Falsch bleibt falsch
Schauen wir kurz auf eine der Top-Meldungen der vergangenen Tage. Besser gesagt: eine der Top-Falschmeldungen. Am Samstag berichteten so gut wie alle deutschen Online-Medien, dass vor einem Atomkraftwerk in Belgien ein Wachmann erschossen worden sei. Anschließend, so hieß es, hätten die Täter seinen Dienstausweis gestohlen, was üble Assoziationen freisetzte, vor allem die, dass nun vielleicht Terroristen Zugang zu einem Atomkraftwerk besitzen. Um es, ebenso vielleicht, in die Luft zu jagen, in Belgien, gleich um die Ecke.
In sozialen Netzwerken findet sich die Meldung bis heute. Und sie hat sich, sieht man auf die Reaktionen und Teilungen, offenbar stark verbreitet. Sie dürfte, auf vielen Wegen, hunderttausende Menschen erreicht haben.
Aber es stimmt halt alles gar nicht.
Die belgische Zeitung „La Denière Heure“ hatte die Meldung in die Welt gesetzt – und alle haben sie gleich abgeschrieben, am Ostersamstagmorgen, natürlich mit Bezug auf die Zeitung, weil das einerseits so korrekt ist, andererseits scheint es etwas Verantwortung für das Geschriebene zu nehmen, da man ja nur zitiert. Aber das ist ein Trugschluss. Man verbreitet eben jede Meldung nochmal neu. Auch so eine hier, eine falsche.
Wenige Stunden nachdem die Meldung kursierte, dementierte die Staatsanwaltschaft, dass es bei dem Mord jenen Terror-Bezug gebe, den viele herbeispekuliert hatten. Der Mann sei gar nicht „vor einem Atomkraft“ getötet worden, sondern in seinem Wohnhaus. Er habe auch nicht in einem Atomkraftwerk gearbeitet, sondern in einem Institut für Nuklearmedizin. Und sein Dienstausweis – auch der wurde nicht gestohlen.
Normalerweise braucht es zwei Quellen, um etwas zu berichten. Das bekommt jeder Journalistenschüler so eingebläut. Bei vielen Online-Medien aber ist dieser Grundsatz längst außer Kraft. Weil die Eile regiert. Diese Meldung passt obendrein gut in die Zeit, denn sie bestätigt vermeintlich eine Befürchtung, die schon länger präsent ist, seit Brüssel besonders: Die Befürchtung, Terroristen könnten einen atomaren Anschlag verüben.
Manche texteten deshalb genau in diese Angst hinein.
Aber, das (vor-)schnelle Übernehmen einer Meldung ist das eine.
Das andere ist: die Korrektur.
Die meisten Medien berichtigten die falsche Nachricht, nachdem die Staatsanwaltschaft sie dementiert hatte. Doch sie ist eben immer noch zu finden, in den Feeds der sozialen Kanäle. Das Prinzip ist nicht neu: Immer schon werden vermeintliche Skandale erst aufgebauscht, auf Titelseiten, unübersehbar – die Korrektur aber fällt meistens viel kleiner aus. Und bei twitter und Facebook halten es viele Medien offensichtlich nicht mal für nötig, die Unwahrheit, die sie verbreitet haben, überhaupt wieder einzufangen.
Manche machen das, die „Welt“ zum Beispiel, die ohnehin in sozialen Medien sehr aktiv ist und sich oft in den Kommentaren meldet, wie in diesem Fall:
Das ist schon mal toll, so ein Update. Es bekommt naturgemäß viel weniger Reaktionen als der ursprüngliche Post, aber immerhin, dafür kann die „Welt“ ja auch nichts. Und doch es ist es unlogisch, denn der Text des Postings ist ja weiterhin raunend und falsch. Da steht weiter etwas von „beunruhigenden Nachrichten aus Belgien“, immer noch, und im Link-Text steht zwar, etwas krumm, dass keine „terroristischen Spuren“ verfolgt würden, aber dass es sich um ein „AKW“ handle, ist da leider auch weiter zu lesen.
Den Eintrag nicht zu ändern, was bei Facebook möglich wäre, ist auch deshalb unklug, weil viele Leute, die ihre Newsfeeds durchsehen, nur oberflächlich lesen. Manche reagieren schon auf den Beitrag, etwa mit einem „Gefällt mir“, obwohl sie weder den Text hinter dem Link, noch die Kommentare gelesen haben. Gerade bei twitter ist das (leider) normal. Auch dort wäre es also gut, einen falschen Tweet mit einem neuen, direkt darunter, zu korrigieren. Oder den alten sogar zu löschen. Und die berichtigte Meldung zu twittern.
Wir reden ja so viel über all das Falsche, Böse, das durch soziale Netzwerke geistert. Insbesondere die alten Medien sind Meister darin, das Internet zu verteufeln und sich im gleichen Atemzug für die eigene Faktentreue zu loben. Es wäre gut, auch dazu zu stehen, dass man, im Internet, Unsinn berichtet hat – und es zu korrigieren. Und in diesem Fall wäre es auch nicht unmöglich gewesen, ein wenig abzuwarten, bevor man es überhaupt meldet.
Im Ursprungstext hatte die Polizei noch nichts zu dem Hergang gesagt, mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen. Weil die eben Zeit brauchen. Der Mann wurde am Donnerstag ermordet, Freitag kam wahrscheinlich die Anfrage der belgischen Zeitung. Man kann der Polizei natürlich vorwerfen, nicht gleich gesagt zu haben, dass es sich nicht um ein AKW handelt. Aber was spräche, andererseits, dagegen, ein, zwei Tage abzuwarten, immer wieder nachzufragen – und erst dann darüber zu berichten?
In diesem Fall hätte es etliche (erfolgreich geklickte) Angst-Kommentare verhindert. So einen wie diesen hier, zum Beispiel, in dem auch eine so seriöse Quelle wie „Anonymus“ genannt wird.
Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Die Evakuierung, von der da die Rede ist, gab es so auch nicht. Aber viele haben sie gemeldet, nicht nur Anonymous. Und auch diese Falschmeldung ist noch immer, unkorrigiert, in den Newsfeeds einiger Medien zu finden.
Vielen Dank für die wichtige Arbeit, die Übermedien leistet. Weiter so!
Gelungener und entlarvender Beitrag zu unsererüberhitzten Medienwelt. Die Art und Weise, wie verdunkelt wird, wenn offentichtliche Fehler den ruf nicht ruinieren sollen, lässt tief blicken. Vor allem, wohin wir gekommen sind. Hauptsache, eine Meldung geht raus. Ob sie einen wahren Kern enthält, ist keine Frage des Handwerkes mehr, sondern eine Frage der Quantität: Wie oft wurde eine Meldung reproduziert? Je öfter, desto wahr. Ähnlich verhält es sich mit den zahlreichen Gerüchten über vermeintliche Straftaten von Flüchtlingen oder Asylbewerbern in Deutschland. Gut, dass es da auch ein journalistisches Projekt namens http://www.hoaxmap.org/ gibt.
So weit, so richtig. Aber was passiert, wenn die Zeitungen und andere Medien sich die Zeit lassen, zu recherchieren, bevor sie berichten, haben wir ja Anfang Januar erlebt. DREI TAGE hat es gedauert, bis die Ereignisse in Köln in überregionalen Medien betrachtet wurden, DREI TAGE!!! Das war anscheinend also auch nicht richtig…
Viele Medien berichteten auch von einem „Atomkraftwerk Charleroi“ (unter anderem auch hier in den Screenshots von Focus und Stern in diesem Artikel). Man musste kein Journalist sein, um diesen Bestandteil schon am Tag der Veröffentlichung sofort als fehlerhaft zu erkennen, da es in Belgien nur zwei AKW-Standorte gibt, nämlich in Doel und in Tihange.
@3: Und was Schlimmes ist passiert, weil man sich 3 Tage Zeit genommen hat zu recherchieren? Was hätte eine sich überschlagende Berichterstattung 3 Tage früher ohne Recherche verbessert? Das man 3 Tage länger über die bösen Ausländer sich hätte auslassen können?
Gute Analyse! Ich hatte in den vergangenen Tagen bereits auf FB versucht, gegen diese Falschmeldungs-Welle anzustänkern. Leider ohne großen Erfolg: Die Korrektur einer Falschmeldung ist dann offenbar meist weniger spektakulär, bringt weniger Leser und „likes“ als die Falschmeldung selbst. Von daher sind nicht nur die Journalistenkollegen zu schelten, sondern auch viele Medienkonsumenten, ob in den sozialen Netzwerken oder nicht.
Unfassbar finde ich auch, dass alle sogar den Titel des Magazins, das die Meldung ursprünglich verfasst hat, falsch abschreiben! Ich wurde sofort stutzig, „La derniere heure“ (nicht deniere) , also die letzte Stunde, klingt nicht unbedingt nach topseriösem Journalismus… Offenbar wird also noch nicht mal die Quelle gecheckt, geschweige denn, nach weiteren Infos zum Hintergrund recherchiert, sondern einfach ungefiltert durchgereicht. Der reine Irrsinn.
Das Ergebnis der „Höher-Schneller-Weiter-Mentalität“. Nachrichten müssen in erster Linie schnell sein und in zweiter Instanz polarisieren bzw. dramatisch sein. Gute Recherche, korrekte Darstellung von Fakten oder Hintergründen scheint nicht mehr wichtig zu sein.
Es gibt Ausnahmen, aber die werden immer seltener.