Pandemie, Klimakrise, Krieg, noch ein Krieg – gibt es eigentlich noch irgendwelche guten Nachrichten? Andersrum gefragt: Weshalb sind die Nachrichten immer so voll von negativen Ereignissen? Oder nehmen wir das Schlechte nur besonders deutlich wahr? Nachfrage bei der Kommunikationspsychologin Michaela Maier.
Frau Maier, welche Schlagzeile würde besser geklickt werden: „Kriegsausbruch in der Türkei“ oder „Endlich Frieden in Nahost“?
Grundsätzlich würde Krieg eher geklickt werden als Frieden, weil der Nachrichtenfaktor Negativität schwerer wiegt als Positivität. Allerdings ist es auch so, dass der Mensch ein positives Setup hat und sich am liebsten mit positiven Dingen beschäftigt. Würde man Ihr Gesprächsverhalten über den ganzen Tag hinweg aufzeichnen und auswerten, hätten Sie sehr wahrscheinlich wesentlich mehr positive Sachen gesagt als negative. Und weil der Mensch ein so positives Setup hat, weichen negative Ereignisse davon erstmal ab, sie fallen also auf. In der Evolution hat der Mensch gelernt, dass viele von diesen negativen Ereignissen existenziell bedrohlich sein können: Krieg, Pandemie, Energieknappheit und so weiter. Auf solche Informationsreize reagiert der Mensch stark, es versetzt ihn in Alarmbereitschaft. Deshalb erregt ein negativer Bericht erst einmal eine stärkere Aufmerksamkeit.
Ist das denn immer so?
Es kommt darauf an, welche Nachrichten der Mensch den Tag über schon so rezipiert hat. An vielen Tagen werden das hauptsächlich negative Nachrichten sein. Wenn dann am Ende einer Sendung ein positiver Beitrag kommt oder man die Möglichkeit hat, auf eine positive Überschrift zu klicken, wirkt auf einmal der Nachrichtenfaktor Positivität stärker. Denn dann ist die Positivität die Abweichung von diesem grundsätzlich negativen Tenor. Obwohl die Positivität eigentlich der schwächere Nachrichtenfaktor ist, ist dann unter Umständen der positive Moment der, in dem die Leute sagen: Das ist jetzt abweichend, überraschend, neu, da klicke ich drauf.
Die Gesprächspartnerin
Michaela Maier ist Professorin an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau und forscht als Kommunikationspsychologin unter anderem zu Negativität in den Medien. Vor ihrer Promotion studierte sie Germanistik und Journalistik in Bamberg und South Carolina.
Was sind Nachrichtenfaktoren genau und wer legt sie fest?
Nachrichtenfaktoren sind Kriterien, die für die journalistische Auswahl relevant sind. Zum Beispiel: In welchem Land findet ein Ereignis statt? Sind bekannte Personen beteiligt? Ist es überraschend? Oder eben Positivität und Negativität. Es gibt ungefähr 20 solcher Ereignismerkmale, auf die Menschen reagieren. Und je nachdem, wie viele davon wie stark in einem Ereignis vorkommen, hat das Ereignis einen bestimmten Nachrichtenwert, der sich in der journalistischen Aufmerksamkeit ausdrückt. Also, ob das Ereignis überhaupt von Journalisten aufgegriffen und wie groß oder lang darüber berichtet wird. Vor 20 Jahren schon haben wir Rezipienten befragt, an welche „Tagesschau“-Inhalte sie sich vom vorherigen Tag erinnern können. Die Leute haben die Ereignisse anhand genau der Nachrichtenfaktoren erzählt, die die Journalisten für ihre Auswahl verwendet hatten. Das heißt, das sind wirklich Kriterien für menschliche Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite ist den Redaktionen natürlich auch klar, welche Nachrichtenfaktoren sie bedienen müssen, um ihre Produkte zu verkaufen.
Schlechte Nachrichten klicken auf jeden Fall gut. Nutzen Medienhäuser diesen inneren Trieb der Menschen aus, besonders stark auf Negatives zu reagieren?
Ich weiß nicht, ob ausnutzen das richtige Wort dafür ist. Aber manche – nicht alle – nutzen das natürlich schon strategisch. Medienhäuser unterscheiden sich darin, welche Nachrichtenfaktoren sie besonders stark einsetzen und von welchen sie eher Abstand nehmen. Wenn die Konkurrenz auf dem Medienmarkt stärker wird, dann wird natürlich auch der Druck stärker, Aufmerksamkeit für das eigene Produkt zu generieren.
Die vielleicht wichtigste Frage: Gibt es überhaupt mehr schlechte als gute Nachrichten?
Ja, es gibt Langzeitanalysen aus den USA, die die Berichterstattung jedes Monats zusammengefasst und festgestellt haben, dass in den vergangenen 30 Jahren ungefähr zu 90 Prozent über Negatives berichtet wurde. Aber auch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen, weil es große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Das Missverhältnis zwischen positiv und negativ ist in Deutschland bei weitem nicht so stark wie in den USA. Es ist schon so, dass der überwiegende Teil negativ ist, aber es gibt immer und überall in Medien einen signifikanten Anteil positiver Nachrichten.
Warum haben wir trotzdem das Gefühl, dass es nur schlechte Nachrichten gibt?
Das liegt an der evolutionär geprägten Relevanz des Negativitätsbias. Das bedeutet, dass sowohl in der Berichterstattung die Negativität überwiegt, aber auch, dass negative Nachrichten eine höhere Aufmerksamkeit bei den Leuten triggern und besser verarbeitet werden, weil sie durch diesen höheren Erregungszustand mehr kognitive Ressourcen zur Verfügung haben. Der Inhalt kann so besser verarbeitet werden und die schlechten Nachrichten werden im Nachhinein auch besser erinnert – immer abhängig davon, wie existenziell bedrohlich die negative Nachricht sein kann. Es ist ja total plausibel, dass der Mensch sich das angeeignet hat, mit solchen Informationen mit entsprechender Aufmerksamkeit umzugehen.
Also ist eigentlich die menschliche Psyche schuld daran, dass wir schlechte Nachrichten so stark wahrnehmen?
Gibt es etwas im Fernsehen, Radio, in Zeitungen oder online, bei dem Sie sich immer wieder fragen: Wieso ist das so? Fragen Sie uns, dann fragen wir Leute, die sich damit auskennen! Schreiben Sie uns!
Was machen all die schlechten Nachrichten mit Menschen?
Natürlich deprimieren uns negative Nachrichten, sie informieren uns aber auch über wichtige Dinge auf dieser Welt. Deshalb gucken wir sie uns trotzdem an, wenn wir psychologisch damit umgehen können. Es gibt andererseits auch Leute, die das nicht so gut können oder es nicht wollen. Die wenden sich von Medien ab und konsumieren sie nicht mehr. Ältere Leute, das kann man grundsätzlich sagen, sind weniger tolerant für negative Informationen als jüngere. Je älter man ist, desto eher wird einem die Endlichkeit des Lebens bewusst und man möchte sich eher schönen Ereignissen zuwenden.
Aber sind denn tatsächlich alle negativen Nachrichten existenziell wichtig für uns? Sollten Medien da nicht irgendwo eine Grenze ziehen?
Das ist in einer so globalisierten Welt wirklich schwierig, voneinander abzugrenzen. Bei der Vielzahl von Nachrichten, aus denen Medien jeden Tag auswählen müssen, ist der Nachrichtenfaktor Negativität sehr weit oben. Deshalb bekommen wir eine ganze Bandbreite negativer Informationen aus der großen, globalisierten Welt präsentiert. Das ist auch angemessen. Und es ist normal, dass wir über diese Ereignisse auf der Welt deprimiert sind. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie viel er ertragen kann.
Könnten Medien etwas ändern an diesem Überschuss an Negativität?
Die Gewichtung und Zusammensetzung der Beiträge in der Sendung oder der Zeitung könnte man ändern. Häufig kommen zum Schluss noch mal weiche oder schöne Themen, als Ausklang. Das wird in der Wissenschaft so erklärt, dass die Redaktion ihre Zuschauer natürlich nicht völlig deprimiert entlassen will, weil er oder sie dann unter Umständen keine Lust mehr hat, sich die Sendung wieder anzuschauen. Das System ist also immer so ein bisschen selbstkorrigierend, weil Journalisten die schlechten Nachrichten ja selbst auch ertragen müssen. Dadurch können sie abschätzen, was das mit ihren Zuschauern und Lesern macht. Deshalb sorgen sie dafür, dass immer ein gewisser Anteil an Positivität erhalten bleibt, um allen zu ermöglichen, mit den Nachrichten umzugehen.
Dann eine hoffnungsvolle Frage zum Schluss: Inwiefern kann konstruktiver Journalismus helfen, den Nachrichten nicht nur Negatives zuzuschreiben?
Ich glaube, konstruktiver Journalismus kann die individuelle Überforderung der Rezipienten puffern. Es gibt eine zunehmend größere Population an Menschen, die mit dem Ausmaß an Negativität in den Medien nicht mehr zurechtkommt und nicht resilient genug ist. Denen kann konstruktiver Journalismus eine Brücke bauen, um in der Informationsgesellschaft dabei zu bleiben und ihr Interesse an der Nachrichtenlage weiterhin zu befriedigen. Ich glaube schon, dass es eine nennenswert große Population gibt, denen konstruktiver Journalismus hilft.
Die Autorin
Johanna Bernklau studiert Datenjournalismus in Leipzig und schreibt nebenbei für die Medienkolumne „Das Altpapier“ beim MDR. In den Journalismus hat sie durch ein Volontariat bei der „Passauer Neuen Presse“ gefunden. 2022 und 2023 war sie Mitglied in der Jury des Grimme Online Awards. Für Übermedien betreut sie die Serie „Wieso ist das so?“. Wenn Sie ein Thema haben, dem wir mal nachgehen sollten, dann schreiben Sie Johanna Bernklau eine Mail.
10 Kommentare
Toller Artikel
Ich finde den Artikel etwas schönfärberisch. Wie viel vom gesamten Inhalt der Medien sind schon konstruktiv? Da gibt’s dann doch noch enormen Nachholbedarf.
Einfach eine „Gute-Nachrichten“-Quote einführen. Dann ist das Problem gelöst.
@Mycroft
Wir könnten negative Nachrichten auch einfach als „woke“ framen. Dann hagelte es sicher schnell Verbote.
Danke für das sehr gute Interview.
Konstruktiver Journalismus?
Sehe ich durchaus als eine gute Ergänzung an. Mehr aber auch nicht. Die meiste Zeit möchte ich gar keine Lösung angeboten bekommen, sondern einfach nur gute Berichterstattung. Wenn ich in der F.A.Z. immer lese „was die Ampel/Deutschland/whoever jetzt machen müsse!“ und dann Lösungsvorschläge bekomme, dann bin ich meist raus. Gilt natürlich auch für andere Medien.
Dazu kommen noch eine ganze Menge mehr Herausforderungen beim konstruktiven Journalismus: es gibt meist mehr als eine Lösung, manchmal gibt es auch keine Lösung. Journalismus vereinfacht häufig, fasst zusammen. Das ist für die Berichterstattung durchaus legitim und sinnvoll. Das dient ja der besseren Konsumierbarkeit der Nachrichten. Es gibt aber sehr selten einfache Lösungen für komplexe Probleme. Jetzt wird entweder der Artikel sehr lang oder zu unterkomplex, zu vereinfachend. Mal abgesehen davon, dass ich nicht alles vorgekaut bekommen möchte, sondern auch noch selber denken möchte.
@Frank Gemein:
Noch einfacher wäre es, schlimme Dinge wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Terroranschläge und Kriege einfach zu verbieten, dann passieren die auch nicht, und es gäbe höchstens noch negative Nachrichten über Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche.
@Mycroft:
Na super Idee. Und während man im Verbots-Exzess schwelgt, behauptet mensch einfach, es wären die anderen ( wahlweise die Grünen, die Ampel, die „Linksgrünversifften“, u name it ), die alles verbieten wollten. Springer läßt begleitend ein paar Kampagnen für die „Freiheit, ein fettes Nackensteak für 52 cents zu grillen“ vom Stapel. Fehlen noch ein paar Traktoren und brennende Reifen, für die Freiheit einfach bescheuert sein zu dürfen.
Läuft.
“ während man im Verbots-Exzess schwelgt, behauptet mensch einfach, es wären die anderen ( wahlweise die Grünen, die Ampel, die „Linksgrünversifften“, u name it ), die alles verbieten wollten.“
Fun-Fact: Mord, Totschlag und Planung eines Angriffkrieges sind nicht erst seit der Ampel verboten, wohl auch deshalb fühlen sich die üblichen Verdächtigen nicht „entmündigt“.
Was ich sagen wollte: Es ist nicht die Schuld der Medien, dass es schlechte Nachrichten gibt.
„Bei der Vielzahl von Nachrichten, aus denen Medien jeden Tag auswählen müssen, ist der Nachrichtenfaktor Negativität sehr weit oben. Deshalb bekommen wir eine ganze Bandbreite negativer Informationen aus der großen, globalisierten Welt präsentiert.“
Bei allem Respekt vor Frau Prof. Maier: Ich bezweifle, dass Negativität per se ein Nachrichtenfaktor ist und meine eher, dass Themen, die (großen) News-Wert haben, einfach öfter negativ als positiv konnotiert sind. Einfaches Beispiel: jeder Flugzeugabsturz ist zweifellos eine News, während sichere Landungen selten, weil nur unter ganz bestimmten Umständen berichtenswert sein dürften.
Ein Flugzeugabsturz ist ein gutes Beispiel. Das hat ja die geringste Relevanz überhaupt. Ich lerne nix, ich kann daraus nix ableiten, es erzeugt höchstens Angst und Betroffenheit.
Wem bringt das was? Für mich ist das ein perfektes Beispiel dafür, wie viele Nachrichten nur im Kosmos der Nachrichtenwelt eine Bedeutung haben.
Toller Artikel
Ich finde den Artikel etwas schönfärberisch. Wie viel vom gesamten Inhalt der Medien sind schon konstruktiv? Da gibt’s dann doch noch enormen Nachholbedarf.
Einfach eine „Gute-Nachrichten“-Quote einführen. Dann ist das Problem gelöst.
@Mycroft
Wir könnten negative Nachrichten auch einfach als „woke“ framen. Dann hagelte es sicher schnell Verbote.
Danke für das sehr gute Interview.
Konstruktiver Journalismus?
Sehe ich durchaus als eine gute Ergänzung an. Mehr aber auch nicht. Die meiste Zeit möchte ich gar keine Lösung angeboten bekommen, sondern einfach nur gute Berichterstattung. Wenn ich in der F.A.Z. immer lese „was die Ampel/Deutschland/whoever jetzt machen müsse!“ und dann Lösungsvorschläge bekomme, dann bin ich meist raus. Gilt natürlich auch für andere Medien.
Dazu kommen noch eine ganze Menge mehr Herausforderungen beim konstruktiven Journalismus: es gibt meist mehr als eine Lösung, manchmal gibt es auch keine Lösung. Journalismus vereinfacht häufig, fasst zusammen. Das ist für die Berichterstattung durchaus legitim und sinnvoll. Das dient ja der besseren Konsumierbarkeit der Nachrichten. Es gibt aber sehr selten einfache Lösungen für komplexe Probleme. Jetzt wird entweder der Artikel sehr lang oder zu unterkomplex, zu vereinfachend. Mal abgesehen davon, dass ich nicht alles vorgekaut bekommen möchte, sondern auch noch selber denken möchte.
@Frank Gemein:
Noch einfacher wäre es, schlimme Dinge wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Terroranschläge und Kriege einfach zu verbieten, dann passieren die auch nicht, und es gäbe höchstens noch negative Nachrichten über Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche.
@Mycroft:
Na super Idee. Und während man im Verbots-Exzess schwelgt, behauptet mensch einfach, es wären die anderen ( wahlweise die Grünen, die Ampel, die „Linksgrünversifften“, u name it ), die alles verbieten wollten. Springer läßt begleitend ein paar Kampagnen für die „Freiheit, ein fettes Nackensteak für 52 cents zu grillen“ vom Stapel. Fehlen noch ein paar Traktoren und brennende Reifen, für die Freiheit einfach bescheuert sein zu dürfen.
Läuft.
“ während man im Verbots-Exzess schwelgt, behauptet mensch einfach, es wären die anderen ( wahlweise die Grünen, die Ampel, die „Linksgrünversifften“, u name it ), die alles verbieten wollten.“
Fun-Fact: Mord, Totschlag und Planung eines Angriffkrieges sind nicht erst seit der Ampel verboten, wohl auch deshalb fühlen sich die üblichen Verdächtigen nicht „entmündigt“.
Was ich sagen wollte: Es ist nicht die Schuld der Medien, dass es schlechte Nachrichten gibt.
„Bei der Vielzahl von Nachrichten, aus denen Medien jeden Tag auswählen müssen, ist der Nachrichtenfaktor Negativität sehr weit oben. Deshalb bekommen wir eine ganze Bandbreite negativer Informationen aus der großen, globalisierten Welt präsentiert.“
Bei allem Respekt vor Frau Prof. Maier: Ich bezweifle, dass Negativität per se ein Nachrichtenfaktor ist und meine eher, dass Themen, die (großen) News-Wert haben, einfach öfter negativ als positiv konnotiert sind. Einfaches Beispiel: jeder Flugzeugabsturz ist zweifellos eine News, während sichere Landungen selten, weil nur unter ganz bestimmten Umständen berichtenswert sein dürften.
Ein Flugzeugabsturz ist ein gutes Beispiel. Das hat ja die geringste Relevanz überhaupt. Ich lerne nix, ich kann daraus nix ableiten, es erzeugt höchstens Angst und Betroffenheit.
Wem bringt das was? Für mich ist das ein perfektes Beispiel dafür, wie viele Nachrichten nur im Kosmos der Nachrichtenwelt eine Bedeutung haben.