MDR-Sommerinterview

Hilfe, mein Interviewer brummt!

Björn Höcke im Gespräch mit Lars Sänger
Björn Höcke (rechts) im „Sommerinterview“ Screenshot: MDR

Am Mittwoch dieser Woche hatte der MDR Thüringen in seinem „Sommerinterview“ den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke zu Gast, und wir blenden uns einfach mal nach gut vier Minuten ins Gespräch ein. MDR-Moderator Lars Sänger leitet an dieser Stelle gerade zum Hauptteil des Interviews über und fragt Höcke, was seine Partei in der Bildungspolitik anders machen würde.

Oder, wie Sänger es formuliert:

„Spannend. Vielleicht können wir mal ein bisschen weitergucken. Ihre Positionen zu bundes- und europapolitischen Themen sind mittlerweile breit bekannt. Ich darf an der Stelle auch nochmal drauf verweisen, Sie haben ein langes Interview bei Phoenix gehabt, ich hab mir das angeschaut, am Rande des Europaparteitages, des Listenparteitages in Magdeburg. Nachzusehen immer noch in voller Länge in der ARD-Mediathek. Und außerdem haben Sie natürlich auch auf Ihren Social-Media-Kanälen zu dem, was Sie auf Europa- und Bundesebene vor haben, ja viel gesagt. Heute sind Sie hier als Landes-Chef der AfD in Thüringen. Sie sind Fraktions-Chef hier im Thüringer Landtag. Deswegen würde ich sehr gern mit Ihnen über Themen sprechen, die eben auch wirklich Thüringen betreffen, die wir hier in Thüringen lösen können. Sie haben immer wieder erbeten, auch über Inhalte sprechen zu dürfen. Das wollen wir gern machen heute. Natürlich ein großes Thema ist die anstehende Landtagswahl, das ist kein Geheimnis. Bildungspolitik ist ein großes Thema. Da haben wir gesehen: Bildung ist Ländersache, 100 Prozent hier in Thüringen gestaltbar ohne Bund. Da kann die AfD sehr konkret werden. Das Thema seit vielen Jahren virulent im Land, auch das wissen Sie. Und außerdem haben zwei von drei Thüringern zuletzt auch nochmal deutlich gemacht, das Thema Bildung ist für sie mit wahlentscheidend. Das die zwei Themen vielleicht, die wir für die nächsten ja gut 25 Minuten aufrufen können. Auch weil der Landtag sich auf Antrag der AfD zuletzt in der aktuellen Stunde mit diesem Thema Bildungssystem beschäftigt hat. Damals hat, glaube ich, Ihr bildungspolitischer Sprecher gesagt: ‚Eine Zukunft für die Bildung: Schulpolitik muss mehr sein als die Verwaltung des Niedergangs.‘ Was sind aus denn aus Ihrer Sicht in diesem Bereich die dringlichsten Probleme hier im Land?“

Fast eineinhalb Minuten dauert dieser Monolog des Interviewers, und er zeigt beispielhaft, dass es ein viel elementareres Problem gibt als die gerade mal wieder heftig diskutierte Frage, ob und wie man am besten ein Interview mit Björn Höcke führen sollte. Nämlich: Wie man überhaupt ein Interview führt.

Kurz gesagt: So nicht.

Es fängt in diesem Ausschnitt schon mit dem Wort „Spannend“ an. Björn Höcke hat unmittelbar zuvor die Frage nicht beantwortet, wie die AfD denn – selbst wenn sie stärkste Fraktion im Landtag würde – regieren könnte; Koalitionspartner seien ja nicht in Sicht. Höcke sagt: Man solle doch erstmal abwarten, wie „der Thüringer Souverän“, also der Wähler, entscheidet, „bevor die Parteifunktionäre dann die Köpfe zusammenstecken dürfen“.

Und der MDR-Mann sagt: „Spannend.“

Es ist natürlich nicht spannend, aber vor allem ist es gar nicht die Aufgabe des Interviewers, das hier zu kommentieren. Als einzelner Ausruf wäre das, zugegeben, ziemlich egal, aber solche zustimmenden Kurzreaktionen ziehen sich durch das ganze Gespräch. „Gut“, sagt Sänger, „richtig“, „genau“, „d’accord“.

„Mmh“

Es ist ein besonderes Problem, im Interview mit einem Rechtsextremisten wie Höcke fortwährend zuzustimmen, aber es wäre auch im Interview mit jedem Nicht-Höcke ein Problem.

Es verschärft sich dadurch, dass Sänger immer wieder eifrig nickt, wenn Höcke redet. Das ist eine normale menschliche Reaktion in einem Gespräch, die sich ein professioneller Interviewer, wenn er gut ist, schnell abgewöhnt.

Und wie um als perfektes Negativbeispiel für Journalistenschulen zu dienen, brummt der MDR-Mann auch noch! Alle paar Wörter von Höcke ist ein Mmh von Sänger zu hören. Es ist oft ein zustimmendes Mmh, gelegentlich ein skeptisches Mmh, häufiger ein ungeduldiges Mmh; über weite Strecken liegt unter den Worten von Höcke eine Begleitstimme des Moderators.

Das klingt zum Beispiel so:

Höcke: „Das sind alles Baustellen, die sind dadurch entstanden dadurch, dass der Lehrerberuf …“

Sänger: „Ja.“

Höcke: „… unattraktiv geworden ist.“

Sänger: „Okay.“

Höcke: „Lehrer wollen nicht mehr …“

Sänger: „Mmh.“

Höcke: „… als Lehrer arbeiten, weil …“

Sänger: „Mmh.“

Höcke: „… die Belastung des Berufsalltags …“

Sänger: „Mmh.“

Höcke: „… mittlerweile an vielen Schulen, …“

Sänger: „Genau.“

Höcke: „… nicht an allen, verstehen Sie mich nicht falsch, …“

Sänger: „Jaja.“

Höcke: „… an vielen Schulen unerträglich …“

Sänger: „Mmh.“

Höcke: „geworden ist.“

Mmh.

Lars Sänger
Lars Sänger Screenshot: MDR

„Also, das ehrt Sie sehr“

Augenscheinlich ist ein Grund, warum Sänger in so verstörende Zustimmungsreflexe verfällt, paradoxerweise der, dass er merkt, dass Höcke seine Fragen nicht beantwortet. Vieles von dem, was Hoecke stattdessen sagt, versucht er durch Zustimmung möglichst schnell vom Tisch zu bekommen. Das führt zum Beispiel dazu, dass er Höckes vom Thema wegführende Schilderung, wie die AfD mit „Bürgerdialogen“ über die „Ursachen der Energiearmut“ und die „Ursachen der Existenzkrise“ rede, mit der Formulierung unterbricht: „Das ist ja wunderbar.“

Einen besonders bizarren Effekt hat diese Methode kurz darauf, als Höcke sich persönlich als edler Recke im Kampf für die Bildung jedes einzelnen Kindes im Freistaat darstellt:

Höcke: „Dass mir die Bildungspolitik am Herzen liegt und dass ich mit jedem Vater, mit jeder Mutter, die mir ihr Leid klagt, weil die Kinder in den Schulen nichts mehr lernen, wenn überhaupt mal Unterricht stattfindet, dass wir versuchen, da ranzugehen und an die Ursachen zu gehen, das ist selbstverständlich.“

Sänger: „Also, das ehrt Sie sehr.“

Nein.

Und wie finden Sie die AfD-Arbeit so?

Die eingangs zitierte Endlosfrage Sängers mündet ja darin, dass der MDR-Mann dem AfD-Mann zum Thema Bildung ein Zitat seines („glaube ich“) bildungspolitischen Sprechers vorhält: „Eine Zukunft für die Bildung: Schulpolitik muss mehr sein als die Verwaltung des Niedergangs.“ Das ist eine erstaunliche Interviewstrategie: Ist das nicht, zumindest für sich genommen, ein Politiker-Standardsatz?

Höcke geht in seiner ausschweifenden Antwort nicht darauf ein, was denn konkret in Thüringen zu tun wäre, sondern kritisiert die Familienpolitik und die Inklusion von Behinderten und spricht sich gegen das Ziel aus, Frauen und Männer gleichzustellen.

Das wäre nun vielleicht spannend. Sänger aber hat immer noch den bildungspolitischen Sprecher auf der Fragenkarte, diesmal mit Namen, und macht so weiter:

Sänger: „Okay, Ich frag das deshalb so explizit nach, ihr bildungspolitischer Sprecher Denny Jankowski hat natürlich die Klassiker aufgeführt, hat gesagt: Es fallen natürlich sehr viele Stunden aus, es fehlen Lehrer.“

Höcke: „Zehn Prozent!“

Sänger: „Zehn Prozent, das ist genau das, was er auch gesagt hat.“

Höcke: „Statistisch nur!“

Sänger: „Genau. Weil ich Sie ja jetzt auch gefragt hab nach dem, was Sie als Problem ausmachen, möchte ich natürlich eben auch die Lösung hören. Und ich glaube, Rolle der Opposition, da werden Sie mir zustimmen, ist, das Regierungshandeln zu überwachen und zu kritisieren und eben auch alternative Lösungen aufzuzeigen. Sie sind Chef der Fraktion. Wie zufrieden sind Sie denn mit den Vorschlägen, die Ihre Fraktion in dieser Wahlperiode im Bereich Bildung gemacht hat?“

Darauf muss man erstmal kommen: den Chef der AfD-Fraktion zu fragen, wie zufrieden er eigentlich mit der Arbeit der AfD-Fraktion ist. Viele Fragen und Schleifen später wird klar, worauf Sänger mit all dem riesigen Anlauf hinauswill: Er hält der AfD-Fraktion vor, kaum eigene Anträge zu dem Thema ins Parlament eingebracht und in Plenardebatten teilweise nicht mitdiskutiert haben. Sie habe sogar nur zwei Gesetzesentwürfe zum Thema Bildungspolitik eingebracht.

Nun kann man daran zweifeln, ob das wirklich die kritischen Fragen sind, die man einer Oppositionspartei vorhalten muss: Dass sie nicht genug eigene Gesetzesentwürfe eingebracht hat, die im Fall der AfD ohnehin alle abgelehnt würden. Aber selbst wenn man das für einen zentralen Angriffspunkt hält, ist es der mühsamste und misserfolgversprechendste Weg, mit dem AfD-Chef erst einmal einen Konsens über die Aufgaben der Opposition zu finden und ihn dann zu fragen, wie zufrieden er mit der eigenen Arbeit ist. Später, als klar ist, worauf er hinauswill, kramt Sänger hilfsweise noch hervor, dass die AfD doch eigentlich fürs Leistungsprinzip sei (also im Landtag doch Gesetzentwurfproduktionsmeister sein sollte) und dass bei einer MDR-Umfrage die Leute auch fanden, dass die Opposition „eigene Gesetze vorschlagen und konkrete Alternativen zur Regierung aufzeigen“ sollten.

Sänger ist so überzeugt davon, dass er damit Höcke zu fassen kriegt, dass er sogar fragt: „Woher sollen die Leute wissen, welche Position Sie vertreten, wenn Ihre Bildungspolitiker verzichten, zu Gesetzen Position zu beziehen?“

Höcke erwidert trocken: „www.afd-thueringen.de“.

Endgegner Höcke

Es wird viel diskutiert in diesen Tagen und Wochen, wie man mit der AfD reden soll (und ob überhaupt). Es gibt vermutlich keine einfachen Antworten darauf, und es mag schon sein, dass jemand wie Björn Höcke, der gleichzeitig besonders extrem und im Land besonders populär ist, ein besonders heikles Gegenüber ist.

Er schafft es, sich ausgerechnet durch Beteuerungen, um seine Person gehe es gar nicht, zum Heilsbringer für Volk und Land in Szene zu setzen, und unter dem Deckmantel, gegen Ideologien zu sein, extremistische Ideologien zu verbreiten. Ein Interview mit ihm könnte eine Abschlussübung für ein Fortgeschrittenen-Seminar an einer Journalistenschule sein.

Aber ihm saß im MDR-„Sommerinterview“ jemand gegenüber, der mit seiner Leistung in dieser Woche schon das Einsteiger-Seminar nicht bestanden hätte.

9 Kommentare

  1. Das viele Herum-ähen kann natürlich auch eine Methode sein, sein Gegenüber zu zwingen, mal endlich einen Punkt zu machen. Aber das kann dann nur die Einleitung sein, dann muss man auch irgendwann mal durchgreifen.

  2. Übrigens kann auch Lanz diese langen Fragen, in denen sich dann noch zwei weitere Fragen und eine Behauptung verstecken. Aber dann lässt er den Gegenüber nicht zu Wort kommen, anstatt ihn nickend zu bestätigen. :)

    Mein Vater hat mal gesagt, auch mit einer 4,0 wird man Arzt – alle Berufe haben gute und schlechte Vertreter_innen. Aber muss man dann für so ein Interview nicht eine der guten Leute nehmen?

  3. Ich hätte es gut gefunden, den MDR mit dieser Peinlichkeit zu konfrontieren. Ich frage mich, was dieser devote Mist soll. War das Interview aufgezeichnet und warum ist dann niemandem beim MDR aufgefallen, wie katastrophal schlecht das ist? Wollte das niemandem dort auffallen? Ich vermisse jetzt eigentlich Stimmen von Merz, Dieter Nuhr und all jenen, die immer den angeblichen Linksdrall im Rundfunk beklagen. Diese devote Peinlichkeit ist der Gegenbeweis.

  4. „Das ist eine normale menschliche Reaktion in einem Gespräch, die sich ein professioneller Interviewer, wenn er gut ist, schnell abgewöhnt.“

    Diese Angewohnheit („Hmhm … ja … aha“) kommt vermutlich vom Telefonieren – man signalisiert dem Gesprächspartner, dass man noch dran ist und zuhört. In der journalistischen Ausbildung wird einem das eigentlich schnell abgewöhnt. Ich glaube, ich hatte die Lektion schon in meinem ersten Radio-Praktikum: Wenn Dein Gegenüber spricht, bist Du still, sonst kannst Du die Aufnahme nachher in die Tonne kloppen. (Nicken ist im Radio natürlich egal.)

    In Zeiten der Hobby-Podcaster und -Youtuber hört man öfter, dass diese Regel nicht beachtet wird – ich finde das immer sehr irritierend. Aber er ist schon seltsam, wenn es einem Profi unterläuft. Vielleicht der Unsicherheit angesichts des gruseligen Gastes geschuldet.

    P.S.: „Misserfolgversprechend“ ist ein schönes Wort. Werde ich mir leihen.

  5. Danke, für die Analyse. Mir wären die Mängel nicht aufgefallen. Schlimmer noch, ich würde vermutlich ein ähnlich schlechter Interviewer sein. Obwohl das nicht mein Job ist, fühlte sich das Lesen des Artikels so an, als würde mir jemand den Spiegel vorhalten. Vielleicht sollte ich Interview-Trainings absolvieren, ob diese Marotten endlich loszuwerden. ;-)

  6. Da scheint in den letzten Jahren unerfreulicherweise etwas entstanden zu sein:
    Das Sommerloch als Sollbruchstelle journalistischer Minimalstandards.

    Gab es wahrscheinlich schon früher, aber eben nicht als Scheunentor für die Unterminierung der Demokratie.

  7. #2 Patrick:

    „Aber muss man dann für so ein Interview nicht eine der guten Leute nehmen?“

    Ich hau mal eine verwegene These in den Raum: Da die AfD in den südöstlichen Bundesländern um die 30% scharwenzelt, halte ich es für möglich, wenn nicht für sehr wahrscheinlich, dass auch in den Redaktionsstuben des ÖR nicht wenige AfD-Sympathisanten zu finden sind. Deshalb gibt es dort vermutlich zum einen wenige sehr gute Journalisten, die dem Höcke ordentlich Pfeffer geben würden. Und zum anderen, wenn es sie gäbe, werden sie nicht „auf ihn angesetzt“. Die AfD ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, für viele eine normale Partei. Und nicht nur dort. (Binse.)

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