Hasswort (46)

Zusammenhalt

Es gibt harmlose Wörter, die lächeln und winken. An denen kann man nickend vorbeigehen, wie an einem freundlichen Nachbarn. Doch je öfter man sie hört, je lauter sie ins Mikrofon geschrien werden in Parlamenten und Turnhallen, untermalt mit einem Faustdonnern aufs Rednerpult, desto dissonanter klingen sie, gefährlicher.

Mir geht es so mit dem Frank-Walter-Steinmeier-Wort Zusammenhalt, vor dem ich mich ein bisschen fürchte.

Ich höre aus dieser Vokabel den schulischen Zwang heraus, den Lehrer anwenden, wenn Schüler unsinnige Anweisungen hinterfragen. Ein Wort, das Widerstand bricht. Zusammenhalt wird meist von oben nach unten eingefordert, wenn Individuen Pirouetten drehen und die schöne Einheit einer Gemeinschaft gefährden.

Das Wort Zusammenhalt schreibt der servile Redenschreiber seinem Herrn ins Manuskript einer mahnenden Rede, die der Boss dann mit Sorgenfalten auf der Stirn und dramatisierenden Pausen ins müde Land hineinrufen darf, während der Wind die grauen Haare aufscheucht. Wenn Autoritäten, also Menschen mit Macht, Zusammenhalt einfordern, muss man stutzig werden, weil das oft nur eine überhöhte Variante ist von: „Jetzt hört mal auf zu nerven.“

Normale Menschen wollen andere Dinge

Eine Suche in Reden und Interviews von Frank-Walter Steinmeier nach dem Schlagwort Zusammenhalt ergibt 812 Treffer. Steinmeier fordert am Frühstückstisch Zusammenhalt, im Interview mit der „Bunten„. Steinmeier fordert im Schloss Bellevue Zusammenhalt, bei der feierlichen Eröffnung einer Kunst-Ausstellung, die passenderweise den Titel „Hand in Hand“ trägt. Er fordert Zusammenhalt in einer Rede über die Gefahren künstlicher Intelligenz.

Für einen Bundespräsidenten, dessen Schaffen vor allem darin besteht, Zusammenhalt einzufordern, ist künstliche Intelligenz tatsächlich eine Gefahr. Diese menschliche Leistung sollte ersetzbar sein.

Zusammenhalt! Zusammenhalt! Mir ist dieses Wort noch nie bei einer WG-Party begegnet, in einem Kinosaal, bei einem Kreisliga-Spiel, an einer Tankstelle oder in der U-Bahn. Normale Menschen fordern vielleicht geringere Steuern, höhere Steuern, früher Feierabend, bessere Fahrradwege, bessere Autobahnen, Umgehungsstraßen, gute Schulen oder günstigen Döner. Aber wenn ein ganz normaler Mensch ohne Amt sich „mehr Zusammenhalt“ wünscht, dann ist er entweder ein schlimmer Streber, heimlich Bundespräsident oder er hat Fieberphantasien.

Umso beängstigender ist dieses Wort in seiner buchstäblichen Bedeutung. Wenn man sich tatsächlich eine Gruppe Menschen vorstellt, die sich gegenseitig halten, alle zusammen. Ich erinnere mich an ökumenische Kirchentage, bei denen das irgendwie okay ist, weil man dort mit dieser Art des Anfassens rechnet. Da steht man in Reihen, alle mit dem gleichen Schal, und hält sich an den Händen. Wenn man so etwas nicht will, geht man halt nicht zum Kirchentag. Aber die Gesellschaft ist ja kein Kirchentag. Keine Veranstaltung, zu der man hingehen und die man verlassen kann. Man kann aus einer Gesellschaft nicht aussteigen, auch wenn das ein paar Versprengte glauben mögen, die sich auf Bali ein Holzzelt gebaut haben, in das es reinregnet.

Zusammenhalt auch mit Rüpeln und Rassisten?

Deutschland ist das Land, zu dem ich zufällig gehöre. Ich versuche meinen Beitrag zu leisten, das Grundgesetz zu ehren, einigermaßen freundlich zu sein und Picknickbänke an der Autobahn sauber zu hinterlassen. Aber warum, zum Teufel, muss ich denn mit irgendwem, mit dem ich die Passfarbe teile, zusammenhalten?

Es gibt einfach Menschen, mit denen will ich nicht zusammenhalten, Rüpel, Antisemiten, Rassisten, Trottel. Menschen, die nachts ihren Motor vor meinem Fenster laufen lassen. Menschen, die in Restaurants von ihrem Berufsalltag erzählen, ohne jeden Sinn für Lautstärke. Frank-Walter Steinmeier, der erst, im Sinne des globalen Zusammenhalts, mit Autokraten kuschelt, sich dann aber  erschreckt wie ein Kind an der Herdplatte, wenn diese Autokraten Länder überfallen oder Oppositionelle hinrichten.

Zusammenhalt! Zusammenhalt! Zusammenhalt fordert der rot angelaufene Patriarch am Küchentisch, wenn seine Ordnung ins Wanken gerät. Zusammenhalt fordert er, wenn die Kinder nicht spuren und die Frau es wagt, die naheliegenden, guten und schmerzenden Fragen zu stellen. Zusammenhalt ist keine demokratische Vokabel, im Gegenteil. Sie ist zutiefst autoritär.

Sie finden, ich übertreibe?

Möglicherweise – aber ich habe noch den bitteren Geschmack im Mund aus einer Zeit, als wir in unseren Wohnungen festsaßen und Politiker in Talkshows und auf Ministerpräsidentenkonferenzen den Zusammenhalt beschworen, als könne eine Welle der Harmonie all die ungemütlichen Fragen wegspülen, die wir hatten zur Sinnhaftigkeit von Lockdowns und Ausgangssperren. Zwischendurch wollte die Polizei München sogar verhindern, dass Rentner längere Zeit auf Parkbänken sitzen. Zusammenhalt!

Es wäre doch ein Anfang, wenn Menschen in diesem Land etwas herzlicher wären, respektvoller. Wirklich niemand braucht ein Harmonie-Sedativum, verabreicht vom Bundespräsidenten.

7 Kommentare

  1. Wow, danke!
    Ich möchte ergänzen, dass „Zusammenhalt!“ der ätzende, sich aufspielende Bruder von „Spaltung!“ ist. Die angesprochenen Rassisten, Antisemitinnen und andere Trottel brüllen „Spaltung! Unfair!“, sobald ihnen jemand widerspricht, und der depperte Brudi fordert dann von den weniger trotteligen Widerborstigen „Zusammenhalt!“ und von genannten Trotteln, freundlich formuliert, viel zu wenig.

    Zusammenhalt! – Pah! (Niemals mit der Populä… istischen Front!)

  2. @ FrankD:
    Man könnte, wenn man denn wollte (und in der Lage dazu ist), mal dialektisch über die Wortverwendung nachdenken.
    Z. B. über die Interpretation von „Zusammenhalt“, die der Autor hier liefert und die von „gesellschaftlichem Zusammenhalt“, die das Ministerium in Sachsen im Namen hat.
    Aber dafür müsste es einem um Erkenntnisgewinn gehen, und nicht um das Streuen von Narrativen und Polemiken – undenkbar für rechte Schwurbler und ihre Schäfchen.

    Meine Interpretation wäre z. B. die hier:
    Ein Staatsministerium darf (und sollte auch) die Intention haben, für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen. Gerade ein Sozialministerium. Zumindest erschließt sich mir recht einfach die Intention dessen.
    Dieser beschworene Zusammenhalt darf ja selbstverständlich (wir leben ja in einer Demokratie) hinterfragt und kritisiert werden, wie es der Autor dieses Artikels hier ja auch tut – er geht ja sogar so weit, „Zusammenhalt“ als eine autoritäre Vokabel zu brandmarken. Er spricht auch nicht explizit über „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ – Ist also generell Äpfel mit Birnen, aber das wissen Sie auch.

    Gesellschaftlicher Zusammenhalt, so wie ich ihn verstehe, ist „agree to disagree“. Sich auf demokratische Umgangsformen zu einigen, auch wenn man inhaltlich unterschiedlicher Meinung ist. Demokratische Willensbildung (und so mit auch (Wahl-)Niederlagen) zu akzeptieren, auch wenn man der Meinung ist, dass „es falsch läuft“.
    Aber das ist natürlich nicht so knallig, wie einem Staatsministerium insinuiert vorzuwerfen, autoritär zu sein, weil ein Kommentator auf einer Medienkritik-Website etwas geschrieben hat, das man (mit viel Fantasie) so interpretieren könnte.

    Interessant auch hier wieder, wann und in welchen Kontexten übermedien entweder als Kronzeuge oder aber als Prügelknabe herhalten muss – Immer so, wie es die eigene Ideologie gerade gebietet. Dabei wird natürlich außer Acht gelassen, dass es sich bei seinem Kommentar, wie diesem hier von Felix Dachsel, um eine Einzelmeinung des Autors handelt.

  3. @Mycroft (#5):

    Nee. „Solidarität“ betont den Klassencharakter der Gesellschaft, „Zusammenhalt“ negiert ihn. Auch wenn die Worte eigentlich dasselbe meinen…

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