Fußnoten (39)

Jetzt ist ausgerechnet einer der besten Texte über Journalismus in Deutschland offline

Manfred Klimek: Mein Beruf ist tot
Screenshot: Welt

Ich war das damals mit Klimek in Wien. Wochenlang in den besten Hotels, und außer Spesen nichts gewesen. Ich bekenne mich.

Falls jemandem hier Kontext fehlt: Der Fotograf und Autor Manfred Klimek hat sich in einem Text für die „Welt“ selbst interviewt, allerdings behauptet er an einer eher egalen Stelle des großartigen Textes, es wäre Claus Lutterbeck gewesen, der wochenlang im teuersten Hotel von Wien residierte, während sie zusammen für den „Stern“ eine Geschichte recherchierten. Lutterbeck will es aber nicht gewesen sein, und plötzlich ist der Text offline, was schade ist.

Deshalb bekenne ich mich jetzt: Ich war’s. Schreibt meinen Namen da rein und stellt ihn wieder online, bitte! Denn was Klimek sonst noch alles zu sagen hat, ist es wert, selbst wenn er sich an dieser Stelle falsch erinnern sollte.1) Im Moment steht der Text auf seiner Facebook-Seite. Außerdem wäre ich gern die coole Sau, die wochenlang im teuersten Hotel von Wien wohnt für eine Geschichte, die dann nicht einmal gedruckt wird.2)Falls wichtige Menschen mitlesen: Das ist exakt mein Traumjob. Wenn Ihr könnt, stellt mich bitte dafür ein!

Klimek interviewt Klimek

Bis dahin werde ich aber hier noch einmal zusammenfassen, was Klimek sich geantwortet hat, denn es summiert sich zum besten Text über Journalismus in Deutschland seit irgendwann zwischen Gutenberg und Guttenberg. Klimek, der Interviewte, hat viel miterlebt und viele gute Gedanken dazu – und Klimek, der Interviewer, weiß genau, wie er es aus sich herauskitzeln muss.

WELT: Herr Klimek, wie geht es Ihnen?

Manfred Klimek: Das wissen Sie doch, wir sind ja heute Morgen gemeinsam aufgestanden.

WELT: Kommen wir zu Ihrem Werk als Fotograf für einige der wichtigsten deutschen Magazine, Nachrichtenmagazine und Wochenzeitungen wie „Stern“, „Spiegel“ und „Zeit“.

Klimek: Ist das nicht ein etwas zu erwartbarer Einstieg in ein Interview?

WELT: Sie kennen meine Frage dazu doch noch gar nicht.

Ich wüsste nicht, wie man besser einsteigen könnte. Klimeks Text ist überschrieben mit „Mein Beruf ist tot“ – gemeint ist der Beruf des „Autoren-Fotografen“3)Vorsicht, „Autoren“ mit einem N. Das ist eins dieser Nachtisch-Nachttisch-Redigations-Albtraum-Wörter –, und er legt alles in den ersten fünf Sätzen an, während er gleichzeitig schreiend komisch ist. Es geht darum, warum Journalismus in Deutschland nicht mehr funktioniert, wie er soll, und das beginnt ganz wesentlich mit dieser Selbstüberschätzung, die dazu führt, dass Journalisten Journalisten interviewen und dabei Fragen stellen, auf die sie die Antworten schon kennen.4) Es gibt wahrscheinlich mehr Interviews mit Kriegsberichterstattern über ihre gefährliche Arbeit als mit Soldaten. Und bei allem wirklich tief empfundenen Respekt: Ich glaube, vor allem Kriegsberichterstatter werden mir zustimmen, dass das ein falsches Verhältnis ist.

Und Klimek eskaliert ansatzlos weiter: Er entlarvt diese Form des Interviews als ein Ritual. „Ist das nicht ein etwas zu erwartbarer Einstieg“ ist 100 Prozent Journalisten-Jargon, der gleichzeitig davon ausgeht, dass die Leserinnen und Leser diese Rituale kennen und von ihnen gelangweilt sind. Und dann diese perfekte Pointe: Natürlich kennt Klimek Klimeks Fragen – aber wir alle kennen die Art Fragen, die da kommen sollen.

Der große Gleichmacher

Ich kann nicht den ganzen Text nachbeten, ich hoffe, es gibt ihn bald wieder irgendwo, aber Klimek behandelt den hausgemachten Vertrauensverlust der Medien, über Relotius, die Silvesternacht von Köln und den ganz großen Gleichmacher: die allgegenwärtige Angst. Wichtige Punkte, die ausführlich besprochen sind, ohne dass jemals jemand eine Lösung findet. Aber Klimek spricht auch den Elefanten im Raum an, der sonst gerne unerwähnt bleibt: das Geld, und die Macht, die es bringt.

WELT: Sie kritisieren auch die Selbstüberhöhung deutscher Medien …

Klimek: … die immer auch Selbstgewissheit war. Als ich für den „Stern“ den 50. Geburtstag von Jörg Haider, dem [sic!] immer noch bekanntesten aller Rechtspopulisten, fotografierte, wollte Haider die Journalisten und Fotografen dirigieren und kontrollieren. Ich habe Haider, nach Rücksprache mit der Hamburger Redaktion, vorgeschlagen, statt mit der FPÖ-Buskarawane der Journalisten mit dem Hubschrauber zum Feierort, dem Kärntner Gipfel der Gerlitzen, gebracht zu werden. Die Redaktion würde den Hubschrauber mieten, mit Pilot. Haider hat mich danach anders behandelt, und ich konnte weit intimere Fotos für den Stern schießen als alle anderen Kollegen.

Dieses Können und nicht nur Wollen, das war Wirkungsmacht. Und vielleicht übertrieben, obwohl es mir selbstredend gut gefiel, als Vertreter einer damals noch mächtigen deutschen Illustrierten aufzutreten. Klar ist aber auch: Wenn die wirtschaftliche Lage der Medien so ist, wie sie heute ist, dann liegt auch mehr Macht bei den Mächtigen. Auch deswegen gibt es in der Politik nur noch so wenige ehrliche Fürsprecher der klassischen Qualitätsmedien.

Und Mächtige gibt es nicht nur in der Politik. Viele Branchen bestimmen inzwischen weitgehend mit, wie über sie berichtet wird. Es war sicher auch im Jahr 2000, als Haider 50 wurde, nicht der Regelfall, dass Redaktionen einen Hubschrauber stellen konnten, um an die besseren Fotos eines Geburtstages zu kommen. Aber heute ist es für viele Magazin-Redaktionen schon unvorstellbar, einen Redakteur mit einem Linienflug irgendwo hinzuschicken.5)Und der Hubschrauber war gar nicht so besonders. Beim „Stern“ gab es angeblich auch mal eine Rechnung für ein Kamel. Viel Geld ist sicher keine Garantie für guten Journalismus, aber wenig ist eine Garantie für nicht so guten – schon deshalb, weil man es sich nicht mehr leisten kann, im Zweifel eine Geschichte nicht zu drucken.

Irre viel Geld, kein Plan

Klimeks Eindruck vom „Stern“ war „Menschen mit irre viel Geld, aber keinem Plan“, und ich war nicht dabei6) Offenlegung: Ich habe von 2017 bis 2019 im Hause „Stern“ das Magazin „JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“ verantwortet, damals hatten wir ein bisschen Geld und ein bisschen Plan., aber wenn das stimmt, war der journalistische Impact trotzdem größer als heute, manchmal hilft viel einfach doch viel.

Es war sicher nicht geplant, dass Klimeks Selbstbefragung zur Glaubwürdigkeit der Medien diese ironische Meta-Ebene bekommt, weil ein (im Textzusammenhang wie gesagt eher unerheblicher) Teil des Textes möglicherweise nicht stimmt. Es erinnert daran, dass bei manchen großen Magazinen in Deutschland Dinge gerade da grandios schief gelaufen sind, wo sie besonders geklotzt haben. Der „Stern“ hat Millionen für gefälschte Hitler-Tagebücher rausgehauen. Beim „Spiegel“ war der gefeiertste Autor ein Lügenbaron.

Das ist die Kehrseite der Viel-hilft-viel-Dickhodigkeit, oder, wie Klimek es nennt: „Das übertriebene Wichtigtun deutscher Medien, wie ich es erlebte, hatte aber oft eine infantile Seite, wenn Männer und Kerle, gleichgültig und großspurig mit Spesengeldern um sich warfen.“ Während zu wenig Geld die Medien zahnlos macht, korrumpiert zu viel davon wahrscheinlich in die Vorstellung hinein, man gehöre als Journalist selbst zu jener Gesellschaft, die man eigentlich nur beobachten soll.

WELT: Die Medien sind nicht da, um Mächtigen zu gefallen.

Klimek: Wie es schon ein Höchstrichter in Amerika im Fall der Pentagon-Papers 1971 richtig formulierte, sind Medien dazu da, den Regierten zu dienen. Und nicht den Regierenden.

Das ist der entscheidende Punkt. Ich glaube, verständige Menschen können mit Medien leben, die von Menschen gemacht werden, also auch Fehler machen. Sie können damit auch besser leben als mit Medien, die aus Angst vor Fehlern paralysiert sind, denn das wäre so sinnvoll wie eine Fluglinie, deren Flieger nie abheben, weil Flugzeuge auch abstürzen können. Womit wir alle auf keinen Fall leben sollten sind Medien, die nur den Mächtigen dienen. Das hat einiges mit Geld zu tun, und das ist Klimeks eigentlicher Punkt.

WELT: Das ist ein guter Schluss. Wir danken für dieses Interview, das wir beide mit uns selbst geführt haben.

Ich danke auch.

Fußnoten

Fußnoten
1 Im Moment steht der Text auf seiner Facebook-Seite.
2 Falls wichtige Menschen mitlesen: Das ist exakt mein Traumjob. Wenn Ihr könnt, stellt mich bitte dafür ein!
3 Vorsicht, „Autoren“ mit einem N. Das ist eins dieser Nachtisch-Nachttisch-Redigations-Albtraum-Wörter
4 Es gibt wahrscheinlich mehr Interviews mit Kriegsberichterstattern über ihre gefährliche Arbeit als mit Soldaten. Und bei allem wirklich tief empfundenen Respekt: Ich glaube, vor allem Kriegsberichterstatter werden mir zustimmen, dass das ein falsches Verhältnis ist.
5 Und der Hubschrauber war gar nicht so besonders. Beim „Stern“ gab es angeblich auch mal eine Rechnung für ein Kamel.
6 Offenlegung: Ich habe von 2017 bis 2019 im Hause „Stern“ das Magazin „JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“ verantwortet, damals hatten wir ein bisschen Geld und ein bisschen Plan.

3 Kommentare

  1. Ich weiß nicht genau, ob es hier passt, glaube aber doch.
    Was leben wir (trotz aller/n Kritik, Probleme, Ungerechtigkeiten, Machtmissbrauchs, …..) zum Glück in einem Land, wo diese Seite veröffentlicht werden und unter‘s Volk gebracht werden darf. Das sollten wir nie vergessen und wert schätzen.

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