Die Kolumne
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und BILDblog. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“. In seinem Notizblog macht er Anmerkungen zu aktuellen Medienthemen.
Glaubt man dem „Stern“-Hauptstadtjournalisten Julius Betschka, sorgte eine Insa-Umfrage am Dienstag für Sorgen in der SPD. „Boris Pistorius ganz vorn in der Beliebtheit, Olaf Scholz ganz hinten, nur noch vor Tino Chrupalla“, fasst er es zusammen.
Diese INSA-Umfrage sorgt für Sorgen in der SPD: Boris Pistorius ganz vorn in der Beliebtheit, Olaf Scholz ganz hinten, nur noch vor Tino Chrupalla.
«Mit Scholz ist die Wahl verloren, mit Pistorius haben wir eine Chance», sagt mir Landespolitiker. Lieber noch ohne Namen. Aber… pic.twitter.com/y07feSEp3n
— Julius Betschka (@JuliusBetschka) November 12, 2024
Gemeint ist das „Politikerranking“, das das Institut jede Woche für die „Bild“-Zeitung erstellt und „die beliebtesten Politiker“ zeigen soll. Es ist von den vielen zweifelhaften Umfragen, mit denen sich Medien ununterbrochen beschäftigen, eine der zweifelhaftesten – sowohl was die Methodik angeht, als auch die Darstellung der Ergebnisse. „Bild“ und Insa haben mit diesem Ranking einen Weg gefunden, wie sich auch kleinste Veränderungen als dramatische Aufstiege oder Abstürze erzählen lassen. Von „Bild“ werden die Ergebnisse immer wieder falsch dargestellt und vom Publikum falsch interpretiert.
Wie die Werte für die einzelnen Politiker zustande kommen, erklärt „Bild“ grundsätzlich nicht. „Bild“ veröffentlicht einfach eine Grafik, in der Boris Pistorius aktuell zum Beispiel 53,1 hat, Markus Söder 47,5 und Olaf Scholz 32,7. „Bild“ sagt nicht, wie viele Menschen gefragt wurden, um diese Zahlen zu ermitteln, vor allem aber sagt „Bild“ nicht, was diese Menschen überhaupt gefragt wurden.
Man könnte denken, dass es sich um Prozentwerte handelt, und das denken Leute auch und sagen dann sowas wie: „Pistorius 20 Prozentpunkte vor Scholz!!!“. Aber es sind keine Prozentwerte. Es sind Durchschnittswerte auf einer hochgerechneten Beliebtheitsskala von 0 bis 100. Das ist nicht dasselbe.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und BILDblog. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“. In seinem Notizblog macht er Anmerkungen zu aktuellen Medienthemen.
Ich habe mich bei Insa erkundigt, wie die Zahlen zustande kommen, mit denen „Bild“ hantiert. Rund 2000 Menschen werden demnach online gefragt:
Wie bewerten Sie die folgenden Politikerinnen und Politiker auf einer Skala von 0 (= sehr schlecht) bis 10 (= sehr gut)?
Außerdem gibt es die Antwortoptionen „Kenne ich nicht“, „weiß nicht“ und „keine Antworten“.
Aus den Skalen-Angaben wird ein Mittelwert gebildet und mit zehn multipliziert. Wenn ein Politiker wie Pistorius auf einen Wert von 53,1 kommt, bedeutet das also, dass er von den Befragten im Schnitt auf der Skala bei 5,31 platziert wird – also knapp über 5 und damit minimal positiv bewertet.
Wenn ein Politiker in diesem Ranking einen Punkt verliert, bedeutet das, dass sein Durchschnittswert auf der vorgegebenen Skala von 0 bis 10 um eine Nachkommastelle schlechter geworden ist. Aktuell ist das Olaf Scholz passiert. Er ist konkret von 3,41 auf 3,27, ähm, abgestürzt. Ja, „Bild“ nennt das wirklich: „sein persönlicher Umfrage-Absturz!“
„Bild“ behauptet auch falsch, Scholz sei „so unbeliebt wie nie“. Tatsächlich hatte er etwa im September einen noch niedrigeren Wert: 3,24.
Dadurch, dass Insa diese Werte auf eine Skala von 0 bis 100 aufbläst, wirken winzigste Veränderungen, die zu den normalen Schwankungen und Unschärfen von Umfragen gehören, schon weniger winzig. „Bild“ nutzt aber noch einen anderen Trick, um sie zu vergrößern: Weil ein großer Teil der Politiker relativ eng beeinander liegt (aktuell drängen sich 13 von 20 Politikern zwischen 31 und 38), können schon kleine Veränderungen in den Bewertungen zu größeren Veränderungen bei den Platzierungen führen.
Die Werte der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel etwa stiegen im Oktober zunächst von 33,1 auf 35,3 und fielen dann wieder auf 32,9. Aus diesen Schwankungen machte „Bild“ erst einen „Sprung von Platz 17 auf 13“ (Überschrift: „Überraschende Umfrage: Weidel gewinnt, aber AfD rauscht ab!“) und dann einen „herben Absturz“ von Platz 13 auf Platz 19 und einen „bitteren Rückschlag für die Rechtspopulisten“.
Anfang November titelte „Bild“: „Aufwind für FDP und Lindner“ und schrieb: „Parteichef Christian Lindner klettert von Platz 16 auf Platz 13. Der größte Sprung nach vorn im Ranking!“ Zwei Wochen zuvor hatte Lindner auch schon auf dem 13. Platz gelegen; mit 34,8 Punkten gegenüber 35,1.
Als Friedrich Merz vor einem Jahr einen Punkt hinzugewann, titelte „Bild“: „Friedrich Merz schießt rauf“. So geht das die ganze Zeit.
Es ist schwer zu übertreiben, wie übertrieben all diese Interpretationen sind.
Aber selbst das ist für „Bild“ noch nicht genug der Verzerrung. Auch die optische Darstellung der Ergebnisse übertreibt sie systematisch. Die Länge der farbigen Balken ist nicht proportional zu den Werten. Oder anders gesagt: Die Balken beginnen nicht bei Null.
In welchen Fällen eine solche Darstellung zulässig ist, darüber können Statistiker streiten. Tatsache ist, dass die Unterschiede zwischen den Politikern dadurch deutlich größer wirken, als sie tatsächlich sind:
Problematisch ist darüber hinaus, dass die Methode dieser Umfrage die teilweise sehr unterschiedliche Bekanntheit der abgefragten Politiker ausblendet. In der aktuellen Umfrage zum Beispiel kommen Matthias Miersch (SPD) und Franziska Brantner (Grüne) vor, bei denen jeweils rund ein Drittel der Befragten angab, sie nicht zu kennen. Weitere zwölf Prozent hatten keine Meinung zu ihnen. Olaf Scholz hingegen hat eine Bekanntheit von 99 Prozent. Das führt dazu, dass Miersch im Ranking weit vor Scholz liegt, obwohl viel weniger Befragte angegeben haben, eine positive Meinung von ihm zu haben. (9 Prozent zu 19 Prozent.)
Kann ein Politiker, der viel unbekannter als ein anderer ist, trotzdem „beliebter“ sein? Es hülfe, wenigstens anzugeben, wie viele Leute einen Politiker nicht kennen. Aus der Insa-Präsentation der Ergebnisse gehen diese Angaben hervor, aber für „Bild“ wäre das viel zu seriös.
Natürlich ist es nicht so, dass sich aus dieser sehr speziellen Hitparade gar nichts ablesen ließe: Die Tatsache, dass die Werte von Verteidigungsminister Boris Pistorius seit Monaten weit über denen der anderen Politiker liegen, bildet sicher ein reales Gefälle in der Beliebtheit ab, insbesondere auch im Vergleich zu Olaf Scholz. Trotzdem ist es beeindruckend, in wievielfacher Hinsicht diese Umfrage und ihre Darstellung unseriös sind. Sie ist vor allem ein Schlagzeilengenerator für „Bild“ – sollte aber von allen anderen nur mit größter Vorsicht weiterverbreitet werden.
Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: Zu groß ist die Versuchung, mit den wilden Zahlen Aufmerksamkeit zu generieren – oder Politik zu machen. Auch „Stern“-Journalist Betschka verbreitete fröhlich auf X (Twitter) die irreführende „Bild“-Darstellung der Insa-Ergebnisse. Als ein anderer Nutzer ihn fragte, ob man „diese manipulative Darstellung auch noch teilen muss“, antwortete Betschka:
„Auch wenn shoot the messenger angesagt ist: Ich kann leider wirklich nichts dafür, welche Grafiken in der SPD diskutiert werden.“
Das erklärt natürlich einiges über den Hauptstadtjournalismus in diesem Land, wenn er sich verpflichtet fühlt, irreführende Darstellungen unkorrigiert zu verbreiten, wenn auf ihrer Grundlage in der Politik diskutiert wird.
Nicht, dass es für die Bild relevant wäre, aber wenn sie nicht erklärt, wie die Umfrage zustandekommt, verstößt sie gegen Richtlinie 2.1 im Pressekodex: „Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit. Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.“
Will Insa dabei jetzt politische Stimmung unterstützen oder einfach Geld verdienen?
Jedenfalls ist diese ganze Sache so bekloppt. Wenn man die Leite fragt, können die wahrscheinlich Nix nennen, was Pistorius konkret getan hat. Aber gerade darum ist er ja allerseits beliebt, wogegen soll man da sein? Der Kanzler hat gerade den Finanzminister gefeuert, da sind ja mindestens die Fans der FDP nicht mit einverstanden. Gerade wesentliche Politikschaffende werden durch die Medien und die sozialen Medien gejagt und sind entsprechend unbeliebt.
Selbst, wenn sich die Politik nicht nach diesen Umfragen richten würde, geht die Berichterstattung dann darüber, dass sie diese ignorieren. Das konnte man beim Thema Migration ja gut sehen. Das muss dann möglichst rechtslastig abgeräumt werden, weil das laut Umfrage gerade pressiert. Da ist es schön zu hoffen, dass die Leute in Berlin sich davon nicht treiben lassen, aber die werden ja getrieben.
Es ist auch bezeichnend, dass die BILD nicht nur jede Woche diesen Quatsch in Auftrag gibt und nicht etwa einmal im Quartal, sondern ZDF usw wahrscheinlich über ihre Institute ähnlich aussagekräftigen Müll laufen lassen.
Ganz herzlichen Dank für diese Analyse und den Artikel!
Wow, solche Müllumfragen sind echt die Pest. Es wäre so schön, wenn wenigstens ernsthafte Medien solchen Quatsch ignorieren und schon mal gar nicht in Auftrag geben würde (ÖRR!)…
Danke für den aufklärerischen Artikel!
Etwas Aufheiterung:
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