Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Dieser Artikel ist zuerst im Übermedien-Newsletter erschienen. Wenn Sie uns abonnieren, bekommen Sie den Newsletter jeden Samstag ins Postfach.
Wer weiß, vielleicht wird man eines Tages von drei großen Arten reden, Journalismus zu finanzieren: durch den Verkauf von Inhalten an die Leser, durch die Vermarktung von Werbung und durch die Vermietung von Schiffen. Dann stünde Gabor Steingart in den Geschichtsbüchern nicht nur als größter Heißluftgenerator seiner Zeit, sondern auch als wahrer Pionier. Weil er es vorgemacht hätte: mit „The Pioneer One“, dem angeblich ersten „Medienschiff“ der Welt, vom Stapel gelassen 2020.
Die heutige Häme des „Spiegel“ darüber wäre in jenen Geschichtsbüchern dann nicht mehr als eine peinlich Fußnote, ergänzt vielleicht noch durch ein Kapitel, in dem die hektische Aufholjagd geschildert wird, wie das Nachrichtenmagazin später versuchte, eine eigene Redaktionsschiff-Flotte aufzubauen, aber im ganzen Land keine Anlegeplätze mehr fand, weil sie alle längst belegt waren von den 70.000 „Pioneer“-Booten Gabor Steingarts.
Vielleicht.
Jedenfalls führt der „Spiegel“ gerade einen bizarren Kampf gegen das Medien-Start-Up seines ehemaligen leitenden Redakteurs Steingart, und es hilft auch nicht, dass dieses Medien-Start-Up eine in vieler Hinsicht bizarre Unternehmung ist. Auf fünf Seiten arbeiten sich sechs „Spiegel“-Redakteure im aktuellen Heft an „Media Pioneer“ ab.
Kern der Geschichte ist der Vorwurf, dass Unternehmen und Vereine, die das Redaktionsschiff für eigene Veranstaltungen buchen, dafür möglicherweise auch eine redaktionelle Vorzugsbehandlung bekommen. Der „Spiegel“ hat dafür ein paar Indizien, ein direkter Beweis fällt naturgemäß schwer – ähnliche Vorwürfe gab und gibt es auch immer wieder gegen Medien, die sich mit Anzeigen finanzieren. Das ist ein legitimer Kritikpunkt, und das besonders, weil Steingart in der grotesken Selbstüberhöhung, die Teil des Markenkerns ist, Anzeigen zur Finanzierung von Journalismus als Teufelszeug ablehnt, aber so tut, als wären andere Formen, sich von Unternehmen bezahlen zu lassen, automatisch unproblematisch. Haha: nein.
Aber der „Spiegel“ tut seinerseits so, als sei es des Teufels, wenn ein Medienunternehmen neben Abo-Erlösen Geld damit verdient, ein Boot zu vermieten. Wenn es wirklich einen Markt dafür gibt, für relativ viel Geld einen plüschigen und anscheinend bestens ausgestatteten Tagesausflugsdampfer zu chartern, um damit auf dem Wasser irgendwelche Pressekonferenzen oder Empfänge zu veranstalten – warum sollte der Besitzer des Bootes auf diese Einnahmequelle verzichten?
Jaha, sagt nun der „Spiegel“, aber war das Boot nicht eigentlich dafür gedacht, dass hier die Redaktion arbeitet und in Journalismus macht? Sprach man nicht selbst davon, als „Patrouillenschiff der Demokratie“ durch das Regierungsviertel und die Republik zu kreuzen?
Natürlich ist das alles Bullshit. Aber wenn der „Spiegel“ dann besorgt aufschreibt, dass in den Zeiten, in denen das Boot im bezahlten Einsatz für eine Bank war, die journalistische Besatzung in schnöden Büros am Land, im Home Office oder sogar – hier bitte einen dramatischen Colliergriff vorstellen – in einem Café arbeiten musste („immerhin, Steingart habe die Rechnung übernommen“), dann entlarvt er nicht den Bullshit, sondern geht ihm auf den Leim. Als wäre ein Schiff der beste Ort zu arbeiten. Als müsste man sich Sorgen machen um ein journalistisches Produkt mit Schiffsversprechen, das nicht auf einem Binnengewässer entstanden ist.
Akribisch arbeitet sich der „Spiegel“ auch an der Werbebehauptung ab, das Schiff werde zu „100 Prozent elektrisch betrieben“ – wenn es doch in Wahrheit „neben den Batteriezellen auch noch einen Dieselmotor“ besitze. Der sei bei einer der ausgedehnten Deutschlandreisen im Dienst irgendwelcher Unternehmen „vermutlich gut zu gebrauchen“ gewesen, raunt der „Spiegel“ – der sich offenbar nicht einmal sicher genug ist, dass er auch tatsächlich gebraucht wurde, um das hinzuschreiben.
Stattdessen listet der „Spiegel“ unbeantwortete Fragen auf:
„Wie viel Liter Diesel hat die ‚Pioneer One‘ im vergangenen Jahr getankt? Lief jetzt im Frühjahr für die Commerzbank-Tour der Schmuddel-Motor? Wie viele Stunden?“
Wirklich? Das sind die großen investigativen Fragen, die der „Spiegel“ an die kleine Konkurrenz von „Media Pioneer“ hat und bei der er die, verdammt nochmal, versprochene Transparenz einfordert?
(Unter uns: Ich vermute ja, dass das Schiff weder Batterien oder Diesel braucht, sondern längst allein von Steingarts Bullshit angetrieben wird.)
Die unendlich lange „Spiegel“-Geschichte ist vor allem ein erschütterndes Dokument einer gescheiterten Recherche. Akribisch listet das Nachrichtenmagazin ein Dutzend Firmen und Verbände auf, die auf seine Anfrage bestritten hätten, „über Geschäfte wie die Schiffscharter Einfluss auf den ‚Pioneer‘-Journalismus zu nehmen“. Es ist schon, sagen wir, treuherzig, diese Anfragen zu stellen – aber ihre erwartbare Ergebnislosigkeit dann auch noch so gründlich dokumentieren?
Grotesk ist auch die Stelle, an der der „Spiegel“ erwähnt, dass es „noch eine weitere Kundenliste“ gebe, die ihm offenbar zugespielt wurde, „darunter Kunden, die möglicherweise nichts mit der Schiffscharter zu tun haben. Womit dann? (…) Unklar, worum es bei diesen Kunden ging. In einer Stellungnahme nennt ‚The Pioneer‘ auch diese Liste ‚fehlerhaft‘, obwohl sie aus dem eigenen Fundus stammt. Und, mal wieder: angeblich alles kein Grund, um die Unabhängigkeit zu fürchten“.
Verstehe ich das richtig: Der „Spiegel“ hat eine Liste aus dem „Fundus“ von „The Pioneer“, was immer das sein mag. Er weiß selbst nicht, was das für eine Liste ist und was sie zu bedeuten hat und warum da Kunden drauf stehen. Aber er behelligt uns Leser damit und suggeriert, die Existenz dieser Liste, über die er nichts weiß, spräche irgendwie gegen die Unabhängigkeit der Redaktion von „The Pioneer“?
Es ist ärgerlich, wenn man als Journalist auf Dinge stößt, die wirken, als könnten sie der Zipfel sein, um eine große zweifelhafte Sache zu entlarven, aber leider ihr Geheimnis nicht preisgeben. Das passiert ungefähr jeden Tag. Man recherchiert dann entweder weiter. Oder legt die Sachen irgendwann unbefriedigt zu den Akten. Eher ungewöhnlich ist es, zumal für ein Nachrichtenmagazin, diese Zipfel hochzuhalten und dem Publikum zu sagen: „Schauen Sie mal, wir wissen auch nicht, was das ist.“
So gesehen hat die große „Spiegel“-Geschichte über „The Pioneer“ sicher die Erwartungen von „The Pioneer“ voll erfüllt. Steingart hatte in dieser Woche die 99 Fragen, die sein Unternehmen vom „Spiegel“ bekommen hatte, schon vorab veröffentlicht. Das ist ein unfreundlicher Akt – oder, wie der „Spiegel“ es in der Online-Version seines Artikels nennt: ein Verstoß gegen „journalistische Standesgepflogenheiten“. Der „Spiegel“ macht aus seinem Beleidigtsein darüber keinen Hehl und interpretiert das als Beweis, dass „ihn“ (gemeint sind wahlweise „The Pioneer“ oder Steingart) die „Recherchen offenbar härter getroffen haben, als er wohl zugeben mag“.
Steingart hatte es seinerseits auch nicht beim Veröffentlichen (und teilweise Beantworten) der Fragen belassen, sondern gleich im Stil eines Kindes geantwortet, das damit droht, wenn ihm die Förmchen weggenommen werden, den ganzen Sandkasten vollzupinkeln. Er formulierte mit zornig flackernder Fettschreibung:
„Früher war nicht alles besser, aber DER SPIEGEL schon. Seit dem Tod von Rudolf Augstein tut das Nachrichtenmagazin drei Dinge, die es vorher nicht getan hat:
1. DER SPIEGEL lässt über Jahre einem Märchenerzähler wie Claas Relotius freien Lauf, der als Reporter angestellt war und unter anderem erfundene Reportagen über schießwütige Trump-Anhänger lieferte und dafür intern und extern gefeiert wurde. Niemand wollte etwas merken.“
Das hat zwar nichts mit irgendwas zu tun, aber Steingart glaubt, wie ungefähr jeder auf Twitter, dass die Relotius-Karte gegen den „Spiegel“ immer sticht.
(Punkt 2 ist dann die bekannte, problematische und ausgiebig skandalisierte Finanzierung eines „Spiegel“-Projektes durch die „Bill & Melinda Gates Foundation“, und Punkt 3 die voll gemeine Berichterstattung über „The Pioneer“.)
Und als jemand, der regelmäßig Leuten erklären muss, dass Medienjournalismus eine seriöse und überaus wichtige Disziplin des Journalismus ist, zu der auch gehört, Mitbewerber und Kollegen zu kritisieren, steht man neben all dem und wendet sich weinend ab.
In seinem heutigen Newsletter berichtet Steingart, dass sich „viele tausend Leserinnen und Leser“ gemeldet und gegen die „Spiegel“-Berichterstattung ausgesprochen hätten. „Nicht alle sind Pioneer-Fans, aber alle legen Zeugnis ab von einer demokratischen Wehrhaftigkeit, die sich durch eine manipulative Berichterstattung nicht mehr beeindrucken lässt.“
„Ich danke allen Spiegel-Leserinnen und Lesern für ihre demokratische Wehrhaftigkeit. In ihnen lebt Augsteins Nonkonformismus fort. Der Spiegel und The Pioneer sind Wettbewerber, aber doch keine Feinde. Das leidenschaftliche Plädoyer der Spiegel-Community für journalistische Fairness hat das Pioneer-Team sehr beeindruckt. Das ist stark. Das zählt. Und in polarisierter Zeit zählt es sogar doppelt.
Als Ausdruck der eigenen Fairness bezeichnete Steingart den „Spiegel“ als „gekaufte Redaktion“, weil sie sich von Melinda & Bill Gates „die Redaktionsarbeit finanzieren“ lasse. (Tatsächlich betrifft die Finanzierung, wie gesagt, nur ein konkretes Projekt.) Gemeinsam mit Ingo Rieper, dem Vorstand der Media Pioneer Publishing AG, hatte er vergangene Woche von den Wettbewerbern als „den Verlierermedien“ gesprochen.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
+++Achtung: Kein Kommentar zur Sache selbst, sondern meta+++
…also wenn ihr jetzt nicht nur fast alle Artikel sofort freischaltet sondern auch die Newsletter free für alle rausballert, kann ich für euch nur auf eine ausgeprägt altruistische Übonenntenschaft hoffen.
„Ich vermute ja, dass das Schiff weder Batterien oder Diesel braucht, sondern längst allein von Steingarts Bullshit angetrieben wird.“
Das wäre dann ein Luftkissenboot?
Im Ernst: Wie kann der Spiegel bitte an dem Versuch scheitern, Gabor Steingart vorzuführen? Das ist doch wie Angeln in einem Goldfischglas…
Moin Stefan,
Ich vermute, Steingart gehört zu Deinen gewissenhaft gepflegten Feindschaften. Daher verstehe ich gut, dass ernst gemeinte Kritik an ihm wenigstens ernst zu nehmen sein sollte. Nicht, dass noch jemand denkt, Deine Kritik sei auch nicht ernst zu nehmen.
Schön! Lese ich gern!