Am 29. Mai 1976 gab es im Politikteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ etwas zum Gruseln. An den Ufern des Rio de la Plata in Argentinien seien elf Leichen gefunden worden, „meist nackt und verstümmelt“, hieß es. Einige der Leichen hätten Spuren grausamer Folterungen, bei einer habe ein Stück Kopf gefehlt, eine andere habe an einem Stück Beton gehangen.
Inzwischen sei wohl auszuschließen, schrieb die FAZ, dass es sich bei den Toten um meuternde Seeleute von den dort kreuzenden Schiffen handele oder gar um Opfer ausgearteter Drogenorgien, wie man ebenfalls vermutet hatte. Der Hintergrund sei wohl eine „Tragödie politischer Natur“.
So war es in der Tat. Die Leichen waren allesamt Opfer der argentinischen Diktatur, die zum Zeitpunkt, als der Artikel erschien, seit zwei Monaten an der Macht war und noch in den Tagen des Militärputsches den deutschen Studenten Klaus Zieschank entführt hatte. Zwei Monate später wurde er betäubt und mit Draht an einen anderen Menschen gefesselt aus einem Flugzeug über dem Rio de la Plata abgeworfen. So verfuhr das Regime mit vielen Kritikern. Wobei Zieschank eher ein friedensbewegter Student als ein politischer Aktivist gewesen war.
Das Versagen der deutschen Regierung, sich für die inhaftierten deutschen Staatsbürger einzusetzen, ist auch durch mehrere Dokumentarfilme einigermaßen bekannt. Im Falle von Klaus Zieschank ließ die Bundesregierung unter Helmut Schmidt Zieschanks Mutter wissen, man werde alles tun, um ihren Sohn zu retten. Dabei wusste man da schon, dass er ermordet worden war.
Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte aber alle zum Schweigen verdonnert. Der Vater der ebenfalls ermordeten Elisabeth Käsemann schrieb vor 40 Jahren, dass ein verkaufter Mercedes mehr wert sei als ein Menschenleben, und tatsächlich spielten Menschenrechtsverletzungen für die Bundesregierung damals eine untergeordnete Rolle. Zu gut liefen die (Waffen-)Geschäfte mit der Junta.
Angesichts des Jubiläums von 1968 und des deutschen Herbstes 1977 wird gerade viel Rückschau betrieben. Der Springer-Verlag hat vor sieben Jahren schon sogar ein 68er-Pressearchiv ins Internet gestellt, um seine Rolle bei den Studentenprotesten zu klären. Ein derartiger Rückblick auf journalistisches Wirken würde sich öfter lohnen, zum Beispiel auch im Fall der argentinischen Militärdiktatur.
Wenn man sich die Berichterstattung von damals anschaut, fällt auf, dass ein konservatives Medium wie die FAZ die Militärregierung als das kleinere Übel gegenüber dem krisengeschüttelten Argentinien unter Isabel Perón ansah, in dem es immer wieder terroristische Anschläge von links- und rechtsextremen Guerillas gab. Dabei gab die FAZ am 25. März 1976, also einen Tag nach dem Putsch, den Ton vor: „Angesichts der Not und Anarchie im Lande mag die Trauer über den Verlust konstitutioneller Garantien und Rechte von der Hoffnung auf positive Veränderungen überdeckt werden.“
Die Kolumne
Oliver Gehrs ist Journalist und Verleger. Er hat unter anderem für „taz“, „Berliner Zeitung“ und „Spiegel“ über Medien berichtet. Seit 2003 gibt er das Gesellschaftsmagazin „DUMMY“ heraus. Für Übermedien schreibt er jede Woche über alles Gedruckte.
Der Terror einer Militärjunta als Reaktion auf die Gewalttaten linker Terroristen – von diesem Narrativ rückte die FAZ auch ein Jahr später nicht ab, als es bereits Tausende verschwundene Oppositionelle gab und Erkenntnisse über den Aufbau einer regelrechten Folter-Infrastruktur. Lieber freute man sich gemeinsam auf die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft 1978. „Solange am Rio de la Plata die schwachen und korrupten Peronisten regierten, mochten viele nicht an die Schau in Argentinien glauben; seit die Militärs das Kommando übernommen haben, ist daran jedoch kaum zu zweifeln“, jubelte die FAZ.
Terror blieb für sie lediglich die immer verzweifelteren Aktionen versprengter linker Gruppen, nie aber die entgrenzten Repressionen der Videla-Diktatur, über die Rodolfo Walsh, der Begründer des investigativen Journalismus in Argentinien, bereits am ersten Jahrestag des Putsches schrieb:
„15.000 Verschwundene, 10.000 Gefangene, 4.000 Tote, Zehntausende, die aus dem Land vertrieben worden sind – dies sind die nackten Zahlen dieses Terrors. Als die herkömmlichen Gefängnisse überfüllt waren, verwandelten Sie die größten militärischen Einrichtungen des Landes in regelrechte Konzentrationslager, zu denen kein Richter, kein Rechtsanwalt, kein Journalist, kein internationaler Beobachter Zugang hat.“
Im Gegensatz zu diesen Zeilen aus dem Untergrund verstieg sich der FAZ-Korrespondent Martin Gester noch im Dezember 1977 zu der Feststellung, dass die linken Terroristen die wahren „Totengräber der Demokratie“ in Argentinien seien und im Land „ähnlich verhasst wie die Baader Meinhof-Bande am Rhein“. In diesem Satz steckt wahrscheinlich ein Teil der Erklärung, warum die FAZ so blind für die Exzesse der argentinischen Militärdiktatur war.
Unter dem Eindruck des RAF-Terrorismus sah man sich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit von linken Extremisten bedroht. „Vergleiche zwischen den argentinischen Guerillas und der RAF, die besonders stark in der FAZ vertreten werden, ermöglichen es gerade konservativen Lesern, die Verhältnisse in der Bundesrepublik auf die argentinische Gesellschaft zu projizieren und Partei für das Vorgehen der Militärs zu ergreifen“, schreibt die Politologin Dagmar Lieske in einem lesenswerten Buch über die Diktatur in Argentinien und die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes.
Diese Leichen liegen zweifellos auch im Archiv der FAZ.
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