Zur Person
Bettina Eisenhut, 46, arbeitet seit 25 Jahren als Hebamme, zuerst in einer Klinik, seit 2010 im Geburtshaus München.
Sie kennen sich aus, weil es ihr Fachgebiet ist. Immer wieder stolpern sie über Ungenauigkeiten und Fehler in journalistischen Berichten oder fiktionalen Formaten, die sie ärgern – und hier erzählen sie davon. In der zwölften Folge unserer Reihe „Sachverstand“ spricht die Hebamme Bettina Eisenhut darüber, welches Bild Medien von Geburten verbreiten. Unsere Autorin Kathrin Hollmer hat ihre Aussagen protokolliert. Wenn Sie auch immer wieder Falsches über Ihren Beruf oder Ihr Fachgebiet in den Medien lesen, schreiben Sie uns eine E-Mail.
Bettina Eisenhut, 46, arbeitet seit 25 Jahren als Hebamme, zuerst in einer Klinik, seit 2010 im Geburtshaus München.
„In Deutschland gebären 98 Prozent der Frauen im Krankenhaus. In den Medien werden nur selten Alternativen benannt, viele Berichte finde ich einseitig und bevormundend. Das krasseste Beispiel war für mich die Folge ‚Der gefährliche Naturtrend‘ von ‚MAITHINK X‘, in der Mai Thi Nguyen-Kim den Trend zur natürlichen Geburt kritisiert hat. Sie sagte unter anderem, dass unsere Körper nicht mehr dafür gemacht seien, was schlicht falsch ist. Ich war echt erschüttert, ihre Beiträge zur Pandemie fand ich zum Beispiel super. Auch meine Kolleginnen und Mütter, die ich zu der Zeit betreut habe, waren verunsichert, weil in dem Beitrag Geburtshäuser und Hausgeburten abgewertet wurden. Was ich gut fand, war, dass sie sagte, dass sich keine Frau für eine Bauchgeburt, so sagen wir zum Kaiserschnitt, oder eine Schmerzmittelgabe schämen braucht oder sollte.
Es ist in Deutschland gesetzlich verankert, dass eine Frau frei wählen darf, wie und wo sie die Geburt erleben will: im Krankenhaus, im Geburtshaus oder zu Hause. Medien sollten das auch widerspiegeln. Für mich ist das eine Art Empowerment, dass man Frauen zur Selbstbestimmtheit ermutigt. In der ‚Süddeutschen Zeitung‘ gab es letztes Jahr zwei Kommentare, einen, der sich gegen außerklinische Geburten ausspricht, und einen, der die Vorteile davon erklärt.
Insgesamt hat sich die Berichterstattung in meiner Wahrnehmung in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, ich lese immer wieder ausgewogene und sensible Texte. In der ‚Süddeutschen‘ war zum Beispiel ein Portrait über eine Kollegin, die Hausgeburten betreut, das fand ich sehr fundiert. Auch lese ich mehr über Gewalt oder übergriffiges Verhalten im Kreißsaal, zum Beispiel in diesem Interview. In Erinnerung geblieben ist mir außerdem ein Artikel aus dem ‚SZ-Magazin‘, der die Geburt genau rekonstruiert, mit echten, ungestellten Bildern. Die Autorin achtet auch auf das Vokabular. Das ist beim Thema Geburt teilweise gewaltorientiert – Blasensprung, Milcheinschuss, was für fürchterliche Begriffe! Die letzte Phase der Geburt hieß früher Austreibungsphase, manche Ärzt:innen und Hebammen benutzen den Ausdruck immer noch, weil sie es so gewohnt sind. Heute sagt man Austrittsphase, was wenigstens ein bisschen besser ist, die Autorin des Artikels verwendet den Begriff auch.
Die Rekonstruktion im SZ-Magazin fand ich auch deshalb so gut, weil sonst vor allem berichtet wird, wenn Sachen schieflaufen, wenn Fehler passieren, Hebammen angeklagt werden. Die Debatte über die Akademisierung der Hebammenausbildung und die Berufshaftpflichtversicherung in den vergangenen Jahren hat den Beruf der Hebamme in die Berichterstattung und ins öffentliche Bewusstsein gebracht.
In der Lokalberichterstattung zum Thema Geburt fällt mir immer wieder auf, wie wenig die Frau im Fokus steht. Zum Beispiel, wenn ein Kind im Rettungswagen geboren wird, geht es um die Leistung der Sanitäter:innen und die Frage, ob das Kind gesund zur Welt gekommen ist. Was die Frau leistet, interessiert oft niemanden. Immer wieder liest man von Frauen, die ungeplant zu Hause gebären und dann die 112 rufen.
Wenn ich von ‚strahlenden Geburtshelfern‘ im Wohnzimmer lese, denke ich immer: Die arme Frau, da starren ihr in der Situation auch noch fremde Männer zwischen die Beine, obwohl sie fachlich gar nichts beitragen können. In dem intimen Prozess hat sich das für sie bestimmt nicht gut angefühlt. Im Text steht zwar, dass die nächste Klinik zu weit weg war, weil die Entbindungsstation in der Nähe schließen musste, aber im Mittelpunkt ist die spektakuläre Entbindung. Dabei wäre die Unterversorgung auf dem Land das viel brisantere Thema.
Heute erleben viele zum ersten Mal im Fernsehen, wie eine Geburt abläuft. Filme und Serien prägen unsere Vorstellung. Dazu muss ich als erstes sagen: Das Hecheln ist vollkommen unrealistischer Quatsch! Keine Frau atmet so während der Geburt. Früher wurde der Moment in Filmen und Serien oft ausgespart. Wenn eine Figur schwanger war, kam sie ins Krankenhaus – und Schnitt, die Frau fährt mit dem Kind nach Hause und hat sofort keinen Bauch mehr, was auch völliger Unsinn ist.
Wenn die Geburt gezeigt wird, gerade in US-amerikanischen Filmen und Serien, sieht man die Frau in der Steinschnittlage, also auf dem gynäkologischen Stuhl das Kind rauspressen. Die Position entspricht null der Realität und wird seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht, weil es weder für die Mutter noch für das Kind gesund ist. Gebärende bewegen sich. In der Steinschnittlage sind sie nur, wenn etwas ganz schiefläuft – aber dieses Bild hat sich eingeprägt. Im Fernsehen geht es auch fast immer superschnell. Die Gebärende kommt in den Kreißsaal, presst, dann kommt der Arzt und 20 Minuten später ist das Baby da. Natürlich kann man die Geburt nicht in Echtzeit zeigen, aber man könnte ja mit Schnitten arbeiten und andeuten, wie lange der Prozess oft dauert. Beim ersten Kind kann es mehrere Tage dauern, alles zwischen drei und 30 Stunden ist völlig normal.
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Seit ein paar Jahren beobachte ich auch hier, dass sich die Darstellung von Geburt ändert, in meiner Wahrnehmung fing es ungefähr vor sechs Jahren mit der Münchner Serie ‚Servus Baby‘. (Transparenzhinweis: Bettina Eisenhut ist mit einer der Hauptdarstellerinnen befreundet) In der Serie sah man eine Geburt, bei der die Frau aufrecht steht, sich festhält und ihre Wehen veratmet. Natürlich ist es eine Komödie, aber ich dachte: Ja, so klingt eine gebärende Frau!
Richtig gefeiert habe ich in diesem Jahr die Serie ‚Push‘, auch meine Kolleginnen finden sie toll, und ich habe sie schon vielen Schwangeren empfohlen. Ich finde die Diversität toll. Man sieht sehr unterschiedliche Geburten: viele in der Klinik, aber auch eine zu Hause mit Geburtspool. Vaginale Geburten, Kaiserschnitte. Beckenendlage, Schmerzmittel, Komplikationen. Psychosoziale Schwierigkeiten während der Geburt und Phasen, die eben nicht linear verlaufen, sondern auch mal stocken. Dazu gleichgeschlechtliche Paare, ethnische Diversität. So habe ich Geburten im Fernsehen noch nie gesehen. Mit den Hauptfiguren, den Hebammen, kann ich mich identifizieren, mit ihrer Liebe zu ihrem Beruf und auch mit der Angst vor Klagen, die immer über uns hängt wie ein Damoklesschwert.
Eine der Figuren erlebt eine Fehlgeburt, auch das wird minutiös dargestellt. Jede dritte Frau erlebt es, aber in der Presse oder in Filmen war es lange Zeit kaum Thema, auch deshalb fühlen sich Betroffene allein damit. Es ist notwendig und überfällig, dass das thematisiert und gezeigt wird. Mindblowing fand ich schon die Serie ‚2 Minuten‘ , in der eine junge Frau zu Hause eine Fehlgeburt hat.
Heute gibt es eine richtige Flut an Blogs und Podcasts über Schwangerschaft, Geburt und Elternsein. Eine Empfehlung, die ich auch Schwangeren gebe, ist der Podcast ‚hebammenART‘ mit Sabine Friese-Berg. Sie hat viel Erfahrung als Hebamme und beantwortet ruhig und kompetent Fragen, die sich Schwangere stellen. Inzwischen gibt es einen riesigen Fundus an Folgen zu den verschiedensten Themen.“
Kathrin Hollmer arbeitet als freie Journalistin in München. Sie schreibt nicht nur über Filme und Serien, sondern diskutiert auch gern in Jurys darüber, insbesondere, wie Frauen und Diversität erzählt werden. Sie ist Vorsitzende der Nominierungskommsion des Grimme-Preises für die Kategorie Fiktion. Für Übermedien spricht sie in der Serie „Sachverstand“ mit Expertinnen und Experten über deren Fachgebiet und wie Medien darüber berichten. Sie haben einen Vorschlag für die „Sachverstand“-Reihe? Dann schreiben Sie Kathrin Hollmer eine Mail.
Okay, sehr netter Artikel, der auch ein Realismuscheck bezüglich einer Geburt a’la Hollywood darstellt und auch kritisch anmerkt, dass es auch tatsächlich Übergriffiges bei der Geburt haben kann, was nicht sein darf.
Aber was ist an Begriffen wie Blasensprung oder Milcheinschuss denn bitteschön gewaltorientiert? Da wurde nur Gefühl vermittelt, keine wie sonst im Artikel auch sachliche Argumentation.
Man sagt ja auch „Der Skifahrer kommt den Abhang heruntergeschossen“, weil das was Schnelles ist und der Begriff „Geschossen“ die militärische Konotation im Kontext des Gesagten verloren hatte.
Und der Begriff „Milcheinschuss“ soll wohl eher verdeutlichen, dass da was im menschlichen Körper verglichen mit den meisten anderen biologischen Prozessen sehr schnell geht.
Und es gibt Begriffe wie „Hochsprung“, „Sprung in der Platte“ (ganz alt, für Kenner alter Vinyl-Schallplatten).
Auch hier muss man einem normal denkenden Mitbürger erklären, wo da Gewalt zu finden ist im Begriff „Blasensprung“, man kann das in dem Kontext auch deuten als „Die Blase springt auf“ oder so ähnlich. Ich schlage vor, „Blasenplatzen“, „Wasserbruch“ (wie aus dem Englischen, „The water broke“), oh, „bruch“ oder „platzen“ können ja auch schon wieder als „gewaltorientiert“ umgedeutet werden.
Durch das Hineininterpretieren von was von wegen Gewalt in ganz normale Ausdrücke nähern wir uns ja wirklich der verweichlicht-konfliktunfähigen Welt von „Demolition Man“.
Also, für meinen Teil bin ich in dieser Welt gerne der Edgar Friendly oder der John Sparten und rede lieber noch normal.
Ich bin enttäucht über den Kommentar, weil er viele Dinge über das Hebammentum nicht einordnet oder erwähnt.
1. Wie ist denn die „Erfolgsquote“ von Geburten die nicht im Krankenhaus ablaufen.
a) wie viele Geburten fangen als Hausgeburt an und enden im Krankenhaus?
b) wie viele Verletzungen entstehen bei Hausgeburten vs. Krankenhausgeburten?
c) wie hoch ist die sterblichkeit bei Hausgeburten u. Krankenhausgeburten bei Mutter und/oder Kind?
2. Nebenschauplatz aber wichtig, weil es um die Aufklärung von Frauen geht: Es gibt eine immens hohe Schwurbelquote bei Hebammen –> viele Hebammen stehen Homöopathie und Antroposophie nicht kritisch gegenüber und empfehlen viele Produkte weiter. Schwurbelfreie Hebammen sind so gut wie nicht zu finden in Deutschland. Wie steht die befragte Hebamme zu diesem Thema?
3. Ich kann das Gewese um sanfte Geburten und Selbstbestimmung nicht mehr hören. Bis zur „Entdeckung“ der modernen Medizin war die Geburt einer der Todesursachen Nr. 1 bei Frauen. Ich bin einfach nur gottfroh dass ich in dieser Zeit lebe, ich brauche keine sanfte Geburt, ich bin einfach nur froh, dass die Wahrschienlichkeit, dass ich nicht sterbe, sehr gering ist. Und da wäre mir eine unsanfte Geburt wesentlich lieber als eine tödliche.
Ich stimme zu, dass Aufklärung wichtig ist aber Panikmache um lebensrettende Maßnahmen bei der Geburt gehört nicht dazu.
@1: „Demolition Man“ ist Fiktion, das wissen Sie? „300“ übrigens auch.
Sprung, Bruch und Platzen sind konnotativ sehr ähnlich, selbstverständlich haben die Wörter was mit Gewalt zu tun (Was führt denn zu einem Bruch / Sprung / Platzen?). Einschuss auch, wer hätte es vermutet. Die Herleitung spare ich mir mal, das ist zu offensichtlich.
„normal denkende Mitbürger“
Ich hoffe wirklich, dass diese Denkfaulheit nicht normal ist.
@Nathalie Konkrete Zahlen zur Sicherheit sind für jeden einsehbar, darauf weisen auch die allermeisten Geburtshäuser hin.
Zum Beispiel diese:
https://www.quag.de/downloads/laenderauswertung/2022_BE_Laenderauswertung_Quag.pdf
Fazit: „99,46% der perinatal verstorbenen Kinder waren von Beginn an in stationärer Geburtsbetreuung in einer Klinik.“
Wenn ich etwas nicht mehr hören kann, dann ist es ein Schwarz-Weiß-Denken und eine Diffamierung anderer Ansätze, die man pauschal als „Geschwurbel“ abstempelt. Wer von Geburtshäusern nichts hält, weil er glaubt, dass er in der durchökonomisierten Welt des Krankenhauses sicherer ist (in der es eben oft nicht um das geht, was der Schwangeren am besten tut, sondern um Ökonomisierung und Schnelligkeit, siehe Kaiserschnittrate!), der bzw. die soll das herzlich gerne tun. Deshalb ist alles andere aber noch längst nicht unsicherer. Oder gar tödlicher.
Warum lassen sich hier eigentlich jungfräuliche Männer, was Geburten angeht, über das Thema aus. Einfach mal nichts sagen und in Demut schweigen, dass man dazu eben mal nichts sagen kann.
Man(n)chmal nervt es.
Über die Geburt an sich kann ich tatsächlich nur in Demut schweigen. Auch darüber, welche Art der Geburt eine Frau für sich am besten und sichersten hält.
Als Vater, der eine Geburt im Geburtshaus begleitet hat und eine zweite sehr bald dort erleben wird, kann ich aber sicherlich Widerrede leisten bei Dingen, die pauschal und grob falsch über Geburtshäuser, Sicherheitsstatistiken und „Hebammentum“ verbreitet werden.
Ich würde zumindest mal schwer vermuten, dass einige, die hier kommentieren, was das Thema Geburtshäuser angeht auch mit sehr jungfräulichem Wissen unterwegs sind.