In dieser Rubrik geben wir Gastautoren die Gelegenheit, über ihr persönliches Hasswort zu schimpfen. Eine Redewendung oder Formulierung, die nervt, sinnlos ist oder gerne falsch eingesetzt wird – die man aber ständig hört oder liest, in Texten, im Radio oder im Fernsehen. Mehr Hasswörter: hier.
postfaktisch
Ein Wort, das wie erfunden für ironischen Gebrauch klingt, ist mittlerweile (vermeintlich) seriös geworden. Um nicht klar zu sagen, dass es sich, wenn nicht um eine glatte Lüge, zumindest um eine Verdrehung von Tatsachen handelt, bedient man sich dieses Euphemismus, der obendrein auch noch pseudowissenschaftlich klingt.
Die Vorsilbe „Post-“ durfte sich der „Moderne“ anschmiegen und adelte damit das anything goes zweier Jahrzehnte. Nun, etwas abgenutzt, darf es eine neue Ära einläuten. Ich jedenfalls behalte mir stattdessen vor, von einer Zeit des Populismus und des Mangels an Vernunft zu sprechen, nicht gleich von einer Ära (hoffentlich!) – und schon gar nicht von einer postfaktischen.
Ulrich Matthes, geboren 1959 in Berlin, spielt seit er zehn ist und überall: auf der Bühne, im Fernsehen, im Kino. Wer ihn nur als Joseph Goebbels in „Der Untergang“ kennt, hat nichts gesehen. Und wer ihn gesehen hat, erinnert sich. Matthes‘ Vater war übrigens Journalist, Chefredakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.
Muttersprache: Deutsch (mit Gefühl)
Als Hasswort wählte er nicht: Lügenpresse
Aber … Ist nicht auch das schon problematisch?
Ich meine… Bis vor Kurzem war Homosexualität noch strafbar, und Ehemänner durften ihre Frauen vergewaltigen, und wir finden, JETZT ist eine Zeit des Mangels der Vernunft?
Ich finde, das geht auch schon zu weit.
Man kann doch die Probleme der Zeit ansprechen, ohne gleich einen Trend mit „Früher wars besser“-Anklängen draus zu machen.
Sieh mal an, eine kleine rote Zahl darf auch ein Hasswort haben! Wohnen Sie eigentlich immer noch in der Eichendorffstraße?
…was, bitte, meint „Postfaktisch“? Bin ausgezählt…
Ich kann „postfaktisch“ auch nicht leiden. Die hier offerierte Begründung finde ich aber, aus den von Muriel genannten Gründen schwach. Die Zeiten waren schon immer postfaktisch oder halt unvernünftig und populistisch. Oder, wenn mensch es differenzierter möchte – Jede Epoche hat ihre aufklärerischen und ihre antiaufklärerischen Aspekte (falls ich Adorno da richtig verstanden habe).
Oder, man bricht eine Pseudodiskussion vom Zaun, damit man seine irrelevante Website hier noch 3-8 Mal droppen kann.
Aber ich beiß mal in den Knochen:
Vernunft ist nicht objektiv.
Das Verbot der öfentlichen Homomsexualität kam sehr vielen Leuten über lange zeit sehr vernünftig vor.
Was ihr hier macht ist eine moralische Einordnung in euere Ethik. Subjektiv as fuck.
@Anderer Max: Potztausend, da haben Sie mich erwischt. Hab’s mir zu leicht gemacht. Natürlich haben Sie recht. Bei Fragen wie der, ob man andere Menschen wegen ihrer Sexualität einsperrt oder nicht, gibt es kein Richtig oder Falsch, das ist reine Geschmackssache.
Muss jede(r) selber wissen im Endeffekt.
(Und gucken Sie mal, ich hab den bösen Link weggemacht. Vielleicht können Sie jetzt wieder ein bisschen ruhiger schlafen und hin und wieder mal einen Kommentar schreiben, in dem es nicht um mein völlig irrelevantes Blog geht.)
@5: Nunja, alles ist immer subjektiv, oder?
@4: Adorno kenne ich nicht, zugegeben…
Es wird wieder Zeit für das deutsche Requiem von Brahms.
Beruhigt nach meiner „Erhöhrung“ ungemein…
Mensch, anderer Max,
das war jetzt aber tüchtig unfreundlich. Ich weiß, Muriel ist auch oft garstig zu den anderen Kindern, aber trotzdem.
@8:
„… tüchtig unfreundlich…“
Merke ich mir. Genial. Mein Tag ist gerettet :D
…im übrigen ist das alles postfaktisch irrelevant und tangiert mich maximal peripher.
„Ein deutsches Requiem“, das war es jetzt.
Kann ich aber immer nur im November
„Matthes‘ Vater war übrigens Journalist, Chefredakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.“
Und das qualifiziert M., hier zu schreiben?
Warum enthielt man uns die Berufe der Väter von Hasswort-Kolumnist
1-8 vor?
Und warum die der Mütter von 1-9?
@11 Jörg: Nein, das ist es nicht, was Herrn Matthes qualifiziert, hier zu schreiben. Es ist eine nette Zusatzinfo. Aber Sie haben recht: Dass Elke Heidenreichs Mutter, laut Wikipedia, „Näherin für Kinovorhänge“ war, hätten wir hier schon auch hinschreiben können. Wir müssen mehr auf die Berufe der Verwandtschaft künftiger Kolumnisten achten!
Ich muss zugeben, bis dato dachte ich, „postfaktisch“ wäre ein Angeberwort für „nach vollendeten Tatsachen“.
Und sei es, dass der Begriff „postfaktisch“ wissenschaftlich klingen mag, so heißt das noch lange nicht, dass er etwas Positives beschreibt. Schließlich gibt es auch viele wissenschaftliche Begriffe für andere ablehnenswerte Phänomene des Lebens. „Populismus“ klingt da gar nicht viel besser, vor allem nicht, wenn er von Populisten umgedeutet wird dahingehend, dass sie ja „fürs Volk“ sprächen.
Worin ich Matthes unterstützten würde, wäre, in Einzelfällen genauer zu sagen, inwiefern dort gelogen oder Tatsachen verdreht werden. In einer etwas übergreifenden Diskussion hilft das Wort jedoch, ein Phänomen der letzten Jahre zusammenzufassen.
@Stefan Fries: Wie würden Sie dieses Phänomen denn genauer beschreiben?
Ich wüsste das wirklich gerne.
War Politik früher vernünftiger? War die öffentliche Debatte sachlicher? Die Berichterstattung wahrhaftiger? Wann war das, und woran macht man das fest?
@Muriel,
ich bin ja bei Dir (und wäre auch mal auf die Argumente der Gegenposition gespannt). Aber vielleicht wurde sich früher im Schnitt etwas mehr Mühe gegeben, den Anschein von Rationalität zu wahren?
@Muriel
Nach meiner Wahrnehmung hat sich gewandelt, dass Lügen weniger Konsequenzen haben als früher und auch offensichtlich faktisch falsche Positionen dennoch von ausreichend Wählern unterstützt werden. Natürlich wurde früher auch gelogen, aber damals hatten größere Lügen noch Konsequenzen in Form von mangelndem Rückhalt. Wer das merkte, ruderte zurück oder korrigierte sich.
Wenn Sie sich anschauen, dass heute selbst Politiker, die offensichtlich und vorsätzlich lügen, keinerlei Konsequenzen für sich fürchten müssen, wird weiteren Lügen Tür und Tor geöffnet. Sehen Sie sich nur das Phänomen Trump an. Er kann lügen und unverschämt sein, wie er will, dennoch hat er noch genug Unterstützer.
@Maike: Ja, das ist zum Beispiel ein Trend, den ich auch sehe, und von dem ich (mit der Einschränkung, dass ich keine Ahnung habe, wovon ich rede) den Eindruck habe, dass er tatsächlich was mit der Clubhaftigkeit der ganzen Sache zu tun hat. Eine Zeitlang durften die Grünen das Enfant Terrible sein, dann mal die Linke, und jetzt halt die AfD, ohne diese Parteien damit ansonsten gleich setzen zu wollen.
Die AfD ist eine richtig eklige Partei, ohne Frage, aber ich finde es auch gefährlich, zu glauben, die anderen wären vernünftig und sympathisch…
Und ich bin da wie gesagt nicht besonders firm, aber die CSU war doch auch schon immer irgendwie bekloppt, und Strauß zum Beispiel war doch auch nicht besser als die von heute, oder wie siehst du das?
@Stefan Fries: Hm… Naja. Ich bin vielleicht zu jung und zu desinteressiert, um das so richtig einschätzen zu können. Ich denke an so Sachen wie die in meinem ersten Kommentar genannten Beispiele, oder auch das Verhalten der Regierung zu RAF-Zeiten. Oder Helmut Kohl. Besonders vernünftig und realitätsbasiert kommt mir da vieles auch nicht vor.
Ich verstehe total, falls Sie keinen Bock haben, das für mich auszubuchstabieren, aber mögen Sie konkrete Beispiele für das benennen, was Sie meinen?
@Muriel,
ja, auch. Wobei, wenn ich die Grünen mit der AfD vergleiche, dann finde ich die AfD schon postfaktischer als die Grünen. Als die Grünen noch eine Bürgerbewegung waren, hatten sie mit Ihrem Umweltthema ein „echtes“ Thema (na gut, der Wald ist jetzt doch nicht gestorben, aber ökologisches Bewusstsein ist wichtig und Atomkraftwerke tatsächlich schlecht). Die AfD hingegen als Bewegung hat sich, meiner politischen Auffassung zufolge, ein „Scheinthema“ gesucht. (Ja, ist nicht total einfach, 1 Millionene Leute zu integrieren, aber kein echtes Problem, sondern dient der Affektabfuhr, oder was auch immer).
@Maike: Ich wollte auch keineswegs behaupten, dass die Grünen so viel gelogen hätten wie die AfD. Mir ging es eher darum, dass sie damals auch den Anschein von Rationalität zu zerstören versucht haben, indem sie gegen die Regeln des politischen Diskurses verstoßen haben, wie die AfD das heute auch macht, wenn auch auf unsympathischere Weise, weil für eine unsympathischere Zielgruppe.
Und als hätte ich noch nicht genug haltlos gemutmaßt: Ich habe auch manchmal den Verdacht, dass der Eindruck auch was damit zu tun hat, dass Fakten heute leichter zu überprüfen sind. Wer hätte denn vor 30 Jahren mal schnell nachsehen können, wie viele Flüchtlinge jedes Jahr in Thüringen straffällig werden, oder so? Also, ja, die Zeitungen und so. Aber auch für die war es damals aufwändiger, und so weiter. Ich behaupte nicht, dass das alles erklärt, aber ich denke, es ist zumindest ein relevanter Aspekt. Oder?
@Muriel,
Darum gehts ja eigentlich nicht, aber mir scheint, dass die Grünen ganz aufrichtig ihre „Mission“ verfolgt haben – Und eher unabsichtlich gegen die Regeln (naja, oder eben aus politischen Gründen ganz bewusst, z. B. bei ihrer Quotenregelung oder der Rotationsregel) verstoßen haben. Bei der AfD ist es hingegen „Markenkern“ – Und hat nicht unbedingt etwas mit der eigenen Überzeugung der Handelnden, sondern etwas damit zu tun, erwartete Wählerbedürfnisse zu erfüllen (aber vielleicht sehe ich die frühen Grünen auch zu positiv).
Den Punkt mit der Überprüfbarkeit von Fakten finde ich hingegen sehr relevant. Wir reden immer von antiaufklärerischen Zeiten, leben aber gleichzeitig in Zeiten, in denen so viele Informationen verfügbar sind, wie nie und in denen vielleicht einfach auch so viele Menschen wie nie sich am Diskurs beteiligen.
Bart Simpson musste noch nicht postfaktisch 100x an die Tafel schreiben:das Postfaktisch weder was mit Tischen noch mit G.V oder mit Briefbeförderung noch mit Kombinationen davon zutun hat.
Ist „Wenn der Postmann 2x klingelt“ dann ein präfaktischer Film…?!
@Maike: Es mag bei einem wie mir schwer vorstellbar sein, aber ich wollte gerade wirklich zu keiner Zeit irgendwas Schlechtes über die Grünen sagen. Das Anliegen an sich fände ich sogar prinzipiell ehrenhaft, und ich glaube schon, dass sowohl die berühmten Turnschuhe als auch andere Vorfälle sich bewusst gegen die bestehende Ordnung wenden sollten und das auch zur Marke gehörte. Dass die Anliegen der AfD ansonsten eklige, die der Grünen zumindest tendenziell okaye sind/waren, ist wohl Konsens.
So langsam ist das doch alles zu harmonisch hier. Wir sollten lieber wieder über Steuern sprechen :-) Und Du wieder widerrechtlich Dein „irrelevantes“ Blog promoten (es ist immerhin ein gutes irrelevantes Blog). Scherz beiseite. Ich finde die Grünen schrecklich, aber vermutlich aus umgekehrten Gründen als Du. (Sie sollten den Leuten viel mehr aufzwingen wollen, z. B. verpflichtenden Katzeneintopf-Donnerstag in allen Kantinen.
Ich hab den Grünen/AfD-Vergleich nur noch mal wiederholt, weil er m. E. der These „früher war alles genauso postfaktisch“ punktuell widerspricht. Ich finde die AfD zumindest viel postfaktischer als die Grünen.
@Maike: Ach ich weiß nicht. Ich glaube gar nicht, dass wir bei den Grünen so entgegengesetzt bewerten, aber das hier ist wahrscheinlich keine gute Gelegenheit, das zu klären.
Ob die AfD postfaktischer ist als die Grünen, weiß ich nicht, auch wenns mir plausibel vorkommt. Dass das reicht, um gleich die ganze Zeit für postfaktisch zu erklären, würde ich aber auch unabhängig davon weiterhin sehr anzweifeln wollen. Ich finde wirklich, damit gesteht man der blödsinnigen Politik von früher zu viel Rationalität zu.
@dann sind wir uns halt einig. deine japan-fotos auf deinem blog fand ich auch schön. dann vielleicht demnächst woanders weiter :-)
Blog? Welches Blog? Isch abe gar keine Blog…
Was ist das für 1 Streif?
(Und bevor jemand fragt: Ja, das ist in der Tat rassistisch im Sinne von ein italienerklischee, von dem ich vermute, dass Italiener(innen) es nicht toll finden, und ich benutze es trotzdem manchmal, wenn ich es als Meme passend finde und glaube, dass italienischstämmige Menschen in Deutschland es nicht SO schwer haben, aber ich bin aufgeschlossen für Kritik daran und für eine Änderung meines Umgangs damit.)