Vermögensverwalter-Tests

Kapitale Täuschung

Screenshots von Test-Gütesiegeln von Capital und Focus Money
Screenshots: „Capital“ und „Focus Money“

Diese Recherche ist in ähnlicher Form zuerst beim Online-Anlegermagazin „Fairvalue“ erschienen.


Vornehme Zurückhaltung gehört in der Branche der Vermögensverwalter normalerweise zum guten Ton. Doch im 32. Newsletter der Münchner Vermögenskultur AG wird es emotional. „Mit unglaublicher Freude und Stolz dürfen wir einen Fünf-Sterne-Gesamtsieg verkünden: Die Vermögenskultur AG gehört erneut zu den Top 10 Vermögensverwaltern in Deutschland“, jubilieren die Geldmanager. Die Auszeichnung verliehen hat ihnen die Zeitschrift „Capital“, nach Ansicht der Preisträger „Deutschlands führendes Wirtschaftsmagazin“.

Was in der frohen Botschaft an bestehende und potenzielle Kunden unerwähnt bleibt: Die Zeitschrift hat lediglich einen Bruchteil der Anbieter getestet, die auf dem deutschen Markt um vermögende Kunden buhlen. Dennoch kündigt „Capital“ auf dem Titel der Juli-Ausgabe 2024 „Die besten Vermögensverwalter Deutschlands“ an. Erst im Heft erschließt sich, dass es ausschließlich um sogenannte bankenunabhängige Vermögensverwalter geht – also um Vermögensverwalter, die an keine Bank und deren Produkte gebunden sind. Doch selbst von diesem eigenschränkten Teilnehmerfeld testete die Zeitschrift, die im Hamburger Verlag Gruner + Jahr erscheint, nur einen kleinen Teil.

Schätzungen zufolge gibt es mindestens 400 unabhängige Vermögensverwalter in Deutschland. 349 von ihnen sind im Verband unabhängiger Vermögensverwalter (VuV) organisiert. Am „Capital“-Test nahmen aber nur 123 Unternehmen teil. Das sind lediglich gut 30 Prozent der Anbieter, worauf die Zeitschrift nicht hinweist.

Derartige Verschleierungen beschäftigten in Deutschland schon mehrfach die Gerichte. Das Vergleichsportal Check24 beispielsweise wurde vom Landgericht Frankfurt am Main 2021 dazu verurteilt, „ausdrücklich darauf hinzuweisen“, wenn bei einem Vergleich von Versicherungen „eine nur eingeschränkte Versicherer- und Vertragsauswahl zu Grunde gelegt wird“.

Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Begründung: Verbraucher würden einen Vergleich „sicher anders bewerten, wenn klar ersichtlich ist, dass ihnen nur eine beschränkte Auswahl von Anbietern präsentiert wird“, heißt es auf der Website des vzbv.

Auch der Vermögensverwalter-Test von „Capital“ würde in einem anderen Licht erscheinen, wenn die Zeitschrift ihre Leser darüber informieren würde, dass sie nur einen kleinen Teil der Vermögensverwalter bewertet hat – und deswegen gar keine Aussage darüber treffen kann, welche die „besten“ von allen sind.

Wie „Capital“ die Branche der Vermögensverwalter schön schreibt

Andere entscheidende Fakten blendet die Testberichterstattung ebenfalls aus. Die erzielten Renditen der getesteten Vermögensverwalter waren 2023 im Schnitt in allen untersuchten Depotklassen „leicht negativ“. Sprich: Kunden, die dort ihr Geld verwalten ließen, haben zum Teil Verluste gemacht. „Capital“ erwähnt das nur am Rande. Zur Erklärung für das schlechte Abschneiden verweist die Zeitschrift auf das Börsenjahr, das „schwierig“ und „herausfordernd“ gewesen sei.

Tatsächlich war 2023 aber ein außerordentlich gutes Börsenjahr. Der Weltaktienmarkt, gemessen an einem börsengehandelten Indexfonds (ETF) auf den MSCI All Country World Index, erzielte mehr als 18 Prozent Gewinn. Das ist mehr als doppelt so viel wie der langfristige Durchschnitt. Ein ETF auf europäische Staatsanleihen mit bester Kreditwürdigkeit, eine schwankungsarme, vergleichsweise sichere Anlage, warf 6,8 Prozent Rendite ab.

Mit jeder erdenklichen Mischung aus diesen beiden Fonds hätten Privatanleger die vermeintliche Elite der deutschen Vermögensverwalter weit hinter sich gelassen. Aber das ist für „Capital“ kein Thema. Trotz der im Schnitt negativen Renditen bewertet das Magazin 92,5 Prozent der Vermögensverwalter als „hervorragend“ oder „sehr gut“.

Unseriöses Benotungssystem

Das Benotungssystem scheint darauf ausgelegt zu sein, auffallend viele Sieger zu küren. Bei „Capital“ gibt es 2024 nicht einen Testsieger, sondern zehn. Von 123 Unternehmen nimmt die Zeitschrift 114 in ihre Liste der „Top-Vermögensverwalter“ auf. Schlechtere Noten als „sehr gut“ bekamen offenbar nur neun Verwalter. Und die werden nicht einmal namentlich genannt. Dennoch rühmt sich die Redaktion ungeniert, einen „Härtetest für Vermögensverwalter“ durchgeführt zu haben.

Selbst in der Branche stößt der Leistungsvergleich auf Skepsis. Manche Vermögensverwalter hegen Zweifel an der Seriosität. Zu ihnen gehört Lothar Koch von GSAM + Spee Asset Management, dessen Unternehmen nicht im „Capital“-Test gelistet ist. Er glaubt nicht, dass das Niveau der Vermögensmanager im Schnitt tatsächlich so hoch ist. „Nach der statistischen Gleichverteilung ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass fast alle top sind“, sagt der Portfoliomanager. Sein Kollege Stefan Schmitt, Geschäftsführer der Inno Invest in Darmstadt, sieht das genauso. „Das ist vollkommen unseriös“, kritisiert er.

Beim Vermögensverwalter-Test von „Capital“ ist weitgehend unklar, was genau die Tester messen. Zwar veröffentlicht die Redaktion die Methodik. Doch die bleibt an mehreren Stellen vage. Nachvollziehbare Kennzahlen, anhand derer beispielsweise die Struktur der Anlageportfolios beurteilt wird, sucht der Leser vergeblich.

Wichtige Merkmale, auf deren Basis sich die Leistung der Vermögensverwalter objektiv beurteilen ließe, klammert der Test dagegen aus. Die Kosten der Vermögensverwaltungen, die von den Renditen der Kunden abgezogen werden, sind beispielsweise kein Bewertungskriterium. Ebenso wenig das Risiko, das die Portfoliomanager eingegangenen sind, um die erzielten Renditen zu erwirtschaften.

Die fragwürdige Rolle eines Instituts

Die Redaktion von „Capital“ führt den Vermögensverwalter-Test nicht selbst durch, sondern beauftragt damit jährlich seit 2019 das Institut für Vermögensaufbau (IVA). „Institut“ – diese Bezeichnung klingt nach unabhängiger Wissenschaft. Tatsächlich ist das IVA aber eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft, die als Dienstleister für Medien und die Finanzindustrie arbeitet.

Das IVA berät unter anderem Vermögensverwalter und zertifiziert gegen Bezahlung deren Anlageportfolios. Gleichzeitig testet das Unternehmen Vermögensverwalter im Auftrag der Zeitschriften „Capital“, „Focus Money“, „€uro“ und „Bilanz“. Mit den Tests mache das Institut „Qualität für private Investoren sichtbar und verständlich“, heißt es auf der Firmen-Homepage.

Unsichtbar für Leser und Anleger bleiben allerdings Interessenkonflikte, die aus der Doppelrolle des IVA als Berater und Richter der Vermögensverwalterbranche resultieren. Denn viele IVA-Kunden gehören auch zu den Unternehmen, die das Institut in den Tests für Finanzzeitschriften unter die Lupe nimmt.

Was auffällt: IVA-Kunden mischen bei diesen Untersuchungen immer ganz vorne mit. Beim Vermögensverwalter-Test von „Capital“ waren zwei Unternehmen sechs Mal in Folge unter den Gesamtsiegern, beide sind Kunden des IVA.

Im Test von „Focus Money“ und dem Fernsehsender ntv beurteilte das IVA im vergangenen Jahr 40 Vermögensverwalter, vorwiegend Banken. 32 von ihnen zeichneten die Redaktionen mit dem Prädikat „herausragende Vermögensverwaltung“ aus. Das entspricht einer Sieger-Quote von 80 Prozent. Unter den 32 Preisträgern sind neun Kunden des Instituts für Vermögensaufbau.

Keine verbindlichen Regeln für Tests

Nach welchen Kriterien ein Leistungsvergleich durchgeführt wird, kann jeder Testveranstalter frei entscheiden. Auch in Sachen Transparenz gibt es keine Regeln. Verbindliche Mindeststandards für das Testen von Waren und Dienstleistungen existieren in Deutschland nicht. 2014 ließ der damalige Minister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas (SPD), „Regeln der guten fachlichen Praxis des Testens“ entwickeln – eine Selbstverpflichtung, die allerdings nur die Stiftung Warentest, „Öko-Test“, die Computerzeitschrift „c`t“ und der ADAC unterzeichneten.

Darin heißt es: „Die Verantwortung des Testveranstalters gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern verlangt, dass die Testergebnisse und deren Veröffentlichungen nicht durch wirtschaftliche Interessen des Testveranstalters selbst, seiner Eigentümer, der von ihm beauftragten Prüfinstitute oder Dritter beeinflusst werden.“

Die Wirtschaftsmagazine verfolgen als  Testveranstalter  aber durchaus wirtschaftliche Interessen: Geld in ihre Kassen fließt über die Lizensierung von Testsiegeln für Werbezwecke. Die von „Capital“ ausgezeichneten Vermögensverwalter können ihre Websites und Marketingunterlagen mit dem Siegel „Top-Vermögensverwalter“ schmücken. Viele der gekürten Unternehmen greifen zu. Dass ein vermeintlich unabhängiger Dritter den Vermögensverwaltern bestätigt, exzellente Leistungen zu erbringen, soll bei potenziellen Kunden Eindruck machen.

Das lukrative Siegelgeschäft

Wie viel das Magazin für die Nutzung eines Siegels verlangt, veröffentlicht Gruner + Jahr nicht. Auch auf Nachfrage nennt der Verlag keine Preise. Zur Orientierung: Die Stiftung Warentest, Deutschlands renommiertester Testveranstalter, verlangt für die einjährige Nutzung eines Siegels 11.300 Euro. Wer das Logo der Stiftung auch in der TV- und Kino-Werbung verwenden möchte, muss 26.600 Euro bezahlen. Für ein „Capital“-Siegel hat ein Vermögensverwalter, der nicht genannt werden will, nach eigenen Angaben 10.000 Euro bezahlt. Die Vermögenskultur AG will dagegen nur einen „überschaubaren vierstelligen Betrag“ überwiesen haben. Genauere Angaben wollen die Münchner nicht machen.

Kein Geheimnis ist aber, dass das Siegelgeschäft von „Capital“ in der Vergangenheit blendend lief. Unter dem ehemaligen Chefredakteur Horst von Buttlar, der im März 2023 zur „Wirtschaftswoche“ wechselte, hat „Capital“ „das Markengeschäft mit Siegeln stark ausgebaut“, erklärt der Journalist im April 2022 in einem Interview mit „Horizont“, einem Branchenblatt der Werbeindustrie. Das Siegelgeschäft trage zwischen 15 bis 20 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Der Anteil am Gewinn sei deutlich höher. Er habe sich in manchen Jahren auf etwa ein Drittel summiert, so von Buttlar. Demzufolge sind die Gewinnmargen im Testgeschäft besonders hoch.

Wie fast alle klassischen Printmedien kämpft „Capital“ mit einer schrumpfenden Auflage. Gleichzeitig gibt die Werbewirtschaft einen wachsenden Teil ihrer Budgets für Werbeträger im Internet aus. Für die Verlage bedeutet das: Sie müssen neue Erlösquellen erschließen, wenn sie überleben wollen. Eine davon ist das Geschäft mit Testsiegeln. Bis zu 20 Tests veranstaltet „Capital“ jedes Jahr, darunter „Beste Fondsgesellschaften“, „Beste Banking-Apps“, „Beste Kryptoanbieter“, „Beste nachhaltige Vermögensverwalter“ – und eben „Beste Vermögensverwalter“.

Schlechte Bewertungen passen nicht ins Geschäftsmodell. Je mehr Testteilnehmer exzellent abschneiden, desto mehr Testsiegel kann der Verlag gegen Bezahlung lizensieren. Zudem sind manche Verlage offensichtlich darum bemüht, ein positives redaktionelles Umfeld für die Tests zu schaffen. Die „Focus-Money“-Berichterstattung zu dem Vermögensverwalter-Test von 2023 klingt, als hätte eine PR-Agentur sie verfasst, die für die Branche arbeitet. Beispielsweise schreibt Hans-Peter Siebenhaar, Mitglied der Chefredaktion, im Editorial: „Selten war es so herausfordernd, Vermögen zu erhalten und zu vermehren. Zum Glück gibt es hierzulande zahlreiche Banken und Vermögensverwaltungen, die in der Geldanlage erstklassig beraten.“ Ähnliche Lobeshymnen durchziehen auch den Text zum Test.

Sonderdrucke mit gekaufter Berichterstattung

„Focus Money“ verkauft den Preisträgern neben den Gütesiegeln auch „Sonderdrucke“ des Testberichtes. Die werden dann zusätzlich mit den Testergebnissen des Unternehmens und einem Interview mit dem Verwalter angereichert.

Auch das macht offenbar Eindruck bei der Werbung neuer Mandanten. Denn für die sieht es so aus, als hätte „Focus Money“ groß über den jeweiligen Vermögensverwalter wegen seiner herausragenden Leistungen berichtet. Dass diese Berichterstattung gekauft ist und nichts mit aufklärendem Journalismus zu tun hat, können die Leser kaum erkennen.

Aber das ist noch nicht alles, was der finanziell potenten Kaste der Vermögensverwalter bei „Focus Money“ geboten wird: Einige Wochen nach der Veröffentlichung der Untersuchung richtete die Zeitschrift eine Preisverleihung für die 32 Testsieger aus. Die Berichterstattung darüber war der Redaktion eine ganze Doppelseite wert. Neben einem Gruppenfoto, das alle Preisträger zeigte, und Bildern von den Festrednern, garnierten drei weitere Schnappschüsse von Vermögensverwaltern den Bericht. Alle drei stehen auf der Kundenliste des Instituts für Vermögensaufbau.

Magazine verschweigen Interessenkonflikte des Prüfinstituts

Weder „Focus Money“ noch die anderen drei Magazin-Redaktionen legen die Interessenkonflikte des Instituts für Vermögensaufbau offen. „Bilanz“ stellt das IVA sogar ausdrücklich als „unabhängig“ vor. Lothar Koch vom Vermögensverwalter GSAM + Spee Asset Management findet: Würde auf bestehende Interessenkonflikte hingewiesen, könnte jeder Leser die Testergebnisse besser einschätzen. Allerdings seien Verflechtungen in der Finanzbranche kaum zu vermeiden. „Es ist schwer möglich, eine komplette Unabhängigkeit bei Tests herzustellen.“

Für solche Fälle hat Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) einen unmissverständlichen Ratschlag: „Wenn ich kein unabhängiges Prüfinstitut finde, muss ich im Zweifel die Finger von dem Test lassen“, sagt er. Schließlich gehe es um die Glaubwürdigkeit der Redaktionen.

Aufgabe von Redaktionen wäre es eigentlich, die Branche der Vermögensverwalter kritisch unter die Lupe zu nehmen und so ihre Leserschaft objektiv zu informieren. Die Verlage profitieren aber davon, möglichst viele Siegel zu verkaufen. Dieser Interessenskonflikt könnte allem Anschein nach dazu beitragen, dass die Anzahl der Ausgezeichneten auffallend hoch ist, die Berichterstattung über die Tests und ihre Teilnehmenden so einseitig ausfällt und wichtige Informationen zur Einordnung der Ergebnisse fehlen.

„Redaktionelle Berichterstattung muss frei von wirtschaftlichen Interessen sein. Das ist im Pressekodex klar geregelt“, erklärt DJV-Mann Zörner. Anders als beim Verkauf einer Werbeanzeige produziert die Redaktion im Siegelgeschäft gezielt Testergebnisse, deren Nutzung den Siegern für Werbezwecke verkauft wird. Das stellt die gebotene Trennung von Verlag und Redaktion infrage.

FAZ.net veröffentlicht Tests als Werbeanzeige

Dieser Meinung ist man offenkundig auch bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Auch der Tageszeitungsverlag verdient mit der Lizensierung von Gütesiegeln Geld. Die Tests veranstaltet aber nicht die Redaktion, sondern das F.A.Z.-Institut, eine Tochtergesellschaft.

Die Untersuchungsergebnisse werden zwar im FAZ-Onlineableger Faz.net veröffentlicht. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu „Capital“ & Co: Die Artikel sind als „Anzeigensonderveröffentlichungen“ gekennzeichnet, erscheinen also nicht redaktionell, sondern als Werbung. Darunter heißt es ausdrücklich: „Faz.net ist weder für den Inhalt der Anzeige noch für ggf. angegebene Produkte verantwortlich.“ Das F.A.Z.-Institut macht im Übrigen auch keinen Hehl aus seinem Unternehmenszweck: Die Gesellschaft unterstützt Firmen bei der Absatzförderung.

Was sagt „Capital“ zu dem Vorwurf, Tests vor allem wegen der Einnahmen aus der Lizensierung von Gütesiegeln zu veranstalten? So gut wie gar nichts. Die Chefredaktion des Wirtschaftsmagazins ließ 32 Fragen unbeantwortet. Die Kommunikationsabteilung von RTL Deutschland, zu der Gruner + Jahr seit 2022 gehört, teilte lediglich in einer kurzen E-Mail mit: „Bei Capital sind die redaktionelle Aufbereitung der Studien und das sich daraus ergebende Lizenz- und Markengeschäft durch die Nutzungsmöglichkeit entsprechender Siegel strikt getrennt.“

Zu der Unabhängigkeit des IVA heißt es: „Um mögliche Interessenkonflikte von vornherein auszuschließen, erfolgt die Übermittlung der Daten an und deren Auswertung durch das IVA komplett anonymisiert, eine Zuordnung zu den jeweils dahinterstehenden Vermögensverwaltern ist allein durch die Redaktion von Capital möglich.“ Diese Angabe ist nicht überprüfbar. Hinzu kommt: Das IVA kennt die Portfoliostrukturen seiner Kunden und dürfte sie auch anonymisiert wiedererkennen.

Münchner Landgericht untersagt Verkauf von Testsiegel

Zu den Anforderungen an Testveranstalter gibt es Urteile des Bundesgerichtshofs. Denen zufolge müssen Testkriterien, -methoden, -verfahren und -urteile „diskutabel“ sein. Im Klartext: Leistungsvergleiche müssen für Dritte nachvollziehbar und überprüfbar sein.

Auf diese Rechtsprechung stützt sich ein Urteil des Landgerichts München, das dem lukrativen Siegelgeschäft das Wasser abgraben könnte. Die Richter untersagten dem Magazin „Focus Gesundheit“, vermeintlichen „Top-Medizinern“ Testsiegel für Werbezwecke zu verkaufen. Begründung: Die Siegel seien irreführend, weil die Zeitschrift ihren Test nicht nach objektiven und nachprüfbaren Kriterien durchgeführt habe.

Zudem erschien es den Richtern befremdlich, dass sich manche Medien mit der Lizensierung von Testsiegeln finanzieren. Das sei „eine unübliche, nicht zwingend erforderlich Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge“. Die Unterlassungsklage gegen das Burda-Magazin „Focus Gesundheit“ hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs eingereicht (Aktenzeichen: 4 HK O 14545/21).

Laut dem Urteil können Redaktionen zwar Tests veranstalten, die auf subjektiven Bewertungskriterien beruhen und deren Ergebnisse veröffentlichen. Sie dürfen dann aber keine Testsiegel verkaufen, die den „Anschein eines objektiven Prüfzeichens“ haben. Dadurch werde „der irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben“.

Da die große Mehrheit der von Medien veranstalteten Tests nicht auf objektiven Laboruntersuchungen, sondern auf subjektiven Bewertungsmaßstäben basiert, könnte die Lizensierung der entsprechenden Siegel ebenfalls gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Allerdings ist in dem Verfahren gegen Burda das letzte Wort noch nicht gesprochen. Der Verlag hat Berufung eingelegt. Nun muss das Oberlandesgericht München entscheiden. Ein Verhandlungstermin steht laut der Wettbewerbszentrale noch nicht fest.

Das Siegelgeschäft steht somit juristisch auf wackeligen Beinen. Aber solange niemand klagt, können die Verlage ihre zweifelhaften Siegel weiterhin unbehelligt für Werbezwecke lizensieren – der Markt boomt. Allein im vergangenen Jahr bekam Vermögensverwalter Stefan Schmitt von Inno Invest nach eigenen Angaben 17 Anfragen für die Teilnahme an Tests. Wer mitmachen wolle, müsse in der Regel allein für die Teilnahme bezahlen, berichtet Schmitt. Das bestätigt sein Kollege Lothar Koch. „Eine Teilnahmevergütung verlangen manchmal sogar Medien, von denen ich dachte, sie seien renommiert“, sagt er. Namen nennen möchte er nicht.

Neben Wirtschaftsmedien und der FAZ sind auch andere überregionale Tageszeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“ im Siegelgeschäft aktiv – und demonstrieren beeindruckende Kreativität bei der Erschließung neuer Testfelder. „Welt“ verleiht das Siegel „Beratungs-Champions in der Kundenbegeisterung“, das beispielsweise die Privatbank Merck Finck für „Höchste Beratungsqualität“ erhielt.

Das große Schweigen

Trotz der unübersehbaren Interessenkonflikte im wachsenden Siegelgeschäft und der Irreführung der Leser will kaum jemand zu dem Thema Stellung nehmen. Der Medienverband der freien Presse, der die deutschen Zeitschriftenverleger vertritt, lehnte ein Interview ab. Vorstandsvorsitzender des Verbandes, der nach außen einen strengen redaktionellen Kodex vertritt, ist Philipp Welte.

Im Hauptberuf ist der gelernte Tageszeitungsjournalist Vorstand beim Münchner Burda-Verlag, der unter anderem „Focus“, „Focus Money“ und „Focus Gesundheit“ herausgibt. Die Focus-Gruppe gehört zu den Vorreitern im Siegelgeschäft. Medienberichten zufolge setzt der Verlag jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag mit der Lizensierung von Gütesiegeln um und erzielt laut dem ehemaligen „Chief Marketing Officer“ Burkhard Graßmann „wunderbare Renditen“.

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband reagierte auf wiederholte Anfragen nicht. Normalerweise stehen die Verbraucherschützer in der ersten Reihe, wenn es darum geht, unseriöse Praktiken der Finanzindustrie an den Pranger zu stellen.

Ebenfalls keine Interviews geben wollten Andreas Hackethal, Hartmut Walz und Andreas Oehler. Die drei gehören zu den bekanntesten deutschen Professoren, die sich regelmäßig in Medien zu Fragen des Anleger- und Verbraucherschutzes äußern.

Weniger überraschend ist der Standpunkt der Münchner Vermögenskultur AG. Die prämierten „Top-Vermögensverwalter“ wollen sich von Einwänden gegen den „Capital“-Test nicht die Siegerlaune verderben lassen. Vorstand Stephan Simon sagt, die Untersuchung sei „wissenschaftlich gut gemacht“. Dass zwei Kunden des Prüfinstituts Dauertestsieger sind, ist für ihn „kein Problem“.

Das dürften die Vermögensmanager von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe ähnlich sehen. Auf der Unternehmenswebsite wirbt die Abteilung „Private & Corporate Banking“ mit gleich acht verschiedenen Siegeln und empfiehlt: „Vertrauen Sie dem Testsieger.“

Transparenzhinweis: Markus Neumann war 2006 für die Testveranstalter „Fuchsbriefe“ als Redakteur und für die Stiftung Warentest 2013 und 2014 als Autor tätig. Zudem war er 2015 Redakteur bei dem Vergleichsportal „Finanztip“. In den beiden Jahren danach arbeitete er für die Vermögensverwalter Liqid und Whitebox.

 

11 Kommentare

  1. „Schließlich gehe es um die Glaubwürdigkeit der Redaktionen.“
    Bwahahaha. Aber wenn sich die Finanzbranche mal wieder gegenseitig in die Tasche lügt, trifft’s wenigstens nicht die Falschen.

    Ich wundere mich ja immer noch, dass die „Stiftung Warentest“ noch so einen guten Ruf hat. Auch wenn die die Selbstverpflichtung von 2014 unterschrieben haben … wie deren Testberichte mittlerweile vermarktet werden, ist erschreckend, wenn man das Ganze auf Produktherstellerseite mal begleitet hat. Und die gehören noch zu den (halbwegs) seriösen Anbietern.

    95% der „Tests“, die man heute online findet (egal welche Produktkategorie) sind schlecht getarnte (Amazon-)Affiliate Seiten, die an ihre Affiliate-Produkte irgendwelche random Ranking Nummern dranklatschen. Boomer stehen auf Rankings, dann müssen sie keine Verantwortung für ihre Kaufentscheidung übernehmen. In all diesen Tests sind keine Kriterien nachvollziehbar und es werden nur Produkte getestet, die man selbst verkauft.
    Also exakt das, was die ultraseriösen Finanzratgebermagazine der großen Verlaugshäuser auch machen.

    Das Wort „Test“ alleine hat so eine autoritäre Wirkung auf Menschen. Im PC Bereich ähnlich wie „Benchmark“.
    Die Parallelen zur Unserösität des marktführenden Anbieters userbenchmark.com sind frappierend.

  2. @Anderer Max (#1):

    Aber wenn sich die Finanzbranche mal wieder gegenseitig in die Tasche lügt, trifft’s wenigstens nicht die Falschen.

    Dann sind für Sie alle Sparer, die eine Vermögensverwaltung beauftragen, Teil der Finanzbranche und haben es verdient, betrogen zu werden? Nett.

    Boomer stehen auf Rankings, dann müssen sie keine Verantwortung für ihre Kaufentscheidung übernehmen.

    Genau. Und GenZler stehen auf Finfluencer bei YouTube und Tiktok, dann müssen sie keine Verantwortung für ihr Kaufentscheidung übernehmen.

    Gut, dass wir keine Vorurteile haben, wa?

  3. Nein, „der Sparer“ ist selbstverständlich immer das Opfer. Er will ja nur Geld aus dem Nichts schöpfen und andere verantwortlich machen, wenn es nicht klappt. Was sollte an einem solchen Verhalten nur problematisch sein?
    „Don’t hate the player, hate the game.“
    Amirite?

    GenZ halte ich immer noch zugute, dass sie jung sind und es nicht besser wissen.

    Vorurteile hat jeder, die Frage ist, wie man mit diesen umgeht.

    Und ja, wer Polemik in #1 findet, der darf sie behalten. (Meistgenutzte Boomer-Forensignatur, ca. 2001)

  4. Zum Thema: Diese „Gütesiegel“ werden tatsächlich vertickt wie Sauerbier. Mein Arbeitgeber, ein gemeinnütziger Verband, bekommt regelmäßig Angebote für irgendwelche Auszeichnungen von Focus Money – was wir ablehnen, weil es a) nicht zu unserer Zielgruppe passt und b) richtig teuer ist. Aber anscheinend lohnt sich ja das Geschäft.

    Und bei Vermögensverwaltungen stellt sich grundsätzlich die Frage, wer die eigentlich noch braucht. In Zeiten überall verfügbarer ETFs mit Nebenkosten nahe Null sind deren Gebühren für Anna und Otto Normalverdiener rausgeschmissenes Geld. Klar, man kann vor Freunden flexen und sagen: „Um mein Vermögen kümmert sich Edel & Teuer, der Testsieger von ‚Capital'“, oder so. Aber das ist auch schon der einzige (sauer bezahlte) Nutzen.

  5. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, dass, wenn ein Anbieter mit einem Siegel wirbt, ich erstmal skeptisch werde; und wenn das Siegel den Namen „Focus“ oder eines Springer-Titels trägt, ist der Anbieter bei mir raus.

    Wer sich von „Focus“ die Qualität seiner Arbeit bestätigen lässt, gibt offensichtlich hierfür Geld aus, statt dafür, seine eigentliche Arbeit besser zu machen.

  6. #1 Als sog. „Boomer“ habe ich auf diese Art von Finanzjournalismus nahezu durchgängig verzichtet. Rankings und Bewertungen auf Google, amazon, booking.com usw., gleich welche Art von Produkt oder Dienstleistung sie angeblich „beurteilen“, ignoriere ich völlig. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Erkenntnisse bzgl. „Boomer“ beziehen. Vermögensverwalter? Nur wenige schaffen dauerhaft die 5% Performance pro Jahr, die man mit Vernunft, mittlerer Risikobereitschaft und auch einem Invest an Zeit auch selbst erzielen kann. Einige legen ganz gut Fonds und ETFs auf, ja, die kann man kaufen. Meistens besser als das, was die Sparkasse um die Ecke so empfiehlt.

  7. @ #6: Ich bin erstaunt, dass der Begriff „Boomer“ noch immer solche Emotionen in einigen Communities auslöst.
    Der zugegebenermaßen polemische Inhalt von #1 bezog sich 0 (null) auf die Inhalte individueller Kapitalanlagemöglichkeiten (mit X% „Performance“) , sondern auf die Tendenz von Menschen, sich (gerade im Finanzbereich) auf Meinungsführer (im Marketing-Sinne) zu verlassen. Wie KK zu Recht anmerkte, ist das Verhalten nicht auf Boomer beschränkt – In jüngeren Zielgruppen arbeitet man nur mit anderen Marketing-Stilmitteln (Influencer mit einem Marketing-F vor ihrer Berufsbezeichnung, z. B.).
    Rankings sind halt in älteren Zielgruppen beliebt, weil sie eine Pseudo-Wahlmöglichkeit bieten. Dabei (wie im Text herausgearbeitet) ist niemals klar, ob wirklich ein Großteil der Angebote oder Anbieter überhaupt in diesen Rankings bewertet wurde. Oder wie getestet wurde. Oder wer testet und wie der Tester in der Branche vernetzt ist, etc.
    Sich heutzutage auf „Tests“ (oder besser noch Rezensionen) zu verlassen ist schlicht naiv.
    Tests sind Marketing-Tools, nichts weiter.

    Anekdote:
    Ich habe mir einen Vaporisator gekauft. Vorher habe ich mir „Tests“ im Webz durchgelesen. 2 von 3 dieser Tests haben den Marktführer (DE Produktion) gar nicht in ihren Listen, weil dieser nicht bei Amazon verkauft (und die Testseiten somit keine Affiliate-Links droppen können, an denen sie verdienen). Komischerweise gewinnen in diesen „Tests“ dann immer die Produkte, die auch bei Amazon ganz oben stehen.
    Ein Schelm, wer böses und so weiter.

  8. Diese Siegel und Auszeichnungen gibt‘s ja auch in anderen Branchen. Gefühlt jeder Optiker ist Optiker des Jahres.

  9. Das Problem ist eher, dass es ja keine wirklich sinnvolle Alternative zu „Tests“ und „Rezensionen“ gibt, außer wenn man wie Dieter B. die Zeit investiert, sich selbst schlau zu machen.

    Bei zentralen Themen wie den Finanzen kann man das ja machen, aber ich kann mich ja schlecht vor dem Kauf jedes X-beliebigen Produktes (Waschmaschine, Drucker, Handy, usw.) selbst zum Experten in diesem Gebiet ausbilden – ich muss mich also auf die Einschätzung externer (vermeintlicher) Expertise verlassen, selbst wenn ich weiß, dass diese höchstwahrscheinlich getarne Werbung ist. Daher habe ich mich oft noch auf die Stiftung Warentest verlassen, war aber damit auch nicht immer zufrieden…

    Ein Dilemma!

    Wer Tipps hat, wie es besser geht, ich wäre sehr dankbar. Es bräuchte von der Verbraucherzentrale angestellte und neutrale „Produktberater“

    Von jemandem wie Markus Neumann kann man sich ja dann zumindest zu Finanzsachen beraten lassen…

  10. Als „Leiter Marketing“ eines mittelständischen Unternehmens wurden mir regelmäßig derlei Siegel zugeschickt. Teilweise ohne irgendeine Begründung oder einen nachvollziehbaren Prozess der dem vorangegangen wäre. Nur zahlen sollten wir, um die zu verwenden. Focus Money hat aus Kundensicht Null Aussagekraft.

  11. #9: Soweit ich weiß gibt es wirklich Beratung bei den Verbraucherzentralen in Finanzdingen.

    Dann gibt es noch das „Fachgeschäft“ für z.B. Haushaltsgeräte oder Fahrräder, welches lange in der Stadt ist. Die haben oft noch einen Ruf zu verlieren.

    Die Stiftung Warentest halte ich für seriös. Was mir hilft ist dort den Test zu lesen und dann die wichtigsten Kriterien und Fragen zu kennen, nach denen ich mir dann schneller selbst ein Bild machen oder die Fachhändlerin fragen kann.

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