Bahnhofskiosk

Zahlen erzählen

Gerade in vermeintlich unsicheren Zeiten wie unseren* ist es gut, wenn man sich auf etwas verlassen kann, und nichts in der Welt der Geldanlage ist sicherer als das: Egal, was passiert, in naher Zukunft wird eine Ausgabe von „Focus Money“ erscheinen, die den Kauf von Gold empfiehlt**. Übrigens unabhängig von der Entwicklung des Goldpreises, aber das ist hier nicht mein Thema, ich kümmere mich nur um „Focus Money“ als Heft, nicht um seinen Nutzwert.

Titelseite mit vielen Goldbarren und der Schlagzeile: "Wer lesen kann, kauft Gold".

Wie alle Finanz- und die meisten Wirtschaftstitel leidet das Wochenmagazin darunter, dass die Objekte seiner Berichterstattung schwer zu bebildern sind. Das optische Konzept von „Focus Money“ stammt deshalb ganz offensichtlich im Wesentlichen von einer Person in einer kleinen, schlecht beleuchteten Kammer im Münchner Arabellapark, die viermal am Tag mit den Schultern zuckt und den Satz nuschelt: „Das ist aber schwer zu bebildern“.

Leider kann man diese Person im Heft selbst nicht sehen, das deshalb wirkt, als hätte es einfach kein optisches Konzept. Die Fotos und Illustrationen gehören überall da, wo keine redaktionelle Idee hinter einer Optik steckt, zu den langweiligsten der Welt. Und das ist noch der bessere Teil: Dort, wo eine redaktionelle Idee dahintersteckt, weckt sie Todessehnsucht.

Als Beispiel: Die Redaktion macht eine Geschichte über Aktienoptionen, die man mit Discount kauft und dafür begrenzte Rendite in Kauf nimmt. Nicht leicht zu bebildern, wie gesagt. „Focus Money“ bebildert sie mit einer Udo-Jürgens-Platte auf einem Plattenspieler. Das leuchtet nicht sofort ein. Aber die Redaktion hat ja daneben auch noch das Plattencover von Udo Jürgens’ „Aber bitte mit Sahne“ abgebildet, das „mit Sahne“ durchgestrichen und „mit Discount“ drübergekritzelt. I shit you not, das haben sie gemacht!

Seite aus der Zeitschrift mit einem abgebildeten Plattenspieler und dem Cover von Udo Jürgens' Platte "Aber bitte mit Sahne". Sahne wurde durchgestrichen und durch "Discount" ersetzt. Überschrift daneben: Rendite mit Rabatt"

Ich wäre unfassbar gerne dabei, wie jemand aus der Redaktion nach Ende des Oktoberfests auf diese Entscheidung zurückblickt und sie inhaltlich rechtfertigt***. Aktien mit Discount –> Aber bitte mit Discount –> Aber bitte mit Sahne –> Plattenspieler. Ich habe darüber nachgedacht, mich zu ertränken, nur um diesen Gedankengang aus dem Kopf zu kriegen.

Inhaltlich ist das Heft ein starkes Format, in dem Sinne, dass es seine Leser ansatzlos und vollständig entführt. Das ist tatsächlich ein Qualitätsmerkmal, und das meine ich ironiefrei. In „Focus Money“ wird die Welt einzig und allein durch die Brille des Geldverdienens betrachtet, was in dieser (vor der Wahl erschienenen) Ausgabe besonders schön deutlich wird an einer Geschichte darüber, dass die Wahl bis zu einem Prozent Wirtschaftswachstum bringen wird, völlig wurscht, wer gewinnt.

„Egal, wer regiert, die Wirtschaft profitiert“, heißt die Geschichte, die das einerseits ganz kongruent darlegt, andererseits weite Teile der Argumentation der Analyse einer Privatbank entnimmt, was mir immer ein bisschen aufstößt, aber „Focus Money“ ist – wenn man dieses Heft als Maßstab nehmen kann – tendenziell näher an der Finanzwirtschaft als an dem (ungleich viel kleineren) akademischen Betrieb, damit sind sie aber nicht alleine, so funktioniert der wahrscheinlich größte Teil der Finanzpresse.

Eine Seite voller Tabellen und Zahlen. Überschrift: "Wieder ein neuer Rekord".

Es ist ein schonungs- und irgendwie freudloser Blick auf die Welt, wenn man ihre Phänomene nicht als kulturell, sozial oder sonstwie aufgeladene Strukturen begreift, sondern einzig und allein als potenzielle Investitionsmöglichkeiten mit dem einzigen Ziel der Profitmaximierung. Es ist total ehrlich, aber gleichzeitig liefert „Focus Money“ nicht einmal den Hauch eines Hinweises, wofür man die ganze Kohle benutzen könnte, wenn man sie dann hätte.

Zusammen mit den 15 Seiten Gold-Special, die man mit dem Satz zusammenfassen kann „Kauft alle sofort Gold!“ ergibt das ein Fanal der Kulturlosigkeit – Archäologen späterer Zeiten werden es als Anleitung zum Götzendienst interpretieren. Und ich finde das im Prinzip okay, wer „Focus Money“ kauft, der will von dem Heft sicher genau das.

Als Magazin gelesen, ist es eine Dystopie, an der nur die implizite Kapitalismuskritik interessant ist: Zwischen allen Zeilen des Heftes wabert das Grundproblem unserer Zeit, dass freie Märkte fantastische Werkzeuge sind, um benötigtes Material und Informationen dahin zu bewegen, wo sie gebraucht werden. Es ist die beste uns bekannte Art, Mängel zu beheben – aber wir haben bis heute kein vernünftiges System daraus entwickeln können, um mit Überfluss umzugehen. Der „Focus Money“-Leser mit seinem überschüssigen Geld, für das er eine Anlagemöglichkeit sucht, kann bestimmt ein Lied davon singen***. Ich empfehle „Nothing Else Matters“.

Focus Money
4 Euro
Hubert Burda Media

* Das ist so eine unfassbare Phrase, dass es schon wieder Spaß macht, sie zu benutzen. Allerdings ist es ein bisschen so wie damals, als die „South Park“-Erfinder Trey Parker und Matt Stone in Abendkleidern zur Oscar-Verleihung gingen: War zwei Minuten lang witzig, dann peinlich. Ich würde deshalb darum bitten, den Einstieg nur ein Mal zu lesen und dann zu vergessen, okay?

** Ein Stefan Niggemeier hat das mal sehr schön demonstriert.

*** Ästhetisch nämlich sicher nicht. Ich gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, die Rechtfertigung enthielte wörtlich den Satzteil „zumindest mal eine Idee“.

**** Ich dachte, ich hör auch mal mit einer Phrase auf. Konsequent, oder?

 

4 Kommentare

  1. Die letzten Asterisken oder wie der Plural geht müssten zu viert sein.

    Ich bin nämlich auf dem Level angekommen, wo ich von den Fußnoten wieder nach oben scrolle, um zu sehen, wozu sie gehören.

  2. Bei der vierten Fußnote ***(*) fehlt ein Sternchen. Bin gespannt, wie Michalis das in der nächsten Redaktionssitzung rechtfertigt. Meine Vermutung: Mit einer „Du bist mein Stern“-Referenz? Eine wie immer sehr gelungene Kolumne!

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