Notizblog (18)

Lattendrama: „Spiegel“ erklärt Penis fälschlicherweise für unschuldig

Es soll ja Erwachsene geben, die schon bei der bloßen Erwähnung des Wortes „Penis“ unkontrolliert kichern. Diese Wirkung wird leicht potenziert, wenn dann auch noch eine „Latte“ ins Spiel kommt. Und so ist jede Meldung, dass der Stabhochspringer Anthony Ammirati am vergangenen Wochenende bei den Olympischen Spielen ausschied, weil er mit seinem Penis die Latte berührt hat, natürlich schon sprachlich eine Freude. Ganz zu schweigen von den vielfältigen Möglichkeiten, über die Vor- und Nachteile großer Geschlechtsteile zu philosophieren oder darüber, dass mal wieder einem Mann auf dem Weg zum Erfolg sein Geschlechtsteil in die Quere gekommen ist.

Das Video von der schicksalhaften Begegnung wurde jedenfalls von vielen in den Sozialen Netzwerken geteilt. Zahlreiche Medien griffen es auf. Nur der „Spiegel“ hatte das Bedürfnis, die allgemeine Erregung mit einem kleinen Faktencheck zu dämpfen. (Ein Impuls, der uns hier bei Übermedien nicht fremd ist.)

Er behauptete:

Was den meisten belustigten Userinnen und Usern jedoch nicht bewusst war – oder vielleicht auch der Story halber von ihnen ignoriert wurde: Nicht Ammiratis Penis beendete seine Olympiareise, sondern sein Schienbein. Auch wenn der Schritt die Latte ebenfalls berührte und schließlich vollständig aus der Halterung riss – zu diesem Zeitpunkt war Ammirati bereits ausgeschieden. Er berührte die Latte erst mit dem Schienbein, dann mit dem Knie, sie wackelte bereits. Der Versuch war damit bereits ungültig, bevor sein Schritt ins Spiel kam.

Das ist Unsinn. Ungültig ist ein Versuch nur, wenn die Latte fällt – nicht wenn sie touchiert wird, möglicherweise wackelt, aber liegen bleibt.

Und so musste der „Spiegel“ unter dem Stück folgende bemerkenswerte Korrektur veröffentlichen:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Ammirati sei bereits ausgeschieden gewesen, bevor sein Penis die Latte beim Stabhochspringen berührt hatte. Weil er sie zuvor auch mit seinem Schienbein und Knie touchierte und sie deswegen wackelte, sei der Versuch ungültig gewesen. Das ist falsch, sie fiel erst endgültig, als auch sein Gemächt sie berührt hatte. Wir haben die Stelle korrigiert.

Die Latte der Wahrheit nicht bloß touchiert

Das liest sich allerdings nun seinerseits so, als hätte die ursprüngliche „Spiegel“-Version die Latte der Wahrheit nur leicht touchiert und nicht komplett gerissen. Korrigieren musste der „Spiegel“ nämlich nicht nur eine „Stelle“, sondern den ganzen Anlass des Artikels. Ursprünglich lautete dessen Überschrift, in schönster Kombination aus clickträchtigen Schlagworten und Faktencheck-Haltung:

Nein, es war nicht sein Penis, der ihn die Olympiamedaille kostete

Ein Video von Stabhochspringer Anthony Ammirati geht viral, weil es so aussieht, als habe er beim Stabhochsprung die Latte mit seinem Schritt gerissen. Tatsächlich war es ein anderes, weniger Meme-würdiges Körperteil.

Jetzt steht da stattdessen:

Er touchiert die Stange mit seinem Penis und das Netz lacht

Ein Video von Stabhochspringer Anthony Ammirati geht viral, weil es so aussieht, als habe er beim Stabhochsprung die Latte mit seinem Glied gerissen.

Spiegel-Überschriften: Nein, es war nicht sein Penis, der ihn die Olympiamedaille kostete / Er touchiert die Stange mit seinem Penis und das Netz lacht
Oben: vorher, unten: hinterher, nicht im Bild: Penis

So ganz will der „Spiegel“ auch in der korrigierten Version nicht darauf verzichten, manchen Überinterpretationen der Szene in den sozialen Medien zu widersprechen. Jetzt weist er darauf hin, dass Ammirati auch ohne den unfreiwilligen Genitaleinsatz womöglich nicht Olympiasieger geworden wäre, weil die Stange schon wackelte und er eh nicht als Kandidat für eine Medaille gegolten hätte. Ja gut.

Für eine olympiareife Korrektur sollte die Latte beim „Spiegel“ eigentlich höher liegen, aber bei den „Ruhr Nachrichten“ und Schwestermedien sind sie in der Disziplin gar nicht erst angetreten: Dort haben sie die Behauptung, dass es bereits regelwidrig gewesen sei, dass Ammirati „beim Aufsteigen in die Höhe die Latte mit dem Schienbein touchiert hatte“, offenbar irgendwo abgeschrieben – und bis jetzt nicht berichtigt. (Unter dem Artikel steht zwar, dass er „mit dpa“ verfasst wurde, aber das Schienbein kam in der Berichterstattung der Nachrichtenagentur gar nicht vor. Nur der Penis.)

(via Frederik von Castell)

13 Kommentare

  1. Höhö „französisch“!

    Und wenn die Latte aufm Boden liegt, mein Niveau tanzt weiter Limbo!

  2. Ich mag, dass der Autor mit „potenziert“ und „Erregung“ meinen Haus- und Hosenstallhumor sicher trifft. Den Spiegel-Artikel aber dann nur als „Stück“ zu bezeichnen, und nicht etwa als „bestes Stück zu Olympia“ in dem dies und das steht, ist enttäuschend.

    Und: inzwischen glaube ich, dass Medien, die es bei Unwichtigen die Fakten nicht so genau nehmen, einfach die Fakten nicht so genau nehmen.

  3. Selten so herrlich gelacht wie bei diesem Übermedien-Artikel.
    Vielleicht sollte man dem armen Olympioniken jemand die Latte halten so zum Trost weil er ausgeschieden ist.
    Und, in diesem Fall war der Penis dann doch mächiger als die Stange.
    Verflixt, wieso muss ich denn immer noch anzüglich grinsen?

  4. @Stefan Niggemeiner.

    Ne, überhaupt nicht und natürlich habe ich den Kommentar auch deswegen geschrieben, weil ich zeigen wollte, was *ich* für tolle Pimi-Witze machen kann.

    On a deeper level freue ich mich sehr über diesen Artikel, weil er sehr gut damit umgeht, dass die dreifache „Unwichtigkeit“ von solchen Ereignissen nicht dazu führt, sie links liegen zu lassen sondern dazu, sie auf andere Art zu Clickbait hochzujazzen. Und dabei journalistische Standards auf der Strecke bleiben. Und der Sport ist ein tolles Beispiel dafür, denn da passiert das wirklich wirklich oft. (Ich erinnere mich noch an Mario Gomez‘ – Achtung Knallerwitz – „Lattentreffer“.)

  5. Die Ruhrnachrichten hat ihren Artikel klammheimlich geändert. Dort wird ein Schienenbein jedenfalls nicht mehr erwähnt.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.