In dieser Rubrik geben wir Gastautoren die Gelegenheit, über ihr persönliches Hasswort zu schimpfen. Eine Redewendung oder Formulierung, die nervt, sinnlos ist oder gerne falsch eingesetzt wird – die man aber ständig hört oder liest, in Texten, im Radio oder im Fernsehen. Mehr Hasswörter: hier.
Kulturkreis
Wieso, liebe Medienmenschen, taucht eigentlich fortwährend der Begriff des Kulturkreises in Euren Artikeln und Diskussionen auf? Nicht genug, dass offensichtlich wenig informierte Talkshow-Gäste dieses Wort verwenden, auch Medien selbst benutzen es immer wieder – und das ist schlecht.
Der Begriff geht auf die Kulturkreislehre von Leo Frobenius zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Später wurde der Begriff Kulturkreis dann von Fritz Graebner und Pater Wilhelm Schmidt (beides Völkerkundler der Wiener Schule) aufgegriffen. Kulturkreise bezeichnen demnach geographische Gebiete, die durch bestimmte Kulturelemente und deren gemeinsamen Ursprung charakterisiert sind. Kulturkreise können unterschiedlich groß sein, also kleinere soziale Einheiten, Gruppen – oder ganze Gesellschaften.
Abgesehen davon, dass der Begriff auf eine westliche und äußerst gewaltvolle Expansionspolitik im Kolonialismus zurückgeht, liegen ihm rassistische Annahmen über die im jeweiligen Kulturkreis lebenden Menschen zugrunde; sie verschmelzen Biologie und Kulturstereotyp miteinander. In den eroberten Regionen wohnten, so dachten die Forscher damals, relativ friedliche, aber eben unterentwickelte Menschen. Der weiße europäische Mensch war das Maß aller Dinge.
Dieses historische Wissen ist wichtig, um die Bedeutung und den Inhalt des Kulturkreises zu verstehen. Das Konzept geht davon aus, dass Kulturen homogene, abgeschlossene Einheiten sind, vergleichbar mit einem Container. Vor allem aber legt es deckungsgleich Kultur mit Territorium fest: Eine bestimmte Ethnie hat eben an einem bestimmten „natürlichen Ort“ zu leben, was vor Jahrhunderten nicht falsch gewesen sein mag. Im Zeitalter fortgeschrittener Globalisierung aber sind weltweite Mobilität und Migration alltäglich, womit natürlich einher geht, dass sich Kulturen und Lebensformen vermischen.
Ein weiterer Grund, warum der Begriff Kulturkreis nicht mehr verwendet werden sollte: Er gibt Rechten ein quasi-wissenschaftliches Argument, das sie für ihre braune Sache vereinnahmen. Danach gehört ein Syrer dann nicht nach Deutschland, sondern nach Syrien – in seinen Kulturkreis. Als nächstes Argument kann noch das für ihn „natürliche“ Essen erwähnt werden, denn Deutsche essen ja ganz anders. Das hatten wir übrigens alles schon einmal, unter anderem während der Apartheid in Südafrika, wo Schwarze im Gefängnis die für sie ach so „typische“ Maisgrütze essen mussten.
Neuere sozial-, aber auch geisteswissenschaftliche Forschungen haben über die vergangenen Jahrzehnte belastbare Daten vorgelegt, die zu Positionen führten, die diese Naturalisierung von Kultur und die entsprechende Logik dahinter ablehnen. Eine kulturkreistheoretische Sichtweise auf Gesellschaften samt deren Kulturen ist auf dieser Grundlage nicht nur schwierig, sondern unmöglich – oder aber man möchte bewusst reduzieren, simplifizieren und plakatieren. Das kann man natürlich tun, doch wie Carolin Emcke in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels gesagt hat: Gesellschaften sind gemacht aus den Verschiedenheiten und Gegensätzlichkeiten ihrer Mitglieder. Das macht es kompliziert, anstrengend – aber auch lohnenswert!
Wir sind täglich dazu aufgefordert, uns neu zu verständigen, uns kennen zu lernen und uns zu begegnen. Nie waren Gesellschaften kulturell homogen oder abgeschlossen, wie der Kulturkreis uns glauben machen möchte. Die empirischen Sozialwissenschaften haben gezeigt, dass alle Gesellschaften auf ihre bestimmte Weise moderne Aspekte hervorgebracht haben, dass es seit Jahrtausenden Kulturtransfer und interkulturelle Kontakte gibt. Dieser immer dagewesene Austausch, der Gesellschaften durch Migration kulturell bereichert hat, kann in keiner Weise durch den Begriff des Kulturkreises gefasst werden. Dieser Begriff reduziert bewusst, er selektiert und hierarchisiert, auch aufgrund seiner rassistischen Entstehungsgeschichte.
Also, Medienmenschen, Politiker_innen und Multiplikatoren: Hört endlich auf damit, diesen falschen Begriff zu benutzen! Er taugt nichts. Wenn es zum Beispiel um den islamischen Kulturkreis geht. Was soll das denn sein? Und vor allem: Wo soll das sein? Schließt dieser islamische Kulturkreis auch die Christen der eventuell gemeinten geographischen Region mit ein? Meint er den Nahen Osten? Dann würden andererseits aber mehr als 240 Millionen Moslems in Südostasien herausfallen. Warum also nicht einfach von den Moslems arabischer Gesellschaften sprechen und den indonesischen Moslems und so weiter. Das ist genauer, und alle wissen, wovon man redet.
Zusammengefasst: Der Begriff „Kulturkreis“ entstammt der Kulturkreislehre Ende des 19. Jahrhunderts. Diese war motiviert durch rassistische Kulturvorstellungen, die die sogenannten westlichen Gesellschaften als Endstufe menschlicher Entwicklung ansah und lokale nicht-europäische Gesellschaften als minderwertig und unterentwickelt abschrieb. Er versteht Kulturen als homogene Gruppen und kann nicht die komplexen kulturellen Vermischungen unserer globalisierten Welt erklären.
Eric Anton Heuser, geboren 1976, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin. Er wurde in Soziologie promoviert, seine Feldforschungen führten ihn nach Südostasien und in die Karibik. Schwerpunkte seiner Arbeit sind unter anderem der Politische Islam, Integrationsforschung und die Emotionsethnologie.
Ich muss zugeben, ich habe „Kulturkreis“ immer als eine Gruppe von Kulturen verstanden, die miteinander mehr Gemeinsamkeiten haben als mit anderen.
Ich habe z.B. nicht dieselbe Kultur wie ein Tscheche, aber wir gehören zum selben Kulturkreis, dem mitteleuropäischen.
Dass es keinen „islamischen“ Kulturkreis geben kann in dem Sinne, dass alle Moslems qua Religion dazu gehören, ist für mich logisch. Bekanntermaßen leben die meisten von ihnen in Indonesien, trotzdem spricht der „Klischeemoslem“ seltenst Bahasa Indonesia.
Dass eine Kultur oder Gruppe von Kulturen von der überwiegenden Religion ihrer Mitglieder geprägt sein kann, und in dem Sinne „islamisch“, „christlich“ oder „buddhistisch“ sein kann, tut dem aber keinen Abbruch; offenbar sind mehr als ein islamischer „Kulturkreis“ möglich.
Abwertender finde ich persönlich den Begriff der „Mentalität“. Und „Naher Osten“ ist natürlich eurozentrisch gedacht. Wenn es Südostasien gibt, dann gibt es eben auch Südwestasien.
Apartheid bitte.
@Foo: Ups. Danke, ist korrigiert!
Super! Ich hatte auch eine ganz andere Vorstellung von „Kulturkreis“. Danke für die fundierte Aufklärung, das „Hasswort“ könnte meinethalben öfter so substantiiert daher kommen. Ein schlimmer Begriff, der ja auch sehr gerne unwidersprochen in Talkshows auftaucht: Das „Volk“.
@4. Maike: Ich finde den „Volks“-Begriff auch schrecklich. Würde mir auch wünschen, dass mit diesem reflektierter umgegangen wird.
Danke schön für die aufklärenden Worte! Ich wusste nicht, dass der Begriff diesen Ursprung hat. Ich hielt es für eine Beschreibung ohne negative Konotation.
‚tschuldigung, aber für mich ist das akademische Wortklauberei. Mit ähnlicher Begründung ließen sich unzählige Wörter zu verba non grata erklären.
»Nicht genug, dass offensichtlich wenig informierte Talkshow-Gäste dieses Wort verwenden […]«
„Wenig informierte Talkshow-Gäste“ meint in diesem Fall offenbar Personen, die sich nicht im Rahmen eines sozial- und kulturanthropologischen Studiums mit der Völkerkunde des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts befasst haben und somit auch gar nicht wissen können, dass dem Begriff „Kulturkreis“ seinerzeit in seiner sehr begrenzten akademischen Definition und Verwendung eine geographische Festlegung zugrunde lag, was im Übrigen dem damaligen Weltbild und de facto auch der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen entsprach, deren Vorstellungen von anderen Kulturen im wesentlichen durch Karl May geprägt waren.
Der Hinweis auf Frobenius und Vertreter der Wiener Schule ist bestenfalls eine etymologische Randnotiz, begründet aber nicht mal ansatzweise einen moralisch gebotenen Verzicht auf den an sich völlig wertfreien Begriff „Kulturkreis“. Komposita mit „Kreis“ im vorliegenden Sinne stehen nach allgemeinem Verständnis für einen in der Regel gerade nicht exakt definierten Wirkungs-, Einfluss- oder Gültigkeitsbereich, eine Szene, Sphäre oder eben auch eine Gruppe, deren Mitglieder eine formale Gemeinsamkeit aufweisen.
Kein Normalsterblicher, der im 21. Jahrhundert das Wort „Kulturkreis“ benutzt, liest oder hört, stellt eine Verbindung zu den verschrobenen, längst als dummes Zeug ad acta gelegten Theorien eines Frobenius oder Graebners her. Zu einem Missbrauch des Wortes bedarf es zwingend eines missbräuchlichen Kontextes. Ein Beispiel liefert der Autor dankenswerterweise gleich mit:
»Danach gehört ein Syrer dann nicht nach Deutschland, sondern nach Syrien – in seinen Kulturkreis.«
Das Problem einer solchen Aussage liegt offensichtlich eben nicht in den verwendeten Begriffen, sondern in der Forderung nach Trennung, also „Reinheit“ der Kulturen, insbesondere der eigenen (natürlich nur solange, wie sie einem selbst als überlegen erscheint). Das Wort Kulturkreis hat dabei überhaupt keine argumentative Funktion und ist beliebig austauschbar: Land, Volk, Heimat oder Kultur (ohne Kreis) – die Aussage bliebe dieselbe, nämlich dass man den Syrer hier nicht will, er also gefälligst wieder dahin gehen soll, wo er herkommt.
Das darf und sollte man kritisieren, aber nicht mit akademischer Spitzfindigkeit, sondern mit inhaltlich substanziellen Argumenten. Sonst können wir Sprache gleich ganz abschaffen, weil sie immer auch für unerwünschte Zwecke ge- und missbraucht werden kann.
Danke!
Liebe Hausherrschaft!
Falls Ihnen mal die Ideen zu neuen Hasswörtern ausgehen sollten, dürfen treue Kunden sich dann welche aussuchen?
@Mycroft: Ja, aber jeder nur ein Hasswort! (Einsendungen bitte per Mail, und wir könnten eine Veröffentlichung natürlich nicht garantieren.)
@Stefan Niggemeier
„aber jeder nur ein Hasswort!“, menno, das ist aber antizyklisch zum Zeitgeist, da muss ich mir meins aber sehr sorgfältig aussuchen.
Was der Rechten das „Volksverräter“ Geschrei, ist der Linken die Sprachpolizei inkl. Rassismus Keule, jeder Meinungsaustausch wird sofort beendet. Aufschrei an Aufschrei in den digitalen Medien, ohne Mehrwert. Selbstzensur und Verbote. Selbst an Uni´s traut man sich kaum noch den Mund aufzumachen. Ich zähle mich selbst zum Mitte-Links-Lager, aber die Sprachpolizei ist die Intellektuelle Stasi innerhalb der gut Bürgerlichen Parallelwelt.
Worte, Symbole können auch neu interpretiert in ihrer Deutung, neu beliehen werden, kultiviert werden. Wollen wir auch alle Musiknoten und Akkordabfolgen verbieten, die jemals ein Komponist verwendet hat der sich dem dritten Reich angebiedert hat? Ähnelt fast der Diskussion „Fußballfans Fahnen runter“ (Grüne zur EM), anstatt die Flagge zum Symbol der Meinungsfreiheit und Demokratie zu machen, überlässt man Sie lieber den Rechten.
@Achim.H: Kleines Missverständnis. Diese Kolumne beendet nicht den Meinungsaustausch. Sie stellt ihn dar und soll ihn anregen.
„Also, Medienmenschen, Politiker_innen und Multiplikatoren: Hört endlich auf damit, diesen falschen Begriff zu benutzen!“
Da ich den Begriff bisher gerade in Abgrenzung zum völkisch-rassistischen Vokabular verwendet habe, meine Frage an den Autor: Welchen Begriff soll man denn stattdessen wählen?
@Achim.H
Nur damit ich es richtig verstehe, wenn ich sage das Negerkuss eine strunzdumme Bezeichnung ist und anmerke das „Kulturkreis“ aus einer rechten Theorieecke kommt und mensch sich doch mal Gedanken über seine verwendete Sprachen machen sollte, ist es das glaeiche als wennn ich auf der Strasse Nazivokabular wie „Volksverräter“ brülle?
@Schnellinger,
Ja, dann biste halt von der Stasi-Meinungspolizei. Wenn Du aber wagst, das anzuzweifeln und sagst, das wär vielleicht ein bisschen unangemessen formuliert, dann biste noch tausendmal mehr von der Stasimeinungspolizei und Schuld an der AfD und Trump und verletzt Achim Hs Meinungsfreiheit. Muss man wissen.
@SCHNELLINGER
Es geht um das richtige Maß zwischen Freiheit und impliziten auferlegten sozialen Verboten. Es geht nicht darum eindeutige rassistische Symbole oder Wörter zu verbieten. Wie weit soll das Maß noch ausdifferenziert werden? Wird man zum Reichsbürger wenn man Königsberger-Klopse und nicht Kaliningrader-Klopse sagt? Teile der Russlanddeutschen könnten sich auch beleidigt fühlen. Wie wäre es die Worte „Gott“, „Glauben“ oder „Ungläubiger“ aufgrund des über Jahrhunderte erzeugten menschlichen Leidens zu sanktionieren? Gibt es eigentlich schon ein Duden in dem alle politisch inkorrekten Worte und Redensarten stehen? Ich persönlich komme teilweise nicht mehr nach.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie gesellschaftliche Diskussionen stattfinden sollen, wenn Teilnehmer mal nicht ein Proseminar in Kulturwissenschaften, sondern eine Berufsschulstunde Werkzeugkunde in Mechatronik belegt haben und nicht über diese sprachlichen Fähigkeiten verfügen?
„Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“ – T. W. Adorno
(Schon öfter zitiert, aber immer noch bzw. mehr denn je aktuell)
@Gero / 16
Ich weiß ja nicht, was Sie mit dem gesuchten Begriff ausdrücken wollen. Aber wenn Sie sich nicht nur vom völkisch-rassistischen Vokabular, sondern auch von der entsprechenden Denkweise abgrenzen wollen, sollten Sie mit „Kulturkreis“ eher nicht operieren. Denn, und das muss man so deutlich sagen: „Kulturkreis“ ist das neue „Rasse“. Es bedeutet: Die Menschheit ist aufgegliedert in miteinander unvereinbare Kulturkreise. Eine Vermischung, etwa durch Einwanderung, darf es nicht geben. Im besten Fall können Kulturkreise friedlich getrennt nebeneinanderher existieren, im schlimmsten findet ein ewiger „Kampf der Kulturen“ statt.
Es geht dabei gar nicht so sehr um die Etymologie des Wortes in der Ethnologie des 19. Jahrhunderts, auch wenn diese durchaus interessant ist. Wesentlich ist aber der Gebrauch heute, und der ist eben wie oben skizziert. Meistens wird das Wort verwendet, um einen unüberwindlichen Gegensatz zwischen dem „islamischen“ und dem „christlich-abendländischen Kulturkreis“ zu behaupten. Rassisten brauchen halt immer solche Gegensätzen, ein „wir gegen die“. Ob das nun klassisch biologisch-rassistisch oder über „Kulturkreise“ oder gar über Religion begründet wird, ist letztlich zweitrangig: Es geht immer darum klarzumachen, dass „die“ – die Moslems, die Araber, die Türken – nicht zu „uns“ passen und das auch nie werden.
Der genaue Zuschnitt der „Kulturkreise“ ist übrigens ebenso variabel wie das schon bei den alten „Rassen“ der Fall war. Je nach Bedarf, also je nachdem welche Gruppen gegeneinander in Stellung gebracht werden sollen, werden die „Kulturkreise“ mal so und mal so zugeschnitten.
Das soll übrigens nicht heißen, dass es keine gesellschaftlichen Unterschiede zwischen, sagen wir, Frankreich und Ägypten gibt. Aber halt nicht so quasi-genetisch für alle Zeit vorgegeben und in die Menschen eingepflanzt, wie uns das die kulturrassisten weismachen wollen.
Die andere Seite dieser Ideologie ist übrigens die Negierung gesellschaftlicher Gegensätze und Entwicklungen innerhalb der „Kulturkreise“, sowohl des eigenen als auch des fremden. Aber auch das ist ja keine neue Erscheinung.
@Achim.H
Vielleicht setzten Sie sich einfach mal inhaltlich mit den vom Autor vorgebrachten Argumenten auseinander, statt nur Hohlphrasen wie „Sprachpolizei“ anzubringen? Oder halten Sie es prinzipiell für verwerflich, sich über Sprachgebrauch und Begriffsverwendung Gedanken zu machen?
@EARENDIL
Sie stellen den Kulturbegriff an sich im ethnologischen Kontext in Frage. Kann man ja machen. Aber bitteschön in akademischen Fachkreisen, wo solche Diskussionen hingehören, und nicht als Grundlage einer Gut-oder-Böse-Kategorisierung von Begriffen der Alltagssprache normaler Menschen. Wenn es um den seinerzeit analog verwendeten Begriff „Kulturareal“ ginge – okay. Aber den benutzt aus guten Gründen ja schon lange keiner mehr.
Im Übrigen fußt Ihre Argumentation auf der Unterstellung, die Unterschiede zwischen Kulturen würden prinzipiell als „gegensätzlich“ im Sinne von unvereinbar betrachtet. Das trifft aber nur auf Rassisten im engeren Sinne zu, womit wir wieder beim Kontext wären.
Im Gegensatz dazu gibt es viele Leute, ich zähle mich dazu, die das friedliche Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen (sic!) als Bereicherung und als der Entwicklung der Menscheit förderlich empfinden.
Und jetzt erklären Sie mir doch bitte, was genau Sie an vorstehendem Satz mit dem Wort Kulturkreis als problematisch betrachten, und wie er statt dessen hätte formuliert sein sollen, um auch Sozial- und Kulturanthropologen zufriedenzustellen.
@Copytexter
Warum unterscheiden Sie denn zwischen „akademischen Fachkreisen“ und „normalen Menschen“? Den Unterschied sehe ich so nicht. Der Sinn von Wissenschaft sollte es doch idealerweise sein, über den eigenen Mikrokosmos hinauszuwirken. Der Autor hat hier doch gut als Vermittler gedient und auch für Menschen, die nicht aus der Anthropologie kommen, verständlich erklärt, warum es kein guter Begriff ist. Das ist doch sinnvolle, konstruktive Kommunikation.
@ MAIKE
»Der Autor hat hier doch […] verständlich erklärt, warum es kein guter Begriff ist.«
Nein, hat er eben nicht, darum geht’s ja. Die Aussage, dass der Begriff Kulturkreis „kein guter“ (also ein schlechter) sei, ist falsch. Er wurde lediglich bis vor 80 Jahren von einigen Ethnologen in sehr begrenztem Rahmen auf eine Weise definiert (vgl. Kulturareal), die rückblickend als überholt gilt. Mit diesem sehr spezifischen, nur wenigen Personen bekannten Fachwissen heute einen moralisch gebotenen Verzicht für die Allgemeinheit aus dem Hut zu zaubern, ist in meinen Augen hanebüchen – und, was noch viel schlimmer ist, kontraproduktiv für das Bemühen um humane Sprachgepflogenheiten.
Sie möchten es wissenschaftlich? Bitte sehr, wie wär’s mit angewandter Linguistik: Wenn ein Begriff für sowohl positive wie auch negative Aussagen benutzt werden kann, was mir im Falle des „Kulturkreises“ als hinlänglich bewiesen erscheint, dann ist dieser Begriff neutral, also nicht per se problematisch, geschweige denn generell abzulehnen.
@Copytexter / 19
Es geht ja eben nicht um die Verwendung in akademisch-ethnologischen, sondern in politisch-rassistischen Kontexten. Dort – im Grundsatzprogramm der CSU, bei der AfD, in der Jungen Freiheit, bei „Islamkritikern“ usw. – wird „Kulturkreis“ und auch „Kulturen“ halt so gebraucht wie dargestellt. Und wenn man deren Weltanschauung nicht teilt, sollte man auch deren Sprachgebrauch nicht übernehmen.
Im Übrigen stelle ich keineswegs den Kulturbegriff an sich in Frage. „Kultur“ wird in weit vielfältigeren Bedeutungen verwendet, keineswegs nur, aber auch in rassistischem Kontext. (Demgegenüber wird „Kulturkreis“ weitaus eingeschränkter verwendet.) Und wie Sie schon sagen, auf den Kontext kommt’s an. Spricht man vom Kultursenator, ist das unproblematisch; spricht man von „islamischer Kultur“ oder gar „islamischem Kulturkreis“, wird damit nicht selten ein rassistisches Weltbild reproduziert.
@Copytexter
Ich finde, sie verkürzen den Inhalt des Artikels. Der Autor beschränkt sich nicht darauf, darzulegen, dass der Begriff „Kulturkreis vor langer Zeit aufgrund von inzwischen überholten Vorstellungen geprägt wurde. Er legt auch dar, warum das bis heute fortwirkt und warum der Begriff – Auch losgelöst von seiner Geschichte nicht mehr funktioniert (weil Kulturen eben nicht in geschlossenen Kreisen existieren).
Aber mal andersherum gedreht: Wofür brauchen Sie den Begriff denn so dringend? Oder überhaupt?
@Copytexter / 21
Wo wurde der Begriff „Kulturkreis“ denn jemals wirklich sinnvoll verwendet? Soweit ich sehe, kann und sollte man auf dieses Wort tatsächlich komplett verzichten.
Weil manche Leute „Kulturkreis“ abwertend verwenden, wird anderen Leuten also gesagt: „Verwendet das Wort nicht mehr, sonst stecken wir Euch in eine rassistische Schublade. Ähhh, Rassistenschublade.“
„Wir“ ist das neue „Kulturkreis“.
Ich habe das Wort bis dato so verstanden, dass verschiedene Kulturen, die nicht identisch sind, aber einander ähneln, damit zusammengefasst werden sollen, um darzustellen, dass nicht alle Asiaten/Afrikaner/Europäer/Leute, die im Pazifik leben die gleiche Kultur haben. Ist also ein Wort, das die Differenz betont.
Ok, wenn das Wort also nicht mehr geht, welches soll man denn dann verwenden?
Wenn niemand eines weiß, schlage ich „Kulturgruppe“ vor.
Es gibt hier ein ganz grundlegendes Problem mit der Rubrik: Alle – Autor eingeschlossen – argumentieren hier „soweit [sie] sehen“. (Und ich möchte mich auch jetzt nicht in die Argumentation einklinken. Wohin sowas auf dieser Plattform gerne abdriftet, hat man ja bei Ali Schwarzer und den verschiedenen Tag Teams gesehen.)
Vielmehr möchte ich anregen, dieser Rubrik eine Einschätzung durch eine neutrale Autorität zur Seite zu stellen. Ich kenne da nicht viele, aber vielleicht könnte man ja die Linguistinnen und Linguisten des Sprachlogs (anschauliches, unverfängliches Beispiel) fragen, ob einer Lust dazu hätte, oder andere. Dann könnte man herausfinden, ob und wieweit die ausgesuchten Begriffe tatsächlich dominant so benutzt werden, wie es dargestellt wird. Fact Checking direkt auf der medienkritischen Seite wäre doch ein schönes Qualitätsmerkmal.
@EARENDIL
Die Rechten benutzen Wort XY – Wir streichen es aus unseren Vokabular. Die Rechten sprechen Thema XY an – Wir streichen dieses Thema von der Agenda, bei geringsten Verdacht die Meinungspolizei wird es wieder ummünzen.
Das ist für mich keine Haltung, das ist katzbuckeln. Gibt es für Sprache Sippenhaft? Wie wäre es mit dem Versuch der sprachlichen Resozialisierung, allen voran Intellektuelle die Angebote machen Dinge „richtig“ zu deuten, ihn innovieren – ohne paternalistische Haltung und Verboten. Wenn die Menschen den Begriff des Kulturkreises nutzen wollen, um auf soziokulturelle und strukturelle Eigenschaften hinzuweisen und die rechten diesen mit monolitisch und völkischen Denken verbinden. Dann muss man dagegen halten und die Menschen über eine modernes Verständnis aufklären oder eine alternative Geben. Es geht um die Interpretation und Denke dahinter nicht das Wort.
Welchen Sinn machen denn noch interkulturelle Studien, wenn die untersuchten und beschriebenen Phänomene keine Worthülse erhalten? Nennen wir es differenzierte Kultur Cluster?
Übertrage den Grundgedanken doch mal auf den Bereich der Architektur? Wir alle wissen wozu die Autobahn gedacht war und genutzt wurde. Wird Sie heutzutage noch so konnotiert, oder hat nicht schon lange eine Neudeutung stattgefunden? Sollten wir sie, wenn wir das gleiche Maß ansetzen, nicht abreißen?
@AchimH
Ein paar Autobahnen abreißen wäre vielleicht aus anderen Gründen nicht schlecht. Aber ich finde „Autobahnen“ und „Kulturkeis“ ist ein Vergleich, der auf mehreren Ebenen hinkt. Ich glaube eigentlich, dass das nicht erklärt werden muss. Mich würde immer noch (ernsthaft, nicht polemisch) interessieren, wofür der Begriff denn notwendig ist, gibt es ein Beispiel?
@ MAIKE & EARENDIL
Ich erkenne da einen Paradigmenwechsel bei der Argumentation: Jetzt soll ICH belegen, dass das zum Verzicht empfohlene Wort unverzichtbar ist. So nach dem Motto: Okay, unsere Argumentation ist zwar dünn, aber hey – auf ein Wort mehr oder weniger kommt’s doch nun wirklich nicht an, oder? (Nebenbei erinnert es übrigens auch an das bekannte „Hier meine Behauptung, beweise das Gegenteil!“)
Und wenn wir schon dabei sind, dann streichen wir doch konsequenterweise auch gleich Wörter wie Volk, Heimat, Land, Ethnie, Herkunft, Region, Minderheit, Ehre, Kultur, Werte, Religion etc. pp. aus unserem Wortschatz. Es sind schließlich alles Begriffe, die regelmäßig zur Abgrenzung von Menschen und Anschauungen verwendet werden und entsprechend häufig in Statements von Rechtspopulisten vorkommen.
Aber Sie haben sich aus unerfindlichen Gründen nun mal auf den Kulturkreis als Unwort versteift, das es auszumerzen gilt. Bitte sehr. Ich arbeite lieber daran, den Rechtspopulismus auszumerzen. So setzt halt jeder seine Prioritäten.
»Dort – im Grundsatzprogramm der CSU, bei der AfD, in der Jungen Freiheit, bei „Islamkritikern“ usw. – wird „Kulturkreis“ und auch „Kulturen“ halt so gebraucht wie dargestellt. Und wenn man deren Weltanschauung nicht teilt, sollte man auch deren Sprachgebrauch nicht übernehmen.«
Ja, genau so funktioniert es hüben wie drüben: Wenn du unsere Sichtweise nicht teilst, dann musst du wohl einer von denen sein …
Ganz im Ernst: Ich beginne tatsächlich zu bgreifen, warum Leute, die noch einfacher gestrickt sind als ich, zunehmend ihrer Wut freien Lauf lassen, wenn ihnen – vermeintlich oder tatsächlich – von einer kleinen Gruppe „Klugscheißer“ mit abstrakt-akademischen, für sie überhaupt nicht nachvollziehbaren Argumenten Deutungen und Quasi-Verbote von Dingen auferlegt werden, die für sie bis dahin nicht im geringsten negativ behaftet waren.
Bei AfD und Konsorten wird man sich angesichts solcher Beiträge und Diskussionen vor Begeisterung auf die Schenkel hauen.
@Copytexter
„Ich erkenne da einen Paradigmenwechsel bei der Argumentation: Jetzt soll ICH belegen, dass das zum Verzicht empfohlene Wort unverzichtbar ist.“ Ähm, ja bitte – Wir können den Beweis ja nicht antreten, das ist doch unmöglich – Auch wenn wir schlicht gestrickt sind, bis dahin reicht die Logik noch.
„Aber Sie haben sich aus unerfindlichen Gründen nun mal auf den Kulturkreis als Unwort versteift, das es auszumerzen gilt.“
Ähm, nein. Der Grund liegt an dem Artikel, in dem es nunmal um „Kulturkreis“ geht über den wir hier diskutieren und dessen Argumente ich nicht dünn finde (ich finde Ihre Argumente dünn, deswegen habe ich mal nach einem Beispiel gefragt). Aber Sie haben natürlich Recht, wir könnten eine strukturell ähnliche Diskussion auch über andere Begriffe führen. „Volk“ finde ich auch sehr fragwürdig (und würde gerne erklärt bekommen, was das „Volk“ sein soll – Aber nicht hier, weil nicht das Thema). Mit den weiteren Wörtern, die Sie zitieren, unterstellen Sie uns eine Gleichstellung, die wir gar nicht gemacht haben – „Heimat“ hat ja eine ganz andere Geschichte als „Kulturkreis“. Der Artikel argumentiert ja nicht ausschließlich mit „Begriff wird auch von Rechten benutzt“.
Jor, und Leuten wie Earendil und mir die Schuld daran zu geben, dass die „einfach“ gestrickteren Leute ihrer „Wut freien Lauf lassen“ finde ich schon eine ziemliche Unhöflichkeit. Ist das ernsthaft Ihre Meinung? Dann würde ich mich fragen, wo Ihre Wut eigentlich wirklich herkommt.
@ MAIKE
»Mich würde immer noch (ernsthaft, nicht polemisch) interessieren, wofür der Begriff denn notwendig ist, gibt es ein Beispiel?«
Was heißt denn „notwendig“? Ist das Wort Joghurt notwendig, oder sollten wir nicht lieber „verdickte Milch“ sagen? Das ist doch albern. Es gibt für die meisten Worte Synonyme und Umschreibungen, aber das kann doch kein Kriterium für die Existenzberechtigung eines Wortes sein.
Hier geht es einzig und allein darum, ob ein bestimmtes Wort für sich genommen eine rassistisch motivierte Aussage impliziert, welche eine Verwendung dieses Wortes nach (noch) allgemeingültigen Maßstäben verbieten würde. Und das ist bei dem Wort Kulturkreis eindeutig nicht der Fall, die Begründung dafür lässt sich in Kommentar #7 nachlesen (Stichwort Komposita).
Und was die Beispiele betrifft: Ich hatte in Kommentar #19 bereits eines genannt, das die Neutralität des Begriffes belegt. Vielleicht befassen Sie sich erst mal mit dem, bevor sie weitere fordern. Oder soll das Teil einer Zermürbungstaktik sein?
@Copytexter
Sry, ich lerne Ihre Postings nicht auswendig – Aber danke, da ist tatsächlich ein Beispiel, das stimmt allerdings – Hätten Sie das mal drei Schritte früher in unserer Diskussion gesagt, hätte ich nicht dreimal nachgefragt. Da Sie nach „Zermürbungstaktik“ fragen – Nein, das ist nicht meine Absicht – Ich finde tatsächlich Ihre Argumente schwach (Sie meine ja auch, völlig okay) und frage mal nach (ob das sinnvoll ist, ist tatsächlich eine andere Frage, es geht ja um Verständigung und ob ich die so erreiche?). Aber um ein Beispiel zu nennen, warum ich finde, dass Ihre Argumente nicht sehr stichhaltig sind: Sie machen mehrfach schiefe Vergleiche. Joghurt ist nicht mit „Kulturkeis“ vergleichbar – Hierüber eine Diskussion anzufangen, sorry, das finde ich schlechten Stil. Bei einem Wort wie „Kulturkreis“ finde ich sollte man schon begründen, wenn ein Wort eine schlechte Geschichte hat und oft in rechten Kontexten gebraucht wird, dann ist der Gebrauch mindestens aus dem Grund kritisch zu hinterfragen – Wenn es nun aber ein Wort ist, das ein Bedeutungsfeld abdeckt, was kein anderes Wort abdeckt, dann ist es das vielleicht wert – So würde ich das sehen. Ich finde es eben auch gar nicht schlimm, sich über den Gebrauch von Worten auseinanderzusetzen, ich finde es nicht schlimm, wenn mir jemand sagt: „Flüchtling ist aus bestimmten Gründen ein problematisches Wort, denke doch mal darüber nach, besser Geflüchteter zu sagen.“ Ich finde das denn vielleicht etwas albern oder auch stichhaltig. Aber in keinem Fall finde ich es schlimm, sich über Sprache Gedanken zu machen. Das heißt ja nicht, dass ich das nur mache oder auch nur schwerpunktmäßig.
Um noch mal zu Ihrem Beispiel, #19, zurückzukommen – Aber es bestätigt halt meine Vermutung, der Satz ist missverständlich. Was sind denn Ihrer Meinung nach „verschiedene Kulturkreise“? Wer sind da also die Menschen, über die Sie sprechen? Der Autor legt ja auch dar, warum das seiner Meinung nach missverständlich ist bzw., dem sogar unzutreffende Annahmen zugrunde liegen. Ich würde mich dem anschließen.
@ MAIKE
Ich finde nicht das der Vergleich mit der Autobahn hinkt. Die Autobahn als Objekt und architektonisches Symbol sollte genauso wie die sprachliche Worthülse „Kulturkreis“ innerhalb einer geschichtlichen Argumentation (siehe Autor) dann auch angeführt werden können. Darüber hinaus gibt das Eine doch nur eine materielle landschaftliche Struktur vor – wir nennen es Autobahn, das Andere gibt eine geistige Struktur vor – wir nennen es dann Kulturkreis. Ein Stein, ist ein Stein, ist ein Stein. Wir können den Stein auch Maike oder Upsitupsi nennen, das ändert am Objekt/Inhalt oder am zu bezeichnenden nichts. Die Sache ist nur, das wir Menschen gerne darüber hinaus Dinge noch mit anderen Inhalten und Deutungen belehnen. Und so kann aus ein einfachen Kreuz, schnell etwas sakrales oder ideologisches werden, unter dessen Schatten dann tausende in den Krieg ziehen wollen. Im Fall des Kulturkreis wird nun angeführt das rechte diesen Begriff so aufladen und nutzen wollen oder „Kultur“ durch „Rasse“ ersetzt wird. Das ist mir auch bewusst geworden. Doch finde ich, sollten wir uns dagegen wehren und alternativen anbieten und nicht den Rechten das Feld der Deutungshoheit überlassen.
Und in meinen Umfeld wird der Begriff „Kulturkreis“ oder „Kultur“ nicht so starr, abgrenzend und ideologisiert interpretiert. Im Gegenteil er wird genutzt um voneinander zu lernen und Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten Sichtbar zum machen. Ich würde mir wie ein Oberlehrer vorkommen, wenn ich meinen arabischen, russischen oder koreanischen Freunden und Arbeitskollegen jedesmal ins Wort fallen müsste, wenn Sie einen Satz mit „in unserer Kultur“ oder „in unseren Kulturkreis“ beginnen. Gerade wenn wir uns als Einwanderungsgesellschaft verstehen wollen, bringen solche Debatten nichts, da sie mehr Hürden im Alltag aufbauen als abbauen.
@AchimH
Den Autobahnvergleich finde ich immer noch etwas hinkend (Autobahnen sind ja nun mal materiell vorhanden und müssen genannt werden – Bei „Kulturkreisen“ bezweifelt der Autor das ja gerade).
Was Sie im zweiten Absatz schreiben, kann ich hingegen gut nachvollziehen. Es ist viel wichtiger sich über unterschiedliche Gewohnheiten/Annahmen/Sozialisationserfahrungen – Wie auch immer wir es nennen, auszutauschen, als einen Streit über Begriffe anzufangen. Ich verstehe den Text hier aber auch nicht so, dass niemand mehr „Kultur“ sagen soll – Oder dass wir jedem ins Wort fallen sollen, mit dem wir individuell/privat sprechen und der „Kulturkreis“ gebraucht. Der Text richtet sich nach meinem Verständnis an Menschen, die öffentlich publizieren/auftreten – und da kann ich ja vielleicht einen etwas anderen Maßstab anlegen. Mal ganz abgesehen davon, dass ja auch niemand den Gebrauch von „Kulturkreis“ strafrechtlich verbieten will – Es wird ja nur erläutert, was daran als problematisch empfunden werden kann.
An mich gerichtete Formulierungen wie die folgende finde ich sehr unangenehm:
„Ich weiß ja nicht, was Sie mit dem gesuchten Begriff ausdrücken wollen. Aber wenn Sie sich nicht nur vom völkisch-rassistischen Vokabular, sondern auch von der entsprechenden Denkweise abgrenzen wollen, sollten Sie mit „Kulturkreis“ eher nicht operieren.“
Und ich glaube sie bestätigen die Befürchtung, die bereits in der Kolumne selber evoziert wurde: Daß es berechtigt wäre, bei jemandem, der den Begriff „Kulturkreis“ verwendet, mangelnde Abgrenzung zur völkisch-rassistischen Denkweise zu vermuten. Diesen negativen Effekt hat eine möglicherweise gute Intention, wenn sie nicht umsichtig vorgeht.
Die Frage, was denn jemand mit dem Begriff „Kulturkreis“ meint, ist die richtige. Sie findet auf einer inhaltlichen Ebene statt, die es notwendig macht, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der den Begriff verwendet – anstatt mit einem pauschalen Verdacht zu hantieren. Keine lange Ausführung, nur ein: Als einen Kulturkreis könnte man beispielsweise die Staaten bezeichnen, in denen man sich auf die Ideale der französischen Revolution beruft, und in denen sie konstitutiv wirksam sind.
Wieso kann es einen Sinn machen, den Begriff zu verwenden?
Es gibt Diskussionen, in denen ein naturalistisches Verständnis vorherrscht, das die Gebundenheit des menschlichen Verhaltens an seine ethnischen Wurzeln betont. Sobald der Begriff „Kultur“ fällt, wird diese Prämisse infrage gestellt. Der Begriff setzt voraus, daß der Mensch eine Verhaltensbandbreite hat, die es ihm prinzipiell ermöglicht, sich von seinen Vorgaben zu lösen. So wie es die Abstammung und die Biologische Konstitution eben nicht zulässt.
Im Kontext solcher Diskussionen macht es also einen Sinn, die Kultur und den Kulturkreis gegen eine völkische Argumentation zu setzen.
Jetzt würde mich aber noch interessieren, ob es einen alternativen Begriff gibt, der empfohlen wird.
@ MAIKE
»[Beispiel …] Der Autor legt ja auch dar, warum das seiner Meinung nach missverständlich ist bzw., dem sogar unzutreffende Annahmen zugrunde liegen. Ich würde mich dem anschließen.«
Die Aussage, jemand empfinde das friedliche Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen (sic!) als Bereicherung, finden Sie missverständlich? Weil damit auch – WAS gemeint sein könnte?
Es ist sowohl unredlich als auch unsinnig, einen Begriff, so, wie Sie und der Autor es tun, ausschließlich in negative Kontexte zu setzen und daraus dann einen moralisch gebotenen Verzicht abzuleiten. Mit derselben Vorgehensweise ließen sich beliebig unzählige Begriffe mit dem Label der politischen Unkorrektheit versehen.
Nochmal: Wenn Sie den anthropologischen Kulturbegriff an sich in Frage stellen wollen – bitte sehr. Ganz anderes Thema. Vielleicht gibt es am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie ein Forum dafür. Elfenbeintürme haben ja auch Internet.
Aber willkürliche Quasi-Verbote mit moralischer Implikation sind definitiv der falsche Weg, um ein größeres Publikum für das Thema zu interessieren. Der Effekt wird genau gegenteilig sein.
Das sagt übrigens jemand, der sich seit 25 Jahren sowohl institutionell als auch im persönlichen Umfeld für Menschenrechte und gegen Faschismus, Rechtspopulismus etc. engagiert, sich dabei aber neuerdings von rechts, links, oben und unten mit immer neuen Baustellen konfrontiert sieht – und sich von dieser deshalb jetzt zurückzieht.
@Copytexter
Ich weiß nicht, ob Sie es noch lesen. Sie bezeichnen mich als unredlich und gebrauchen weitere negative Formulierungen ohne das zu begründen (und ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass Sie den den Text, über den wir hier sprechen richtig gelesen haben). Was ist das für ein Argument: „Ich engagiere mich für Menschenrechte.“ Es sagt doch niemand, dass Leute, die „Kulturkreis“ sagen, sich nicht für Menschenrechte engagieren. Welchen Wert hat die Aussage? (Hans Olaf Henkel, ex AfD ist übrigens auch Mitglied bei Amnesty International, das heißt nicht, dass er kein Idiot ist).
Als Unwort empfinde ich das aber nicht. Kann man einem Wort nicht einen Bedeutungswandel unterstellen? Wenn man sich im eigenen Kulturkreis befindet, wie klein oder groß darf denn die Umkreisung sein, z.B. sprachlich, religiös, städtisch, ländlich, als Nation? So neutral empfinde ich das Wort als jemand, der den historischen Hintergrund nicht kennt.