Wo immer die Reise hingeht: „Merian“ ist schon lange dabei. Das ist der erste Satz der Selbstbeschreibung des Heftes auf der Webseite des Jahreszeiten-Verlags, in dem „Merian“ erscheint, und es ist wahrscheinlich keine Absicht, dass er nicht wirklich einen Sinn ergibt1)Es geht dort übrigens weiter mit „Und so wie das Reisen selbst hat sich auch dieses Magazin immer weiterentwickelt – und auch ein Stückweit neu erfunden“, und um das gleich zu sagen: Nein, das Wort Stückweit kennt der Duden nicht. . Aber ein bisschen passend ist es schon, denn „Merian“ hat seinen Platz verloren. Das eigenwillige, kulturbeflissene, jeweils einem Ort2)i.S.v. Stadt, Land oder Region gewidmete Reportage-Magazin, das die letzten 75 Jahre lang Fernweh in Studienräten ausgelöst hat, ist im Januar zum letzten Mal erschienen, mit dem wunderbar merianhaft uncoolen Thema „Würzburg“ als Reminiszenz an die allererste Ausgabe von 75 Jahren. Dann hat sich der Verlag eine Pause gegönnt und das gesamte Konzept von „Merian“ neu gedacht.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es diese Art Pause schon einmal gegeben hat, und ich weiß nicht, was die echten Gründe dafür waren, aber als Signal finde ich „Wir nehmen uns Zeit, hier mal gründlich zu renovieren, und wir sind selbstbewusst genug zu glauben, dass Sie uns in der Zwischenzeit nicht vergessen“ ziemlich stark. Gleichzeitig übernahm Verleger Sebastian Ganske selbst die Chefredaktion von „Merian“. Das bringt uns in eine besondere Situation: Ein über Monate völlig frei vom Verleger selbst3)Also: ohne, dass ihm der Verleger reinquatscht, wie es sonst überall passiert entwickeltes Heft sagt uns sehr klar, was der Jahreszeiten Verlag über die Entwicklung des Zeitschriftenmarktes weiß (oder zumindest zu wissen glaubt). Das ist spannend – und im Ergebnis einigermaßen traurig.
188 Seiten, 0 originelle Ideen
Man muss nicht drum herumreden: Das neue „Merian“ selbst ist völlig charakterfrei. Man hat das Konzept des monothematischen Heftes aufgegeben für ein Reisemagazin voller so genannter „Traumziele“. Der neue Claim des Heftes ist „The Art of Travel“. Falls es nicht spätestens hier ohnehin jedem klar ist: Es ist alles eine Sammlung von Klischees. Allerdings auch: ein schön gemachter Luxus-Reisekatalog samt ein paar Lifestyle-Seiten, praktisch durchgehend bebildert mit PR-Material, und in den meisten Fällen beschränkt sich die Berichterstattung auch auf die Objekte dieser PR-Fotos4) Mit unschöner Regelmäßigkeit sind in den Texten zitierte Informationsgeber auch noch Angestellte eben jener Hotels, Whisky-Distillerien oder was auch immer, eine Herangehensweise, die im Reisejournalismus verpönt ist und beim alten „Merian“ (ich habe Ende des letzten Jahrtausends auch mehrmals für das Heft gearbeitet) explizit verboten war.. Whisky in Schottland, Trauminseln und das Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg. 188 Seiten ohne eine einzige originelle Idee5)Der Vollständigkeit halber: Man gelangt bei manchen Geschichten per QR-Code auf eine Google-Maps-Map, auf der die Tipps eingezeichnet sind. Vielleicht ist das für jemanden eine originelle Idee.. Und voller Texte, bei denen man sich nicht erinnern kann, ob man sie schon gelesen hat.
Wenn das jetzt alles ein bisschen negativ klingt, dann war ich nicht deutlich genug: Es ist furchtbar. Und mir persönlich tut es weh: „Merian“ war lange Zeit eines der am besten und liebevollsten gemachten Hefte des Landes, und das Archiv an großen Texten und Fotostrecken ist angesichts von 75 Jahren Geschichte wahrscheinlich das tollste überhaupt. Und vor allem war es voller Entdeckungen. Das ist vorbei.
Und trotzdem hat Verleger-Chefredakteur Sebastian Ganske möglicherweise recht: Das Heft hat ja so, wie es war, offensichtlich nicht mehr genug Leute überzeugt, es zu kaufen. Vielleicht blättern Menschen wirklich lieber in Hochglanz-Reisekatalogen und wollen in ihrem Urlaub lieber Klischees als die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen. Ich kann hier rummeckern, aber ich habe in den letzten Jahren auch nicht viele „Merian“-Ausgaben gekauft. Und ich bin genug in der Welt unterwegs, um zu wissen, dass die meisten Menschen da hinwollen, wo eh schon die meisten Menschen sind. Vielleicht wollen die sich die Träume, die sie sowieso schon haben, ja für 11,90 Euro nochmal bestätigen lassen.
Das Reise-Äquivalent zum Dudel-Pop
Aber ich glaube, die Wette von Sebastian Ganske steckt in der Information mit den kostenlosen PR-Bildern, mit denen das ehemalige Fotografie-Heft „Merian“ heute bestückt wird: Es geht vor allem darum, Hefte billig zu produzieren, in denen man ein leicht verständliches, auf oberflächliche Art hochwertiges Anzeigenumfeld schaffen kann. Es wirkt, als würden die Autorinnen und Autoren nicht reisen, sondern PR-Einladungen annehmen, was heute natürlich längst gängige Praxis in fast allen Medien ist, bei einem Magazin, das der Verlag als „Lead-Magazin“ des Segmentes verstanden sehen möchte, aber schamlos ist. Dass für diese Art Journalismus wirklich viele Leute so viel Geld bezahlen wie für das Abo eines Streaming-Dienstes, würde ich vorsichtig bezweifeln.
Ich gehe immer noch davon aus, dass der Magazin-Markt sich entwickeln wird wie der Markt physischer Tonträger in der Musik: Es wird weiter ein wenig Vinyl geben für Menschen, denen der Umgang mit dem analogen Medium eine besondere Freude macht, und so wird es auch auf Papier gedruckte Hefte geben. Ich bin zum Beispiel so einer, der immer noch Platten hört. Aber ich kaufe mir auf Vinyl die Musik, die mir viel bedeutet.
„Merian“ wettet anders und druckt das Reise-Äquivalent zum breitest möglichen Dudel-Pop. Und ich wünsche natürlich jedem in unserer Branche unendlich viel Erfolg und ein langes Leben. Aber überzeugt bin ich nicht.
Der Autor
Michalis Pantelouris ist Journalist und Buchautor. Er hat u.a. die Redaktion des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ geleitet, war stellvertretender Kreativdirektor von „GQ“ und ist Creative Consultant bei der ProSieben-Sendung „Zervakis und Opdenhövel live“. Für Übermedien annotiert er unregelmäßig die Medienwelt.
Es geht dort übrigens weiter mit „Und so wie das Reisen selbst hat sich auch dieses Magazin immer weiterentwickelt – und auch ein Stückweit neu erfunden“, und um das gleich zu sagen: Nein, das Wort Stückweit kennt der Duden nicht.
Mit unschöner Regelmäßigkeit sind in den Texten zitierte Informationsgeber auch noch Angestellte eben jener Hotels, Whisky-Distillerien oder was auch immer, eine Herangehensweise, die im Reisejournalismus verpönt ist und beim alten „Merian“ (ich habe Ende des letzten Jahrtausends auch mehrmals für das Heft gearbeitet) explizit verboten war.
Der Vollständigkeit halber: Man gelangt bei manchen Geschichten per QR-Code auf eine Google-Maps-Map, auf der die Tipps eingezeichnet sind. Vielleicht ist das für jemanden eine originelle Idee.
4 Kommentare
„Merian“ war lange Zeit eines der am besten und liebevollsten gemachten Hefte des Landes, und das Archiv an großen Texten und Fotostrecken ist angesichts von 75 Jahren Geschichte wahrscheinlich das tollste überhaupt.
Zumindest in den letzten 25 Jahren gab es aber schon diese Tendenz zum Werbeprospekt. Erinnere mich an ein Heft über meine alte Heimat Braunschweig, bei dem man denken konnte, die Stadt wäre a) so metropolig wie Berlin und b) so fachwerkig wie Rothenburg ob der Tauber. Beides falsch…
Da schien schon eindeutig das Stadtmarketing seine Steine im Brett zu haben. Und das ist mindestens 15 Jahre her. Davon ab: Schade um das alte Heft. Noch eine Magazin-Institution weniger.
Ich bin zum Beispiel so einer, der immer noch Platten hört. Aber ich kaufe mir auf Vinyl die Musik, die mir viel bedeutet.
Ich glaube, das Thema hatten wir schon mal in einer früheren Fußnote. Bin ganz dabei. Aber das „immer noch“ ist natürlich Quatsch – die coolen, jungen Leute fangen gerade damit an. ;-)
Danske 》 Ganske
Ansonsten top!
@2 Danke! Ist korrigiert.
Nachdem eine Email an die Redaktion von „Merian“ nach vierzehn Tagen noch nicht beantwortet worden war und ich telefonisch auch niemanden erreichte, habe ich frustriert den „Senior-Brand-Manager“ angerufen. Dieser erklärte mir, dass beide Redakteur*innen auf Recherchereisen seien. Bei dieser Personaldecke ist die Übernahme von Fremdmaterial vermutlich unvermeidbar.
Zumindest in den letzten 25 Jahren gab es aber schon diese Tendenz zum Werbeprospekt. Erinnere mich an ein Heft über meine alte Heimat Braunschweig, bei dem man denken konnte, die Stadt wäre a) so metropolig wie Berlin und b) so fachwerkig wie Rothenburg ob der Tauber. Beides falsch…
Da schien schon eindeutig das Stadtmarketing seine Steine im Brett zu haben. Und das ist mindestens 15 Jahre her. Davon ab: Schade um das alte Heft. Noch eine Magazin-Institution weniger.
Ich glaube, das Thema hatten wir schon mal in einer früheren Fußnote. Bin ganz dabei. Aber das „immer noch“ ist natürlich Quatsch – die coolen, jungen Leute fangen gerade damit an. ;-)
Danske 》 Ganske
Ansonsten top!
@2 Danke! Ist korrigiert.
Nachdem eine Email an die Redaktion von „Merian“ nach vierzehn Tagen noch nicht beantwortet worden war und ich telefonisch auch niemanden erreichte, habe ich frustriert den „Senior-Brand-Manager“ angerufen. Dieser erklärte mir, dass beide Redakteur*innen auf Recherchereisen seien. Bei dieser Personaldecke ist die Übernahme von Fremdmaterial vermutlich unvermeidbar.