Objekte im Rückspiegel sind manchmal böser, als sie erscheinen
Seit mehr als 60 Jahren gibt es im „Spiegel“ auf der letzten Seite die Rubrik „Rückspiegel“. Hier notiert das Nachrichtenmagazin, wenn seine Berichterstattung Folgen hatte oder sich nachträglich noch etwas ergab. Hier hält es aber seit ein paar Jahrzehnten auch fest, wenn andere etwas Nettes über ihn gesagt oder geschrieben haben.
Wenn Margot Käßmann in der „Gala“ erzählt, wie es war, als sie dem „Spiegel“ ein Interview gegeben hat, steht es hier, wenn die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt, was der „Spiegel“ vor vierzig Jahren über Franz Josef Strauß geschrieben hat, steht es hier, und wenn der Statistik-Professor Walter Krämer in der „Neuen Zürcher Zeitung“ schreibt, dass der „Spiegel“ seinetwegen inzwischen besser mit Zahlen umgeht, steht es hier.
Der „Spiegel“ versucht mit all den Zitaten zu zeigen, wie groß er ist, und merkt nicht, wie klein ihn die ganze Zitiererei wirken lässt.
Es gab schon mal Versuche, diese merkwürdige Form der Selbstbeweihräucherung abzuschaffen. Aber der „Rückspiegel“ ist die Kakerlake unter den „Spiegel“-Rubriken. Sie wird alles überleben. Wenn es den „Spiegel“ einmal nicht mehr geben sollte, wird es immer noch diese Rubrik geben, wo sie aufschreiben, wenn sie jemand lobt.
Manches Lob liest sich aber auch zu toll. Zum Beispiel das, das im aktuellen „Rückspiegel“ zitiert wird. Es stammt aus der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (genauer gesagt aus der Medienkolumne „Die lieben Kollegen“, die in jener Woche Claudius Seidl geschrieben hat, aber das steht im „Spiegel“ nicht). Es bezieht sich auf eine „Spiegel“-Sprachglosse mit dem Titel „Ein Wort im Maisfeld“. Und es geht so:
Wer alt genug ist, sich an jene Zeit zu erinnern, da die Regierung noch in Bonn saß und der SPIEGEL so schrieb, als hätten seine Leute jede Kabinettsitzung mitgehört, ja sogar die Gedanken aller Beteiligten mitgelesen – der kann sich vielleicht auch daran erinnern, wie damals sämtliche Deutschlehrer, Journalistenschuldozenten sowie natürlich Hans Magnus Enzensberger und Wolf Schneider jeden, der selber Texte verfasste, eindringlich davor warnten, all die Manierismen, Modewörter und Jargonspielereien des SPIEGEL für korrektes Deutsch zu halten und womöglich in die eigenen Texte hineinzulassen. … Großkoalitionär. Christkathole. Unionist. Der weggekürzte Artikel, der suggerierte, dass jeder Berufsname zugleich einen Rang bezeichnete: „Straßenkehrer Funk, Ehefrau: ,Die Leistungsgesellschaft ist nur noch ein Mythos.'“ So ging das damals. Der SPIEGEL sündigte, lustvoll und mit Erfolg, weil die Leser wussten, was gemeint war, und anscheinend diesen Jargon gerne lasen.
Schön, oder?
Hier endet das Zitat im „Spiegel“. Der Text im Original geht allerdings noch ein bisschen weiter, nämlich wie folgt:
Mit dem Finger darauf zu zeigen, das war etwas, was der „Spiegel“ anderen, betulicheren Redaktionen überließ. Wenn jetzt der „Spiegel“ mit dem Finger auf andere zeigt: Was sagt das dann über sein Selbstbewusstsein? Und wie dringend hat die Welt darauf gewartet, dass endlich auch der „Spiegel“, wie eigentlich alle anderen auch, vor dem unüberlegten Gebrauch des klug nur klingenden Wörtchens „Narrativ“ warnt? Verständlicher ist es schon, dass der durch und durch säkulare „Spiegel“ das Wort „ikonisch“ nicht mag – auch wenn wir uns zu erinnern glauben, dass spätestens mit den ersten Artikeln über Madonna auch die dazugehörige Berufsbezeichnung „Pop-Ikone“ im „Spiegel“ stand. Dass „das Feuilleton“ manche Filmszenen „ikonisch“ nennt, sei falsch, findet der „Spiegel“. Warum eigentlich, fragt man sich, so als Feuilleton. Weil der „Spiegel“ im Duden nachgeschlagen hat, und da steht, dass „ikonisch“ nur bedeute „in der Art der Ikonen“, was ja für eine Filmszene nicht gelten könne. Was ist aber die Art der Ikonen? Anscheinend doch die, dass durchs Bild hindurch das Abgebildete sich offenbare, weshalb einer keine Sünde begeht, wenn er so ein Bild anbetet. Hmm. Ikonische Filmbilder wären also anbetungswürdige Bilder. Kann man kritisieren, als gefährlichen Götzenkult (wenn man „Chrismon“ ist oder der „Osservatore Romano“). Falsches Deutsch ist es aber nicht.
Claudius Seidl hat sich über die Sprachglosse im „Spiegel“ lustig gemacht. Er zerpflückt ihre Argumentation, er mokiert sich schon über ihre Existenz an sich, und zur Vergrößerung der Fallhöhe schreibt er vorher auf, wie anders, selbstbewusst, unbetulich der „Spiegel“ früher mal gewesen sei.
Und das Nachrichtenmagazin schmückt sich vor seinen Lesern mit diesem vergifteten Lob. Und lässt die Kritik weg.
So ist er, der „Spiegel“.
[Offenlegung: Ich habe mal für den „Spiegel“ gearbeitet und schreibe für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“]
Ach so? Ich habe über Ikonen gelernt, dass das billige Massenware ist, hing in jedem noch so armen Russenstübchen und war natürlich das Gegenteil von Kunst, auch wenn alle 50 Jahre auf einer Auktion eine 800 Jahre alte Ausnahme zu Unsummen versteigert wird, woraus der Vermischtes-Leser ableitete, dass Ikonen ganz allgemein etwas wertvolles seien.
Seither regt es mich auf, wenn Künstler und andere Ausnahmekönner als Ikonen bezeichnet werden, denn sie stehen ja nicht als billiges Abbild für etwas heiliges, meist die Mama Maria, sondern sie selbst sind es, von denen ikonenähnliches (Bravo-Starschnitte usw.) gefertigt wird, was dann überall rumhängt. Der Fetisch ist nicht das Fetisierte.
Ob der Spiegel nur noch ein Abklatsch seiner selbst ist, und daher eine Ikone?
„So ist er, der Spiegel.“
Na ja. Das wäre ja so, als ob man nach dem Lesen des unglaublich infamen Artikels von Thomas Thiel heute auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ditib-koordinator-murat-kayman-diffamiert-kritiker-14389211.html) schreiben würde: so ist sie, die FAZ.
Macht ja auch keiner.
„Christkatholen“, um mich von der Nachbardiskussion zu wiederholen, ist doppelt gemoppelt und schon von daher schlechtes Deutsch. Und eigentlich lasse ich mich nur von meinen katholischen Glaubensgeschwistern „Kathole“ nennen, oder evt. von evangelischen, die sich dafür „Evangelen“ nennen lassen.
Apropos evangelisch, der Käßmann-Link funzt nicht.
@Mycroft: Danke, jetzt funzter wieder.
…wann ich mir den letzten „Stern“ gekauft habe, weis ich noch.
Wann ich anschliessend ganz schnell Sonntagabends nach dem „Tatort“ zuletzt zum Hbf gelaufen bin, um den neuen „Spiegel“ zu erwerben, nicht mehr.
Immerhin: Es gab spannende Zeiten und Zeilen mit dem „Spiegel“ und seinen div. Authoren.
Beide haben mich auch durchaus geprägt.
Das eigene Denken ist mir aber (noch) nicht verloren gegangen.
Hoffe ich jedenfalls.
Ah, Danke!
Das war aber ein komisches Interview.
@theo: Ganz ehrlich, ich finde schon, dass diese Petitesse eine Menge darüber aussagt, wie der „Spiegel“ ist.
Stefan:
als ich nun den Artikel von Rainer Meyer (sonst bekannt als Don Alphonso) im FAZ-Feuilleton über das Wiki-Projekt der Amadeu Antonio Stiftung las, dachte ich mir: das sagt doch auch eine Menge aus über das Blatt, wenn im selben Ressort derart schnell ein infamer Artikel auf den nächsten folgt. Nichts für ungut dennoch, Du kannst ja auch nichts dafür.
@theo: Ich würde dem ja auch nicht widersprechen.
Sie schreiben:
> Manches Lob liest sich aber auch zu toll. Zum Beispiel das, das im aktuellen „Rückspiegel“ zitiert wird. Es stammt aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ <
Die Rubrik "Die lieben Kollegen" erscheinen aber in der FAS, nicht in der FAZ.
Vielleicht kann man das ändern – soll doch alles ganz genau stimmen :-)
Um mal an Details herumzumäkeln: Diese Verwendung von „ikonisch“ mag zwar kein falsches Deutsch sein, ist dafür jedoch schlechtes, weil sie direkt aus dem Englischen übernommen wurde. Dort ist sie in dem verwendeten Kontext durchaus gebräuchlich.
@ Stefan Niggemeier: Verflixt, ich hab das Gefühl, Sie haben den Text eigentlich nur deshalb geschrieben, um Walter Krämer darin zu verstecken…
@Andre: Das täuscht.
@Mycroft:
Warum ist die Beschreibung “ „christlicher“ Katholik“ schlechtes Deutsch und doppelt gemoppelt?
Möchte jetzt aber auch keine hier nicht hingehörende Diskussion vom Zaun brechen.
Was gemeint war, insbesondere zu Herrn Matussek, werden die meisten Foristen hier wissen, unterstelle ich jedenfalls.
Nachtrag:
In einem evangelischen Elternhaus qua Geburt grossgeworden, getauft u. konfirmiert, der ev.Kirche aber seit meiner Volljährigkeit nicht mehr angehörend, würde ich mein Denken; Fühlen; Handeln als „christlich“ bezeichnen wollen(was andere bewerten sollten), was meint, dass ich mit bspw. Herrn Matussek und dem von ihm wie eine Standarte vorgetragenen Katholizismus und seinen bekannten Äusserungen selbst ein intellektuelles Problem habe. Das geht aber nicht nur mir so, wie ich weis…
@ 14 Ekkehard
Verlängert man Sätze mit unnötigen Adjektiven ist das grundsätzlich schlechtes Deutsch. Adjektive sind immer dann unnötig, wenn das nachgestellte Substantiv die Eigenschaft bereits enthält. Deutliches Beispiel: Tote Leiche.
Der christliche Katholik ist ähnlich. Im Kontext wiederum kann das dann allerdings wieder anders aussehen: „X. beutet die ganze Woche seine Leute aus und meint, mit einer Beichte sei alles erledigt. Y. hingegen ist ein christlicher Katholik.“ Nach meinem Geschmack immer noch kein guter Ausdruck, aber doppelt gemoppelt ist es im Kontext hier jedenfalls nicht. Als vermeintliches Trendwort, wie im Zitat oben, ist es aber tatsächlich so, dass bei allgemeiner Bezeichnung der Katholiken bereits klar ist, dass das Christen sind.
Puh,
so deutlich o.ä. steht es in meinen „Abgangs-Zeugnissen“ div. Waldorfschulen.
@ JUB 68:
Klugscheissern kann ich im Zweifel besser.
Obwohl ich de Jure nicht einmal einen Volksschul/ Hauptschul-Abschluss habe.
Be warned…
@ 16
Danke für diese kurze Weile in die Abgründe deutscher Grammatik u.a.
Können Sie verstehen, oder hast du Verständnis dafür, dass Menschen aus anderen Sprachregionen, mit dem Lineal gezogene Grenzen anders verstehen als wir, siebzig Jahre nach Gründung des Bundeslandes NRW?
Ok, mir zumindest war im Zusammenhang mit „christlicher Katholik“ _nicht_ klar, was gemeint war. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, sollte das diese übertriebene Betonung „ich bin ja sooo christlich UND sooo katholisch“ von Matussek wiedergeben. Sorry!
In anderen Zusammenhängen könnte das aber auch die Idee reproduzieren, Katholiken seien i. Allg. gar keine richtigen Christen. (Gibt es natürlich auch in die andere Richtung.)
Das Gebilde „Christkathole“ erschließt sich mir trotzdem nicht, außer dem vagen Gefühl, jemand habe da etwas gegen Mitglieder der katholischen Kirche.
Ganz was anderes, ich verstehe „ikonisch“ als „in einer sehr bekannten Form der Darstellung“ oder „mit einem allg. bekannten Erkennungszeichen versehen“. Weil Heilige auf ihren Bildern nicht am Gesicht erkennbar sind, sondern an ihren Attributen.
@18 Ekkehard
Ich fasse mal zusammen:
„Christkathole“ wird neben anderen Beispielen im Artikel zitiert um einen gewissen Sprachstil des Spiegel darzustellen. Mycroft bezeichnet das als “ doppelt gemoppelt“ und „schlechtes Deutsch“. Sie wollen wissen, warum das schlechtes Deutsch sein soll. Ich erkläre Ihnen das , nach meiner Wahrnehmung auch anschaulich. Sie warnen mich dann, dass Sie im Zweifelsfall besser klugscheißern können und stellen dann die Frage, ob ich nachvollziehen kann, dass mit dem Lineal gezogene Grenzen für Leute anderer Sprachregionen schwierig sind.
Da kann ich nur feststellen, dass mit unserer Kommunikation etwas nicht stimmt, weil ich den Zusammenhang nicht mehr durchschaue.
Was ist denn mit dieser Frage gemeint?
@Mycroft; JUB 68 :
Zusammen mit meinem etwas jüngeren Bruder war ich in den sechzigern im ziemlich konservativen St.Tönis(bei Krefeld) als Nicht-Katholik bei der DPSG. Dort habe ich auch während eines sonntäglichen, kirchlichen Pflichtbesuchs anlässlich eines Zeltlagers im Schwarzwald (sic!) 13jährig das sog. Abendmahl empfangen.
Weder ist bisher der Blitz neben mir eingeschlagen, noch habe ich sonstiges Ungemach erlebt, von den üblichen „Kleinigkeiten“ mal abgesehen.
Toleranz, Ökumene und anderes funktionierte jedenfalls schon in den sechzigern.
Kommt aber natürlich immer auch auf die beteiligten Akteure an.
Sowas prägt…
@21 Ekkehard
Das ist alles nachvollziehbar aber dennoch habe ich das Gefühl unsere Diskussion hat den sogenannten roten Faden verloren. Ich sehe da keine Antwort auf meine Frage, aber vielleicht erzählen Sie uns nochmal, wer im Wasgenwald auf dem Schild saß und zusah, wie ihm Walther von Aquitanien die Freunde erschlug?
@Ekkehard, #21: Ich nenne das zwar „Kommunion“ und nicht „Abendmahl“, aber was soll’s. Warum sollte der Blitz neben Ihnen einschlagen? Als 13jähriges Mitglied einer Pflichtveranstaltung sind sie ohne Schuld. Und wenn, würde Gott schon treffen. Hat jetzt nur sehr entfernt etwas mit Matussek zu tun. Oder dem Spiegel.
@ 22/23
Nett, euch/Ihnen zu folgen…
Erholsames Wochenende, ganz ohne Schnappatmung.
Dieses sog. Olympia geht zu Ende: Welch ein Stück Glück.
@Ekkehard: Das Sie besser klugscheissen können ist bisher nicht ersichtlich.
Daher wundere ich mich auch über die unbeantwortete Frage von @JUB 68 und „Schnappatmung“ kann ich nicht ausmachen – kann es sein, dass es so ist wie es @JUB 68 weiter oben im Beitrag #20 skizzierte?
Sie haben den roten Faden verloren.
Ich fand den Artikel interessant. Bis zur Offenlegung, dass Sie für den Spiegel (den Sie hier so herzlich kritisieren) gearbeitet haben und nun für die FAZ schreiben, in welcher der Verriss des Spiegels zufälligerweise stand. Ich komme gerade von einem Artikel, in der sich über eine Journalistin geärgert wurde, die nicht angegeben hatte, dass sie an der Firma der Interviewpartner beteiligt war – sie hat es nicht offengelegt. Interessant finde ich für mich: ob mit oder ohne Offenlegung von irgendwelchen Verbindungen – ich finde beides doof! Hinterher kann man sich immer fein beschweren.