Oberhof in Südthüringen wirkt von außen wie ein idyllischer Ferienort. Das Städtchen liegt auf den grünen Kämmen des Thüringer Walds, im Winter finden hier internationale Wintersportwettkämpfe statt. Allerdings scheint diese Idylle gerade ein wenig gestört – zumindest, wenn man dem Portal „inSüdthüringen.de“ glaubt, einem gemeinsamen Webangebot der Tageszeitungen „Freies Wort“, „Südthüringer Zeitung“ und „Meininger Tageblatt“.
Am vergangenen Donnerstag erschien dort unter der Überschrift „Behelfsküche mitten auf dem Parkplatz“ ein Text, dessen Aufhänger laut dem Einstieg „wilde Spekulationen und Fragen“ aus den „sozialen Netzwerken“ sind. Es geht um einen Parkplatz an einer Landesstraße. Dort stünden seit einigen Wochen zwei Container als Notunterkunft für drei Geflüchtete – und diese Container, beziehungsweise ihre Bewohner, sollen Anlass für die Aufregung sein. Denn das Umfeld sei „nicht immer in dem Zustand, wie ihn sich so mancher wünschte“. Und mehr noch: „Die mitten auf dem Platz angelegte Feuerstelle, die als Möglichkeit zum Kochen genutzt wird, findet nicht jedermanns Zustimmung. Auch nicht die der Stadtverwaltung Oberhof, in deren Auftrag beide Container aufgestellt worden sind.“
Man erfährt anschließend, dass in den Containern eine syrische Familie untergebracht ist, eine Mutter mit ihren beiden Söhnen, 9 und 20 Jahre alt. Die Familie sei derzeit obdachlos, da sie nach der Anerkennung als Flüchtlinge nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben durfte. Darüber, dass sie sich nun eine eigene Wohnung suchen müsste, sei sie mehrfach informiert und aufgefordert worden, wird der Sprecher des Landratsamts zitiert. Es sei aber nichts passiert. Ihr angebotene Wohnungen habe sie zudem abgelehnt.
Nur Verständnis, keine Kritik an Behörden
Die Sprecherin des Ordnungsamts wiederum erklärt, man sei als Kommune verpflichtet, eine Notunterkunft bereitzustellen. Da es in Oberhof aber keine Obdachlosenunterkunft gebe, habe man sich eben für die Container entschieden. Es kommen einem als Leser an dieser Stelle bereits einige Fragen, und auch die Autorin von „inSüdthüringen.de“ scheint zumindest mal darüber nachgedacht zu haben, ob irgendetwas an der Entscheidung der Kommune der Nachfrage bedürfe. Aber zum Glück gibt es Entwarnung: „Die auf den ersten Blick ungewöhnlich scheinende Entscheidung für den Standort erfolgte abhängig von ganz pragmatischen Kriterien.“ Etwa „Anschlüsse an das Wasser- und Stromnetz“ – denn die gibt es in Oberhof offenbar nur an Parkplätzen im Wald.
Wir können diese Begründung aus der Ferne nicht beurteilen – aber wäre das Hinterfragen behördlicher Entscheidungen nicht Aufgabe von Lokaljournalismus?
Die Folge dieses Pragmatismus ist jedenfalls, dass eine dreiköpfige Familie, die aus einem Bürgerkriegsland geflüchtet ist, mehrere Kilometer entfernt von Einkaufsmöglichkeiten, ärztlicher Versorgung und ähnlichem auf einem einsamen Parkplatz in Containern haust. In denen es übrigens, das verrät der Text dann ganz am Schluss, allem behördlichem Pragmatismus zum Trotz keinerlei Kochgelegenheit gibt. Was die Autorin zum ersten Mal zu einer einschränkenden Formulierung verleitet: „Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass sich die drei Bewohner eine behelfsmäßige Feuerstelle angelegt haben.“
Ja, wohl. Könnte ja durchaus sein. Aber das ist wiederum kein Grund für „inSüdthüringen.de“, den Text nicht trotzdem erstmal mit der Missbilligung der Kommune zu beginnen, ganz so, als hätte diese nicht selbst die fehlende Kochgelegenheit zu verantworten.
Der Autor
Alexander Graf ist seit 2024 Chefredakteur von Übermedien. Er war Redakteur der „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und hat anschließend als freier Journalist mit den Schwerpunkten Wissenschaft und Medien gearbeitet. Von 2021 an war er Chefredakteur von „medium magazin“.
Die Stelle weist aber vor allem auf das zentrale Problem dieses Textes hin. Denn wäre es nicht ganz interessant zu hören, was die Familie eigentlich zu der ganzen Sache zu sagen hat? Ganz zu schweigen davon, dass es die journalistische Sorgfaltspflicht natürlich erfordert, auch die Betroffenen vor einer solchen Berichterstattung zu hören. Dann hätten die Leser womöglich ein differenzierteres Bild erhalten. So postete der Verein „Flüchtlingsrat Thüringen“ am Freitag eine Stellungnahme auf X, die der Darstellung der Behörden widerspricht: Der ältere Sohn habe sehr wohl nach Wohnungen gesucht, allerdings vergeblich.
Übermedien liegt zudem eine Mail des Sohnes vor. Darin gibt er an, dass der Familie nie eine Wohnung angeboten worden sei. Und dass sie demnach erst recht kein solches Angebot abgelehnt hätte. Nour Al Zoubi vom Flüchtlingsrat Thüringen betreut die Familie seit einigen Wochen und sagt dazu gegenüber Übermedien: „Ich glaube ihm. Welchen Grund soll eine Familie haben, ein Dach über dem Kopf einfach abzulehnen?“
Dagegen lässt sich wenig sagen. Aber gleichzeitig wäre es auch ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, wenn eine Behörde gegenüber Pressevertretern so deutlich die Unwahrheit sagt. Was wirklich passiert ist, lässt sich also sicher nicht einfach so festhalten. Gut möglich, dass fehlende Sprachkenntnisse zu Missverständnissen führten. Oder vielleicht hat die Familie tatsächlich Wohnungen abgelehnt, hatte dafür aber Gründe, deren Erwähnung für das Verständnis zentral wäre? Oder die Kommune möchte eigene Versäumnisse schönreden? Nur wäre eben genau das die Aufgabe einer Lokalzeitung: solche Widersprüche erst einmal aufzuzeigen und sie im besten Fall auch noch aufzulösen.
Die Sicht der Betroffenen fehlt komplett
Stattdessen schreibt eine Lokalzeitung hier völlig unreflektiert über Personen in einer sensiblen Lage. Es werden Informationen von Behörden unkritisch übernommen und daraus ein Text gestrickt, der den Betroffenen unwidersprochen die Verantwortung für ihre Situation in die Schuhe schiebt. Ihre Sicht der Dinge, die diesen Darstellungen entschieden widerspricht, fehlt hingegen komplett.
Redaktionsleiter Markus Ermert sagt auf Anfrage, die Autorin sei sehr wohl auf den Parkplatz gefahren, um selbst mit der Familie zu sprechen. Diese sei aber nicht dort gewesen. Man habe sich dann dennoch entschieden, den Text zu veröffentlichen, „um den in solchen Fällen üblichen wilden Spekulationen und Übertreibungen in den sozialen Netzwerken sachliche Informationen gegenüberzustellen“.
Das Problem ist nur: Der Text liefert so eben keine sachlichen Informationen – im Gegenteil, er heizt die Spekulationen sogar noch an. Schon der Vorspann, der in eben diesen sozialen Netzwerken auch als Teaser verwendet wurde, übernimmt ausschließlich die Darstellung der Behörde und wertet zudem stark zulasten der Familie:
„Was tun, wenn die Anerkennung als Flüchtling erfolgt ist, die Betroffenen aber weder Gemeinschaftsunterkunft verlassen, noch eine Wohnung suchen wollen? Aus diesem Grund stehen in Oberhof zwei Container für drei Obdachlose, die keine sein müssten.“
Auch die Bildunterschrift behauptet, die Familie lebe in den Containern, „obwohl Angebote für Wohnungen für die Familie in Meiningen und Oberhof existierten“. Dass selbst die Sprecherin des Ordnungsamtes im Text sagt, um geeignete Wohnungen in Oberhof sei es schlecht bestellt, ist aus der Sicht der Redaktion wohl kein Widerspruch.
Folgen der Berichterstattung sind spürbar
Das alles ist Wasser auf die Mühlen rechter Erzählungen, die Flüchtlingen gerne unterstellen, den deutschen Behörden auf der Nase herumzutanzen. Entsprechend lauten auch die – immerhin eher wenigen – Kommentare unter dem Facebook-Post: „Wer nicht will, der hat! Warum wird so etwas noch unterstützt.“ Oder: „Einfach unfassbar. Und wo sind die Unterkünfte für Deutsche, die nicht wollen?“
Der Flüchtlingsrat berichtet in seiner Stellungnahme bereits von Folgen der Berichterstattung für die Familie: „Leser:innen kamen, laut den Betroffenen, zur Notunterkunft, öffneten Türen und Fenster, um sich die Container selbst anzusehen.“ Laut Al Zoubi soll das auch am frühen Morgen passiert sein, als die Familie noch schlief.
Markus Ermert von „inSüdthüringen.de“ sagt, man bleibe dran an der Sache: „Wir sind im Kontakt mit der Familie und stellen natürlich auch deren Sicht der Dinge dar.“ Dann wolle man auch die Behörden noch einmal konfrontieren. Bisher kam es dazu aber offenbar noch nicht. Auch eine Ergänzung zum Text, der die öffentliche Stellungnahme des Flüchtlingsrats zumindest berücksichtigt, ist bisher nicht erfolgt. So präsentiert der Artikel die Sicht der Behörden den Leserinnen und Lesern als einzig gültige. Und genau das sollte eigentlich nicht das Ziel von Journalismus sein.
4 Kommentare
Puh, die arme Familie, in einen Container am Waldrand gesteckt und dann auch noch an allem selbst Schuld, und jetzt auch noch auf so einem Präsentierteller.
Tatsächlich nicht gerade eine Sternstunde des Journalismus.
Vielen Dank für diesen Artikel! Diese Fixierung auf staatliche Stellen, denen „besonderes Vertrauen“ entgegen gebracht werden kann sowie die Selbstverständlichkeit, mit denen die Standpunkte marginalisierter Menschen ignoriert werden, sagen schon viel aus über die Missstände in vielen Medien. Ich glaube nicht, dass viele Lokalzeitungen auf die Idee kommen würden, bei kontroversen Themen, bei denen es einen Konflikt zwischen der Gemeinde und Teilen der Bevölkerung gibt, ausschließlich die Gemeinde zu Wort kommen zu lassen. Bei Geflüchteten scheint das aber ok zu sein. Die werden aber wahrscheinlich keine wütenden Leserbriefe schreiben oder in der Redaktion auftauchen um sich zu beschweren. Hier werden eindeutig Machtstrukturen verfestigt in Bezug auf die Frage, wessen Meinung im öffentlichen Diskurs gehört wird.
Kürzlich habe ich mich beim Presserat über einen Artikel der Heilbonner Stimme beschwert – es ging auch um Geflüchtete – in dem neben „besorgten Anwohner*innen“ nur Politiker*innen und Behörden zu Wort kamen, teilweise mit eindeutig rassistischen Aussagen, die ohne Kommentar oder Einordnung wiedergegeben wurden. Aufschlussreich war, dass der Verlag dies damit rechtfertigte, dass ihnen die Pressefreiheit das Recht geben würde, selbst zu entscheiden, mit wem sie sprechen und mit wem nicht. „Es bestehe keinerlei Verpflichtung, immer dann, wenn sich die öffentliche Hand zu einer Frage äußere, zugleich auch die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen.“
Das hat der Presserat aber zum Glück anders gesehen und eine Missbilligung ausgesprochen.
Herzlichen Dank für diesen erhellenden Beitrag. Als in TH beheimateter freier Journalist kann ich Ihnen sagen, dass die unkritische Übernahme von Behörden-Verlautbarungen hier inzwischen nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel ist.
Das ist nicht nur „typisch (ost?)deutscher Obrigkeitshörigkeit“ geschuldet, sondern hat auch mit der miserablen Vergütung von Lokaljournalisten zu tun.
Es geht halt viel schneller, eine PM einfach zu übernehmen und damit seinen Text zu füllen, als (Telefon-)Interviews etc. zu führen und sich dann ein eigenes Urteil zu bilden, aus dem ein guter Text entsteht.
Seit gestern (31.07.) gibt es einen neuen Artikel zu der Angelegenheit auf insuedthuerungen.de. Die Überschrift lautet:
„Warten auf die Wunschwohnung“. Der erste Absatz:
„Alle bisherigen Hilfsangebote zur Wohnungssuche für die Flüchtlingsfamilie in Oberhof verlaufen im Sande. Die Stadträte fragen sich, warum und was denn nun noch getan werden kann.“
Wie es weitergeht, ist hinter der Paywall, die ich in diesem Fall nicht unbedingt auflösen wollte. Ob die Journalistin mit der Familie gesprochen hat, weiß ich deshalb nicht. Vielleicht mag ja Übermedien einmal nachschauen?
Puh, die arme Familie, in einen Container am Waldrand gesteckt und dann auch noch an allem selbst Schuld, und jetzt auch noch auf so einem Präsentierteller.
Tatsächlich nicht gerade eine Sternstunde des Journalismus.
Vielen Dank für diesen Artikel! Diese Fixierung auf staatliche Stellen, denen „besonderes Vertrauen“ entgegen gebracht werden kann sowie die Selbstverständlichkeit, mit denen die Standpunkte marginalisierter Menschen ignoriert werden, sagen schon viel aus über die Missstände in vielen Medien. Ich glaube nicht, dass viele Lokalzeitungen auf die Idee kommen würden, bei kontroversen Themen, bei denen es einen Konflikt zwischen der Gemeinde und Teilen der Bevölkerung gibt, ausschließlich die Gemeinde zu Wort kommen zu lassen. Bei Geflüchteten scheint das aber ok zu sein. Die werden aber wahrscheinlich keine wütenden Leserbriefe schreiben oder in der Redaktion auftauchen um sich zu beschweren. Hier werden eindeutig Machtstrukturen verfestigt in Bezug auf die Frage, wessen Meinung im öffentlichen Diskurs gehört wird.
Kürzlich habe ich mich beim Presserat über einen Artikel der Heilbonner Stimme beschwert – es ging auch um Geflüchtete – in dem neben „besorgten Anwohner*innen“ nur Politiker*innen und Behörden zu Wort kamen, teilweise mit eindeutig rassistischen Aussagen, die ohne Kommentar oder Einordnung wiedergegeben wurden. Aufschlussreich war, dass der Verlag dies damit rechtfertigte, dass ihnen die Pressefreiheit das Recht geben würde, selbst zu entscheiden, mit wem sie sprechen und mit wem nicht. „Es bestehe keinerlei Verpflichtung, immer dann, wenn sich die öffentliche Hand zu einer Frage äußere, zugleich auch die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen.“
Das hat der Presserat aber zum Glück anders gesehen und eine Missbilligung ausgesprochen.
Herzlichen Dank für diesen erhellenden Beitrag. Als in TH beheimateter freier Journalist kann ich Ihnen sagen, dass die unkritische Übernahme von Behörden-Verlautbarungen hier inzwischen nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel ist.
Das ist nicht nur „typisch (ost?)deutscher Obrigkeitshörigkeit“ geschuldet, sondern hat auch mit der miserablen Vergütung von Lokaljournalisten zu tun.
Es geht halt viel schneller, eine PM einfach zu übernehmen und damit seinen Text zu füllen, als (Telefon-)Interviews etc. zu führen und sich dann ein eigenes Urteil zu bilden, aus dem ein guter Text entsteht.
Seit gestern (31.07.) gibt es einen neuen Artikel zu der Angelegenheit auf insuedthuerungen.de. Die Überschrift lautet:
„Warten auf die Wunschwohnung“. Der erste Absatz:
„Alle bisherigen Hilfsangebote zur Wohnungssuche für die Flüchtlingsfamilie in Oberhof verlaufen im Sande. Die Stadträte fragen sich, warum und was denn nun noch getan werden kann.“
Wie es weitergeht, ist hinter der Paywall, die ich in diesem Fall nicht unbedingt auflösen wollte. Ob die Journalistin mit der Familie gesprochen hat, weiß ich deshalb nicht. Vielleicht mag ja Übermedien einmal nachschauen?