Warum Gewalt gegen Frauen extremistisch ist
Gewalt gegen Frauen ist ein enormes gesamtgesellschaftliches Problem. Doch Medien behandeln Tötungen und Angriffe meist als tragische Einzelfälle – und werden der strukturellen Dimension des Phänomens damit nicht gerecht.
„Tödliches Beziehungsdrama“ schrieb der Harzkurier im Januar 2024, als ein 18-Jähriger mutmaßlich seine Ex-Freundin erstochen hatte. Von einem „Ehedrama” sprach die „Hannoversche Allgemeine“ im September 2024, als sie über eine Frau berichteten, die neun Messerstiche ihres Ehemannes überlebt hatte. Ähnliche Formulierungen finden sich in der Berichterstattung über Partnerschaftsgewalt. „Ehedrama im Landkreis Nordhausen endet vor dem Amtsgericht” titelte die „Thüringer Allgemeine“ im September 2024 und schrieb weiter im Teaser: „Der Angeklagte aus dem Kreis Nordhausen will verhindern, dass seine Ehefrau ihn verlässt. Es kommt zu einer Rangelei, die nicht ohne Folgen für ihn bleibt.” Die Folge, um die es geht: Der Mann wurde vor Gericht verurteilt – nachdem er seine Frau geschlagen hatte.
All diese journalistischen Darstellungen sind problematisch. Denn die wahren Ursachen für die Tötungen und Angriffe bleiben dabei oft unsichtbar. Zudem wird Gewalt gegen Frauen so häufig verharmlost – obwohl dahinter ein enormes strukturelles und ideologisches Problem steht. Doch anders als bei anderen vergleichbaren Themen vernachlässigen Medien dieses strukturelle Element in ihrer Berichterstattung immer wieder.
Jeden zweiten Tag tötet ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin
Jede vierte Frau in Deutschland hat schon einmal körperliche oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner oder früheren Partner erlebt. Das tatsächliche Ausmaß kann allerdings nur annähernd erfasst werden, da nur ein Bruchteil der Fälle zur Anzeige gebracht wird. Laut den vorliegenden Zahlen werden in Deutschland aber knapp die Hälfte aller getöteten Frauen von ihrem eigenen Partner oder Ex-Partner umgebracht – 155 Mal passierte das allein im letzten Jahr. Im Vergleich dazu wurden 24 Männer im letzten Jahr Opfer von tödlicher Partnerschaftsgewalt. Das heißt also: Laut Statistik tötet fast jeden zweiten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Vor allem in Trennungssituationen sind Frauen stark gefährdet, getötet zu werden. Die Zahl der erfassten häuslichen…
Das Thema Femizid gehört in die gesellschaftliche Debatte, in die Soziologie und ganz sicher in den Journalismus.
Aber beim Strafrecht bekomme ich Bauchschmerzen: Als zusätzliches Mordmerkmal würde das zu schärferen Strafen führen. Das heißt: Was bisher nach jeder Definition ein Totschlag wäre, würde damit automatisch zu einem Mord und damit zur Höchststrafe. Finde ich überaus bedenklich. Außerdem muss ein Gesetz ja wohl für geschlechsneutral verfasst sein. Die Strafdrohung darf ja nicht für heterosexuelle Männer höher sein für die selbe Tat als für alle Frauen oder homosexuelle Männer. Dann bräuchte es so etwas wie „Partnerschaftsgewalt“ als Mordmerkmal und das kann ja eigentlich nur absurd enden in Fragen wie „wann gilt etwas als Partnerschaft?“. Der verschmähte Gelegenheitlover bekommt Totschlag, der Ehemann aber Mord?
Der Mord-Paragraph bräuchte schon eine Reform. Aber sicher keine, die danach zu MEHR lebenslanger Strafe führt statt weniger und die die Kriterien verunklart. Und das wäre beim Femizid der Fall, meine ich.
Sensibles Thema, weiß wohl, aber ich kann der Argumentation nicht folgen.
Die BKA Statistik bezieht sich auf Straftaten innerhalb von Beziehungen.
155 Frauen, die aufgrund der Beziehung zu einem Mann von diesem getötet wurden.
Wie schließt Jane Monckton-Smith denn von individuellem Fall auf das allgemeine Motiv „Frauenhass“, das als Kronzeuge für das Wort „Femizid“ herhält?
Ich kann doch Hass auf eine Frau (oder einen Mann) haben, ohne Frauen (oder Männer) im Allgemeinen zu hassen.
„Angst vor Trennung“ kommt ja z. B. vor als Trigger in dem 8-Phasen-Modell: Ich habe doch Angst vor der Trennung von DIESER Frau, nicht vor der Trennung von allen Frauen oder gar der Weiblichkeit im Allgemeinen. Das gilt auch für z. B. den Vorwurf der Untreue.
Der Vergleich zum religiösen Extremismus passt. m. E. überhaupt nicht – Da steht ja gruppenbezogener Hass im Mittelpunkt, der in dem (exemplarischen) Mord von Individuen gipfelt. Bei diesen Taten, die vom BKA als „häusliche Gewalt“ also innerhalb von Beziehungen geführt werden, ist es ja nicht so: Ein Individuum wird getötet aufgrund der Beziehung mit einem anderen Individuum, nicht weil eines der Individuen in dieser Beziehung Hass auf eine bestimmte Gruppe hat, und dann dieses andere Individuum (was zufällig auch in der Beziehung ist und daher nahe dran) deshalb tötet.
Um so etwas wie „Femizid“ überhaupt belastbar erfassen zu können, müsste man wohl beim Motiv des Täters suchen und wäre auf Selbstauskunft angewiesen. Ob geschlechterbezogener Hass da häufig genannt wird … Ich bezweifle es.
Vielleicht verstehe ich es aber auch ernsthaft nicht richtig, dann lerne ich gerne dazu! :)
@2
Da müssen wir gar nicht anfangen mit gruppen- vs. personenbezogenem Hass.
Ich verstehe das aus dem Text so: Es ist halt ein geschlechtliches Rollenbild, dass „Tötung wegen Trennung“ überhaupt so oft als eine valide Option wahrgenommen wird von den Männern, sprich diese Morde geschehen in ihrer Häufung durch diese geschlechtlichen Rollenbilder, weswegen die Einordnung als Femizid geschehen kann.
Journalismus und wir als Gesellschaft sollten daran arbeiten, durch die Benennung als Femizid die Wirkung z.B. dieser Rollenbilder kenntlich zu machen, im gesellschaftlichen Bewusstsein zu brechen und so bestenfalls zukünftige Taten dieser Art zu verhindern. (jetzt etwas naiv verkürzt natürlich)
@Anderer Max
Ich teile voll Ihre Fragen und Bedenken.
Möchte aber hinzufügen, dass das Strafrecht betreffend (darum geht es mir hier) Motivforschung schon lange und immer wichtiger werdend Teil der Urteilsfindung in Deutschland sind. Gemeinhin wird dies als Fortschritt bewertet.
Im Falle der Debatte über Femizid im Strafrecht wird aber genau das GEGENTEIL gefordert: den objektiven Tatbestand der Tötung nach Trennung höher zu gewichten als Tatumstände und Motivation. Also eine Art Automatisierung einzuführen, wie wir sie exakt im Mordparagraphen finden. (Welcher übrigens genau DESWEGEN schon lange von liberal gesinnten Juristen kritisiert wird.)
Der im Artikel verlinkte Text auf bpb stellt das sehr schön dar, begrüßt das allerdings irritierenderweise in diesem Fall.
1. „Familiendrama“ und „Familientragödie“ sind mMn eher Triggerwarnungen in der Überschrift. Beim „-drama“ wird ein oder mehrere Familienmitglieder durch ein weiteres getötet oder schwer verletzt, bei einer „-tragödie“ fallen mehrere Familienmitglieder einem Autounfall o.ä. zum Opfer. Wer dergleichen nicht beim Frühstück lesen möchte, kann dann woanders weiterlesen.
2. da Incels typischerweise keine Beziehungserfahrung haben, bringen sie tatsächlich eher Frauen (und Männer) um, die sie gar nicht persönlich kennen, also keine „Beziehungstaten“. Was die Sache nicht besser macht, es gibt bloß kaum eine Schnittmenge.
3. der Begriff „Femizid“ wird spätestens dann problematisch, wenn es um „erweiterten“ Femizid geht: der vorherige Partner bringt nicht nur seine ehemalige Frau oder Freundin um, sondern auch deren neuen Partner. Da müsste man noch einen anderen Begriff einführen.
4. dass jemand einen Mord als „valide“ Lösung betrachtet, liegt wohl eher nicht an Staat und Gesellschaft, die dergleichen streng verbieten, aber ganz sicher auch nicht daran, dass jemand in der Zeitung „Familiendrama“ liest und denkt: „Gute Idee, das mache ich auch!“
Ansonsten kann man natürlich einen Begriff für die Zeitung getrennt von juristischen Überlegungen diskutieren.
Ich wage jetzt mal eine Bewertung. „Femizid“ ist
a) soziologisch valide, je nach betrachteter Gruppe und Gesellschaft
b) journalistisch unter Agendaverdacht (kann man oft so oder so sehen)
c) strafrechtlich fragwürdig bis schädlich
Das ist mein Sinnangebot.
Sämtliche Kommentare kranken imho bislang daran, auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass extrem viele Frauen von ihren ( ehemaligen ) Partnern ermordet werden, während das Gegenteil weniger häufig geschieht.
In etwa 8 – 10 zu 1 .
Dass Männer den Mord an der Partnerin also leichter als Option betrachten, ist ein strukturelles Problem und abstrahiert in diesem Punkt von der individuellen Beziehung.
Auch wenn diese Sichtweisen nur bei einigen Männern tatsächlich zu solchen Extremen führen, heisst das nicht, dass es sich hier nicht um ein gesellschaftliches Phänomen handelte, welches es zu bekämpfen gilt. Verleumdung und Relativierung ist da schon mal der schlechteste Ansatz.
Gebräuchliche Bezeichnungen für Femizide gehen von Beziehungstat bis zum Ehrenmord.
Und ja, ich würde das als Hassverbrechen werten.
Körperverletzung ist strafbar. Totschlag auch. Und Mord sowieso. Und es ist egal, ob das Opfer ein Mann ist oder eine Frau oder dazwischen oder außerhalb. Wenn ein Mann eine Frau erschlägt, soll es Mord sein. Wenn eine Frau einen Mann erschlägt, bleibt es Totschlag. Müsste es nicht immer Notwehr sein, denn der Mann ist ja das Übel?
Ich verstehe all die Antworten und sage meinen Dank.
Meine Gedanken dazu: Die von Chateaudur angedeutete „Automatisierung“, das ist, glaube ich, auch mein Problem mit der Sache.
Dennoch bin ich wie Frank Gemein auch der Meinung, dass es durchaus um Hassverbrechen geht und man die quantitative Dimension auch nicht vergessen darf – Sie darf strafrechtlich aber keinen Unterschied machen, denn auch den 24 Männer, die aufgrund der Beziehung zu einer Frau von dieser getötet wurden, müssen ja die gleiche Rechtsprechung erhalten, wie andersherum.
„Dass Männer den Mord an der Partnerin also leichter als Option betrachten, ist ein strukturelles Problem und abstrahiert in diesem Punkt von der individuellen Beziehung.“
Das kann man sicher so sehen, mir reicht das so axiomatisch nicht.
Erstmal müsste ja bewiesen werden, dass das „leichter“ tatsächlich zutrifft. Wenn wir das aus den absoluten Zahlen ableiten, vernachlässigen wir die Dimension „Tatumstände und Motivation“. Und dann kann ich die Ableitung zu einem „strukturellen Problem“ und der „Abstraktion von der individuellen Beziehung“, die einen „izid“ semantisch rechtfertigten, eben nicht machen.
All das soll aber niemanden davon abhalten, für den Schutz von Frauen einzustehen, das will ich nicht sagen! Aber man kann es doch genau so machen, wie Frank Gemein es instinktiv schon selbst tut: Sagen, dass Frauen von Männern in Beziehungen im Verhältnis ca. 10 Mal so oft umgebracht werden, wie Männer von Frauen in einer Beziehung. Das ist der Fakt und der ist doch schlimm genug. Da brauche ich jedenfalls nicht noch die Vokabel Femizid.