Holger ruft an (159)

Dürfen Medien Leute, die Nazi-Parolen singen, an den Pranger stellen?

"Bild"-Schlagzeile: Nazi-Skandal! Das sind die Sylt-Schnösel
Screenshot: Bild.de / Verpixelung: Übermedien

Seit einer Woche herrscht große öffentliche Empörung über ein Video aus einem Sylter Club – es ist inzwischen weltweit bekannt: Eine Gruppe junger Menschen skandiert zu dem Pop-Song „L’amour toujours“ die Nazi-Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Ein Mann deutet dabei einen Hitlergruß an und imitiert mit zwei Fingern über der Lippe einen Hitlerbart.

Das Video tauchte zunächst bei Twitter auf, wenig später war es überall, meistens unverpixelt. Beim WDR etwa waren die Gesichter der Personen zu erkennen, auch „Bild“ zeigte die „Sylt-Schnösel“ oder „Nazi-Schnösel“, wie sie sie nannte, immer wieder. Dutzende Meldungen veröffentlichte das Blatt zu dem Vorfall in dieser Woche. Und machte noch mehr über die Leute publik: ihre Vornamen und Arbeitgeber etwa – und andere private Details.

Ist das in Ordnung? Dürfen Medien Menschen, die so eine Parole öffentlich skandieren, dann auch öffentlich vorführen? Wo verlaufen die Grenzen? Und können die Betroffenen womöglich Persönlichkeitsrechte geltend machen, also juristisch gegen Medien vorgehen?

Der Frankfurter Presserechtsanwalt Felix Damm hält viele der Veröffentlichungen über den Fall für „gravierend rechtsverletzend“. Im Übermedien-Podcast sagt er:

„Wir haben hier eine Berichterstattung, die aus meiner Sicht offenkundig darum bemüht ist, die Betroffenen an den Pranger zu stellen.“

Hinzu komme, dass kein Zweifel daran gelassen werde, dass die erhobenen Vorwürfe ausgemachte Sache seien. Dass man sehe, dass im Video gesungen wird, rechtfertige nicht „die Frage, ob das Singen dieser Parole Volksverhetzung ist, ob andere Straftatbestände im Raum stehen”. Die „Bild“-Zeitung aber lasse zum Beispiel überhaupt keinen Zweifel daran, dass hier auch strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege.

Damm hält es für „total abwegig“, dass Ermittlungen das bestätigen würden, zumindest, was das Singen der Parole angeht. Klar ist für ihn: die „Entgleisungen“ der Sylter Partygäste seien von „hoher gesellschaftlicher Relevanz“. Aber für die Berichterstattung sei es „unerheblich, wie die Betroffenen aussehen, was sie studieren, woher sie kommen“. Die personenbezogene Berichterstattung von „Bild“ verhindere sogar, dass über die eigentlichen Probleme geschrieben werde: über Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.

Die neue Folge „Holger ruft an…“ hören Sie hier:


(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)

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18 Kommentare

  1. Ob es presserechtlich okay ist, mögen Gerichte + Gesetzgebende klären.
    Rein moralisch werde ich nie ein Problem darin sehen, dass Leute an den öffentlichen Pranger gestellt werden, wenn sie öffentlich Naziparolen von sich geben.

  2. @ SvenR: Ich bin durchaus ein Menschenfreund. Nazis sind keine Menschenfreunde. Und „when they go low, we go high“ ist leider exakt die falsche Taktik im Umgang mit Leuten, die überhaupt keinen Wert in ‚high‘ sehen. Mehr dazu hier: https://youtu.be/MAbab8aP4_A

  3. Kann mich der Einschätzung von endolexis nur anschließen. Auch die Videoempfehlung ist nur zu passend.

    Die strikte Befolgung von Regeln und Prozessen ohne Blick auf deren Ziele/Folgen ist nicht gut (=wirksam, wenn es darum geht eine freie Gesellschaft zu erhalten) und gibt es auch aktuell gar nicht. Beispiel: Verbot von Demonstrationen bzw. Repression ist abhängig vom Thema möglich (selbst wenn diese im Nachinein als rechtswidrig festgestellt wird).

  4. Sehr schön herausgearbeitet und ausdifferenziert im Interview.

    Öffentliche Pranger, die manche Diskutant:innen hier befürworten, lehne ich rundherum ab. Sie sind weder im Diskurs zum Alttagsrassismus hilfreich, noch einem demokratischen Rechtsstaat und einer offenen Gesellschaft würdig. Zudem bedienen Pranger letztendlich nur niedere Instinkte der Voyeure.

  5. @ endolexis #1: Nazis sind in Ihrem Weltbild keine Menschen? Die dummen jungen wohlhabenden fristlos gekündigten Sylt-Pony-Party-People sind auch (noch?) keine Menschen? Sie haben in Ihrem Leben noch nie etwas dummes gemacht und dass dann aufrichtig bereut?

    Und »when they go low, we go high« ist keine Taktik, dass ist eine Haltung.

    Öffentliche Pranger nützen nur den Populisten, den Nazis, den Feinden der Demokratie. Oder der Zeitung mit den vier Buchstaben.

  6. @SvenR Bitte aufmerksam lesen. Ich schrieb, Nazis sind keine Menschen*freunde*.

    Und das Stichwort hier ist *öffentlich*. Jemand, der sich öffentlich so aufführt, kann auch öffentlich dafür belangt werden, und etwas wird nicht falsch dadurch, dass es ein Drecksblatt aus ganz eigenen Motiven macht. Reue und Einsicht kann dann übrigens auch öffentlich geäußert werden.

    Und: die beste Haltung nützt nichts, bei Leuten für die eine menschenfreundliche Haltung kein Wert ist. Wenn die Regeln einseitig und permanent gebrochen werden, ist das persönliche Beharren und die daraus folgende selbst auferlegte Hilflosigkeit ein gesellschaftlicher, passiver Selbstmord.

    Wer aber unbedingt auf Prinzipien beharren will, die von Menschenfeinden grundsätzlich nicht geteilt werden, wer also lieber riskieren möchte, mit dem größtmöglichem Gefühl von persönlicher Würde aus der Gesellschaft gedrängt und im Endeffekt aus ihr entfernt zu werden, der soll das tun.

    Ich halte eben mehr davon, dieses Gedankengut mit allen Mitteln zu bekämpfen und denjenigen, die es äußern – solange sie es äußern – in jeder Hinsicht das Leben in einer demokratischen Gesellschaft schwer zu machen, statt das Fenster des Sagbaren durch Nichtstun immer weiter zu öffnen.
    Und nein, das ist nicht die ganze Lösung und kann es auch nicht sein. Da ist viel mehr Arbeit an anderen Stellen nötig, und die wird tagtäglich gemacht. Aber um die zu ermöglichen und zu schützen, ist die folgenbehaftete gesellschaftliche Ächtung des Nichtsagbaren eine wichtige Mauer. Mag Leute geben, die meinen, man müsse mit Nazis verständnis- und rücksichtsvoll umgehen. Sehe ich eben nicht so, da halte ich es ganz mit Wiglaf Drostes Text aus den 90ern, „Mit Nazis reden“ (gern mal lesen falls noch nicht bekannt). Niemand muss Nazi sein, man kann jederzeit damit aufhören. Öffentlich und privat.

  7. @endolexis: nur weil hier einige gegen (öffentliche) Pranger sind, heißt das noch lange nicht, dass sie gegenüber Nazis nachsichtig sind. Binäre bzw. polarisierende Denk- und Sichtweisen halte ich halt für nicht zielführend.

  8. Erschreckend, wie offen hier ausgesprochen wird, dass Rassismus im Polo-Hemd anders zu bewerten ist als Rassismus in Springerstiefeln…

  9. @ endolexis #7: Ich habe Sie gefragt, wo bei Ihnen die Menschenfreundlichkeit startet. Bitte aufmerksam lesen.

    Sie ziehen Schlüsse, die keine sind.

    Ich bin nicht hilflos, ich mache nicht nichts.

    Ich weiß aber, dass die öffentliche Bekanntgabe der Namen, Wohnorte, Alter, vermeintlichen Einkommensverhältnisse und welche Firmen die Sylt-Pony-Party-People mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht rechtskräftig fristlos gekündigt haben weder notwendig, noch geboten ist, um das gesagte zu ächten oder zu ahnden.

    @ Anja #9: Wer spricht das bitte wo offen aus, „dass Rassismus im Polo-Hemd anders zu bewerten ist als Rassismus in Springerstiefeln“? Öffentliche Pranger sind unabhängig vom Einkommen, sozialem Status, Geschlecht, sexueller Orientierung, religiösem oder politischem Bekenntnis, Oberbekleidung oder Schuhwerk immer kontraproduktiv.

  10. @SvenR: Naja. Ich zitiere Sie mal wörtlich, was Sie auf meinen Satz „Ich bin durchaus ein Menschenfreund. Nazis sind keine Menschenfreunde.“ geschrieben haben:
    „Nazis sind in Ihrem Weltbild keine Menschen? Die dummen jungen wohlhabenden fristlos gekündigten Sylt-Pony-Party-People sind auch (noch?) keine Menschen?“
    Da steht nichts von irgendeiner Frage, wo meine Menschen*freundlichkeit* anfängt. Sie haben mich gefragt, ob das für mich Menschen sind. Ja, sind sie. Menschenfreunde aber eben ganz offensichtlich nicht.

    Ich bin schlicht anderer Meinung als Sie, was den Umgang mit Nazis angeht. Um da zum Schluss gern noch mal Droste zu bemühen:

    „Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert,
    das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen.“

    Ein öffentlicher Pranger mir ist da eines von vielen Mitteln. Und damit verabschiede ich mich aus dieser Diskussion.

  11. Sehr differenzierter und interessanter Beitrag, Holger. Darum werden Deine Podcasts bei mir auch immer ganz schnell durchgehört.

  12. Da grölt man öffentlich ein bisschen Nazi-Zeugs, präsentiert es stolz auf renommierten Social-Media-Party-Kanälen und jammert danach rum, wenn Karma einem den Ar… aufreißt. Die sollten froh sein, dass es nur Karma war, das zugelangt hat, und nicht eine Handvoll robust werkelnde Sylter Punks. Insofern geht der öffentliche Pranger voll in Ordnung.

    Ich hoffe, die gebeutelten Vokalist:innen können dieses Lerngeschenk verwandeln, fürchte aber, dass genau das nicht eintritt, weil Papis Anwälte den Karriereknick wieder gerade biegen. Aber im Grunde ist mir auch das völlig brause. Von mir aus können sie sich in Luft auflösen.

    Den Droste-Text kannte ich vorher nicht. Jetzt liebe ich ihn. Danke fürs Zitieren.

  13. @ Anja #11: Ich dachte, sie meinten einen Kommentar. Ich hatte das nicht gehört. Ich habe das Gespräch eben nochmals angehört, und so gegen 10:30 sogar zweimal.

    Damm sagt nicht, „dass Rassismus im Polo-Hemd anders zu bewerten ist als Rassismus in Springerstiefeln“, sondern dass es für die Strafbarkeit – die ausschließlich von einem Gericht und weder in Boulevardblättern, sozialen Medien, dem ÖRR noch durch Ihr oder mein „gesunde Volksempfinden“ oder in dieser nach unten offenen Kommentarspalte entschieden wird – eine Rolle spielt. Cathy Hummels und Bernd Höcke.

    Entweder haben Sie nicht richtig zugehört, es nicht richtig verstanden, oder es nicht verstehen wollen. So, wie Sie formulieren, glaube ich an letzteres.

  14. Das ist eine merkwürdige Betrachtung. Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ soll dann keine Volksverhetzung sein, wenn sie nicht mit der Absicht andere zu beeinflussen und nicht von Neonazis in Springerstiefeln geäußert wird. „Normalos“ sollen sich rausreden können mit Erklärungen wie: „Ich bin jung und dumm und hab nur ein Meme nachgesprochen. Ich weiß doch gar nicht, was ich sage.“ Laut dem Interviewten nur eine Meinung, keine Straftat. Aber andersherum wird erst ein Schuh draus: Dass solch vermeintliche „Normalos“ hemmungslos diese Parolen gröhlen, ist die Volksverhetzung. Sie gröhlen das, weil sie andere beeinflussen wollen. Die Nachlässigkeit der Justiz mit solchen rechtsradikalen Parolen ist das eigentliche Problem.

  15. Man nenne mir irgendein Land der Welt. in dem die Parole „MeinLand den Meinigen“ unter Strafe steht. Auch der Wunsch „Ausländer raus“ ist außerhalb Deutschlands erlaubt. Ob diese Parolen vernünftig sind oder moralisch vertretbar, ist eine andere Frage. Nüchtern würden die Gröhler wohl selbst zweifeln, ob ihre Äußerungen gut durchdacht waren. Die Ereignisse in Mannheim zeigen aber, was wirklich gefährlich ist für unsere Gesellschaft. Die tagelange Hysterie über „Sylt“ zeigt, dass die Proportionen in Deutschland stark verrutscht sind. Russland begeht Kriegsverbrechen in der Ukraine, Juden und Araber bekämpfen sich im Nahen Osten , aber der Stern, Erfinder der Hitler-Tagebücher, titelt „Champagner-Nazis“.

  16. @ 17:
    Ist ja auch schwierig.
    „Alles für Deutschland!“ ist eine verbotene SS-Parole, während „Deutschland den Deutschen“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Gerade als Geschichtslehrer kann man da schon mal durcheinander kommen.
    Dass hirnloser Nationalismus nicht verboten ist (auch in anderen Ländern), klar. Die Kritik daran aber auch nicht.

    Klar sind die Proportionen in DE völlig verrutscht. Die Öffentlichkeit debattiert darüber, ob STRG-F Reiche fälschlicherweise als Superreiche bezeichnet hat (schlimm!), während von rechts das Wort „Remigration“ als Euphemismus für Deportationen etabliert wird („Die lügen halt die Rechten, weiß man doch …“).

    Die deutsche Presse hat nach wie vor einen Rechtsdrall, was auch belegt ist: https://www.volksverpetzer.de/analyse/medien-draengen-uns-nach-rechts/

    Die Opferrolle der „Sylt-Hysterie“ ist hilarious!
    Gerne mehr Satire!

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