Sachverstand (13)

Nur im Krimi hat eine Staatsanwältin Zeit, auf dem Revier abzuhängen

Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) und Rechtsmediziner Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in der Münsteraner "Tatort"-Folge "Der Mann, der in den Dschungel fiel".
Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) und Rechtsmediziner Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) im Münster-„Tatort“. Bild: WDR/Taimas Ahangari

Sie kennen sich aus, weil es ihr Fachgebiet ist. Immer wieder stolpern sie über Ungenauigkeiten und Fehler in journalistischen Berichten oder fiktionalen Formaten, die sie ärgern – und hier erzählen sie davon. In der 13. Folge unserer Reihe „Sachverstand“ spricht Strafverfolger Tim Jander über seinen Blick auf Fernsehermittler und Gerichts-Shows. Unsere Autorin Kathrin Hollmer hat seine Aussagen protokolliert. Wenn Sie auch immer wieder Falsches über Ihren Beruf oder Ihr Fachgebiet in den Medien lesen, schreiben Sie uns eine E-Mail.


„Im Krimi geht’s für gewöhnlich um Mord, auch deshalb kennt jeder den Staatsanwalt, während mein Beruf, Amtsanwalt, vergleichsweise unbekannt ist. Wir sind sozusagen die ‚kleinen‘ Staatsanwälte und für Straftaten mit einer Straferwartung von bis zu zwei Jahren zuständig. Staatsanwälte sind Volljuristen, haben Jura studiert und könnten auch als Rechtsanwälte oder Richter arbeiten. Amtsanwälte sind Justizbeamte, haben Rechtspflege studiert und eine Ausbildung als Amtsanwalt absolviert.

Als Strafverfolger kann ich sagen: Krimis haben selten etwas mit der Realität zu tun. Oft fallen mir Kleinigkeiten auf. In ‚unserem‘ Münsteraner ‚Tatort‘ sehe ich oft, dass ein Kommissar von einem Außeneinsatz in die Polizeiwache kommt, und die Staatsanwältin wartet auf ihn. Je schwerer das Delikt ist, desto enger arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen, aber niemand hat Zeit, auf dem Revier abzuhängen. Für ein kurzes Update reicht ein Telefonat – aber die persönliche Begegnung lässt sich natürlich schöner inszenieren.

Es gibt aber auch grobe Fehler. Ich sehe immer wieder Fernsehkommissare, die Verdächtige vernehmen, ohne dass sie ihnen vorher sagen, dass sie beschuldigt werden. Damit enthalten sie ihnen ihre Rechte vor. Zeugen müssen aussagen, Beschuldigte nicht. Werden sie nicht darüber aufgeklärt, ist vor Gericht keine ihrer Aussagen verwertbar. Oft lügen Fernsehermittler und erfinden belastende Beweise oder sie durchsuchen unbemerkt Schränke von Verdächtigen. Das ist alles völlig unzulässig.

Ich verstehe, dass das gemacht wird, weil es spannender ist. Wenn man alle Regeln der Strafprozessordnung einhalten würde, würde man zwar ein Bild von der Realität bekommen, aber die Zuschauer wären wahrscheinlich nach 20 Minuten eingeschlafen oder hätten längst weggeschaltet.

Halbwissen aus US-Krimis

Manchmal bekomme ich Anrufe von verzweifelten Eltern, die fragen, ob ihr Sohn einen Pflichtverteidiger bekommen kann, weil er sich keinen Anwalt leisten kann. Der Irrglaube kommt aus US-amerikanischen Filmen, da fällt bei der Verhaftung immer der Satz: ‚Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen leisten können, wird Ihnen einer gestellt.‘ Wir haben in Deutschland auch Pflichtverteidiger, aber dafür gibt es keine finanziellen Voraussetzungen. Bei Taten, auf die es mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe gibt, steht einem ein Pflichtverteidiger zu, egal, ob man Millionär oder Bürgergeld-Empfänger ist. Im US-Fernsehen sind Pflichtverteidiger oft Anfänger, das ist dort wirklich so. In Deutschland kann man sich den Pflichtverteidiger frei aussuchen, das kann der teuerste Anwalt der Stadt sein. Bei kleineren Delikten, die vor dem Strafrichter beim Amtsgericht verhandelt werden, kann man sich selbst verteidigen.

Im Zivildienst war ich Komparse in Gerichtsshows. Bei Barbara Salesch habe ich einen Zeugen gespielt. Heute entdecke ich bei Fernseh-Richtern wie Salesch, Alexander Hold und Ulrich Wetzel Ungenauigkeiten: zum Beispiel, wenn der Angeklagte auf dem Zeugenstuhl in der Mitte des Saals statt neben seinem Anwalt sitzt. Schlimmer finde ich es, wenn zum Beispiel Barbara Salesch den Angeklagten nicht über seine Rechte aufklärt, sondern direkt fragt: ‚Also, wie war das denn bei dem Streit?‘ Es ist auch völliger Quatsch, dass Richter salopp Aussagen kommentieren: ‚Das können Sie Ihrer Oma erzählen!‘ Oder: ‚Wer soll denn das glauben?‘ Richter halten sich fast immer zurück, um ja nicht als befangen zu gelten. In solchen Shows sitzen außerdem manchmal die Zeugen im Zuschauerraum, das ist eigentlich nicht erlaubt. Sie sollen nicht mitkriegen, was bereits in der Verhandlung gesagt worden ist, damit sie ihre Aussage nicht entsprechend anpassen. In echt warten sie draußen, bis sie aufgerufen werden. Gerichtsserien enden außerdem immer mit einem Urteil, Freispruch oder Verurteilung, aber nie mit einer Einstellung.

Rechtssystem ist nicht so schwarz-weiß

Dabei muss ich an den Film ‚Terror – Ihr Urteil‘ nach dem Theaterstück von Ferdinand von Schirach denken. Schirach ist selbst Strafverteidiger. Ich finde, er kann wunderbar schreiben. Rechtsethische und rechtsphilosophische Dilemmas, wie man sie an der Universität lernt, macht er für Laien nachvollziehbar. Dafür muss er Dinge verkürzen und vereinfachen. In ‚Terror‘ ging es um einen Luftwaffenpiloten, der ein Passagierflugzeug abgeschossen hat, das von Terroristen entführt worden ist und in die vollbesetzte Allianz-Arena stürzen sollte. Er hat abgewogen, dass im Stadion mehr Menschen gestorben wären, und ist nun wegen Mordes angeklagt. Am Schluss konnte das Publikum abstimmen: Verurteilung oder Freispruch? Dabei bietet unser Rechtssystem mehr Möglichkeiten. Der Luftwaffenpilot kann sich unter gewissen Umständen sogar schuldig gemacht haben, aber das Gericht sieht von einer Strafe ab, weil er durch die Tat oder deren Folgen davon schon genug gestraft ist.

Journalisten berichten meistens über die Polizeiarbeit, weniger über die Strafverfolgung. Und wenn, dann weil etwas nicht funktioniert, wie es soll. Zum Beispiel wenn – wie aktuell – in einigen Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen Tausende Verfahren offen sind, weil zu wenig Personal da ist. Natürlich müssen Journalisten den Finger in die Wunde legen, wenn die Arbeit bei einer Behörde nicht oder nicht richtig funktioniert. Leider berichtet aber niemand darüber, wenn alles toll läuft. Vermutlich will das aber auch niemand lesen.

In Zeitungsartikeln fällt mir auf, dass juristische Sachverhalte oft stark verkürzt und teilweise falsch wiedergegeben werden. Zuletzt war das so mit dem Konsumcannabisgesetz (KCanG), das stellen einige Medien nicht richtig dar. In ‚meiner‘ Lokalzeitung, der ‚Münsterschen Zeitung‘, stand zum Beispiel, dass Paragraf 5 KCanG zufolge ‚in einem Radius von 200 Metern rund um den Eingangsbereich von Schulen, Kinderspielplätzen sowie von Kinder- und Jugendeinrichtungen nicht gekifft werden‘ dürfe. Streng genommen verbietet der Paragraf ‚nur‘, in Sichtweite dieser Einrichtungen zu kiffen, und dass spätestens bei einem Abstand von 100 (nicht 200) Metern zum Eingang keine Sichtweite im Sinne des Verbotes mehr besteht. Falls ein Haus oder eine Mauer dazwischen liegt, kann man auch im Abstand von nur 20 Metern kiffen. Es handelt sich um ein recht neues und viel diskutiertes Gesetz, es gab immer wieder Änderungen und Ungenauigkeiten in der Berichterstattung.

Mehr rechtliche Details in Podcasts

Gerichtsreportagen in überregionalen Zeitungen und Magazinen finde ich meistens fundiert, da schreiben in der Regel Journalisten, die juristisch gebildet sind. Präzise und verständlich fand ich zum Beispiel die Berichterstattung im ‚Spiegel‘ über zwei Lehrerinnen, die vom Landgericht Mönchengladbach wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden sind. Eine an Diabetes erkrankte Schülerin war auf einer Klassenfahrt unter ihrer Aufsicht verstorben. Zu der Verhandlung gab es mehrere Reportagen, also auch mehr Platz für Details.

Das ist auch der Vorteil von Podcasts: dass sie mehr Raum bieten, um Sachverhalte ausführlich darzustellen. Es gibt einige sehr gute juristische Podcasts. ‚FAZ Einspruch‘, ‚Gerechtigkeit & Loseblatt‘ und ‚Rechtsbelehrung‘ höre ich regelmäßig, weil sie ins Detail gehen und viele Hintergrundinformationen bieten. Oft sprechen die Hosts mit Juristen oder Experten von Universitäten. Im Podcast ‚Rechtsbelehrung‘ ist der Moderator juristisch unbedarft, das ist toll für Laien, und ich komme auch regelmäßig auf neue Gedanken zu Themen.

Zusammen mit meiner Frau höre ich manchmal die True-Crime-Podcasts ‚Mord auf Ex‘ und ‚Mordlust‘. Ich weiß nicht mehr, wo ich ihn herhabe, aber aus einem Podcast habe ich mir einen Satz aufgeschrieben und auf meine Sitzungsmappe geklebt. Es geht darin um den Paragraf 154 der Strafprozessordnung. Demzufolge kann ein Strafverfahren eingestellt werden, obwohl der Beschuldigte wahrscheinlich schuldig ist, wenn dieser noch weitere, deutlich schlimmere Sachen angestellt hat, weil das in der Gesamtstrafe nicht ins Gewicht fällt. Im Podcast sagte der Host, um das plastisch zu machen: ‚Das Mittelmeer wird nicht merklich tiefer, wenn eine Krabbe reinpullert.‘

Polizei und Staatsanwaltschaft kommen in True-Crime-Podcasts oft nicht gut weg. Die Fälle finde ich meistens gut aufbereitet, manchmal ist für meinen Geschmack zu viel Meinung und Wertung dabei. Zum Beispiel, wenn eine Person plötzlich ohne ein Wort verschwindet, die das vorher nie gemacht hat, aber die Polizei abwartet. Da kommt im Podcast der Vorwurf: Warum haben die nicht früher ermittelt? Natürlich kann man rückblickend, wenn man weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist, leicht sagen: Da haben die Kollegen zu lange gewartet. Oft stimme ich der Kritik aber auch zu.

Heute betreiben viele Anwaltskanzleien Youtube-Kanäle, die informativ wirken, aber eigentlich nur Clickbaiting betreiben. In den Videos warnen Anwälte zum Beispiel vor den ‚Tricks‘ der fiesen Staatsanwaltschaft oder kritisieren, dass der Bundesgerichtshof ihrer Ansicht nach den Rechtsstaat unterwandert. Am Ende ist es dann in der Regel weder ein Skandal noch eine Sensation, sondern Werbung für die Kanzlei.“

 

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