Über Bilder (3)

Und wenn ich sowas hier mit dem Finger mache, kommt das aufs Cover?

Fotos schreiben Zeitgeschichte, wir schreiben über Fotos. Welche Nachrichtenbilder hinterlassen Eindruck? Wie wirken sie und warum? Wie viel ist inszeniert und von wem? Hendrik Wieduwilt analysiert für uns regelmäßig seine Auswahl des Monats.


Boris Pistorius ist Minister auf dem historisch unbeliebtesten Stuhl im Kabinett und trotzdem noch immer die beliebteste Person der Regierung. Dieses Phänomen der Politik liegt nicht nur am Kontrast zur Vorgängerin, die guter Dinge vor Feuerwerkskörpern vom Krieg plapperte – sondern auch an einem gewissen Coolness-Faktor, siehe (bzw. höre): Star-Trek-Handyklingeltöne. Pistorius produziert zudem gute Fotos, praktisch ständig.

Boris Pistorius auf dem "Spiegel"-Cover als "Minister Perfect?"

Gerade ziert Pistorius den „Spiegel“, ganz so, als hätte der Minister einen Schlüsselroman über einen Medienmogul geschrieben. „Minister Perfect?“ macht darauf eine Art Fingerpistole, eine Geste, die bisweilen machomäßig aggressiv, fordernd („I want you“) oder arg eingeübt wirken kann, wie etwa bei Armin Laschet:

Und die man sonst von grauenhaften, wirklich grauenhaften Stockfotos von Erfolgsmenschen kennt.

Doch Pistorius macht keine echte Fingerpistole, sondern die vor allem in den Vereinigten Staaten übliche Politikergeste für „Ich sehe Euch!“. Hat der vom „Spiegel“ so betitelte „Menschenfänger“ das absichtlich gemacht?

Eher nicht: Der Fotograf Andreas Chudowski berichtet Übermedien, bei den meisten Shoots ließen sich Politiker auf so etwas eh nicht ein. „Wieso oder auf was Herr Pistorius gezeigt hat, weiß ich nicht mehr, aber hinter mir stehen meist unvermeidbar Presseberater und Journalisten – da wird oft über mich hinweg kommuniziert, gelacht und gewitzelt.“ So sei es auch hier gewesen.

Doch nicht nur die Umgebung, die Spontaneität oder die Unsicherheit von Pistorius sorgten für den Titel, auch die Bearbeitung wirkt: Auf den originalen Bildern nimmt Pistorius nämlich nur einen recht kleinen Teil ein, steht fast etwas verloren vor dem ausgerollten grünlichen Hintergrund in einem Treppenhaus im Bundesverteidigungsministerium. Erst durch den Beschnitt bekommt der Minister die Wucht, die es für den euphorischen Titel brauchte.

Er dürfte dem Minister gefallen, denn er legt Wert auf gute Bilder. Im April konnte man ihn mit Ray-Ban-Brille beim Besuch im Sahel sehen. Das stach natürlich hervor, und Leserinnen und Leser dieser Kolumne wissen: Die Inszenierung war einmal mehr der „Hero’s Walk“, die auf die Kamera zu schreitenden Helden.

Es funktioniert aber nicht nur wegen der Brille und der „Hero’s walk“-Perspektive. Bildspannung entsteht auch dann, wenn die Protagonisten in unterschiedliche Richtungen schauen. Zugleich wirkt jemand, der beim Gehen zur Seite blickt, immer etwas Jason Bourne-mäßig, hyperalert. Beim Kinoplakat von „Reservoir Dogs“, einem Film, in dem sich Kriminelle komplett und blutig entzweien, ist es derselbe Effekt.

Der Fotograf hat sich zudem ein wenig gekniet und schießt etwa auf Bauchnabelhöhe. Dadurch wirken die Protagonisten noch einmal mächtiger. Da war ein Profi am Werk: Das Foto hat ein Ex-Fallschirmjäger für das Ministerium geschossen, Norman Jankowski, ein Filmemacher und Fotograf.

Der drückte übrigens auch bei einem recht bekannten Motiv aus dem März auf den Auslöser: Damals stand Pistorius bei einer Übung in Litauen dick eingepackt im Wald, hochroter Kopf, der Atem kondensiert vor seinem Gesicht.

„Uff, ganz starke Bilder. Da hat jemand die Macht der Bilder verstanden“, kommentierte ein Leser. Stimmt – und wir erinnern uns noch an eine Zeit, in der das im Bundesverteidigungsministerium nicht der Fall war.

Merz als Pfleger

Ostern ist die Zeit, in der Politiker sich traditionell in andere Berufsbilder hineinfühlen, und CDU-Chef Friedrich Merz hat sich nun in einen Pfleger hineingefühlt. Dabei entstanden naturgemäß Bilder, dafür macht man es schließlich auch, und eines davon mit erheblichem Meme-Potential. Die Internetgemeinde (™) ließ das natürlich nicht ungenutzt.

Was verleiht einem Bild eigentlich Meme-Potential? Jedenfalls muss etwas passieren, ein kontrastreicher Dialog, ein Bild, das aussieht, wie die „caption this“ Humor-Challenge des „New Yorker“: Man bekommt einen Comic, aber muss den Text hinzudichten. Bei Merz im Pfleger-Outfit funktioniert das naturgemäß gut. Der Hobbypilot und frühere Blackrock-Manager lehnt in Pflegerklamotten an der Schrankwand, es wirkt sehr lässig, zugleich komplett fremd, dazu der leicht ungläubige Blick zur Schwester, da ließ sich einiges mit bauen.

Das Bild wurde manchmal mit Hinweis auf das „Klinikum Hochsauerland“, hier und da und dort mit dem Hinweis „dpa“ oder sogar „dpa/Stefan Lange“ veröffentlicht, was dann doch bemerkenswert ist: Denn Stefan Lange ist kein dpa-Fotograf, also unabhängiger Journalist, sondern Wahlkreismitarbeiter. Er hat, wie uns Merz’ Pressesprecher informiert, die Fotos beim Besuch geschossen, einschließlich des Merz-Memes.

Man täte wohl gut daran, wenn auch Handyfotos eines Wahlkreismitarbeiters als solche gekennzeichnet würden – übrigens auch auf der Webseite der, naja, betroffenen Klinik.

Bei aller Kritik an inszenierter Volksnähe bliebe zudem zu fragen: Haben die ganzen Internet-Späße womöglich dafür gesorgt, dass die Aktion „Merz pflegt“ erst so richtig bekannt wurde?

Und war das womöglich sogar Absicht?

Lauterbach und Buschmann mit Humor

Humor ist jedenfals ein mächtiges Werkzeug der politischen Kommunikation. Politik und ihre Protagonisten wirken bisweilen steif und inszeniert, da kann ein lockerer Spruch die Beliebtheit steigern – das gilt auch für Fotos. Karl Lauterbach, der salz- und zuckeraverse Teilzeit-Comedian, wurde nun anlässlich der Cannabis-Teillegalisierung mit einem grünen Lolli gesichtet: im „Spiegel“, fotografiert von Nikita Teryoshin.

Das Bild war schon im August entstanden, als „Spiegel“-Leute Cannabis-Lollis zum Gespräch mit dem Minister mitbrachten, die sie im Internet bestellt hatten, „ohne THC, ganz legal“. (Lauterbach fand den Geschmack „scheußlich“ und „überhaupt nicht vergleichbar“ mit Marihuana.)

Die Idee kam von der Redaktion, doch der Fotograf ist in der Szene ohnehin bekannt für einen humorvollen Blick auf ernste Themen. Davon konnte auch Bundesjustizminister Marco Buschmann profitieren: Er bezeichnet sich selbst als lebende Büroklammer, kokettiert aber zugleich gern mit seiner Nebenexistenz als Elektronik-Musiker. Ob er sogar einen Sinn für Flachwitze hat? Ein Foto im „Focus“ legte diesen Verdacht nahe: Buschmann stand auf der Terrasse des Bundesjustizministeriums in der Mohrenstraße 37 – und vor ihm ragte eine Topfpflanze ins Bild (drittes Foto in der Diashow):

Der sonst quadratische Politiker als Busch-Mann, als fleischgewordener Scherz. Damals habe er diese Idee gehabt, sagt Teryoshin, der seit vielen Jahren ein Faible für Blitzaufnahmen in Büschen pflegt.

Was bleibt? Beide Politiker umweht ein wenig Lockerheit, zudem Glamour – die Blitzoptik erinnert an Fotos aus „Vice“, eine leichte „Tatort“-Optik. Edgy, aber nicht zu sehr. Also kein Zufall, dass ausgerechnet dort Teryoshins Fotos von Straßenkatzen präsentiert werden.

Die Habeck/Baerbock-Foto-Love-Story

Wir enden mit Harmonie: Normale Menschen denken da noch nicht dran, politische dagegen die ganze Zeit: Wer wird eigentlich Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat im Jahr 2025? In ihrer gegenderten Form stellt sich diese Frage besonders bei den Grünen. Robert Habeck und Annalena Baerbock müssen daher ein wenig Prominenzbalance halten: Strahlt einer zu sehr, muss der andere gleichziehen.

Wir verabschieden uns heute daher mit einem Bild aus der Timeline des Vizekanzlers: Habeck und Baerbock schreiten über einen roten Teppich die Flure der Macht entlang, vertraut, die Köpfe zueinandergeneigt.

Wir werden an dieses Bild erinnern – spätestens im K-Jahr 2025.

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