„Tagesspiegel“ über die BBC

Abo statt Rundfunkbeitrag? Fakten statt Fehlinformationen!

In Deutschland wird über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung gestritten – aktuell noch heftiger als sonst. Da kann es nicht schaden, sich einfach mal anzuschauen, wie es andere Länder machen, Großbritannien zum Beispiel mit seiner BBC.

Die BBC, die ARD und das Geld: Abo statt Rundfunkbeitrag
Screenshot: tagesspiegel.de

Der „Tagesspiegel“ hat das in dieser Woche gemacht. Unter der Überschrift „Die BBC, die ARD und das Geld – Abo statt Rundfunkbeitrag“ kommentiert Medienredakteur Joachim Huber und hat viel Sympathie für das britische Modell, das er so darstellt:

„In Großbritannien muss der eine von der Regierung festgesetzte Rundfunkgebühr bezahlen, der die BBC-Programme nutzen will (in Deutschland muss jeder Haushalt den Rundfunkbeitrag unabhängig von der Nutzung von ARD & Co. bezahlen). (…)

In Deutschland herrscht Zahlungspflicht für ARD, ZDF und Deutschlandradio. Ihr zu entkommen, ist nur per Bedürftigkeit oder Tod möglich. Dieses Privileg garantiert den Anstalten jährliche Einnahmen von über acht Milliarden Euro. Was aber wäre, wenn die deutschen Haushalte sich verhalten könnten wie die britischen? Was bliebe von den annähernd 40 Millionen Beitragskonten übrig, wenn die Zahlungspflicht wieder an die Nutzung gekoppelt würde?“

Das sind interessante Fragen. Es gibt nur ein kleines Problem: Auch in Großbritannien ist der Zahlung des Rundfunkbeitrags nicht an die Nutzung der BBC gekoppelt. Zahlen muss jeder, der linear ausgestrahlte Fernsehprogramme auf irgendeinem Übertragungsweg schaut, ob öffentlich-rechtlich oder privat, ob terrestrisch, per Satellit, Kabel oder Internet.

Anders gesagt: Wer aus irgendwelchen Gründen keine Programme der BBC mehr schaut, aber weiter zum Beispiel die private Konkurrenz von ITV oder Sky, muss trotzdem für eine tv licence bezahlen – was unserem „Rundfunkbeitrag“ entspricht. Damit entfällt die komplette Grundlage des „Tagesspiegel“-Kommentars.

„Go woke, go broke“

Der scheint vor allem inspiriert zu sein von einem Text des Kolumnisten Rod Liddle in der Wochenzeitung „The Spectator“. „Liddle kümmert sich in seiner aktuellen Kolumne um nichts weniger als ‚The BBC’s biggest problem‘“, schreibt Joachim Huber. (In Wahrheit ist es nicht die aktuelle Kolumne, sondern die vorvorvorvorvorletzte, aber egal.)

Huber schreibt, dass Liddle schreibt, dass der Rückgang in der Zahl der Beitragszahler auf einen kaum noch zu ertragenen linksliberalen Drall zurückzuführen sei: Es seien „go woke, go broke“-Verluste. Außerdem bemerke Liddle, „sehr zu Recht“, wie Huber findet, „dass mehr und mehr Menschen im Vereinigten Königreich ihre Bedürfnisse bei Information und Unterhaltung aus vielerlei Quellen jenseits der BBC befriedigen.“

Nun ist Liddle ein, sagen wir, besonderer Kronzeuge. Die Londoner ARD-Korrespondentin Annette Dittert nennt ihn auf Anfrage des „Altpapier“ „so ziemlich die unseriöseste Quelle auf der rechten Seite, die man finden kann. Einer, der seit Jahren die Kampagne gegen die BBC mit immer wieder höchst fragwürdigen Argumenten führt.“

Erstaunlich, dass der „Tagesspiegel“ seine Behauptungen und Formulierungen einfach übernimmt, zum Beispiel die, die BBC hätte die Tendenz, die „unterdrückenden weißen Bastards“ zu tyrannisieren, die dumm genug seien, diese Sendungen weiter zu gucken. Folgt man Hubers Darstellung, lässt sich nur so erklären, dass immer noch 20 Millionen Menschen die Rundfunkgebühr zahlen. (Huber nennt diese Leute irreführenderweise die „Kunden“ der BBC.)

Huber übernimmt Liddles Behauptung, dass die BBC „massiv an Unterstützung“ verliere, und zitiert ihn, dass es eine „‚Stampede‘ im BBC-Publikum“ gebe. Das bezieht sich darauf, dass die Zahl der Gebührenzahler in den vergangenen Jahren jeweils um mehrere Hunderttausend gesunken sei. Tatsächlich hat der geschätzte Anteil derjenigen Haushalte, die sich um die licence fee drücken, zugenommen. Das ist in Großbritannien leichter, weil es keine Meldepflicht gibt.

Aber daraus eine massenhafte Abwendung von der BBC zu folgern, wäre falsch. Der Fernsehmarktanteil der BBC-Programme ist in den vergangenen 15 Jahren gerade einmal von 34 auf 33 Prozent gesunken.

Wer will die Zukunft gewinnen?

Es ist erstaunlich genug, dass der „Tagesspiegel“ einen ganzen Kommentar auf einer Kolumne eines Mannes wie Rod Liddle aufbaut. Aber erstaunlicher noch ist, dass er sie auf einer falschen Prämisse aufbaut: Dass die Rundfunkgebühr in Großbritannien an die Nutzung von BBC-Programmen gekoppelt ist.

Wenn Huber fragt: „Was bliebe von den annähernd 40 Millionen Beitragskonten [in Deutschland] übrig, wenn die Zahlungspflicht wieder an die Nutzung gekoppelt würde?“, ist darin übrigens auch das „wieder“ falsch. Sie war auch zu GEZ-Zeiten nicht an die Nutzung gekoppelt, sondern an das Vorhandensein eines Empfangsgerätes.

Hubers Kommentar gipfelt in der Frage: „Wer die Zukunft nur gewinnen will, der den Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro gesteigert sehen will, was hat der von den Herausforderungen wirklich akzeptiert?“ Ich habe das vage Gefühl, die Frage ist rhetorisch, bin mir aber nicht sicher, ob ich sie überhaupt verstanden habe.

In Deutschland wird über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung gestritten. Da kann es nicht schaden, sich anzuschauen, wie es andere Länder machen – wenn man es schafft, sich tatsächlich anzuschauen, wie es andere Länder machen. Der „Tagesspiegel“ ist daran gescheitert.

5 Kommentare

  1. Man könnte sich ja mal die Wikipedia-Seite von Liddle ansehen, bevor man ihn als Kronzeuge für etwas nimmt. RL ist selbst für britische Verhältnisse außerordentlich toxisch.

  2. @ #3 Das wäre eine ja nur minimale Recherche, für die es aber vielerorts schon nicht mehr reicht.

  3. Traurig mit anzusehen, wie der, nennen wir ihn, Journalismus sich mit populistischen Geplapper, statt sachlicher und fundierter Recherche selbst ein Grab gräbt.

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