Zwischen „Hardthöhe“ und „Langer Eugen“

Bonn.

Dagmar Berghoff moderiert die Tagesschau: "Letzte Sitzung in Bonn"
Dagmar Berghoff moderiert Bonn ab Screenshot: „Tagesschau“

Heute vor 25 Jahren tagte der Bundestag zum letzten Mal in Bonn. Mit einer Aussprache zum Thema „50 Jahre Demokratie – Dank an Bonn“ und dem damals schon ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl als Hauptredner endete spätestens damit die „Bonner Republik“. Unser Autor Lukas Heinser, Jahrgang 1983, hat ganz eigene Erinnerungen an diese Zeit.


Neulich las ich in irgendeinem amerikanischen Medium mal wieder die Bezeichnung „The Hill“, die sich vordergründig auf jenen Hügel in Washington, D.C. bezieht, auf dem das Capitol steht, aber das ganze politische Washington meint. Irgendwie poetisch, dachte ich, einen Ort, der für trockene Anhörungen, Lobbyismus und Intrigen steht, so zu bezeichnen wie eine grasbedeckte Anhöhe in „Der Herr der Ringe“. In Großbritannien konzentriert sich das politische Geschehen auf Westminster, jenen Londoner Stadtteil, in dem das Parlament, die meisten Ministerien und die berühmte Downing Street liegen, in deren Hausnummer 10 der Premierminister arbeitet und wohnt. Das klingt wenigstens nach „Harry Potter“. Und in Deutschland? „Regierungsviertel“.

Wie jedes Mal, wenn in diesen popkulturell gewichtigen Ländern etwas Cooles passiert (Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympischen Spiele 2012 in London, Massenselfies bei der Oscar-Verleihung, Superbowl-Halbzeit-Show, Wahlkampftermine mit Julia Roberts und George Clooney), ziehe ich unfaire Vergleiche zu Deutschland: Til-Schweiger-Komödien, Mark Forster, Susanne Daubner liest das „Jugendwort des Jahres“ vor. Man könnte auch sagen: Ich rechne in D-Mark um.

(Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die USA und Großbritannien haben ihre ganz eigenen Probleme, aktuell und seit Jahrhunderten. Ich sehe diese Länder heute deutlich differenzierter als im Alter von zwölf Jahren im Englischunterricht. Und die deutsche Geschichte ist ja eh eine ganz eigene Kategorie von „problematisch“.)

Ich kann heute ungefähr alles an amerikanischer und britischer Popkultur über das Internet konsumieren (und muss nicht auf den Holland-Urlaub warten, weil es im Ferienhaus MTV Europe und CNBC gab, wo abends die „Tonight Show“ mit Jay Leno zu sehen war) und wenn das deutsche Publikum gerne „Markus Lanz“ und „ZDF Magazin Royale“ sehen will: Viel Spaß!

Nur: Es gab ja mal eine Zeit, da war das politische Deutschland nicht so eigenschaftslos wie das Berliner Regierungsviertel, sondern so sagenhaft uncool und öde, dass es dadurch – zumindest in der Rückschau – schon wieder interessant wird. Und mit 40 bin ich gerade alt genug, mich daran zu erinnern.

Natürlicher Nachrichtentrenner

Blick auf Bonn
Das Bonner Regierungsviertel mit dem Bundeskanzleramt und dem „Langen Eugen“ 1987 Foto: Imago / Sven Simon

„Bonn.“ Dieser wunderbar dumpfe, einsilbige Ortsname fungierte in den Radionachrichten als natürlicher Trenner (also das Geräusch, das zwischen zwei Meldungen kommt). Wenn er erklang, wusste man als Kind: Jetzt wird’s langweilig. Die Stadt am Rhein – das muss man vielleicht noch mal erklären, weil inzwischen eine ganze Generation groß geworden ist und auch viele Ältere es schlichtweg vergessen haben werden – war nämlich einmal Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland (wenn auch, wie ich gerade erst bei der Recherche gelernt habe, deutlich kürzer, als ich gedacht hätte: Offiziell war Bonn nämlich nur von 1973 bis 1990 Bundeshauptstadt, davor wurde die Stadt nur als „Regierungssitz“ bezeichnet), und Meldungen, die mit „Bonn“ begannen, gingen meistens so weiter: „Bundesaußenminister Genscher ist erneut zu Gesprächen mit seinem sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse zusammengetroffen.“

In Bonn, jedenfalls, trugen die demokratisch bedeutsamen Orte Namen wie in einem etwas abseitigen Fantasy-Brettspiel, für das man mehrere 18-seitige Würfel braucht: „Wasserwerk“, „Hardthöhe“, „Villa Hammerschmidt“.

Das Wasserwerk diente von 1986 bis 1993 als Plenarsaal des Deutschen Bundestags; die Hardthöhe ist ein Bonner Stadtteil, dessen gesamte Fläche mit einer Bundeswehrkaserne und dem Bundesministerium der Verteidigung bebaut ist (das dort heute übrigens immer noch seinen ersten Dienstsitz hat); und die Villa Hammerschmidt war Dienst- und Wohnsitz des Bundespräsidenten.

Allein die Gegenüberstellung des großbürgerlichen Wortes „Villa“ mit etwas so grobschlächtigem wie einem Hammer lädt doch zu ausschweifenden Spaziergängen durch die deutsche Volksseele ein (auch wenn „Hammerschmidt“ lediglich der Nachname einer vormaligen Besitzerfamilie ist). Ganz anders das Palais Schaumburg: Hier assoziiert man direkt Badewannen voll Champagner, Hummer-Crèmesüppchen und sanfte Wellen im Mittelmeer. War aber nur das erste Bundeskanzleramt, direkt um die Ecke (und der Name einer NDW-Band, deren Hits heute nur noch wahren Connoisseuren bekannt sind).

Die Hardthöhe aber – und so kam ich drauf – fungierte tatsächlich als Synonym für das Verteidigungsministerium: Wenn dieser Begriff in Nachrichten- oder Magazinsendungen auftauchte, dann gerne ohne weitere Erklärung. Natürlich taugte der Name auch für pubertäre Scherze – zumal bei einer Stadt, deren lange Zeit höchstes Gebäude, ein Hochhaus mit Abgeordnetenbüros, „Langer Eugen“ genannt wurde.

Vor dem Bundeskanzleramt wird ein Roter Teppich ausgerollt
Vor dem Bundeskanzleramt wird ein Roter Teppich ausgerollt Foto: Imago

Ende der Niedlichkeiten

Sogar die Kanzler trugen in Bonn schepperndere Namen – wenn auch zugegebenermaßen lange vor meiner Zeit: Adenauer, Erhardt, Kiesinger. In Berlin heißen sie ganz banal Schröder oder Scholz. (Zwischenruf: „Aber Schmidt!“ – „Schmidt ist natürlich auch ein Durchschnittsname, aber er klingt doch wie ein Floretthieb ins Schienbein, wohingegen Scholz klingt wie streichzarte Margarine, die drei Stunden in der Mittagssonne gestanden hat.“ – „Stimmt!“)

Niedlichkeiten wie den „Langen Eugen“ gibt es heute in Berlin nicht mehr: Das Gebäude, in dem der Deutsche Bundestag tagt, wird ohne zu zögern als „Reichstag“ bezeichnet. Fremdenführer*innen werden zwar nicht müde zu erzählen, der sprichwörtliche Berliner Volksmund nenne das Kanzleramt am Spreebogen „Waschmaschine“, aber das kann eigentlich nur ein groß angelegtes soziales Experiment sein, um Tourist*innen zu markieren. Wenn jemand in einer Schultheiss-Eckkneipe „Waschmaschine“ oder „Telespargel“ (angeblich der Spitzname für den Fernsehturm am Alexanderplatz) sagt, wissen die Einheimischen: Jetzt sindse da. Echte Berliner reden ja gar nicht. Die meckern höchstens.

Korrektur, 15:00 Uhr. Wir hatten geschrieben, dass Bonn seit 1970 Bundeshauptstadt gewesen sei. Es war 1973.

8 Kommentare

  1. Also, „Schloss Bellevue“ klingt doch auch ganz hübsch. Und in Berlin-Dahlem hat der Präsi einen Dienstwohnsitz, der auf den Namen „Villa Wurmbach“ hört. Das lässt nichts zu Wünschen übrig.

  2. Meine Güte, Lukas, ich muss mir gleich wieder ein festes Lesezeichen für den Blog setzen :)

  3. Bei dem „Bonn“ als Nachrichtentrenner habe ich sofort wieder die Stimme von Dagmar Berghoff im Kopf.

  4. @Chris (#2):

    Monkiger Hinweis Nr. 2: Bonn war von 1973 bis 1990 Bundeshauptstadt.

    Dazu eine nerdige Spekulation: 1973 wurden BRD und DDR kurz nacheinander in die Vereinten Nationen aufgenommen – die Teilung war damit gewissermaßen international ratifiziert. Ohne nachgelesen zu haben, vermute ich, das war der Anlass, Bonn vom provisorischen Regierungssitz zur Hauptstadt zu erklären. Die Frankfurter werden sich ins Knie gebissen haben. :-)

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