gutachten zu verfassen, erfordert eine langjährige Ausbildung und Berufserfahrung, die hat Postel nicht und dieses Wissen kann er sich auch nicht im Turboverfahren angeeignet haben. (Um dem vorzubeugen: Ja, es gibt mit Sicherheit auch studierte Dilettanten, die Gutachten verfassen und damit Menschen schaden. Das macht Postel aber immer noch nicht zu einem fähigen Psychiater).

    Was Postel allerdings sicher konnte, war sich den nötigen Jargon und Habitus eines Psychiatrieprofessors anzueignen. Sowas ist für sich schon sehr faszinierend.

    Mag sein, dass durch den Vorfall eine nötige Diskussion angestoßen wurde. Aber dass da jemand sich anmaßt, ohne die nötige Ausbildung durch Gutachten Schicksale zu bestimmen und auf psychisch kranke Menschen losgelassen wird, ist schlicht und einfach ekelhaft. Man kann diesen Mann gerne Respekt für seine Manipulationsfähigkeit zollen, aber ganz sicher kann man ihn nicht als Ikone der Psychiatriekritik feiern, wenn einem die (mutmaßlichen) Opfer der Psychiatrie doch angeblich so am Herzen liegen (damit meine ich nicht Sie sondern die Anhänger der Anti-Psychiatrie-Bewegung). Postel war es schlicht wurscht, was mit seinen Opfern passiert. Hauptsache sein Ego wird gepinselt.

    „Ich gehe davon aus, dass es Postels Wille ist, seine ‚genuinen‘, äh, ‚Leitungen‘ als Hochstapler zu präsentieren, nicht welche zu erfinden.“

    Es ist wirklich sehr erstaunlich, dass Sie ausgerechnet einem Hochstapler, der sich ja gerade dadurch auszeichnet, sich selbst als etwas Tolleres darzustellen als er ist, nicht zutrauen möchten, seine Leistungen (egal in welcher Hinsicht) zu übertreiben und fröhlich was dazu zu erfinden.

    „Zudem würden zumindest die Medien vermutlich aufdecken, wenn er Lob für sich in Anspruch nähme, das er nie bekommen hat.“

    Ist ja lustig, dass Sie das schreiben. Und zwar unter einem Artikel, der genau das tut (im Gegensatz zu den vielen anderen Medien, die, wie eben dieser Artikel aufzeigt, viel lieber die schnittige Geschichte weiterverbreiten, wie sie von Postel selbst kommt).

  40. @ Inga:

    Um das nochmals klar zu sagen: Ich „bewundere“ Psotel nicht. Ich frage mich nur, ob Sie seine Fachkompetenz nicht doch etwas herunterspielen.

    „Aber: Gute psychiatrische Gutachten zu verfassen, erfordert eine langjährige Ausbildung und Berufserfahrung.“

    Ist das wirklich unbedingt so? Bedenken Sie auch, dass die Psychiatrie eine relativ „weiche“ Wissenschaft ist.

    Die Validität der psychiatrischen Diagnosen ist fraglich – es ist oft nicht klar, ob die Diagnosen wesentlich mehr sind als eine Sammlung von Symptomen. Die Reliabilität (das Maß, in dem Fachleute bei der Vergabe von Diagnosen übereinstimmen) ist oftmals unbefriedigend, auch wenn dieses Problem heruntergespielt wird. Viele Studien, die die Wirkung von Psychopharmaka zeigen, sind offenbar schon vom Design her äußerst dürftig. Die Wirksamkeit der Medikamente selbst ist häufig eine offene Frage. Die Studien etwa, die die SSRIs mit „aktiven Placebos“ (also Placebos mit Nebenwirkungen) vergleichen, konnten meines Wissens keine Wirksamkeit der Medikamente verifizieren.

    Ich möchte die Psychiatrie damit nicht pauschal schlechtreden, aber eine wirklich „harte“ Wissenschaft ist sie über große Strecken wohl auch nicht.

    Soll nichts rechtfertigen, was Herr Postel getan hat, oder so (nur vorsorglich). Aber kann vielleicht kann es zur Erklärung beitragen, wieso er sich so halten konnte. In der Chirurgie oder auf der Inneren wäre das nämlich kaum möglich, dass ein Hochstapler so lange durchgeht – egal wie gut er darin ist, Fachjargon zu sprechen oder Leute für sich einzunehmen.

  41. Danke! Und ein sehr, sehr guter Artikel. Ich habe nie verstanden, wieso er oftmals so unkritisch gesehen wird. Natürlich ging es nie um Patienten, nie um die Kritik an der Psychatrie, sondern einzig um sein Ego. Man muss die Institutionen nämlich nicht jahrzehntelang narren, um sie bloßzustellen. Dazu hätte ein einziges Jahr genügt. Und das reiht sich eben in viele Geschichten ein, die wenig plausibel sind. Auf Twitter reiht er eine Lüge an die nächste („Ich habe Dyskalkulie, aber bin hochbegabt“). Die eigene Heroisierung fällt bei jeder Nachfrage in sich zusammen. Das hat auch etwas bemitleidenswertes. Und zwar immer bis zu den Stellen an denen es zynisch wird: er verweigert zu offenbaren wovon er lebt, „wenn man geistige Interessen hat, braucht man keine man keine materiellen“ – als wenn man Schopenhauer essen könnte. Als nächstes erklärt er Depressiven,wie sie sich zu fühlen haben. Und allerspätestens da hört seine Geschichte endgültig auf noch irgendeine „amüsante“ Komponente aufzuweisen

  42. Es ist für mich durchaus interessant, zu sehen, wie viele Leute hier sich in Interpretationen und exegetischen Versuchen ergehen und vor allem vom Bedürfnis getrieben sind, persönlich abzuwerten. So muss man das wohl machen, wenn man einem Phenomenon intellektuell und moralisch nicht gewachsen ist. Eine für mich noch interessantere Frage ist, weshalb ein so begnadeter Autor wie Peter Breuer es für angemessen hält, sich in dieser Form mit mir auseinander zu setzen. Dessen wirkliche Motive würden mich interessieren. Ich kann leider mit ihm selbst nicht sprechen, er hat mich in den vergangenen Wochen auf Twitter mehrfach gesperrt und immer wieder entsperrt. Das wirkt ein bisschen in disponiert und so, als würde ich ihn in Norm emotional berühren. Weshalb das so ist, weiß ich nicht. Wer etwas aus erster Quelle wissen möchte, kann sich gerne via Twitter an mich wenden. Freundliche Grüße
    Gert Postel

    Twitter: @PostelGert

  43. Herr Postel, noch jeder, der es gewagt hat kritische Worte an Sie zu richten, wurde bei Twitter blockiert. Sie sind kein Mensch, dem an Auseinandersetzungen gelegen ist, weil Sie Ihnen in aller Regel nicht standhalten können. Das hat mit persönlicher Abwertung wenig zu tun. Peter Breuer hat einen sachlich vollkommen richtigen Artikel geschrieben. Sie suchen die Öffentlichkeit, also beschweren Sie sich doch bitte nicht, dass andere Ihre Person Ihrem Auftreten nach beurteilen. Wer lügt und betrügt und sich gleichzeitig darin sonnt eine moralische Instanz zu sein, der muss sich nicht wundern, wenn der ein oder andere diesen Widerspruch bemerkt.
    Der größte Widerspruch beginnt ja schon so: Psychater können alle recht wenig und hantieren nur mit Begriffen. Aber SIE waren der allergrößte! Quasi die beste aller dressierten Ziegen! Und weil Sie genauso soviel können, wie die anderen „Hochstapler“ (Ihre, nicht meine Meinung) sind Sie ein Genie. Die anderen sind aber sehr dumm? Wie man es dreht und wendet, es wird nicht sinniger. Sie wollen halt „oben“ mitspielen. Aber dazu gehört auch Fleiß, den Sie regelmäßig geringschätzen, indem Sie jeden akademischen Titel abwerten und gleichzeitig so gestelzt daher reden, dass die wenigsten wirklich klugen Menschen Sie jemals ernst nehmen könnten. Sie denken jeder hat Titel, Geld und Status geschenkt bekommen. Das ist Ihre Lösung für den Frust darüber, dass Sie niemals auf ehrliche Art und Weise etwas erreichen konnten.
    Und das alles wäre tragisch, aber völlig in Ordnung, wenn Sie nicht über Twitter Einfluss auf 17jährige hätten, die Sie als „Vorbild“ sehen.
    Freundliche Grüße
    Besma

  44. Noch etwas zu dem Artikel:

    „In keinem Text bisher gab es je auch nur eine Andeutung, dass die ‚bipolare Depression‘ ein durchaus geläufiger Begriff ist. Die Klassifizierung in verschiedene Schweregrade der Depression ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. “

    Das ist wahr, aber nicht relevant.
    Man spricht von leichten, mitteleren und schweren Depressionen. Und man spricht auch von bipolaren Störungen ersten und zweiten Grades. Diejenigen ersten Grades (Typ 1) sind die mit voll ausgeprägter Manie; bei denen zweiten Grades (Typ 2) genügt hingegen eine Hypomanie für die Diagnose. Eine bipolare Störung dritten Grades ist meines Wissens aber tatsächlich als psychiatrischer Krankheitsbegriff weder definiert noch in Gebrauch. Hier handelt es sich um eine Neu-Erfindung Postels, und es ist eher unklar, was der Ausdruck sinnvollerweise bedeuten könnte.

  45. Es wir d doch immer gefordert von aussen mal ins Innere von Institutionen zu gucken….dann machens mal welche und schon schreiens wie kann der nur …
    Er hat sich nicht als Journalist vorgestellt oder er hat nen falschen Namen angegeben,einen Lebenslauf gebastelt,er hat nicht die Tradionserziehungsstudiereinrichtungen besucht,usw.
    Inwieweit die Kritiker von solchen Vorgehen Inspirationsmangel,Couragedefizite oder schlicht Abhängigkeitverhältnisse oder Kombinationen aufweisen,weiss ich nicht…
    Aber je stärker jemand tönt,das macht man nicht,desto verdächtiger ist er.

  46. @ Asap: Gut, dass wir uns offenbar zumindest in der moralischen Wertung relativ einig sind.

    Sie können aber nicht einerseits davon ausgehen, dass Postel Kompetenzen in Psychiatrie habe und gleichzeitig abstreiten, dass Psychiatrie überhaupt Kompetenzen voraussetzen. Die Fachrichtung ist übrigens nicht so schwammig, wie Sie glauben. Auch in der übrigen Medizin ist eine Krankheit eine Sammlung von Symptomen, die sich nicht immer scharf abgrenzen lassen (von Infektionskrankheiten mal abgesehen). Der Unterschied besteht nur darin, dass man die Symptome oft weniger gut messen kann. Umso wichtiger ist eine fundierte Ausbildung. Wenn Sie das Thema Gutachten interessiert, empfehle ich Ihnen das neue Buch von Norbert Nedopil. Ein großartiger, reflektierter, erfahrener forensischen Psychiater, der auch klar die Grenzen von Gutachten aufzeigt.

  47. @ Postel: „Es ist für mich durchaus interessant, zu sehen, wie viele Leute hier (…) vor allem vom Bedürfnis getrieben sind, persönlich abzuwerten. So muss man das wohl machen, wenn man einem Phenomenon intellektuell und moralisch nicht gewachsen ist.“
    Haha, das ist ja großartig! Doof sind immer nur die anderen, gell? Narzissmus in a nutshell.

  48. @ Inga:

    „…und gleichzeitig abstreiten, dass Psychiatrie überhaupt Kompetenzen voraussetzen. “

    Tue ich ja nicht.

    In der Medizin hat man normalerweise relativ klare Krankheitsbilder und diagnostiziert diese auf Basis objektiver Kennzeichen und identifizierbarer ursächlicher Prozesse (selbst wenn man diese Prozesse nicht immer im Detail versteht). In der Psychiatrie ist das anders. Kein Geringerer als der damalige NIMH-Chef Thomas Insel schreibt über das Diagnose-System DSM, das manchmal als „Bibel der Psychiater“ bezeichnet wird:

    „The weakness is its lack of validity. Unlike our definitions of ischemic heart disease, lymphoma, or AIDS, the DSM diagnoses are based on a consensus about clusters of clinical symptoms, not any objective laboratory measure. In the rest of medicine, this would be equivalent to creating diagnostic systems based on the nature of chest pain or the quality of fever. Indeed, symptom-based diagnosis, once common in other areas of medicine, has been largely replaced in the past half century as we have understood that symptoms alone rarely indicate the best choice of treatment.“
    https://www.nimh.nih.gov/about/directors/thomas-insel/blog/2013/transforming-diagnosis.shtml

    Und auch um die Reliabilität von psychiatrischen Diagnosen (also die Übereinstimmungsrate beim Stellen von Diagnosen durch verschiedene Kliniker) steht es offenbar schlechter, als oft der Eindruck erweckt wird.

    Es gibt auch Psychiater, die aus solchen und anderen Gründen einen Paradigmenwechsel einfordern, siehe etwa:
    http://www.systemagazin.de/bibliothek/texte/Timimi-No-More-Psychiatric-Labels.pdf

    Und medikamentöse Therapien sind mit vielen Fragezeichen versehen (vor allem im Hinblick auf die Langzeitfolgen); Psychotherapie ist ziemlich wirksam, aber in hohem Maße unspezifisch(es kommt eher auf allgemeine Faktoren als auf Diagnose oder Therapieform an, und auch Laien sind da recht gut).

    Damit spreche ich der Psychiatrie weder generell die Wissenschaftlichkeit oder Kompetenz ab, noch leugne ich, dass sie nützlich sein kann. Aber eine „beinharte“ Wissenschaft ist sie dann auch wieder nicht.

    Danke für den Literatur-Tipp. Ich behalte es mal im Hinterkopf, auch wenn ich gerade nicht die Zeit dafür habe.

  49. Und wer applaudiert ihm? Diejenigen, für die Fakten und Details zu kompliziert sind und die solches dann als Blödsinn bezeichnen und die meistens dann wohl auch Rechtspopulisten auf den Leim gehen. Die gerechte Strafe für sie wäre eine Therapie bei Postel.

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