Funke-Mediengruppe unterliegt vor Gericht

Wer von „Fake News“ lebt, kann seine Chefredakteurin nicht wegen „Fake News“ feuern

Gut ein Jahr ist es jetzt her, dass die Funke-Mediengruppe eine ihrer langjährigen Chefredakteurinnen überraschend auf die Straße setzte. Grund war eine Titelgeschichte, die der Verlag öffentlich „geschmacklos“ und „irreführend“ nannte und Anne Hoffmann deshalb feuerte – nach 14 Jahren an der Spitze von „Die Aktuelle“; 14 Jahre, in denen schon viele geschmacklose, irreführende Geschichten in dem Funke-Klatschblatt erschienen waren.

Wie sich nun herausstellt, hat sich Hoffmann juristisch gegen ihren plötzlichen Rausschmiss gewehrt – mit Erfolg: Ende Februar erklärte das Arbeitsgericht München ihre Kündigung für nicht rechtswirksam.

Das Urteil, das Übermedien vorliegt, verrät einiges über die Arbeitsweise der Klatschpresse, über angebliche Standards bei Funke und den publizistischen Umgang mit dem ehemaligen Rennfahrer Michael Schumacher, um den es in jenem Artikel ging, der zu Hoffmanns Entlassung führte.

Cover der Zeitschrift "Die Aktuelle" mit der großen Überschrift: "Michael Schumacher: Das erste Interview!" und einem Foto von Michael Schumacher
Cover: „Die Aktuelle“, 16/2023

Der Beitrag hatte im April 2023 für Empörung gesorgt. Selbst für „Die Aktuelle“, von der man ein zwielichtiges Verhältnis zur Wahrheit gewohnt ist, war es ein erstaunlich dreister Fall von Irreführung: „Welt-Sensation! Michael Schumacher: Das erste Interview!“, stand auf dem Titel. Und auch im Artikel wirkte es so, als hätte Schumacher wirklich mit dem Blatt gesprochen, so unwahrscheinlich das auch war: Seit seinem Ski-Unfall 2013 ist er nicht mehr öffentlich aufgetreten.

Erst gegen Ende des Artikels stellte sich heraus: Die vermeintlich „erlösenden Antworten“ stammten von einer Künstlichen Intelligenz. Nachdem wir die erfundene Geschichte bei Übermedien kritisiert hatten, berichteten Medien weltweit über die Entgleisung. Der Presserat sprach später eine Rüge aus, wegen eines schweren Verstoßes gegen das Wahrhaftigkeitsgebot.

„Schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung“

Am 21. April 2023, sechs Tage nach Erscheinen des Hefts, hatte Funke mitgeteilt, Hoffmann von ihren Aufgaben als Chefredakteurin mit sofortiger Wirkung zu entbinden. Mitte Mai sprach der Verlag eine außerordentliche Kündigung aus, zwei Wochen später kündigte er „vorsorglich noch einmal ordentlich“. Eine weitere außerordentliche Kündigung erfolgte Mitte Juli.

Wie aus dem Urteil des Arbeitsgerichts hervorgeht, wirft Funke Hoffmann vor, mit dem Schumacher-KI-Artikel gegen journalistische Standards und klare Vorgaben des Verlags verstoßen zu haben. Sie habe eine „schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung“ begangen und Funke damit materiell „erheblich“ und immateriell „besonders schwerwiegend und nachhaltig“ geschadet. Das Vertrauen in Hoffmann sei massiv beschädigt.

Hoffmann verteidigt sich unter anderem damit, dass sie der Geschäftsführung im Frühjahr 2018 ein „Compliance-Konzept“ für „Die Aktuelle“ vorgelegt habe, das auch so angenommen worden sei. Zentral sei dabei für Ihre Tätigkeit „ein stetes Ausloten“ gewesen, was „gerade noch geht“, und zwar in „enger Zusammenarbeit“ mit einer Kanzlei für Presserecht. In Abstimmung mit dem Verlag sei diese Kanzlei „regelmäßig“ eingeschaltet worden.

Auch anlässlich des erfundenen Schumacher-Interviews wendete sich Hoffmann an die Kanzlei. Wenige Tage vor Erscheinen des Hefts schickte sie dem Anwalt Titel und Bericht zur „presserechtlichen Freigabe“. Der Jurist sah keinerlei Probleme. Auch nachdem „Die Aktuelle“ für die Geschichte öffentlich kritisiert wurde, soll der Anwalt noch einmal mitgeteilt haben, dass er „keine schwere Persönlichkeitsverletzung“ erkenne, „der Titel und erst recht der Beitrag mache hinreichend deutlich, dass es kein 1:1-Interview“ gewesen sei.

Hoffmann verließ sich offenbar darauf. Die Compliance-Regeln des Verlags habe sie eingehalten. Danach sei sie lediglich verpflichtet, Artikel juristisch abzuklären, was sie ja gemacht habe. Außerdem habe Funke gewusst, dass bei der Berichterstattung in „Die Aktuelle“ „immer wieder einmal Grenzen überschritten würden“.

Das kann man schwer bestreiten: Allein zwischen 2014 und 2017 soll es „deutlich über 30 rechtliche Auseinandersetzungen“ mit Schumachers Familie gegeben haben – alle nach Berichten in: „Die Aktuelle“.

Im vorliegenden Fall gab Funke schließlich eine Unterlassungserklärung ab, druckte eine Richtigstellung in „Die Aktuelle“, entschuldigte sich öffentlich bei Michael Schumacher und seiner Familie und zahlte ihm ein erhebliches Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro – die bisher höchste bekannte Summe, die Funke Schumacher überweisen musste.

Bitte keine „Fake News“ verbreiten!

Die Schuld für all das sieht Funke bei seiner ehemaligen Chefredakteurin. Vorgaben der Geschäftsführung habe Hoffmann missachtet. Mehrfach sei erklärt worden, „auf unsensible Berichte und so genannte Fake News verzichten zu wollen“. Insbesondere habe das für Schumacher gegolten.

Vor der Veröffentlichung des Schumacher-KI-Titels, sagt Funke, habe sich Hoffmann nicht mit der Geschäftsführung abgestimmt. Dabei habe sie das früher schon bei „weitaus weniger sensiblen Themen“ gemacht. Dass sie lediglich den Anwalt hinzuzog, hält Funke ihr nun vor: Es gehe nicht darum, ob der Beitrag presserechtlich unzulässig gewesen wäre, sondern eben darum, dass Hoffmann gegen Verlagsvorgaben und journalistische Standards verstoßen und sich nicht mit der Geschäftsführung abgestimmt habe.

Hoffmann hingegen sagt, dass sie sich in Sachen Schumacher nie habe mit der Geschäftsführung abstimmen müssen, es habe auch „keine allgemeinen oder spezifischen publizistischen Vorgaben“ gegeben, gegen die sie verstoßen habe. Funke hatte offenbar angegeben, sich 2016 mit Hoffmann über Schumacher verständigt zu haben. Es sei besprochen worden, dass „so nicht mehr“ über Schumacher berichtet werden könne, „nicht zuletzt um weitere Schmerzensgelder und Gegendarstellungen zu vermeiden“.

Hoffmann widerspricht dem. Sie sagt, es habe lediglich 2017 ein Treffen mit der Geschäftsführung gegeben:

„Ziel des Gesprächs sei das Ausloten dessen gewesen, wie man den Erfolg der Zeitschrift unter gewachsenem juristischem Gegenwind weiter garantieren könne.“

Und statt klarer Anweisungen, vorsichtiger mit Schumacher umzugehen, habe es stattdessen Schulterklopfen gegeben: Seit 2020 habe sie „unbeanstandet zahlreiche Artikel“ über ihn veröffentlicht, und sie sei in den Jahren zuvor für solche Artikel mehrfach gelobt und zu einer weiteren Berichterstattung ermutigt worden.

Jetzt ist der Ton ein anderer: Hoffmann sei es gerade darauf angekommen, erklärt Funke vor Gericht, „durch geschickte Formulierungen und die grafische Gestaltung von Titelseite und Beitrag den falschen Eindruck zu erwecken“, Schumacher hätte tatsächlich ein Interview gegeben; mit dem Leid der Familie Schumacher habe in „denkbar unsensibler und geschmackloser Weise Auflage gemacht werden sollen“.

Ironischerweise wirft der Verlag damit Hoffmann persönlich vor, wie Klatschblätter, auch jene aus der Funke-Mediengruppe, seit vielen Jahren arbeiten. Sie täuschen und lügen ohne jede Sensibilität auf Kosten Dritter, um damit Geld zu verdienen. Es ist, kurz gesagt: das Geschäftsmodell.

Vier Cover der Zeitschrift "Echo der Frau" aus der Funke-Mediengruppe, jeweils mit großem Bild von Al Bano und Romina Power
Viermal die Unwahrheit: „Echo der Frau“ Cover: Echo der Frau

Über Schumacher sind schon viele unsensible, geschmacklose, irreführende Geschichten in „Die Aktuelle“ erschienen. Und nicht nur dort. Und nicht nur über Michael Schumacher. Auch über viele andere Prominente machen sich Klatschblätter regelmäßig her. Die Funke-Zeitschrift „Echo der Frau“, zum Beispiel, insinuierte über längere Zeit immer wieder und völlig unsensibel, dass die Tochter des ehemaligen italienischen Sänger-Paars Al Bano und Romina Power wieder aufgetaucht sei, weil etwa irgendein Hobby-Detektiv behauptete, sie ausfindig gemacht zu haben. Aber da ist nie etwas dran, auch wenn es auf den Titelseiten so wirkt. Sie verschwand vor rund 30 Jahren und wurde 2014 für tot erklärt.

Dennoch sagt Funke vor Gericht, „publizistische Vorgabe“ des Verlags sei „die wahrheitsgemäße bzw. nicht irreführende und sensible Berichterstattung auch im Umgang mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.“

Zu ihrer Verteidigung bringt Hoffmann weiter vor, dass der Artikel, um den hier gestritten wird, dem „Erwartungshorizont“ der Leser von „Die Aktuelle“ entspreche. Außerdem zeige der Bericht „die Gefahren auf, die durch den Einsatz der Künstlichen Existenz existierten“. Das ist ein lustiger Versuch der Umdeutung, denn um Gefahren von KI geht es in dem Beitrag wirklich nirgends, das sieht auch das Arbeitsgericht so: Thema des Artikels sei „auf den ersten und zweiten Blick“ die Person Michael Schumacher.

Hoffmann erklärt zudem treuherzig, ihr sei nicht untersagt worden, „die Hilfe Künstlicher Intelligenz für die journalistische Arbeit zu nutzen“. Funke hält dagegen, sie verkenne offensichtlich einen gravierenden Unterschied: KI zur Hilfe zu nehmen, um Artikel überprüfen zu lassen – oder mit ihrer Hilfe Inhalte zu erfinden und nicht einmal deutlich zu kennzeichnen.

Funke sagt dazu vor Gericht:

„Dass eine Chefredakteurin keine Interviews erfinden oder faken dürfe, entspreche den geringsten Anforderungen an eine journalistische Tätigkeit, die insbesondere auch der Klägerin als Chefredakteurin abverlangt werden dürfe.“

Im Oktober 2021 hatte Funke einen neuen Verhaltenskodex aufgelegt, „um eine ethische Berichterstattung zu gewährleisten“, wie es im Urteil heißt. Hoffmann behauptet, dieser gelte gar nicht für die Zeitschriften des Verlags, sondern nur für die Zeitungen. Funke widerspricht dem.

Sowieso findet Hoffmann es eigenartig, nach welchen Maßstäben der Verlag sie, die Klatschblatt-Chefin, gefeuert hat: Eine Kündigung im Boulevardjournalismus auf „die bloße Geltendmachung von Ansprüchen“, „schlecht wahrgenommene Presse“ oder „eine vom Presserat ausgesprochene Rüge“ zu stützen, sei „absurd“.

„Die Grenze dessen überschritten, was ,gerade noch geht'“

Das Arbeitsgericht München urteilte nun Ende Februar, dass die Kündigungen nicht wirksam seien, und zwar alle drei – obwohl das Gericht sehr wohl erhebliche Fehler auf Seiten der ehemaligen Chefredakteurin sieht.

Hoffmann habe „in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen ihres Arbeitgebers (…) verstoßen“ und „in gravierender Weise die Grenze dessen überschritten, was ,gerade noch geht‘“. Das zeige auch die Rüge des Presserats. Dessen Auffassung, dass es sich bei der KI-Geschichte um eine „schwere Irreführung der Leserschaft“ handele, schließt sich das Gericht umfassend an. Wie Artikel darüber in der nationalen und internationalen Presse „eindrucksvoll“ zeigten, sei dem Verlag ein „massiver Reputationsschaden“ entstanden.

Hoffmann habe als Chefredakteurin in der Verantwortung gestanden, findet die Kammer. Auch dass sie sich mit einem Anwalt abgestimmt habe, ändere daran nichts. Zumal das Gericht, angesichts der Mail-Korrespondenz zwischen Hoffmann und dem Anwalt, dessen Prüfung als „sehr oberflächlich“ und „unseriös anmutend“ bezeichnet. Diese „Abstimmung“, wie das Gericht in Anführungszeichen schreibt, diene „wohl eher als Feigenblatt“.

Trotz allem hält das Gericht eine außerordentliche Kündigung Hoffmanns für eine „unverhältnismäßige Reaktion“, es sei nicht „das Mittel der ersten Wahl“, um Pflichtverletzungen in der Zukunft auszuschließen. Unter anderem aufgrund ihrer „dokumentierten Erfolge“ und weil Hoffmann schon lange im Verlag tätig ist, hätte Funke prüfen müssen, ob nicht auch lediglich ihre Absetzung als Chefredakteurin infrage gekommen wäre. Eine außerordentliche Kündigung scheide aus, wenn es einen schonenderen Weg gebe, etwa eine Abmahnung, eine Versetzung oder eine ordentliche Kündigung.

Auch die hatte Funke ja ausgesprochen. Allerdings fehlte dafür laut Gericht eine vorherige Abmahnung. Zwar könne die bei schwerwiegenden Verstößen entfallen, einen „besonders hohen Grad eines bewussten Zuwiderhandelns“ erkennt das Gericht hier aber nicht, nachdem Hoffmann „als Boulevardjournalistin mit Wissen und Wollen“ des Verlags laufend (auch über Schumacher) „grenzwertige Artikel zur Veröffentlichung freigab“.

Selbst nach dem, was Funke zur Verteidigung vorgetragen hatte, kann das Gericht nicht erkennen, dass es eindeutige Vorgaben zum publizistischen Umgang mit Schumacher gegeben hätte. Bei der Vorgabe aus dem Jahr 2016 oder 2017, es könne „so nicht mehr“ über Schumacher berichtet werden, um weitere Schmerzensgelder und Gegendarstellungen zu vermeiden, sei „völlig unklar“, was das bedeute. Zumal Hoffmann auch danach Artikel über Schumacher veröffentlicht habe, die vom Verlag nicht sanktioniert worden seien.

Durch die langjährige Klatschblatt-Praxis steht ein Verlag wie die Funke-Mediengruppe also durchaus in einer Mitverantwortung:

„Ohne klare, eindeutige Tendenzvorgaben kann ein Verlag im Bereich des Boulevardjournalismus das Risiko eines im Einzelfall über die Ziele hinausschießenden reißerischen Beitrags nicht vollständig auf die Chefredakteurin verlagern, wenn ein solcher Artikel dann einmal zu weit geht.“

Und auch die weitere außerordentliche Kündigung ist nach Ansicht des Gerichts nicht wirksam. Funke hatte diese abermalige Kündigung ausgesprochen, weil der Verlag „nach der Rüge des Presserats offensichtlich meinte, die Pflichtverletzung der Klägerin wegen des noch größeren Reputationsschadens noch negativer beurteilen zu müssen“. In den Augen des Gerichts stelle das aber keinen neuen Kündigungsgrund „an sich“ dar.

Beendet ist der Rechtsstreit damit nicht. Funke hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, die Angelegenheit wird deshalb demnächst vor dem Landesarbeitsgericht verhandelt. Ein Termin steht noch nicht fest. Unklar ist, ob Anne Hoffmann seit dem Urteil wieder für Funke tätig oder weiterhin freigestellt ist. Bereits Mitte März hatten wir den Verlag angefragt, der wollte sich mit Verweis auf das laufende Verfahren dazu aber nicht äußern. Auch Anne Hoffmann war für uns bisher nicht zu erreichen.

6 Kommentare

  1. Das Amtsgericht erklärt eine Kündigung für unwirksam? Das ist nur schwer vorstellbar.

  2. Es ist abstrus, dass sich die Debatte um das hanebüchene Treiben der Regenbogenpresse ausgerechnet anhand eines Artikels entspinnt, der sich ganz entgegen der Gewohnheit der Blätter und ungewohnt ehrlich im Titel selbst schon als Täuschung anpreist.

  3. @ #1
    „Das Amtsgericht erklärt eine Kündigung für unwirksam? Das ist nur schwer vorstellbar.“
    Stimmt.
    Und genau deshalb hat das ja auch das ARBEITSgericht getan … 🙄
    Lesen heißt lösen!

  4. Wenn der Gesamtkontext nicht so traurig wäre, wäre das wirklich lustig. Ich könnte solche eine Job nicht machen, ich würde mich Tag und Nacht schämen.

  5. Danke für diese Berichte. Die Regenbogenpresse ist keine „glamoröse“ Berichterstattung, aber gerade für einige immens betroffene Personen und das Presserecht sehr wichtig.

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